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Maler Erró
"Ich stelle mir die Bilder immer als Film vor"

Gerade erst hat er in New York ausgestellt, nun gibt er ein kurzes Gastspiel in der Wiener Galerie Hilger: Mit 82 Jahren ist Erró nicht zu bremsen. Der Künstler hat sich in den letzten 60 Jahren seinen festen Platz in der Kunstwelt erarbeitet. In kontrastreichen Acryltönen malt er pralle Collagen, die er zuvor aus gesammeltem Bildmaterial komponiert.

Erró im Corso-Gespräch mit Paul Lohberger |
    Der isländische Maler Gudmundur Gudmundson, aka Erró in seinem Studio in Paris
    Der isländische Maler Gudmundur Gudmundson, aka Erró in seinem Studio in Paris (Martin Bureau / AFP)
    Paul Lohberger: Wir stehen hier vor einem Bild mit dem Titel "Clouds Of Mexico". Am Himmel sieht man zwei farbenfrohe Kugelmenschen mit Pueblo-Attributen, die erinnern in Stil und Symbolik an den fantastischen Realismus. Unten im Vordergrund schreitet eine selbstbewusste, sexy Manga-Superheldin zu irgendeiner Tat. Daneben stehen eine Mumie und eine Art Zombie-Marylin-Monroe, sie keifen die Superheldin an und sind ebenfalls im Manga-Stil ausgeführt, also eher flächig gemalt. Ist das ein für Erró typisches Werk der letzten Jahre?
    Erró: Bei den Mangas ist jetzt eine ganz neue Generation am Werk, und die schafft neue Charaktere. Ich finde die sehr interessant - interessanter als Picasso manchmal. Ich stelle mir oft vor, was wäre, wenn die sich alle bewegen würden, wenn die lebendig wären? Was würde als nächstes passieren? Würden sie miteinander reden, oder streiten, oder sich gegenseitig angreifen? Ich stelle mir die Bilder immer als Film vor.
    Kein Computer, kein Handy, kein Fax, nur Briefe und Telefon
    Lohberger: Sie haben mir schon erzählt, sie arrangieren ihre Collagen ohne Computer und projizieren sie auf die Leinwand, als Basis für die Gemälde. Wie und wo arbeiten Sie denn?
    Erró: Im meinem Atelier in Paris hab ich ungefähr 80 Schubladen mit Bildmaterial. Ich bekomme sehr viele Bilder zugeschickt, ich weiß meist gar nicht, von wem. Sie kommen aus der ganzen Welt, weil Leute denken, die könnte ich vielleicht gut gebrauchen. Manchmal kann ich nur anhand der Briefmarke erkennen, aus welchem Land sie kommen. Ich sammle das ganze Jahr, auch auf Reisen. Ich habe 80 Schubladen voll mit verschiedenen Themen. Ich sollte das alles in den Computer eingeben, dann würde die Sichtung und Auswahl viel schneller gehen. Aber ich mache das lieber per Hand. Wenn ich zum Beispiel ein Bild von einem Sonnenuntergang suche oder ein schönes Regenmotiv finde, dann ist das manuell viel sinnlicher und haptischer. Ich habe keinen Computer, kein Handy, kein Fax mehr, nur Briefe und Telefon - so bleibt mir viel Zeit, zu arbeiten. Besonders wenn ich reise, stelle ich alles vorher zusammen. Ich habe gerade erst zwei Kisten mit Material nach Spanien geschickt. Ich werde dort an meinen Collagen arbeiten, da bin ich ungestört, kein Telefon, keine Post. Jedes Jahr im Juni und Juli arbeite ich dort. Wenn ich das Telefon offen lasse, rufen 50 Leute an und stehlen die Zeit, wollen essen gehen - ich hasse Lunch, wenn ich mittags Alkohol trinke, kann ich nachmittags nicht arbeiten. Ich arbeite von 7 Uhr früh bis 19, 20 Uhr am Abend. Besonders Samstag und Sonntag, wenn ich Ruhe habe.
    Lohberger: Zur Arbeit wird Erró also ein Stück weit zum Eremiten - aber im Ausstellungsbetrieb sind Sie natürlich schon geselliger. Jetzt sind Sie in New York, einer Stadt, die Sie schon lange kannten, bevor Leute wie Warhol und Lichtenstein mit Pop Art assoziiert wurden. Sie arbeiteten plakativ, Sie laden ihre Bilder mit vielschichtigen, widersprüchlichen Motiven auf und verwenden gerne politische Bilder - wie kommt das an in New York?
    Erró: Vor sehr langer Zeit, in der OK Harris Gallery hat man mir mal gesagt: Amerikaner mögen keine politische Kunst - und dann haben wir noch vor der Ausstellungseröffnung 18 Bilder verkauft! Das war eine schöne Überraschung! Kürzlich hatten wir eine große Ausstellung in der Galerie Perrotin in New York, in der Madison Avenue. Ich dachte, die haben mich komplett vergessen, aber ich bekam große Presse, viele Artikel. Und bei der Gelegenheit haben wir uns auch vier Tage lang die junge Künstlergeneration angesehen, die meisten leben zwischen Long Island und Brooklyn, sie haben riesige Studios. Ein Künstler hat uns zum Essen eingeladen, er hatte 24 Assistenten - das ist nicht viel, Murakami hat über 100, Jeff Koons hat ungefähr 260. Das war sehr angenehm, wir haben über vieles geredet. Das war wie nach Hause kommen, alles sehr nett und interessant.
    Street Art - Eine neue, sehr freie Generation
    Lohberger: Aber das klingt nicht mehr wirklich nach Nachwuchskünstlern. Was halten sie von Street Art?
    Erró: Es ist großartig, wenn man mit dem Zug ankommt, und schon Kilometer vorher von Bildern begleitet wird. Das Gleiche, wenn man wieder rausfährt aus der Stadt. Überall an den Hauswänden sieht man Kunstwerke. Und in jedem Land sehen sie anders aus. Das ist die Zukunft da draußen, etwas sehr Eigenes und Kurioses. Etwas Punkiges und Unangepasstes, denn die Leute sind frei, sie kriegen kein Geld und sie sind unabhängig. Wenn man für eine Galerie arbeitet, passt man seinen Stil oft an, um die Kunden nicht zu schockieren. Das ist eine neue, sehr freie Generation. Oft, wenn ich eine große Ausstellung habe, lade ich Street Artists ein, eine Hälfte zu bespielen - das kommt gut an.
    Lohberger: Meinen Sie, dass Sie freier waren als die Jungen heute?
    Erró: Ich bin sehr klassisch, ich bewundere die klassischen Italiener und Flamen wie Tintoretto und Rubens. Ich habe mich viel damit beschäftigt, als ich in Florenz war. Ich glaube, ich weiß viel über Komposition, und ich finde meine Bilder auch sehr gut komponiert. Vielleicht etwas zu klassisch, deshalb mag ich die Street Art, weil es da keine Komposition gibt, alles ist frei.
    Lohberger: Wir haben bereits von Assistenten gesprochen – haben sie eigentlich selber welche? Das wäre ja auch eine Art von Nachwuchsförderung.
    Erró: Ja, ich hatte in Angoulême - da gibt es immer ein großes Comic-Festival - da hatte ich eine 400-Quadratmeter-Wand gestaltet, das war vor 35, 40 Jahren. Meine Arbeit verblasste mit der Zeit, und der Bürgermeister bat mich, die Wand neu zu malen – da habe ich eine Frau getroffen, die halb Vietnamesin, halb Französin war. Sie arbeitete für Film und Fernsehen und konnte jeden Stil imitieren. ann kenn ich noch eine Chinesin. Sie ist mit einem Künstler verheiratet, sie haben ein kleines Kind. Und wenn diese beiden Frauen mich fragen, ob ich etwas für sie zu tun hätte, dann gebe ich ihnen meine noch unfertigen Collagen, und wenn sie die Miete zahlen müssen, dann rufen sie mich an, und sagen: Wir haben hier was für Sie, und dann bringen sie mir die fertige Arbeit. Genauso eine dritte Frau in Südfrankreich. Wenn sie Geld braucht, holt sie Collagen und bringt sie fertig zurück, ich korrigiere nur etwas nach, denn ich respektiere ihre Arbeit. Das ist eine wunderbare Situation. Aber ich könnte niemanden bei mir im Atelier haben.
    Lohberger: Das entspricht ja der Tradition der alten Meister, die hatten auch ganze Schulen um sich-
    Eine wunderbare Zeit, sehr unschuldig und naiv, aber wundervoll
    Erró: Ja, und die Dinge wiederholen sich auch. Ich war im New Yorker Metropolitan Museum, aber es war gerade zu. Ein feiner Herr hat mich freundlicherweise reingelassen und mir die El Greco-Ausstellung gezeigt. Da hingen acht identische, betende Madonnen. Der Herr sagte mir, alles in allem gäbe es sogar 24. El Greco brauchte viel Geld, für sein Haus in Toledo. Immer wenn er Geld brauchte, malte er eine Madonna. Nachher fand ich heraus, dass das Montebello war, der Direktor des Museums, der mich reingelassen und mir das alles erklärt hatte. Und wenn seitdem jemand sagt, meine Motive wiederholen sich, erzähle ich immer diese Geschichte, und weise jede Schuld von mir.
    Lohberger: Wenn man ihren Status erreicht hat, ist es freilich angenehm. Aber da muss man ja erst hinkommen. Welche Wahrnehmung hat Erró vom Leben junger Künstler heute?
    Erró: Es ist immer schwerer für sie geworden. Allein bei der Sozialversicherung in Paris sind 30.000 Künstler registriert. Dem stehen Galerien gegenüber, die nur eröffnet wurden, weil reiche Ehemänner ihre gelangweilten Ehefrauen beschäftigen wollen. Viele von ihnen haben aber null Ahnung von Kunst. Und so finden sie natürlich auch keine Kunden. Also es ist nicht einfach. Ich hatte immer drei Jobs, weil ich nicht sicher war, ob ich es schaffen würde als Künstler. Ich war Kunstlehrer und habe Mosaike gelegt, zum Beispiel in Ravenna, für die ich bezahlt wurde. Ein Jahr habe ich als Lehrer gearbeitet, und da habe ich gesehen, wie schnell meine Kollegen in dem Job geistig gealtert und zynisch geworden sind. Die waren 40 oder 50 und wirkten wie 90. Da dachte ich nur; oh mein Gott, das ist kein Beruf für mich. Als ich dann 1962 nach New York kam, hatten wir nicht viel Geld, aber wir haben riesige Lofts für 200 Dollar im Monat gemietet, wir haben von ein paar Hundert Dollar im Monat gelebt, das Leben war sehr billig damals. Es war auch nicht ganz leicht für uns, aber jeden Abend gab es eine Party, da kamen Leute aus aller Welt hin. Es war eine wunderbare Zeit, sehr unschuldig und naiv, aber wundervoll.
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