Im März 2023 steht in Tschechien eine Rekord-Auktion an: In Prag soll ein Ölbild des österreichischen Malers Oskar Kokoschka für mehr als 8,3 Millionen Euro versteigert werden. Beatrice Kretschmer erfährt nur durch einen Zufall vorab davon. Dabei hat das Bild mit dem Titel „Frau mit dem Sklaven“ einmal ihrer Familie gehört.
Es war Teil der Kunstsammlung ihrer Großeltern Hans und Stephanie Dittmayer und ist am Ende des Zweiten Weltkriegs in Prag verschollen. Doch weder das Prager Auktionshaus noch der aktuelle Besitzer des Bildes halten es offenbar für notwendig, die Erben der Dittmayers über die Versteigerung zu informieren.
Familie wurde in der Nazi-Zeit verfolgt
Für die Familie setzt sich damit ein Unrecht fort, das mit der Machtübernahme des Nationalsozialismus im Jahr 1933 begonnen hat. Zu dieser Zeit lebten die Dittmayers in Dresden. Die Ehefrau Stephanie galt in der Lesart der Nationalsozialisten als Jüdin, ihre drei Kinder als Halbjuden.
Hans Dittmayers Kunstgeschmack stellte ein weiteres Risiko für die Familie dar. Er sammelte mit Vorliebe expressionistische Werke – in den Augen der Nazis „entartete Kunst“. Die Familie hielt die Sammlung deswegen weitestgehend geheim.
Zu Recht, sagt die Kunsthistorikerin Dr. Barbara Haubold, die die Sammlung und ihre Geschichte bis ins kleinste Detail kennt: „Hans Dittmayer hatte einfach Sorge.“
Eine Zeit lang schaffte es der nicht-jüdische Reißverschluss-Fabrikant noch, Frau und Kinder wenigstens vor bestimmten Repressalien zu schützen, doch zum Ende des Krieges nicht mehr.
40 wertvolle expressionistische Bilder verschollen
Zu der Zeit landete das Herzstück der Sammlung Dittmayer in Prag: Zwei Holzkisten enthielten aufgerollte Leinwände von rund 40 wertvollen Ölgemälden expressionistischer Künstler wie Max Beckmann, Lyonel Feininger oder Otto Dix – darunter auch Kokoschkas „Frau mit dem Sklaven“.
Die Familie musste die Kisten in Tschechien zurücklassen und kämpfte nach dem Krieg erfolglos bei tschechoslowakischen und deutschen Behörden darum, ihr Eigentum zurückzuerhalten. Doch einige Bilder tauchen im Laufe der Jahre auf dem Kunstmarkt wieder auf. Wenn die Familie davon erfährt, dann meist zu spät.
Restitution: Suche nach gerechten und fairen Lösungen
Die Lage für Nachfahren von Menschen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, verbessert sich ab 1998 deutlich: Auf Grundlage der Washingtoner Prinzipien verpflichten sich unter anderem in Deutschland öffentliche Museen und Sammlungen, mit Erben von verfolgten Kunstsammlerinnen und Kunstsammlern nach „gerechten und fairen“ Lösungen zu suchen und Kunstwerke gegebenenfalls auch zurückzugeben.
Daraufhin registriert die Familie die verschollenen Bilder im Lostart-Register, und Sohn Wolfram setzt mit über 80 Jahren alles daran, mit den deutschen Museen Einigungen zu erzielen, in denen Werke aus der Sammlung seiner Eltern hängen.
Wolfram Dittmayer verhandelt unter anderem auch mit dem Von der Heydt Museum in Wuppertal. Dort hängt Lyonel Feiningers Werk „Marktkirche bei Nacht“, ebenfalls eins der Werke aus den beiden Prager Kisten. Das Museum hat es trotz seiner zweifelhaften Herkunftsgeschichte gekauft und verhält sich lange Zeit wenig kooperativ. „Das hat ihn an seine Grenzen gebracht“, erinnert sich seine Tochter Beatrice Kretschmer.
Podcast „Tatort Kunst“ liefert Antworten
Was ist mit dem Kokoschka-Gemälde, das in Prag versteigert werden soll: Schaffen Beatrice Kretschmer und die anderen Erben es, beim Auktionshaus Gehör zu finden und eine Einigung zu erzielen? Das erfahren Sie im Fall 2 des Podcasts „Tatort Kunst“.
Das „Tatort Kunst“-Team bei diesem Fall
Hosts: Stefan Koldehoff und Rahel Klein
Recherchen, Skript & Regie: Anne Preger
Headautor: Sven Preger
Sounddesign: Timo Ackermann
Hosts: Stefan Koldehoff und Rahel Klein
Recherchen, Skript & Regie: Anne Preger
Headautor: Sven Preger
Sounddesign: Timo Ackermann
Buchtipp:
"Von Monet bis Mondrian: Meisterwerke der Moderne aus Dresdner Privatsammlungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts "
Hrsg.: Heike Biedermann
Bischoff & Wagner, 2006.
"Von Monet bis Mondrian: Meisterwerke der Moderne aus Dresdner Privatsammlungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts "
Hrsg.: Heike Biedermann
Bischoff & Wagner, 2006.