Sandra Hoffmann: Ihr Buch versammelt Aufsätze über zum Beispiel Claude Levi-Strauss, über Proust, Fabre, Montaigne, Darwin, über Architektur, die unglückliche Liebe der Tanja Blixen und eine wirklich sehr irre Begegnung zwischen einem Hahn und eine Chamäleon. Ihre Liebe zu Vögeln kommt vor. Wie kommen Sie zu Ihren Themen, die ja sehr vielfältig sind?
Anita Albus: Na ja, ich würde sagen, die Themen kommen zu mir, und nicht ich zu den Themen. Die ergeben sich, ich meine, so wie dieser Aufsatz, den ich geschrieben habe über Proust, der in der "FAZ" abgedruckt war, aus dem sich dann ein ganzes Buch entwickelt hat. Also das ist nichts, was ich vor hatte, ursprünglich.
Hoffmann: Sie sind ja nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Malerin, Zeichnerin, und wenn man Ihre Texte und Bilder liest oder betrachtet, ganz gleich, wovon sie handeln: Sie sind filigran, sie sind genau und durchdrungen, sie verweisen immer auf irgendetwas Früheres, sie sind sehr analytisch. Dennoch, was kann die Zeichnung, was der Text nicht kann - oder andersherum?
Albus: Weiß nicht, sollte man das so ausdrücken? Übrigens, das Wort filigran, das mir immer begegnet, alle nennen das so, und ich habe eine ausgesprochene Aversion dagegen.
Hoffmann: Warum?
Albus: Ja, weil ich meine, dass meine Bilder nicht filigran sind, auch meine Texte sind nicht filigran, die sind sehr detailliert, aber doch kompakt und konkret und nicht filigran.
Zeichnen und Schreiben sind andere Räume
Hoffmann: Um noch einmal zurückzukommen auf diese Frage: Sie sind beides, Zeichnerin und Schriftstellerin, Malerin. Wann entscheiden Sie, das eine oder das andere zu machen, oder ist das keine Entscheidung?
Albus: Also eigentlich sind immer meine bildlichen Darstellungen auch verknüpft gewesen mit Texten. Aber das sind als Tätigkeit zwei ganz unterschiedliche Dinge. Das Malen ist ja so, dass es zunächst einmal eine Vision geben muss, eine Vorstellung von dem, was man machen möchte, eine Konzeption, und dann macht man eine Skizze, eine Zeichnung und dann führt man es aus.
Dann ist es aber eine Tätigkeit, bei der man, während man sie macht, also wenn man schon mal so weit gekommen ist, auch mit seinen Gedanken abschweifen kann, ja, und ich male ja sehr lange an den Bildern. Es ist eine andere Art der Konzentration, die braucht man auch, aber die Konzentration beim Schreiben ist eine große geistige Anstrengung, eine Vertiefung - sich vollkommen Abschotten vor anderem, also man darf da nicht abschweifen in den Gedanken, sondern so, wie ich arbeite, ist das ein sich Hineinbohren förmlich, in eine Materie, und das ist eine ganz andere Tätigkeit als das Malen.
Bezeichnenderweise male ich auch in einem anderen Raum, als in dem, in dem ich schreibe. Also ich könnte nicht in dem gleichen Raum schreiben, in dem ich male. Es ist nicht nur so, dass es unterschiedliche Räume sind, sondern in beiden Wohnungen, die ich habe, sowohl in Frankreich, wie hier, sind es die einander am weitesten entgegen gesetzten Räume, also das ist sicher kein Zufall.
Die Liebe zu Proust
Hoffmann: Der Schriftsteller Marcel Proust, um noch einmal auf ihn zurückzukommen, hat ja sehr große Bedeutung für Sie. Sie wissen ungeheuer viel über ihn, ich aber komme aus einer ganz anderen Generation und bin vielleicht auch sehr stark einem zeitgenössischen Schreiben zugewandt, möchte gerne von Ihnen wissen: Was kann Marcel Proust, was andere nicht können?
Albus: Niemand kann das, was er konnte, das ist immer eine singuläre Erscheinung, alle große Kunst, und das ist ganz, ganz große Kunst! Das ist so umfassend, das kann ich gar nicht beantworten - weil - ja, wie sollte man das kurz zusammenfassen, das ist mir nicht möglich. Wenn Sie lesen, werden Sie das sofort spüren, wenn man überhaupt dafür offen ist. Ich kenne viele Leute, die auch einen hervorragenden literarischen Geschmack haben, aber denen Proust unerträglich ist. Auch das gibt es.
Aber insgesamt muss man doch sagen, wie sehr und wie mächtig das fortlebt, die Liebe zu Proust, auch wenn man es vielleicht vielfach sehr missversteht, was er geschrieben hat, indem man hingeht und nur das daraus zu lesen meint, was man immer schon gewusst hat. Das ist eigentlich genau das Gegenteil dessen, was er wollte.
Hoffmann: Was wollte er?
Albus: Er hatte einen ungemeinen Sinn für die Wahrhaftigkeit. Er ist selber ein unglaublich wahrhaftiger Mensch gewesen. Ich spreche jetzt nicht von dem Marcel Proust, der sich in Gesellschaft bewegt und allen möglichen Leuten schmeichelt. Sondern ich spreche von dem, der geschrieben hat - oder in dem es sich geschrieben hat, sollte man vielleicht besser sagen.
"Wesen, mit denen ich mich identifiziert habe"
Hoffmann: Es gibt einen ganz wunderbar persönlichen Aufsatz über Findevögel in diesem, ihrem "Käuze und Kathedralen"-Buch, in dem man Ihre ganze Liebe aber auch Kundigkeit zu den Vögeln, seien es nun Meisen oder Schwalben oder Eulen, Käuze bemerkt: Was hat es mit den Vögeln für Sie auf sich?
Albus: Na ja, nicht nur mit den Vögeln! Aber ich bin ja ein Einzelkind gewesen und habe mich auch immer auch nach Geschwistern gesehnt, und in der Einsamkeit, in der ich aufgewachsen bin, also einmal als ein Kind einer Flüchtlingsfrau und einem als "Saupreuß" bezeichneten Vater in Bayern, und dann später, als meine Eltern in den Norden zogen, in den Teutoburger Wald, dort war ich dann auch wiederum, wenn man so will, eine Fremde, denn dort galt ich als Bayerin, und ja dadurch, dass ich keine Geschwister habe, so würde ich mir das erklären, dass ich eine besonders innige Beziehung zu den Tieren hatte, die aus dem Nest gefallen sind ... Das waren meistens Vögel, aber ich habe auch junge Hasen aufgezogen oder Eichhörnchen, das ist nicht speziell zu den Vögeln, obwohl vielleicht meine Liebe zu den Vögeln doch besonders groß ist, aber ja, für mich waren das Wesen, mit denen ich mich identifiziert habe.
Und außerdem, jetzt eben als erwachsener Mensch ist es eine wunderbare Erfahrung, Einblick zu nehmen in eine Welt, die einem eigentlich verschlossen ist, deren Sprache man nicht spricht.
Hoffmann: Wenn man Ihre Aufsätze gelesen hat, oder auch sonst mal geschaut hat, worüber Sie schreiben, was Sie zeichnen, überhaupt, was Sie interessiert, kommt man zu dem Schluss, und fühlt das sogar, die Naturkunde ist sozusagen die Königin der Wissenschaften. Oder fehlt da noch was?
Albus: Heute ist das so furchtbar unanschaulich geworden, was geschrieben wird. Also ich habe ja mein Buch über die seltenen Vögel ganz gestützt [auf das], was da die Naturforscher, die Biologen, die Ornithologen erforscht haben. Aber es war eben mein Bestreben, das in einer Weise wiederzugeben, in dem man nicht die Tiere vermenschlicht, aber doch sich als Mensch vorstellen kann, wie wäre es, wenn ich eine Schleiereule wäre, wie wäre es, wenn ich ein Wachtelkönig wäre, und das in einer möglichst lebendigen Weise, wie man es in den heutigen naturwissenschaftlichen Schriften nicht mehr findet, also mit dem Anspruch, dass es gleichzeitig Literatur ist. Insofern sitze ich da zwischen allen Stühlen natürlich.
Anita Albus: "Käuze und Kathedralen. Geschichten, Essays und Marginalien"
S. Fischer Verlag
S. Fischer Verlag