Daouda Maiga ist Tuareg und ein staatstreuer, leidenschaftlicher Republikaner - eigentlich ein unerschütterlicher Optimist. Doch langsam verzweifelt er an seiner Heimat Mali. Im Frühjahr hatte er schon seine Koffer gepackt: Nach zwei Jahren im Zwangsexil in Bamako wollte er endlich nach Hause, rauf nach Kidal, wo es während des Krieges gegen die Islamisten zu gefährlich war. Doch Daouda Maiga kann bis heute nicht zurück - seit den schweren Gefechten Ende Mai sind bis an die Zähne bewaffnete Tuareg-Milizen die absoluten Herrscher über Kidal, sie haben der malischen Armee eine bittere Niederlage zugefügt, über 50 Soldaten getötet, Lastwagen, Waffen und tonnenweise Munition erbeutet. Mittlerweile herrscht ein Waffenstillstand, aber der, so Daouda Maiga, zementiere eigentlich auch nur einen unerträglichen Zustand.
"Das Volk kann nicht auf irgendwelche Siege der einen oder der anderen Seite warten, so kann es in diesem Land nicht weitergehen. Es können nicht weiter Malier gegen Malier kämpfen - denn auch die Tuareg sind Malier. Verhandlungen sind daher unumgänglich.".
Mali will keine Autonomie im Norden zulassen
Verhandlungen, Gespräche: Die gehen gerade in Algier mühsam in eine neue Runde. Am Tisch sitzen sollen Vertreter der malischen Regierung auf der einen Seite, die Unterhändler verschiedener Milizen auf der anderen.
Die Frage ist nur, worüber eigentlich verhandelt werden kann. Denn: Die Tuareg der MNLA, der so genannten "Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawad", fordern etwas, was die malische Regierung kategorisch ablehnt: Mehr Autonomie für die Region im Norden Malis, die die Tuareg "Azawad" nennen und die fast zwei Drittel der Landesfläche ausmacht. Ishaq Ag Alhousseini, politischer Sprecher des Europa-Büros der MNLA:
"Wir verlangen, dass das Volk von Azawad sein Territorium selbst verwalten, sein Schicksal selbst bestimmen darf. Aber über Autonomie, über Föderalismus oder gar Unabhängigkeit will der malische Staat ja gar nicht reden - für den Präsidenten sind diese Worte Hochverrat. Also: welche Grundlage gibt es überhaupt für Verhandlungen? Fest steht für uns: Wir wollen mehr Freiheiten für die Menschen von Azawad."
Geplündert, gemordet und vergewaltigt
Doch ob die Menschen im Norden Malis - also Tuareg, Araber, Peul, Songhai und viele andere ethnische Gruppen - sich als "ein Volk von Azawad" sehen, das bezweifelt Abdoulaye Boucoum, Direktor des Kulturinstituts in Gao. Die MNLA, selbst eine Tuareg-Splittergruppe vertrete keinesfalls alle andere Teile der Bevölkerung.
"Hier im Norden war Azawad nie ein Thema! Das ist einfach ein riesiges Gebiet, das zu Mali gehört. Basta. Die Leute, die von Azawad reden, wollen eine Sezession, und sie wissen, dass sie uns mit dieser Debatte provozieren, dass die Integrität des Territoriums für uns sehr wichtig ist. Aber in Wahrheit ist Azawad eine Utopie, für mich ist und bleibt Mali eine unteilbare Einheit!"
Abdoulaye Boucoum hat in den letzten Jahren selbst erlebt, wie MNLA-Milizen und islamistische Terroristen in seiner Stadt geplündert, gemordet und vergewaltigt haben. Mit solchen Leuten, sagt er, könne der Staat nicht verhandeln.
"Es gibt keinen Fahrplan, keine Strategie! Der Staat lässt sich hinhalten von den Tuareg der MNLA und den anderen Gruppen. Diese Leute verlangen, dass der Norden entwickelt werden muss, dass mehr Geld fließen soll, damit dort investiert werden kann, in Straßen, Schulen, Krankenhäuser und so weiter. Aber es passiert nichts - sie stecken diese Milliardenhilfen ein, die in den Norden fließen - das war's. Sie schreien nach Entwicklung - aber in Wahrheit ist das nicht das, was sie wirklich wollen."
Es gibt keine Strategie
Tatsächlich sehen viele Menschen im Norden Malis die MNLA nicht als Fürsprecherin für mehr Entwicklung - die durchaus wichtig wäre für die Region -, sondern als politischen Arm von Terroristen und Kriminellen. Darunter sind genau die Kämpfer, die erst im Frühjahr 2013 durch französische und afrikanische Truppen zurückgedrängt wurden - und sich jetzt tarnen, um wieder an Einfluss zu gewinnen. Die radikalislamischen Tuareg von Ansar Dine, Al Kaida im Islamischen Maghreb, die Dschihadisten von MUJAO: Sie alle sind da, wieder oder immer noch, sie haben sich nur die Bärte abrasiert, sammeln sich nicht mehr unter der schwarzen Fahne des Dschihad, sondern sie führen, ganz weltlich, den Begriff "Azawad" in ihren neuen Kürzeln.
Auf der anderen Seite: die malische Regierung. Viele Experten kritisieren massive strategische Fehler. So lange der Staat nicht dafür sorge, dass es Menschen im Norden besser gehe, solange er keine Zugeständnisse mache, werde er die Bevölkerung nicht auf seine Seite ziehen können. Dass während des Krieges im Namen der malischen Armee Massaker an Tuareg und der arabischstämmigen Bevölkerung verübt wurden, hat im Norden Malis niemand vergessen.
Trotz alledem sollen, müssen die unversöhnlichen Parteien miteinander reden. Zahabi Ould Sidi Mohamed, Malis Minister für Nationale Versöhnung, will sich seinen Optimismus nicht nehmen lassen.
"Diese Verhandlungen werden lange dauern. Die Meinungen zur künftigen Verwaltungsordnung im Norden Malis könnten nicht weiter auseinanderliegen. Die verschiedenen Lager begegnen sich mit Misstrauen. Ich hoffe, dass die Gespräche zeigen werden, dass die Malier ihre schwere Krise selbst lösen können, dass sie ein positives Beispiel geben, für die ganze Region."
Krise könnte sich im Norden weiter verschärfen
Erschwert werden diese Gespräche durch den Einfluss Frankreichs. Viele behaupten: Die ehemalige Kolonialmacht unterstütze die Tuareg-Milizen der MNLA, um eigene - wirtschaftliche - Interessen zu wahren, der Zugang zu Uran- und Ölvorkommen spiele eine Rolle in diesem Konflikt. Frankreich sei in Mali zu einem Zauberlehrling geworden und werde seine islamistischen Geister nun nicht mehr los, sagt der Tuareg Daouda Maiga. Tatsache ist: Die Anschläge häufen sich wieder, Ansar Dine-Anführer Iyad Ag Ghaly taucht mit einem neuen Video im Internet auf. Für die Verhandlungen in Algier bedeute all das nichts Gutes, sagt Daouda Maiga. Und auch nicht für seine eigene Rückkehr nach Hause, nach Kidal.
"Wenn wir es mit Frankreichs Hilfe nicht schaffen, die bewaffneten Rebellengruppen und die malische Regierung zu einer Einigung zu bringen, dann besteht das Risiko, dass sich die Krise im Norden Malis weiter verschärft. Es ist höchste Zeit, denn Frankreich verspielt seine Verdienste in Mali. Immer mehr Gruppen sind von radikalen Islamisten unterwandert, und es wird neue Gruppen geben, die sich abspalten oder neu formieren. Die Allianzen der Separatisten könnten Ende 2014, Anfang 2015 schon wieder ganz anders aussehen, als jetzt, und dann wird der Norden noch unsicherer!"