Wer von Bamako in die Wüstenstadt Timbuktu reist, muss nicht nur mehr als 1000 Kilometer löchrige Straßen und Sandpisten über sich ergehen lassen, sondern auch Dutzende Checkpoints von Polizei und ziemlich nervösem Militär.
Nicht, dass Timbuktu und andere Städte im Norden Malis sicherer wären, nur weil dort nach dem Ende der Besatzung durch die Islamisten wieder die malische Armee stationiert ist oder die UN-Mission MINUSMA patrouilliert. Die Blauhelme werden in Mali oft als bewaffnete Touristen verlacht. Gegen die Wüsten-Guerilla, die sich gerade wieder formiert, könnten sie wenig ausrichten, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Hallé Ousmane, Bürgermeister von Timbuktu, sagt, seine Stadt sei momentan zu 40 Prozent sicher – von der Umgebung will er gar nicht reden:
"Die Sicherheit in dieser Stadt ist, sagen wir, beliebig. Unverbindlich. Timbuktu hat keine Tore, die man abschließen könnte. Der liebe Gott hat uns in der letzten Zeit Terroranschläge erspart. Aber: Wer Attentate verüben will, kommt hier unentdeckt rein und wieder raus."
Immer wieder gebe es Überfälle auf Märkte, Menschen würden entführt, immer wieder auch durch versteckte Minen verletzt oder getötet. Das alles sei im fernen Bamako bekannt, klagt der Bürgermeister, aber es passiere nichts. Wohin steuert Mali, fragt er sich.
Lage im Norden unübersichtlich
Darauf hat der malische Staat keine Antwort. Bis heute hat die Regierung praktisch keine Kontrolle über den Norden, die Lage ist verfahrener denn je. Kämpfer wechseln zwischen islamistischen Gruppen und Tuareg-Separatisten hin und her, sie haben wichtige Städte wie Kidal erobert, sie verdienen vor allem mit Entführungen und dem Schmuggel von Drogen und Waffen viel Geld. Und damit verüben sie immer wieder Anschläge.
Im Norden legen sie seit Monaten Sprengfallen oder feuern Granaten auf Kasernen. Und auch im Zentrum des Landes machen sie gerade klar, dass ihre Ziele von 2012 sich nicht geändert haben – und dass sie diese Ziele herbeibomben wollen: den Zerfall Malis, die Kontrolle über wichtige Städte wie Gao und Timbuktu, die Macht über das Gebiet namens Azawad, von dem die Tuareg-Milizen der MNLA und andere Gruppen träumen.
Dschihadisten werden immer stärker
Gerade erst haben Dschihadisten in der Nähe von Mopti die Stadt Ténenkou angegriffen und zwei Soldaten getötet. Anfang Januar erschossen Islamisten nahe Diabali an der Grenze zu Mauretanien elf Soldaten und zogen sich nach Gefechten wieder zurück, zwischenzeitlich wehte über der Garnison von Nampala sogar die Fahne des Heiligen Krieges. Die mauretanische Nachrichtenagentur Al Akhbar veröffentlichte danach ein Bekennerschreiben von Al Kaida im islamischen Maghreb.
Die Bedrohung rückt näher: Schlechter könnten die Voraussetzungen für Verhandlungen über einen Frieden im Norden Malis nicht sein, sagt Daouda Maiga, selbst Tuareg aus Kidal, mit Blick auf die Gespräche, die derzeit wieder in Algier stattfinden, zwischen Tuareg-Separatisten und malischer Regierung. Fest steht für ihn: Die jüngsten Anschläge sind mehr als nur taktische Manöver.
"Die bewaffneten Gruppen sind in ihrer eigenen Strategie gefangen. Ursprünglich hatten die Anführer der Tuareg-Rebellen ihre Kämpfer ja auf ein unabhängiges Territorium namens Azawad eingeschworen, auf einen eigenen Staat. Den werden sie aber nicht bekommen. Jetzt rumort es an der Basis, die Verhandlungsführer bekommen Druck. Und deswegen ist die große Frage, wie der malische Staat damit umgeht, was man bei den Verhandlungen den Rebellen anbieten kann, damit sie ihr Gesicht wahren können, damit sie für Ruhe sorgen und damit es Frieden gibt. Das ist das Kernproblem."
"Die bewaffneten Gruppen sind in ihrer eigenen Strategie gefangen. Ursprünglich hatten die Anführer der Tuareg-Rebellen ihre Kämpfer ja auf ein unabhängiges Territorium namens Azawad eingeschworen, auf einen eigenen Staat. Den werden sie aber nicht bekommen. Jetzt rumort es an der Basis, die Verhandlungsführer bekommen Druck. Und deswegen ist die große Frage, wie der malische Staat damit umgeht, was man bei den Verhandlungen den Rebellen anbieten kann, damit sie ihr Gesicht wahren können, damit sie für Ruhe sorgen und damit es Frieden gibt. Das ist das Kernproblem."
Mehr Föderalismus verspricht die Regierung, sagt aber nicht, wie der genau aussehen soll. Schon lange fordern die Menschen im Norden Malis mehr Dezentralisierung. Bislang sei der bettelarme Norden von der Politik in der Hauptstadt Bamako regelrecht abgekoppelt, klagt Aicha Belco Maiga, Abgeordnete aus Tessalit:
"Seit der malische Staat dort im Norden keinen Einfluss mehr hat, ist die Lage katastrophal. Es gibt keine Medikamente, keine Ärzte, es fehlt an Nahrungsmitteln und Trinkwasser. Die Kinder gehen nicht mehr zur Schule, die Bauern haben Angst, ihr Vieh weiden zu lassen, denn es kann jederzeit zu Überfällen kommen. Wir brauchen endlich Sicherheit. Und deswegen beten wir, dass die Regierung sich mit den bewaffneten Gruppen einigt und die Menschen versorgt werden können."
Einigung nicht in Sicht
Von Einigung ist allerdings keine Spur. Und das liegt nicht nur am Starrsinn der malischen Unterhändler oder daran, dass die wichtige Regionalmacht Algerien keinen islamistischen Staat in ihrem Hinterhof will. Ungehindert kann ein radikaler Islamist wie der Tuareg-Chef Iyad Ag Ghaly seine Scharia-Ideen weiter entwickeln und in Koranschulen schon kleine Jungen zu Dschihadisten ausbilden. Ag Ghaly hat Geld und Waffen, vor allem aus dem zerfallenen Libyen, zudem hat er beste Verbindungen zur Al-Kaida-Führung. Er ist der unbestrittene Chef im Norden Malis.
Deswegen wird er umgarnt – vor allem von Frankreich. Die ehemalige Kolonialmacht nutzt ihn als Quelle für den Anti-Terror-Kampf, will aber auch ihren Einfluss im Norden Malis ausbauen. Im Wettlauf der Mächte geht es auch um Bodenschätze wie Uran. Offenbar bleibt der Terrorist Ag Ghaly ungeschoren, weil er sich mit dem französischen Geheimdienst arrangiert hat. Wie bei anderen Geiselnahmen soll er kürzlich auch bei der Befreiung eines französischen Areva-Mitarbeiters eine wichtige Rolle gespielt und dafür Millionen kassiert haben.
Frankreich stelle eigene Interessen klar über die Stabilität Malis, sagt der Tuareg Daouda Maiga. Und hält dieses Gebaren für fahrlässig. Ohne eine ehrliche, gemeinsame Strategie werde es keine Verhandlungslösung für Mali geben. Und das könne schwere Folgen für den gesamten Sahel-Raum haben.
"Man denke an die Unabhängigkeitskämpfer, an die Dschihadisten, die Drogen-, Waffen- und Menschenschmuggler. Man denke gleichzeitig an diese schwachen Staaten wie Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso, die ihnen nichts, aber auch gar nichts entgegensetzen können: Der Sahel ist drauf und dran, zu einer Region zu werden, die ganz Afrika bedroht, den Maghreb, und auch Europa. Boko Haram in Nigeria hat zum Beispiel beste Verbindungen zu malischen Terroristen. Das zeigt: Ein Schulterschluss verschiedenster Terrorgruppen ist möglich und auf der Basis von Interessen sehr wahrscheinlich. Und er wird unberechenbar sein. Das alles hätte die internationale Gemeinschaft sehen können, so, wie sie hätte sehen müssen, was sich in Syrien, im Irak und anderswo zusammenbraut. Das ist ein gigantisches Versagen."