Am Montag, dem 22. März, beraten die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten wieder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über das weitere Vorgehen gegen die Corona-Pandemie. Ein Beschlussentwurf aus dem Kanzleramt deutet eine Verlängerung der Lockdown-Maßnahmen bis zum 18. April an.
Der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow (Linke), hat sich vor der Bund-Länder-Runde im Deutschlandfunk dafür ausgesprochen, die Pandemie-Abwehr in den Vordergrund zu stellen und gegen den aktuellen Anstieg der Infektionszahlen einzugreifen. "Wir sind in der dritten Welle drin", sagte Ramelow und Deutschland habe nicht genug Impfstoff, um die Bevölkerung davor durch Immunisierungen zu schützen.
Trotz der nun wieder angestiegenen Infektionszahlen seien die Lockerungsbeschlüsse von Anfang März kein Fehler gewesen. "Sie folgten der Logik, dass wir ausprobieren wollen, was geht und was nicht geht", sagte Ramelow. Sein Bundesland Thüringen habe aufgrund der hohen Inzidenzen im Land aber ohnehin keine Lockerungsschritte unternommen.
Dafür steht Bodo Ramelow:
- Reisen: Ramelow betont die noch gültigen Beschlüsse der Ministerpräsidenten-Konferenz: Die Bürger sollen von Urlaubsreisen Abstand nehmen. Es sei aber denkbar, "moderate Formen von Urlaubsmöglichkeiten" zu schaffen, in Kombination mit Tests und Kontaktnachverfolgung.
- Nächtliche Ausgangsbeschränkungen: Diese gehörten in Thüringen weiterhin zu den Auflagen ab einer Inzidenz von 100.
- Schulen: Schulen sollen ab einer Inzidenz von 100 geschlossen werden, im Schulbetrieb sollen Schüler und Lehrer möglichst zweimal pro Woche getestet werden.
- Testpflicht in Unternehmen: Die Testsystematik der Schulen und Kitas sollte auch auf Unternehmen ausgeweitet werden. In Thüringen würden das viele Unternehmen bereits praktizieren.
- Corona-Warn-App: Ramelow begrüßt den Vorstoß, die App mit Kontaktnachverfolung zu verbinden, auch Testergebnisse sollten einfließen.
Das vollständige Interview im Wortlaut
Philipp May: Plädieren Sie auch für weitere Verschärfungen?
Bodo Ramelow: Ich plädiere dafür, dass wir weiterhin die Pandemie-Abwehr im Vordergrund stehen haben. Das heißt, es muss darum gehen, dass das, was wir seit einigen Tagen erleben, nämlich den deutlichen Anstieg des Infektionsgeschehens, dass es an dieser Stelle jetzt ein Eingreifen geben muss mit verschiedenen Methoden, denn wir müssen den Infektionsweg deutlich früher unterbrechen.
May: Sie sagen auch, wir können die dritte Welle jetzt nicht einfach wegimpfen?
Ramelow: Wir sind in der dritten Welle drin. Wir müssen auch impfen. Sie hebt sich nur nicht auf, weil wir im Moment noch nicht genügend Vakzine haben. Das heißt, die Menge an Impfstoff, die wir bräuchten, um eine schnellere Herdenimmunität der Bevölkerung auch zu ermöglichen, die Abwehrkraft durch eigene Formen des immun seins, können wir nur ermöglichen, wenn wir mehr Impfmengen hätten. Wir könnten die Impfzentren auch in Thüringen sofort deutlich erhöhen. Wir könnten auch den Durchlauf deutlich erhöhen. Wir könnten mit den Hausärzten wesentlich schneller in die Verimpfung gehen. Aber was fehlt ist die Menge an Impfstoff.
"Lockerungsbeschlüsse waren kein Fehler"
May: Das war ja durchaus abzusehen, auch schon vor drei Wochen. Waren die Lockerungsbeschlüsse damals ein Fehler?
Ramelow: Nein, sie waren kein Fehler, sondern sie folgen der Logik, dass wir ausprobieren wollen, was geht, was nicht geht. Wir haben in Thüringen diesen Weg gar nicht mitmachen dürfen, weil wir zu diesem Zeitpunkt schon viel zu hoch mit der Infektion gelegen haben. Thüringen ist immer noch das Bundesland mit der höchsten Infektion, doppelt so hoch. Wir sind seit mehreren Wochen immer genau doppelt so hoch wie der Durchschnitt der Bundesrepublik.
May: Aber möglicherweise haben Sie den Menschen falsche Hoffnungen gemacht, weil ja damals auch schon im Prinzip klar war, alle Wissenschaftler haben das in ihren Modellen vorhergesagt, diese dritte Welle wird kommen und wir werden wieder ins exponentielle Wachstum steigen. Hat man da den Menschen falsche Hoffnungen gemacht?
Ramelow: Wissen Sie, das Virus ist doch nach wie vor aktiv und alle politisch Verantwortlichen haben gesagt, wir haben große Sorge, was die britische Mutation angeht, und heute wissen wir, was im Saarland und in Rheinland-Pfalz noch die südafrikanische Mutation angeht. Wir haben immer deutlich gemacht und immer deutlich gesagt, alles was wir tun funktioniert nur, wenn der Wirt – und wir reden viel zu viel über das Virus; wir müssen viel mehr über den Wirt reden. Wenn der Mensch nicht sorgsam ist, wenn der Mensch nicht aufpasst, wenn der Mensch nicht die Abstandsregeln und die Hygieneregeln einhält, wenn das, was in Kassel passiert ist, was man dort besichtigen konnte, die Ignoranz, dass Menschen von Freiheit brüllen und in Kauf nehmen, dass andere Menschen einfach infiziert werden, das ist doch keine Verantwortung des Politikers, der sagt, wenn wir unter den 50 angekommen sind, dass man in einer solchen Region etwas mehr Bewegungsraum braucht.
Denn gleichzeitig haben auch Medien uns immer wieder begleitet und gesagt, ja, aber wenn doch die 50 unterschritten ist, dann müsst ihr doch endlich mehr Freiraum geben. Dann gibt es anschließend die gleichen Vorhaltungen, wenn es dann wieder ansteigt, dass man sagt, ja, ihr habt aber nicht lang genug die Menschen dazu angehalten, dass sie aufpassen sollen. – Ich bleibe dabei: Der Mensch muss auch ein Stück weit deutlicher Selbstschutz betreiben, damit er Schutz für alle betreibt.
"Bilder von der Slowakei und von Tschechien gehen richtig unter die Haut"
May: Aber der Politiker muss dann auch Notbremsen einhalten, wenn der Inzidenz-Wert wieder steigt, und das scheint ja durchaus schwierig zu sein.
Ramelow: Verzeihen Sie! Das praktizieren wir in Thüringen die ganze Zeit. Ich würde das gerne auch jedem Einzelnen für seinen Verantwortungsbereich zuordnen. Denn eins ist doch klar: Jetzt einfach nur auf den reinen Inzidenz-Wert starren, bildet das Geschehen nicht ab. Aber davon rede ich schon seit zwölf Monaten. Seit zwölf Monaten sage ich, dass wir Verabredungen haben, die heißen R-Wert, das heißt wie schnell steckt eine Person mehrere Personen an. Das ist der R-Wert. Dann die Frage der Verdoppelung. Darüber haben wir schon vor zwölf Monaten angefangen zu reden. Und das eigentlich Entscheidende und für mich das Zentrum des Handelns, wieviel medizinischen Schutz haben wir, dass die Menschen, die medizinischen Schutz brauchen, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, sind wir da noch handlungsfähig oder kommen wir in eine Situation, dass wir Triage machen müssen. Denn die Bilder von der Slowakei und von Tschechien gehen im Moment richtig unter die Haut, auch wenn man das bei der Demonstration in Kassel nicht wahrhaben will. Wir haben um uns herum ein Infektionsgeschehen, das noch vier-, fünfmal so stark ist wie das, was wir haben.
May: Und Sie sind schon an der oberen Grenze in Thüringen, haben Sie selber gesagt. Wie ist denn die Situation in den Krankenhäusern bei Ihnen?
Ramelow: Absolut handlungsfähig. Nicht so, dass wir sagen, wir sind glücklich, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch seit zwölf Monaten unter Dauerstress sind. Deswegen wäre mir eine deutlich bessere Ausfinanzierung der Mitarbeitenden in Pflege und Krankenhäusern viel lieber als einfach nur einmal eine Summe und einmal nur Applaus.
Mallorcareisen?: "Da kann ich nur den Kopf schütteln"
May: Dann kommen wir mal konkret zu dem, was da heute beschlossen werden soll. Ein Streitpunkt – wir haben es gerade schon im Gespräch mit meinem Kollegen im Hauptstadtstudio gesagt – ist der Osterurlaub. Wie stehen Sie zu Mallorca-Reisen?
Ramelow: Ich stehe kopfschüttelnd davor. Als ich hörte, dass die Mallorca-Reisen freigegeben werden, weil Spanien das Risikogebiet aufgehoben hat, sind wir als Freistaat Thüringen gerade von der Schweiz zum Hochrisikogebiet erklärt worden. Wenn ich dann überlege, dass jetzt Bürger aus Thüringen in den Flieger steigen, nach Mallorca fahren können. Dann kam die Meldung, dass in Mallorca ein PCR-Test verlangt wird, und dann höre ich, dass auf dem Rückflug kein Test mehr notwendig sei. Da kann ich nur den Kopf schütteln und sagen, das geht so überhaupt nicht.
May: Ist aber das bisher übliche Prozedere in den gesamten zwölf Monaten. Wenn ein Gebiet kein Risikogebiet ist, dann ist es kein Risikogebiet.
Ramelow: Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen widerspreche.
May: Gerne.
Ramelow: In den Beschlüssen der Ministerpräsidenten-Konferenz steht immer noch drin, das ist überhaupt nicht aufgehoben worden, dass wir die Menschen bitten, von Urlaubsreisen Abstand zu nehmen. In Thüringen zum Beispiel ist es immer noch nicht zulässig, dass man…
May: Da muss man aber ganz kurz sagen: Jetzt hat das Auswärtige Amt aber nicht die Menschen aufgefordert, fliegt alle nach Mallorca, sondern die haben einfach nur die Reisewarnung aufgehoben.
Ramelow: Ich bleibe mir jetzt auch selber treu. Die Reisewarnung ist aufgehoben worden, weil der Mechanismus so ist. Aber es bleibt bei den Beschlüssen der MPK. Die MPK hat überhaupt nicht empfohlen zu sagen, fliegt jetzt alle nach Mallorca. Und ich bleibe dabei: Der Mensch muss auch in dem Moment Verantwortung übernehmen. Und die Fluggesellschaften – und da hätte ich mir mal gewünscht, dass die, die viel staatliches Geld kriegen, auch darüber vorher nachdenken, ob sie die Flugmengen einfach drastisch erhöhen und damit ein Sog entsteht, als ob alle jetzt die Empfehlung hätten, fliegt bitte in engen Flugzeugen ganz schnell nach Mallorca.
May: Sind Sie auch für eine Quarantäne-Pflicht für Reiserückkehrer, ganz gleich ob sie in einem Risikogebiet gewesen sind oder nicht, so wie es jetzt zum Beispiel die SPD-geführten Bundesländern fordern?
Ramelow: Noch mal: Es ist so, dass die Empfehlung der Ministerpräsidenten-Konferenz, doch von Osterurlauben oder von Urlauben abzusehen, überhaupt nicht aufgehoben wurde.
May: Aber das ist eine Empfehlung.
Ramelow: Verzeihen Sie bitte! Heute ist die Ministerpräsidenten-Konferenz, in der darüber zum ersten Mal geredet werden sollte. Offenkundig ist es aber auch so, dass Journalismus so was gar nicht mehr berücksichtigt, sondern es wird am Ende immer nur noch gesagt, die Ministerpräsidenten, die sind nicht auf der Höhe der Zeit. Aber dass wir überhaupt uns für heute…
Ministerpräsidenten-Konferenz ist zu "Jahrmarkt der Eitelkeiten geworden"
May: Habe ich gar nicht gesagt. Ich frage Sie nur, wofür Sie sind.
Ramelow: Verzeihen Sie! Ich habe nicht von Ihnen gesprochen. Ich rede von einer medialen Begleitung, die seit auch zwölf Monaten so ist, dass jede Ministerpräsidenten-Konferenz mittlerweile zu einem Jahrmarkt der Eitelkeiten geworden ist, bei dem man gefragt wird, wieviel Schärfe bringen Sie rein, und das nächste Mal wird gefragt, wie viele Lockerungen bringen Sie jetzt rein.
Und ich darf darauf hinweisen: Heute sollte zum ersten Mal über die Frage Osterurlaub geredet werden. Die ganze mediale Begleitung, dass Mallorca geöffnet sei, hat vorher stattgefunden. Wir sind überhaupt nicht gefragt worden, ob wir Mallorca-Reisen begrüßen würden oder nicht. Wir sind verabredet, heute darüber zu reden, ob es innerhalb von der Bundesrepublik möglich ist, Osterurlaube im eigenen Bundesland machen zu können.
May: Verstehe ich! Und wo stehen Sie da jetzt? Es gibt ja die Beschlussvorlage, Quarantäne-Pflicht für Reiserückkehrer, ganz gleich ob Risikogebiet oder nicht. Wo positionieren Sie sich da?
Ramelow: Da wir ganz klar gesagt haben, bislang – und das kann ich nicht vor der Sitzung schon sagen –, dass es im Moment einen dringenden Wunsch der Ministerpräsidenten gibt, auf Urlaube und auf Ferienreisen zu verzichten, kann ich Ihnen nur sagen, dass wir heute darüber reden wollen, ob innerhalb der Bundesrepublik oder innerhalb des eigenen Bundeslandes moderate Formen von Urlaubsmöglichkeiten geschaffen werden, die aber verbunden werden – und deswegen bleibe ich mir treu, weil ich das in den letzten Tagen mehrfach gesagt habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man Urlaubsregionen freigibt, ohne dass sie verbunden werden mit Testen und Kontaktnachverfolgung. Das ist das Hauptthema, das Sie auch in der Beschlussvorlage finden.
Ich begrüße es ausgesprochen, wenn die Corona-Warn-App jetzt zur Kontaktnachverfolgung endlich geöffnet wird, die elektronische Kontaktnachverfolgung verbunden wird mit der Testmöglichkeit, in jedem Bundesland die Voraussetzungen geschaffen sind, dass jeder Bürger sich einmal die Woche testen lassen kann und mit diesen Tests auch die Möglichkeit besteht, sich in jeden Laden, in jede Außengastronomie oder auch in eine Bewegung hineinzubringen, wo er woanders hinfährt. Entscheidend ist, dass er auch dort wieder mit seinem Test und der Testmöglichkeit und der Kontaktnachverfolgung dem Gesundheitsamt die Chance gibt, dass man Infizierte früher identifizieren kann, um ihnen zu helfen und zu sagen, bitte steckt nicht weitere Menschen an.
Ramelow: Ausgangsbeschränkungen gehören dazu
May: Herr Ramelow, wir haben nicht mehr so viel Zeit. Die Kanzlerin will die Notbremse offenbar verschärfen mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen bei Inzidenzen von über 100. Befürworten Sie das auch, Ausgangsbeschränkungen?
Ramelow: Es ist bisher immer schon so gewesen und es ist in Thüringen immer noch ein Teil der Auflagen, die erteilt werden. Wir haben einen Landkreis, der mittlerweile an der 600er-Grenze operiert. Wir haben einen zweiten Landkreis, der die 300er-Grenze überschritten hat, das Ganze knapp neben Tschechien, denn in Tschechien und der Slowakei haben wir im Moment ein Infektionsgeschehen, dass bei 1200 liegt.
May: Schulen zu ab einer Inzidenz von 100, es sei denn, Schüler und Lehrer werden zweimal wöchentlich getestet – auch ein Vorschlag aus dem Kanzleramt.
Ramelow: Das sind die Dinge, die bei uns immer noch zur Regelempfehlung gehören. Das mit dem Testen ist bei uns die zwingend notwendige Geschichte. Bis zum 31. 3. Wird jedem Schüler ab der 7. Klasse Antigentests einmal die Woche ermöglicht und Lehrerinnen und Lehrer sowieso.
May: Einmal die Woche oder zweimal die Woche?
Ramelow: Im Moment einmal die Woche. Das hängt aber mit der Menge der zur Verfügung stehenden Testmittel zusammen. Sobald wir sie haben, werden wir zweimal die Woche auch testen.
May: Warum eigentlich nur Schulen? Warum keine Testpflicht für Arbeitnehmer, so wie Michael Müller das jetzt ins Spiel gebracht hat?
Ramelow: Das war mein Vorschlag, den ich immer wieder wiederholt habe und mit unseren Kammern so besprochen habe. Bei uns unterstützt die Wirtschaft das ausdrücklich so und wir haben sehr viele Firmen in Thüringen, die tatsächlich schon seit Wochen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter testen. Deswegen wäre ich froh, wenn die Systematik auch mit Kontaktnachverfolgung, mit Testen so erweitert wird, dass die ganzen Unternehmen auch mitmachen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.