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Mallory: Kooperation von Pakistan ist entscheidend

Grundsätzliche Zweifel an der Zuverlässigkeit und Kooperation Pakistans gegenüber den USA hat Charles King IV. Mallory, Direktor des Aspen-Instituts in Berlin, nicht. Allerdings weise einiges darauf hin, dass es Kreise im pakistanischen Nachrichtendienst gebe, die mit den Terroristen sympathisierten.

Charles King IV. Mallory im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Zwei Tage nach dem Kommandounternehmen gegen Osama bin Laden klingt noch der Jubel der Menschen vor dem Weißen Haus in Washington nach und in New York City und wie Präsident Obama davon sprach, mit dem Tod des Terroristen sei der Gerechtigkeit Genüge getan. Nicht in einer unzugänglichen Höhle haben die Soldaten Bin Laden aufgespürt, sondern in einem gut gesicherten Gebäude, keine 60 Kilometer von Islamabad entfernt. Die Zuverlässigkeit Pakistans steht deshalb infrage, mehr noch als ohnehin schon. Immer mehr Informationen gibt die US-Regierung inzwischen darüber bekannt, wie sich der Einsatz der Spezialkräfte in der Nacht im Einzelnen abspielte.

    Das Aspen-Institut in Berlin, es versteht sich seit mehr als 30 Jahren als Plattform auch für die zentralen und wichtigen Fragen in den internationalen Beziehungen. Seinen Direktor begrüße ich jetzt am Telefon. Einen schönen guten Morgen, Charles King IV. Mallory.

    Charles King IV. Mallory: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Mallory, Pakistan nennt sich ja gerne einen Partner der USA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Jetzt stellt sich also heraus: Bin Laden konnte sich offenbar über Jahre in Pakistan verstecken, inmitten der Garnisonstadt Abbottabad, unweit von Islamabad, der Hauptstadt. Das weckt einmal mehr Zweifel an der Zuverlässigkeit. Wie groß ist Ihr Misstrauen?

    Mallory: Ich kann es mir nicht vorstellen, dass die oberste Führung in Pakistan absichtlich den Herrn Bin Laden angenommen hat in Pakistan, also die Tatsache hingenommen hat, dass er sich da aufhält. Es ist durchaus möglich, dass irgendwelche Elemente im Nachrichtendienst da mitgespielt haben, aber ich glaube nicht, dass das die offizielle Regierungspolitik Pakistans war. Man muss natürlich auch verstehen, dass Pakistan mit der Lage zurechtkommen muss, nachdem dass Amerika aus Afghanistan weg ist, und deswegen vielleicht eine nuanciertere Position einnehmen muss, weil sie da nachher mit dieser Lage auskommen müssen.

    Barenberg: Also eher nach Ihrer Einschätzung ein Ausweis der Unfähigkeit der pakistanischen Behörden?

    Mallory: Ja. Also man muss nicht vergessen, dass es pakistanische Informationen waren, wenn das, was in den Zeitungen steht, stimmt, die unseren Nachrichtendiensten zu dem Kurier geführt haben. Ich glaube, es ist entweder Unfähigkeit der Nachrichtendienste, oder auch möglicherweise gab es Elemente innerhalb des Nachrichtendienstes, die mit Osama und seiner Truppe sympathisierten und diese Informationen nicht weiter nach oben geleitet haben. Auf jeden Fall, glaube ich, ist eine Untersuchung auf pakistanischer Seite vielleicht zu empfehlen.

    Barenberg: Komplizenschaft also möglicherweise oder Unfähigkeit, Inkompetenz. Die USA haben das alles ja kalkuliert in ihrem Vorgehen. Aus Angst vor Verrat haben sie niemanden in Islamabad eingeweiht vor dieser Kommandoaktion. Spricht das Bände über das Verhältnis zwischen den USA und Pakistan?

    Mallory: Ich glaube, man muss hier zwischen der obersten Ebene und der Arbeitsebene unterscheiden. Es gab mehrere Zwischenfälle, wo Informationen über bevorstehende amerikanische Aktionen in Pakistan durchgesickert sind und die Ziele, die Angriffsziele verschwunden sind. Ich bin ziemlich sicher, dass das aus einem Kreis von Sympathisierenden auf der Arbeitsebene im Nachrichtendienst kommt und dass dieses Misstrauen zu dieser sympathisierenden Fraktion auf der Arbeitsebene dazu geführt hat, dass die Amerikaner diese Informationen nicht geteilt haben – nicht, weil es grundsätzlich ein Problem in den persönlichen Beziehungen auf der obersten Ebene gibt.

    Barenberg: Nun ist ja Pakistan selber mit aller Härte gegen Extremisten durchaus vorgegangen im eigenen Land. Wir erinnern uns an die Auseinandersetzungen im sogenannten Swat-Tal beispielsweise. Die Zentrale der Taliban wird nach wie vor in Pakistan vermutet. Könnte es sein, dass Pakistan kein Interesse hat, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, wohl aber die Extremisten im eigenen Land?

    Mallory: Ich glaube, Sie haben sozusagen den richtigen Punkt identifiziert. Das Problem ist, je stärker man diese Extremisten verfolgt, je größer ist die Wahrscheinlichkeit von interner Instabilität in Pakistan, und die Fähigkeiten oder die Ressourcen der pakistanischen Armee sind auch begrenzt. Die amerikanische Seite wünscht sich einen stärkeren Einsatz von der pakistanischen Seite. Dieser ganze Zwischenfall mit Obama ist natürlich ein bisschen beschämend für die pakistanische Seite und kann vielleicht ein Auslöser dafür sein, dass es einen stärkeren Eingriff jetzt gibt.

    Barenberg: Können denn die USA auf die Unterstützung Pakistans verzichten?

    Mallory: Das, glaube ich, ist sehr schwierig, seitdem man festgestellt hat, dass einer der Fehler bei der sowjetischen Okkupation von Afghanistan war, dass man diese sicheren Häfen auf der anderen Seite der Grenze nicht bekämpft hat. Es gibt, glaube ich, keine militärische Lösung in Afghanistan, es muss eine politische geben, aber solange die militärische Situation noch brennt, da kann man, glaube ich, auf die Kooperation von Pakistan nicht verzichten, und auf jeden Fall braucht man die Kooperation von Pakistan, um eine nachhaltige politische Lösung in Afghanistan auch zustande zu bringen.

    Barenberg: Das heißt, sobald die US-amerikanischen Kampftruppen jedenfalls aus Afghanistan abgezogen sein werden und auch die internationale Schutztruppe sich zurückgezogen hat, dann liegt das ganze Gewicht der Verantwortung oder doch ein großer Teil auf Pakistan?

    Mallory: Natürlich, und Pakistan sieht Afghanistan als die fehlende strategische Tiefe Indien gegenüber. Also es spielt auch eine Rolle in diesem gesamten Geflecht, wo Fragen wie Kaschmir und Terrorangriffe auf Indien mit eingewickelt sind. Es gibt, glaube ich, keine nachhaltige politische Lösung oder militärische Lösung in Afghanistan, ohne dass Pakistan mitspielt.

    Barenberg: Herr Mallory, lassen Sie uns gegen Ende unseres Gespräches noch einmal zurückblicken auf die Verkündung des Todes Bin Ladens, auf die Reaktionen in den USA. Für Präsident Obama wurde der Gerechtigkeit Genüge getan, wir haben Bilder gesehen von jubelnden, manchmal von grölenden Menschen, die sich spontan zusammenfanden in Washington vor dem Weißen Haus. Welches Signal geht von diesen Bildern, von diesen Tönen aus in die arabische Welt?

    Mallory: Ja, ich glaube, man muss unterscheiden zwischen den Reaktionen einer relativ jungen und unerfahrenen Gruppe von Studenten, sei es in der Marine-Akademie, sei es Studenten von George Washington University, die ja alle politisch ziemlich aktiv sind, die vor dem Weißen Haus sich so benommen haben, und die Reaktionen der breiteren Bevölkerung, die nicht auf dem Fernsehbildschirm auftauchen. Ich glaube, bei der letzteren Gruppe, die meines Erachtens viel stellvertretender ist, ist die Reaktion eine Reaktion von zurückhaltender Erleichterung. Die Familien der Opfer können jetzt einen Schlussstrich unter diese Geschichte ziehen. Natürlich sind diese jubelnden Reaktionen keine tolle Botschaft in den Nahen Osten. Ich würde eher auf die ausgestreckte Hand von Herrn Obama und seiner Administration fokussieren, wo, glaube ich, die Botschaft klar verkündet wurde, dass die Vereinigten Staaten eine positive Zusammenarbeit mit der islamischen Welt suchen, und vielleicht mit diesen Ereignissen gibt es auch eine Möglichkeit für einen Neustart in diesem Zusammenhang.

    Barenberg: Und die Genugtuung und die ausgestreckte Hand, die vertragen sich miteinander? Wir können vielleicht noch hinzunehmen die Nachricht des heutigen Morgens, dass Bin Laden unbewaffnet war, als er getötet wurde. Diese ganze Debatte um Legalität und Legitimität der Tötung gemäß dem Völkerrecht, halten Sie das für Haarspalterei?

    Mallory: Na ja, ich kann natürlich verstehen, warum Leute solche Fragen stellen, aber man muss ja eines sehen: Man muss versuchen, sich in die Haut von den Leuten, die bei dieser Operation teilgenommen haben, zu versetzen. Es geht um Entscheidungen, die innerhalb von Millisekunden getroffen werden, unter Hochdruck und Stress und Adrenalin, und wenn es irgendeinen Zweifel gab, ob diese Person vielleicht sich zu einer Waffe werfen wollte, oder sich selber in die Luft jagen wollte, kann ich natürlich verstehen, dass da man einfach die sichere Entscheidung trifft. Das sieht nicht gut aus, dass ein unbewaffneter Mensch getötet wurde, aber auf der anderen Seite gab es Riesengefechte laut den berichtenden Medien, die, wie wir ja teilweise sehen, nicht vollständig waren am Anfang. Wenn das tatsächlich der Fall war, kann ich verstehen, warum man nach langen Gefechten auch sofort erwartet hat, dass irgendeine falsche Bewegung vielleicht, sage ich mal, eine Gewalttat von Obama signalisieren sollte. Natürlich ist es eine gerechtfertigte Frage von, sage ich mal, seinen Sesselstrategen, die solche Fragen stellen, aber man muss eigentlich einsehen, dass es sich hier um Entscheidungen handelt, die innerhalb von weniger als einer Sekunde getroffen werden mussten, und deswegen würde ich nicht jetzt wahnsinnig viel Fokus auf diese Frage stellen.

    Barenberg: Charles King IV. Mallory, der Direktor des Aspen-Instituts Berlin. Vielen Dank für das Gespräch!

    Mallory: Gerne, Herr Barenberg.