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Malu Dreyer (SPD) zu Migration
"Bei Familiennachzug heute zu einer Einigung kommen"

Migration ist eines der großen Streitthemen bei den derzeitigen Koalitionsverhandlungen. Dass die Familiennachzügler mit den Flüchtlingen verrechnet würden, darüber wollte Malu Dreyer von der SPD nicht spekulieren. Man sei noch ein ganz großes Stück entfernt von Lösungen, sagte Dreyer im Dlf.

Malu Dreyer im Gespräch mit Christine Heuer |
    Malu Dreyer bei einer Rede auf dem Außerordentlichen Parteitag der SPD in Bonn
    Malu Dreyer: "Sind in der Endabstimmungsphase" (imago / onemorepicture)
    Christine Heuer: In Berlin begrüße ich Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz und stellvertretende SPD-Vorsitzende. Guten Morgen, Frau Dreyer.
    Malu Dreyer: Einen schönen guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Worum ging es denn bei dem Streit heute Nacht? Können Sie uns das verraten?
    Dreyer: Na ja. Den Streit stelle ich wirklich hinten an. Es ging darum, dass wir heute Nacht in der Spitzengruppe ohne Streit sehr viele, viele Stunden miteinander gesprochen haben, und dort haben wir all die Themen aufgerufen, die nach dem Leitantrag der SPD besonders wichtig sind. Sie wissen, es bewegt besonders die Menschen, dass es so viele junge Menschen gibt, die in den Beruf einsteigen und nur befristete Verträge erhalten. Genauso das Thema Zwei-Klassen-Medizin.
    Viele Menschen sind davon genervt, dass sie den Eindruck haben, dass Privatversicherte besser behandelt werden als sie. Das sind Punkte, die natürlich angesprochen worden sind in der Spitzengruppe. Wir haben gerungen, wir haben nach Lösungen gesucht, wir alle haben einen großen Einigungswillen, wir sitzen zusammen mit dem Ziel der Regierungsbildung. Aber natürlich hat es in dieser ersten Runde, in der Spitzenrunde heute, gestern Abend, besser gesagt, bis heute Morgen noch keine Einigung gegeben.
    Heuer: Jetzt haben Sie die sachgrundlose Befristung und die Bürgerversicherung angesprochen. Ich hatte aber eigentlich, Frau Dreyer, nach dem Streitpunkt Migration und Familiennachzug gefragt. Da können Sie uns nicht Auskunft geben, woran genau es gerade hakt?
    Dreyer: Nein. Ich möchte gar keine öffentliche Auskunft geben. In der Fachgruppe gab es da offensichtlich Schwierigkeiten. Es ist auch nicht gerade besonders hilfreich, dass es zu Plaudereien kommt. Das haben wir bei Jamaika gelernt. Aber natürlich haben wir auch sehr intensiv in der Spitzengruppe über diesen Punkt gesprochen, vor allem, und wir haben uns noch nicht verständigt. Aber man kann schon sagen, dass wir in einer Endabstimmungsphase sind, was diesen Punkt betrifft.
    "Lange gerungen und gesprochen"
    Heuer: Endabstimmung – das klingt nach relativ großen Fortschritten. – Joachim Herrmann, Frau Dreyer, der hat ja nun öffentlich und nicht nur in den internen Verhandlungen gesagt, die CSU, die sei schon gesprächsbereit bei dem Thema, die SPD soll jetzt mal einen Vorschlag machen, wie sie sich das vorstellt. Dazu hätten Sie jetzt Gelegenheit.
    Dreyer: Ich bleibe dennoch dabei. Es ist keine triviale Frage und auch die Antwort ist nicht gerade besonders leicht. Insofern kann ich nur noch einmal bestätigen, dass wir lange darüber gerungen und gesprochen haben, aber noch nicht zu einem endgültigen Ergebnis gekommen sind. Dennoch: Es gibt den Willen, dass man da heute wirklich und tatsächlich zu einer Einigung kommt.
    Für die anderen zwei Themen gilt das auch mit dem harten Ringen. Da sind wir aber auch noch ein ganz, ganz großes Stück entfernt von den Lösungen. Das heißt, wir haben einen ambitionierten Zeitplan und wir werden viel zu tun haben, um am Ende zu einem Ergebnis zu kommen.
    Aber auch noch mal, ich betone es: Wir wollen ja eine Regierungsbildung erreichen. Aber klar ist genauso auch, wir führen Koalitionsverhandlungen jetzt gerade mal intensiv seit sehr kurzer Zeit. Und das sind Fragen, die uns besonders beschäftigen, aber auch die Menschen besonders beschäftigen, und natürlich haben wir die Erwartung, dass wir dort dann auch zu Ergebnissen kommen.
    "Sinnlos, öffentlich darüber zu spekulieren"
    Heuer: Die Menschen – ich bleibe noch mal bei dem Punkt, Frau Dreyer. Nehmen Sie es mir nicht übel. Darüber wird ja offenbar gerade besonders viel diskutiert in den Koalitionsverhandlungen. Ich bleibe noch mal bei dem Punkt Familiennachzug. Joachim Herrmann hat öffentlich gesagt, der bayerische Innenminister, die CSU könne sich einen Kompromiss beim Familiennachzug so vorstellen, dass da Bewegung ist. Aber es müsse am Ende bei diesem Korridor von den verabredeten 180 bis 220.000 neuen, wie er sagt, humanitären Zuzügen im Jahr bleiben. – Kann die SPD sich mit so etwas anfreunden, sozusagen die Familiennachzügler mit den Flüchtlingen verrechnen?
    Dreyer: Es macht ja keinen Sinn, Frau Heuer, jetzt öffentlich darüber zu spekulieren. Ich war dabei, dass wir vier Stunden lang gesprochen haben, und ich möchte einfach noch mal deutlich machen, dass das wirklich ein sehr schwieriger Punkt für alle Beteiligten ist. Genauso die anderen Punkte auch! Ich sage jetzt mal die sachgrundlose Befristung oder das Thema der Zwei-Klassen-Medizin. Das sind Punkte, bei denen werden wir hart ringen müssen. Ich gehe dennoch davon aus, dass wir zu Lösungen kommen, und deshalb muss es leider jetzt in diesem Telefonat dabei bleiben, dass wir bemüht sind darum, es nicht öffentlich zu lösen und danach zu verkünden.
    Heuer: Okay! Frau Dreyer, ich habe das versucht. – Dann kommen wir zu Gesundheit und Pflege. Das ist Ihr Verhandlungsthema speziell bei den Koalitionsgesprächen in Berlin. Die SPD möchte ja eine Honorarangleichung von gesetzlichen und privaten Kassen. Da hat die saarländische Ministerpräsidentin von der CDU, Kramp-Karrenbauer, schon gesagt, das wäre ja eine Bürgerversicherung, nur dass sie nicht so genannt wird. Das komme nicht in Frage. – Können Sie das abhaken?
    Dreyer: Na ja. Für meine Kollegin Kramp-Karrenbauer gilt das gleiche wie für alle anderen auch. Wir sind verabredet zu Koalitionsverhandlungen und die heißen so, weil sie keine Sondierungen sind. Ansonsten würden sie genauso heißen. Und es ist vollkommen klar: Der Parteitag hat uns beauftragt, gerade bei dem Thema weitere Fortschritte, bezogen auf das Ende der Zwei-Klassen-Medizin, zu erreichen, und daran arbeiten wir. Ich möchte auch noch mal betonen: Es kann ja nicht im Sinne von irgendjemand sein, dass die Menschen draußen das Gefühl haben, dass sie als privat Versicherte schlechter behandelt werden als als gesetzlich Versicherte. Deshalb müssen wir in den weiteren Gesprächen dort auch zu Fortschritten kommen.
    Es gibt eine Arbeitsgruppe, die wird heute intensiv tagen zu diesem Thema. Aber selbstverständlich wird es in der Spitzenrunde auch weiterhin Thema sein. Das ist unser Ziel, so haben wir es auch gestern besprochen. Das heißt, da haben wir noch einiges vor uns.
    "Bereits vereinbart, dass die Parität wieder eingeführt wird"
    Heuer: In dieser Arbeitsgruppe verhandeln Sie ja mit. Auch da macht die Union öffentlich einen Vorschlag. Ich komme noch mal zurück auf Annegret Kramp-Karrenbauer, die sagt, man könne ja höhere Honorare in ärztearmen Regionen zum Beispiel für die gesetzlichen Kassen vereinbaren. Ist das ein Weg, schlagen Sie da ein?
    Dreyer: Ich schlage auch an dieser Stelle gar nicht ein, denn am Ende zählt es, ob wir uns wirklich in diesen Arbeitskreisen oder in der großen Runde dann miteinander auch verabreden. Aber vollkommen klar ist, dass das Ziel sein muss, dass Versicherte genauso gut behandelt werden, auch genauso schnell behandelt werden, egal wie sie versichert sind, unabhängig von ihrem Versicherungsstatus, und daran müssen wir arbeiten.
    In der Gesundheit haben wir mehrere Probleme. Ein Problem ist, warum zahle ich mehr als mein Arbeitgeber. Da haben wir bereits vereinbart, dass die Parität wieder eingeführt wird, und das ist ein großer Fortschritt und Erfolg. Aber klar ist auch, dass Patienten und Patientinnen das Gefühl haben, dass sie länger warten müssen als gesetzlich Versicherte, auf Facharzttermine beispielsweise, und hier müssen wir unbedingt Schritte zum Abbau dieser Zwei-Klassen-Medizin herbeiführen.
    Heuer: Das fordert die SPD. Aber Sie haben ja nun, Frau Dreyer, einen Verhandlungspartner mit der Union, und noch ein Zitat von Annegret Kramp-Karrenbauer, ist dann auch das letzte. Die hat gestern gesagt, es gibt sehr wenig Spielraum für Nachbesserungen, und wenn die SPD mit ihren Forderungen die Sondierung wieder aufschnüren will, dann würden auch SPD-Erfolge wie die Grundrente wieder in Frage stehen, oder, wie Sie es gerade erwähnt haben, die Wiedereinführung der Parität. - Lassen Sie sich drohen von der CDU?
    Dreyer: Ich lasse mir gar nicht drohen und ich möchte auch nochmals wirklich ausdrücklich sagen, ich freue mich wirklich sehr darüber, dass wir so klar sind bei der Grundrente. Dennoch erinnere ich daran, dass die Solidarrente in den letzten Verabredungen ja auch gestanden hat und seitens der CDU/CSU dann nicht umgesetzt worden ist.
    Insofern möchte ich auch das noch mal betonen, dass man mit diesem Thema bitte nicht noch einmal öffentlich kommen sollte. Klar ist auf jeden Fall, dass wir uns nicht drohen lassen, und es war von Anfang an für mich insbesondere klar, aber für alle anderen auf der SPD-Seite auch: Koalitionsverhandlungen sind Koalitionsverhandlungen. Es sind keine Sondierungen. Wenn sie Sondierungen wären, dann würden sie auch so heißen. Deshalb kann man sich nicht auf den Standpunkt stellen, dass das Ergebnis genau das gleiche ist. Ich anerkenne, dass es viele Zugeständnisse der CDU/CSU gab in der Zeit der Sondierungen, und darüber sind wir auch sehr froh. Alles andere wäre ja auch gar nicht denkbar gewesen. Aber natürlich musste auch die SPD Zugeständnisse machen und deshalb ist klar, dass wir mit großer Ernsthaftigkeit jetzt in den Koalitionsverhandlungen auch zu weiteren Ergebnissen kommen müssen.
    "Wir brauchen Ergebnisse nach den Koalitionsverhandlungen"
    Heuer: Die SPD-Basis droht ja mit einem Nein, wenn Sie nicht genug rausholen. Auf der anderen Seite ist die Union offenbar nicht bereit, Ihnen, der SPD allzu viel zu geben. Das ist ja ein verflixtes Dilemma. Kommen Sie da raus?
    Dreyer: Wir haben alle den Willen, da rauszukommen, und die CDU/CSU wusste auch von Anfang an, welchen Weg die SPD geht und gehen muss. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir unsere Basis beteiligen und abstimmen lassen über das Ergebnis. Das ist nichts Neues für die CDU/CSU und insofern ist es auch keine Überraschung. Das heißt, wir brauchen Ergebnisse nach den Koalitionsverhandlungen, und das Ergebnis muss insgesamt stimmen, in Gänze stimmen. Darüber werden die Mitglieder abstimmen und deshalb müssen wir hart verhandeln, bis wir zu guten Ergebnissen kommen und die SPD-Spitze sagt, ja, die Ergebnisse sind so gut, dass wir uns zutrauen, dass die Mitglieder am Ende auch zustimmen werden.
    Heuer: Apropos SPD-Spitze. Wenn Sie rauskommen aus dem Dilemma, mit oder ohne Martin Schulz im Kabinett?
    Dreyer: Martin Schulz ist unser Parteichef und wir sind alle miteinander fest entschlossen, dass wir jetzt über Inhalte verhandeln, dass wir eine Empfehlung abgeben können an unsere Partei und dass wir dann über Personal sprechen.
    Heuer: Die SPD-Basis, die Mitglieder werden ja abstimmen. Sie haben (die SPD) einen ganz erfreulichen Mitgliederzuwachs in den letzten Wochen und es gibt ja die Vermutung, dass da viele extra in die Partei eintreten, um in der Abstimmung Nein sagen zu können zur neuen Großen Koalition. Dürfen bei der Abstimmung alle Mitglieder ihr Votum abgeben, oder nur die, die schon länger dabei sind?
    Dreyer: Wir haben ja schon seit geraumer Zeit wirklich einen erheblichen Mitgliederzuwachs. Im letzten Jahr haben wir so viele zusätzliche neue Mitglieder, wie schon lange, lange, lange nicht mehr, und das ist sehr erfreulich. Auch jetzt wachsen die Mitgliederzahlen und das freut uns, denn jeder Mensch, der sich engagieren will in der SPD, ist bei uns herzlich willkommen.
    Klar ist natürlich auch, dass die, die eintreten, abstimmen sollen. Wir werden am Ende einen Tag brauchen, wo wir sagen, das ist der Stichtag, aber nicht, um jemand auszuschließen, sondern ausschließlich, um organisatorisch das zu ermöglichen. Das ist im Wahlrecht ja insgesamt auch nichts Neues. Auch bei ganz normalen Wahlen können nur Menschen wählen, die dann ab einem bestimmten Zeitpunkt auch im Wählerverzeichnis eingetragen sind. So wollen wir es handhaben, nicht um jemand auszuschließen, sondern schlicht und ergreifend, um diese Wahl dann auch möglich zu machen.
    Menschen, die sich engagieren, nicht ausschließen
    Heuer: Sind Sie denn dafür, dass dieser Stichtag vor dem SPD-Sonderparteitag in Bonn liegt?
    Dreyer: Wir werden uns ja heute in den Parteigremien über den Stichtag unterhalten. Aber dieser Stichtag soll nicht dazu dienen, rückwirkend Menschen auszuschließen, sondern schlicht und ergreifend, um tatsächlich die Wahl auch organisieren zu können.
    Heuer: Aber Sie legen sich noch nicht fest, Frau Dreyer, hören wir schon.
    Dreyer: Na ja. Ich kann mich ja schlecht heute Morgen um sieben festlegen, wenn erst um elf der Parteivorstand tagt. Dem möchte ich auch nicht vorweggreifen. Ich möchte aber trotzdem betonen, dass ein Stichtag nicht dazu dient, Menschen, die sich engagieren wollen in der SPD, auszuschließen beim Mitgliedervotum.
    Heuer: Wir haben nicht mehr so viel Zeit, Frau Dreyer, aber das möchte ich schon gerne noch mal fragen, weil Sie ja dabei sind. Sind das freundliche, konstruktive Gespräche? Ist die Atmosphäre gut, oder ist das doch sehr angespannt?
    Dreyer: Das sind konstruktive Gespräche. Es sind aber auch sehr streitbare Gespräche. Aber ich kann trotzdem sagen, dass es insgesamt wirklich an der Sache orientierte Gespräche sind. Man ärgert sich manchmal und manchmal lacht man auch. Insgesamt ist die Lage eine schwierige Lage. Es ist nicht so, dass wir uns gewünscht hätten, in dieser Lage zu sein, und ich glaube, das ist ein Geben und ein Nehmen am Ende und wir sind alle darum bemüht, dass es dann auch im Sinne einer Regierungsbildung endet.
    Heuer: Die stellvertretende SPD-Vorsitzende und Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Frau Dreyer, danke schön!
    Dreyer: Ich danke Ihnen, Frau Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.