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"Mama Bavaria" zum bayrischen Intrigantenstadl
"Der Machtkampf ist Ritual in der CSU"

Die Kabarettistin Luise Kinseher hält beim Politiker-Derblecken auf dem Nockherberg als "Mama Bavaria" die Fastenrede. Über den Machtkampf um die CSU-Spitze sagte sie im Dlf: "Es ist mir ein Rätsel, dass der Spagat, den manche Politiker in der CSU machen müssen, nicht längst zum Darmriss führt."

Luise Kinseher im Corsogespräch mit Thekla Jahn |
    Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (l) und der bayerische Finanzminister Markus Söder (r) geben sich am 04.12.2017 in der CSU-Zentrale in München (Bayern) vor Beginn der Vorstandssitzung die Hand.
    Nach Luise Kinsehers Einschätzung ist Söder noch lange nicht am Ziel - und Seehofer noch nicht am Ende (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Einmal im Jahr teilt "Mama Bavaria" aus. Auf dem Münchner Nockherberg beim Starkbieranstich und Politiker-Derblecken, wie es heißt. In die Rolle schlüpft seit 6 Jahren die bayrische Kabarettistin Luise Kinseher, und wie sie und die anderen Nockherberger Fastenredner und Singspieler den Politikern aus Bayern die Leviten lesen, wird auch bei uns Preußen aufmerksam beobachtet. Insofern, Luise Kinseher - uns telefonisch zugeschaltet -, kennt man Sie bundesweit.
    Thekla Jahn: Schönen guten Tag.
    Luise Kinseher: Hallo, guten Tag.
    "Seehofer hat sich einfach verschätzt"
    Jahn: Schön, dass Sie Zeit haben heute am Tag eins nach der Schicksalsentscheidung der CSU: Markus Söder wird im nächsten Jahr Ministerpräsident - damit ist er am Ziel seiner Träume. Hat es jetzt endlich seine Ruhe in Bayern mit den "Schmutzeleien", die Horst Seehofer, der amtierende Ministerpräsident, dem nach Macht gierenden Söder vor Jahren noch vorgeworfen hat?
    Kinseher: Auf keinen Fall wird es da ein Ende haben, weil der Herr Söder ist noch lange nicht an seinem Ziel. Selbst, wenn er jetzt nächstes Jahr – im Frühjahr, heißt es – der Herr Seehofer seinen Ministerpräsidenten-Stuhl räumt, dann muss ja der Herr Söder erst einmal die Wahl gewinnen, die Landtagswahl. Und das wird sehr, sehr spannend. Und wir alle freuen uns darauf, wenn dieser jetzt gerade so gespielte Friede und die Kameradschaft und der Zusammenhalt in der CSU dann wieder zu bröckeln anfangen wird.
    Jahn: Als "Mama Bavaria" haben Sie sich ja immer wieder um Ihre beiden Söhne Seehofer und Söder gekümmert. Jetzt wo Söder Seehofer als Landesvater ablösen will - haben Sie da Mitgefühl für den Älteren von beiden? Oder hält sich das Mitleid in überschaubaren Grenzen?
    Kinseher: Also, ganz ehrlich: Auch der Herr Seehofer hat sich ja im Verlauf seines Amtes immer wieder, ich sage mal "nicht besonders klug" verhalten. Aber ich persönlich – mir tat er fast jetzt wirklich ein bisserl Leid, weil er halt einfach seine Pläne, die er so hatte, glaube ich, wieder als glorreicher Sieger der Bundestagswahl weitermachen zu können, da hat er sich einfach verschätzt. Das ist so ein bisserl sein persönlicher Super-GAU, den er in seiner Karriere jetzt im Alter noch erleben muss. Das sind politische Karrieren, wo ich mir dann denke: Meine Güte, ein Auf und Ab, gell? Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob es nicht für ihn auch noch mal bergauf geht.
    Am Ende werden die Frauen den Karren aus dem Dreck ziehen müssen
    Jahn: Wir werden sehen. Markus Söder hat jetzt auf jeden Fall erst einmal im Machtkampf gesiegt. Aber gewonnen hat er ja noch lange noch nicht - Sie haben es schon erwähnt -, er muss erst mal die Landtagswahl gewinnen. Und das heißt: Er muss das Wahlvolk hinter sich bringen, Vertrauen schaffen in seine Person, in seine Politik. Gestern abend gab es ja schon die ersten Interviews von Söder, und da wirkte er schon deutlich verbindlicher in Tonfall und Wortwahl als sonst. Trauen Sie ihm zu, vom "Spalter", wie er ja von vielen, auch von Parteikollegen genannt wird, zum versöhnenden "Landesvater" zu werden?
    Kinseher: Ich traue ihm zu, dass er alles tun wird, um das zu werden. Der hat ja ein Spektrum an Verhaltensmustern, der Markus Söder, der kann ja alles. Die Frage ist ja immer nur bei ihm: Nimmt man es ihm ab? Der Markus Söder ist einfach – und das ist ja auch, was viele in der CSU selbst auch sagen: Egal was der macht, egal, was er sagt – man unterstellt ihm eigentlich permanent Eigennutz. Und ob er das loswird, das ist die große Frage.
    Jahn: Zwei, die dem neuen Platzhirsch nun Platz machen mussten, hatte Seehofer in den Machtkampf geschickt: Ilse Aigner und in diesem Herbst dann auch Joachim Herrmann. Hatte Ilse Aigner eigentlich je gute Karten? Eine Frau als Landesmutter? Eine reale "Mama Bavaria", war das denkbar?
    Kinseher: Also, ich glaube ja ganz ehrlich, dass die Ilse Aigner in der Bevölkerung einen riesigen Rückhalt hätte. Und auch, wenn man ihr immer wieder ein bisserl zu wenig Entscheidungsfreude vorwirft – oder auch Lobbyismus, damals schon, als Gesundheitsministerin in Berlin. Da hatte sie sich ja auch nicht immer einen Ruf erarbeitet, wo man sagt: "Die steht für ihre Ideen". Aber das muss ja eigentlich ein CSU-Ministerpräsident nicht – der muss halt nur irgendwie schauen, dass er die Stimmung der Mehrheit in Bayern einfängt. Und ich glaube, das hätte ich der Ilse Aigner schon zugetraut. Und ich sage Ihnen eines: Wenn der Markus Söder die Wahl nicht gewinnt – und das heißt ja in Bayern: keine absolute Mehrheit in der Landtagswahl -, dann werden, wie so oft, die Frauen den Karren aus dem Dreck ziehen müssen. Und da wird die Ilse Aigner noch eine Rolle spielen.
    Der Anspruch der absoluten Mehrheit zwingt die CSU zum Dauerspagat
    Jahn: Wie Sie eben schon sagten: Seehofer, vielleicht auch Ilse Aigner – deren Karriere ist noch lange nicht zu Ende. Die CSU versucht ja immer, sich nach außen den Anstrich einer Partei zu geben, die seriös ist, die für konservative Werte steht, Geradlinigkeit, Verlässlichkeit, Ehre. Aber bei Tageslicht betrachtet, entspricht die Partei selbst ihren eigenen Werten nicht so ganz, denn da gibt es ja Kämpfe, Krämpfe - immer schon - beim Führungspersonal: Streibl gegen Waigel, Waigel gegen Stoiber und das Duo Huber-Beckstein. Und jetzt eben Söder und Seehofer. Erklären Sie uns doch mal als "Mama Bavaria" die Psyche und das Wesen der CSU.
    Kinseher: Ich muss ja ganz ehrlich sagen, den Spagat, den so manche CSU-Politiker machen müssen innerhalb der CSU, dass das nicht schon längst zu Darmriss führt, ist mir ein Rätsel. Die CSU ist halt einfach – das ist historisch begründet, das ist ja eine lange, komplizierte Geschichte – darauf angewiesen, auf Gedeih und Verderb eine Partei zu sein, die die absolute Mehrheit im Land hat. Das ist eine Sonderstellung, sonst funktioniert das ganze System nicht. Und innerhalb der Zielsetzung, dass man so viele Menschen unter seinen Schirm bringt, zerreißt sich die Partei selbst. Die Personen untereinander zerreißen sich. Der Machtkampf ist Ritual in der CSU – das gehört dazu. Und ich würde mal sagen, in Bayern ist man das gewohnt und möchte es auch nicht anders. Man mag es ja gern rauer. Aber ich habe so ein bisschen die Befürchtung, dass die Zeiten vorbei sind. Alles ändert sich. Und der Spagat, den die CSU da machen muss, zwischen Heimatbewusstsein und globalisiertem Denken, Wirtschaft, et cetera, Flüchtlingsthematik, der wird immer schwieriger. Und das hat damit zu tun, dass man es jetzt einfach nicht schafft, imaginär eine Mauer um einen herum zu bauen und sich nicht verändert. Das funktioniert einfach nicht, in Bayern auch nicht, wie überall.
    Die Kabarettistin Luise Kinseher lächelt freundlich in die Kamera
    Luise Kinseher gibt am Nockherberg regelmäßig die "Mama Bavaria" (Martina Bogdahn)
    Jahn: Das heißt, Bayern steht vor einer Epochenwende. Nicht mehr gegen den Rest der Welt, sondern es wird sich einiges ändern müssen. Der nächste Nockherberg 2018 ist erst am 28. Februar. Sie werden natürlich wieder auftreten als "Mama Bavaria". Muss das Singspiel dafür jetzt umgeschrieben werden oder ist es in weiser Voraussicht noch gar nicht geschrieben, weil der Machtkampf um München bis gestern noch nicht entschieden war?
    Kinseher: Meine Kollegen haben es heuer nicht so leicht, weil wir einfach überhaupt nicht wissen, was jetzt bis zum 28. Februar passiert. Da fällt es mir leichter: In der Rede kann ich immer leichter auf neue Entwicklungen reagieren, während es natürlich bei so einem großen Singspiel, wo Musik geschrieben werden muss, wo Besetzungen feststehen müssen, Texte auswendig gelernt werden müssen - die haben es schon schwer. In deren Haut möchte ich jetzt nicht stecken. Aber wir halten alle fest zusammen, und wir werden schon wieder einen guten Abend hinkriegen.
    Jahn: Vielen Dank, Luise Kinseher. Bis zum Nockherberg Ende Februar ist es noch ein wenig hin, bis dahin tritt die Kabarettistin mit ihrem Programm "Ruhe bewahren" auf - auch in diesen Tagen eine gute Idee. Morgen in Seeshaupt, am Donnerstag in Auenwald, am Freitag in Stuttgart und am Samstag in Geislingen. Frau Kinseher, danke.
    Kinseher: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.