Jasper Barenberg: Wenn die NATO demnächst damit beginnt, ihre Soldaten aus Afghanistan abzuziehen, kommt Pakistan eine Schlüsselrolle in der Region zu. So sehen es die USA, so sieht es der ganze Westen. Kein dauerhafter Friede in der Region, keine Stabilität auf Dauer, ohne dass die Regierung in Islamabad Verantwortung übernimmt. Doch die Beziehungen zwischen dem Westen und Pakistan, sie steuern gerade auf einen weiteren Tiefpunkt zu. Zwei Dutzend pakistanische Soldaten sind am vergangenen Samstag getötet worden, als Kampfhubschrauber der NATO zwei Armeelager nahe der Grenze zu Afghanistan angegriffen haben. Das Bündnis spricht von einem tragischen und unbeabsichtigten Zwischenfall, die Armeeführung in Islamabad aber geht von einem vorsätzlichen Angriff aus. Die Regierung hat die Nachschublieferungen für die NATO-Truppe im Nachbarland Afghanistan vorerst gestoppt und sie droht damit, die militärische Zusammenarbeit mit den USA aufzukündigen.
Wie ernst also ist das jüngste Zerwürfnis? Welche Folgen könnte es für die ganze Region haben? – Am Telefon begrüße ich Christian Wagner. Er ist bei der Stiftung Wissenschaft und Politik Leiter der Asien-Forschungsgruppe. Schönen guten Morgen, Herr Wagner.
Christian Wagner: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Wir haben es gehört: Pakistan und die USA haben sich in den letzten Monaten, ja schon in den letzten Jahren immer mehr entzweit. Ist dieses Zweckbündnis jetzt am Ende?
Wagner: Nein. Ich denke, es ist nicht am Ende, aber es befindet sich sicherlich in einer der schwersten Krisen in den letzten 50 Jahren. Die Ereignisse der vergangenen Monate, sei es die Diskussion über Drohnenkriege, über die Drohnenangriffe, sei es die Tötung Osama Bin Ladens, haben natürlich nachhaltig die bilateralen Beziehungen zerrüttet. Man befindet sich in einer Abwärtsspirale, und da passt natürlich dieser Zwischenfall vom Samstag rein. Es sieht eben nicht so aus, als ob man aus dieser Abwärtsspirale momentan wieder herauskommen kann.
Barenberg: Ist dieser Vorfall geeignet, in der Politik in Islamabad, in der Regierung das Fass zum Überlaufen zu bringen?
Wagner: Ich denke nicht, dass er das Fass zum Überlaufen bringen wird. Ich denke, auch Pakistan weiß natürlich um die Unterstützung der USA. Pakistan erhält ja nicht nur Militärhilfe, sondern es erhält natürlich auch Wirtschaftshilfe beziehungsweise auch Hilfe für die zivilen Institutionen des Landes. Aber Pakistan sitzt natürlich hier momentan in den Verhandlungen gegenüber den USA doch an einem längeren Hebel. Die USA benötigen Pakistan sowohl für die Unterstützung der Truppen in Afghanistan, als natürlich auch langfristig muss man eine Zusammenarbeit mit der Regierung suchen, um die Sicherheit der pakistanischen Nuklearwaffen zu gewährleisten.
Barenberg: Auf der anderen Seite: wie groß, Herr Wagner, ist denn der Bedarf in den USA an einem halbwegs passablen Partner Pakistan?
Wagner: Ja, der Bedarf ist eben weiterhin groß. Solange amerikanische Truppen im Land sind und die große Mehrzahl des Nachschubs über Pakistan geht für die amerikanischen Truppen, solange ist natürlich Pakistan ein wichtiger Partner. Es ist bislang noch nicht gelungen, alternative Versorgungsrouten über Zentralasien auszubauen. Der zweite Punkt ist natürlich die Sicherheit der pakistanischen Nuklearwaffen. Hier wissen die USA, dass sie in den 90er-Jahren durch ihre Sanktionen den Kontakt zu einer ganzen Generation pakistanischer Generäle verloren haben, und man weiß eben nicht, wer in drei Jahren der Nachfolger von General Kayani sein wird, welche politische Ausrichtung er hat und welches Verhältnis er dann zu den USA haben wird.
Barenberg: Unser Korrespondent Klaus Remme hat Reaktionen auf tödlichen Angriff in Pakistan (MP3-Audio) in seinem Bericht gerade einen Analytiker, einen Beobachter aus Washington mit den Worten zitiert, Pakistan unterstützt die Taliban, das sei das Problem. Sehen Sie das auch so?
Wagner: Das ist natürlich sicherlich eines der großen Probleme. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass zumindest mal Teile der Armee und des Geheimdienstes sicherlich mit Taliban-Gruppen ja Formen der Kooperation, der Duldung, der Unterstützung haben, weil sie natürlich hier ihre eigenen Vorstellungen über eine Nachkriegsordnung in Afghanistan durchsetzen wollen. Das heißt, die USA oder der Westen und Pakistan führen eigentlich in Afghanistan oder in der Grenzregion zu Afghanistan keinen gemeinsamen Krieg, und das führt natürlich dann zu solchen Zwischenfällen wie am vergangenen Wochenende.
Barenberg: Nun hat Pakistan auf der anderen Seite in der Vergangenheit durchaus versucht, den islamistischen Terror jedenfalls im eigenen Land einen Riegel vorzuschieben. Wir erinnern uns vielleicht alle an die Vorkommnisse im Swat-Tal, wo es regelrecht einen Krieg gegen diese islamistischen Terroristen gegeben hat. Wie zuverlässig ist Pakistan in diesem Kampf gegen den Terrorismus?
Wagner: Es ist eine sehr schwierige Debatte in Pakistan, weil man zum einen eben diese afghanischen Taliban-Gruppen duldet. Man bekämpft sie auch nicht militärisch, weil man einfach sagt, diese Gruppen greifen Pakistan nicht an. Auf der anderen Seite haben sich von diesen afghanischen Taliban-Gruppen eben solche pakistanischen Taliban-Gruppen abgespalten, die mittlerweile eben den pakistanischen Staat bekämpfen, die auch der Armee schwere Verluste zufügen. Die pakistanische Armee hat in den letzten Jahren mehr Opfer zu beklagen als die internationalen Truppen in Afghanistan. Also Pakistan leidet auch natürlich unter diesem Terrorismus. Aber es ist eben sehr schwer innerhalb der pakistanischen Gesellschaft, dass sich ein Konsens herausbildet, dass dieser Anti-Terror-Kampf eben auch im Interesse Pakistans ist, sondern viele vor allem in Sicherheitskreisen gehen eben weiterhin davon aus, vor allem im Hinblick auf den Konflikt mit Indien, man könne eine Nachkriegsordnung in Afghanistan durchsetzen, die vor allem dann eben die pakistanischen Interessen in der Region (vor allem gegenüber dem Nachbarn Indien) sichert.
Barenberg: Und welche Ziele wären das, die Pakistan verfolgt mit Blick auf Afghanistan?
Wagner: Ja, es gibt eigentlich zwei große Ziele. Das eine ist: Indien ist ja sehr stark in Afghanistan engagiert. Indien ist nach dem Westen der größte Geber. Pakistan fürchtet natürlich, wenn der Westen abzieht, dass Indien hier noch stärker wird. Man hat traditionell gute Beziehungen zwischen Afghanistan und Indien. Das heißt, die Armee fürchtet eine Einkreisung durch Indien. Man hat ja mit Indien seit 60 Jahren den Konflikt um Kaschmir. Der zweite Konflikt ist dann mehr auf Afghanistan ausgerichtet. Es gibt vonseiten der Paschtunen in Afghanistan immer wieder Forderungen auf die paschtunischen Gebiete in Pakistan. Das heißt, von pakistanischer Seite aus unterstützt man Taliban-Gruppen, die eher eine religiöse Vorstellung von Nationalismus haben, in der Hoffnung, dass eben damit diese territorialen Forderungen, die es in der Vergangenheit immer wieder gab, beendet werden. In dem Sinne sind die Taliban für Pakistan eigentlich ein doppeltes Schwert: sowohl gegenüber Indien als auch gegenüber nationalistischen Bestrebungen in Afghanistan.
Barenberg: Kurz zum Schluss, Herr Wagner. Die Regierung in Islamabad spielt ja offenbar mit dem Gedanken, die Afghanistan-Konferenz in Bonn nächste Woche zu boykottieren. Welche Folgen hätte das?
Wagner: Das wäre sicherlich fatal. Das wäre sicherlich ein Signal, mit dem man eben deutlich machen würde, dass man sich noch mehr vom Westen abwendet. Wir befinden uns hier im Westen da natürlich in einer schlechten Lage, weil zum einen eben wir weiterhin auf Pakistan angewiesen sind, zum zweiten aber natürlich auch Pakistan momentan oder schon seit Längerem sehr gute Beziehungen zu China hat. Das heißt, man kann hier natürlich jederzeit versuchen, die chinesische Karte gegen den Westen auszuspielen, und das macht natürlich die Verhandlungspolitik des Westens noch schwieriger. Generell, wie gesagt, würde ich nicht davon ausgehen, dass es zu einem vollständigen Bruch kommt, denn auch in Pakistan weiß man natürlich um die Bedeutung der Beziehungen zum Westen.
Barenberg: Christian Wagner. Er leitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik die Forschungsgruppe Asien. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wagner.
Wagner: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wie ernst also ist das jüngste Zerwürfnis? Welche Folgen könnte es für die ganze Region haben? – Am Telefon begrüße ich Christian Wagner. Er ist bei der Stiftung Wissenschaft und Politik Leiter der Asien-Forschungsgruppe. Schönen guten Morgen, Herr Wagner.
Christian Wagner: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Wir haben es gehört: Pakistan und die USA haben sich in den letzten Monaten, ja schon in den letzten Jahren immer mehr entzweit. Ist dieses Zweckbündnis jetzt am Ende?
Wagner: Nein. Ich denke, es ist nicht am Ende, aber es befindet sich sicherlich in einer der schwersten Krisen in den letzten 50 Jahren. Die Ereignisse der vergangenen Monate, sei es die Diskussion über Drohnenkriege, über die Drohnenangriffe, sei es die Tötung Osama Bin Ladens, haben natürlich nachhaltig die bilateralen Beziehungen zerrüttet. Man befindet sich in einer Abwärtsspirale, und da passt natürlich dieser Zwischenfall vom Samstag rein. Es sieht eben nicht so aus, als ob man aus dieser Abwärtsspirale momentan wieder herauskommen kann.
Barenberg: Ist dieser Vorfall geeignet, in der Politik in Islamabad, in der Regierung das Fass zum Überlaufen zu bringen?
Wagner: Ich denke nicht, dass er das Fass zum Überlaufen bringen wird. Ich denke, auch Pakistan weiß natürlich um die Unterstützung der USA. Pakistan erhält ja nicht nur Militärhilfe, sondern es erhält natürlich auch Wirtschaftshilfe beziehungsweise auch Hilfe für die zivilen Institutionen des Landes. Aber Pakistan sitzt natürlich hier momentan in den Verhandlungen gegenüber den USA doch an einem längeren Hebel. Die USA benötigen Pakistan sowohl für die Unterstützung der Truppen in Afghanistan, als natürlich auch langfristig muss man eine Zusammenarbeit mit der Regierung suchen, um die Sicherheit der pakistanischen Nuklearwaffen zu gewährleisten.
Barenberg: Auf der anderen Seite: wie groß, Herr Wagner, ist denn der Bedarf in den USA an einem halbwegs passablen Partner Pakistan?
Wagner: Ja, der Bedarf ist eben weiterhin groß. Solange amerikanische Truppen im Land sind und die große Mehrzahl des Nachschubs über Pakistan geht für die amerikanischen Truppen, solange ist natürlich Pakistan ein wichtiger Partner. Es ist bislang noch nicht gelungen, alternative Versorgungsrouten über Zentralasien auszubauen. Der zweite Punkt ist natürlich die Sicherheit der pakistanischen Nuklearwaffen. Hier wissen die USA, dass sie in den 90er-Jahren durch ihre Sanktionen den Kontakt zu einer ganzen Generation pakistanischer Generäle verloren haben, und man weiß eben nicht, wer in drei Jahren der Nachfolger von General Kayani sein wird, welche politische Ausrichtung er hat und welches Verhältnis er dann zu den USA haben wird.
Barenberg: Unser Korrespondent Klaus Remme hat Reaktionen auf tödlichen Angriff in Pakistan (MP3-Audio) in seinem Bericht gerade einen Analytiker, einen Beobachter aus Washington mit den Worten zitiert, Pakistan unterstützt die Taliban, das sei das Problem. Sehen Sie das auch so?
Wagner: Das ist natürlich sicherlich eines der großen Probleme. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass zumindest mal Teile der Armee und des Geheimdienstes sicherlich mit Taliban-Gruppen ja Formen der Kooperation, der Duldung, der Unterstützung haben, weil sie natürlich hier ihre eigenen Vorstellungen über eine Nachkriegsordnung in Afghanistan durchsetzen wollen. Das heißt, die USA oder der Westen und Pakistan führen eigentlich in Afghanistan oder in der Grenzregion zu Afghanistan keinen gemeinsamen Krieg, und das führt natürlich dann zu solchen Zwischenfällen wie am vergangenen Wochenende.
Barenberg: Nun hat Pakistan auf der anderen Seite in der Vergangenheit durchaus versucht, den islamistischen Terror jedenfalls im eigenen Land einen Riegel vorzuschieben. Wir erinnern uns vielleicht alle an die Vorkommnisse im Swat-Tal, wo es regelrecht einen Krieg gegen diese islamistischen Terroristen gegeben hat. Wie zuverlässig ist Pakistan in diesem Kampf gegen den Terrorismus?
Wagner: Es ist eine sehr schwierige Debatte in Pakistan, weil man zum einen eben diese afghanischen Taliban-Gruppen duldet. Man bekämpft sie auch nicht militärisch, weil man einfach sagt, diese Gruppen greifen Pakistan nicht an. Auf der anderen Seite haben sich von diesen afghanischen Taliban-Gruppen eben solche pakistanischen Taliban-Gruppen abgespalten, die mittlerweile eben den pakistanischen Staat bekämpfen, die auch der Armee schwere Verluste zufügen. Die pakistanische Armee hat in den letzten Jahren mehr Opfer zu beklagen als die internationalen Truppen in Afghanistan. Also Pakistan leidet auch natürlich unter diesem Terrorismus. Aber es ist eben sehr schwer innerhalb der pakistanischen Gesellschaft, dass sich ein Konsens herausbildet, dass dieser Anti-Terror-Kampf eben auch im Interesse Pakistans ist, sondern viele vor allem in Sicherheitskreisen gehen eben weiterhin davon aus, vor allem im Hinblick auf den Konflikt mit Indien, man könne eine Nachkriegsordnung in Afghanistan durchsetzen, die vor allem dann eben die pakistanischen Interessen in der Region (vor allem gegenüber dem Nachbarn Indien) sichert.
Barenberg: Und welche Ziele wären das, die Pakistan verfolgt mit Blick auf Afghanistan?
Wagner: Ja, es gibt eigentlich zwei große Ziele. Das eine ist: Indien ist ja sehr stark in Afghanistan engagiert. Indien ist nach dem Westen der größte Geber. Pakistan fürchtet natürlich, wenn der Westen abzieht, dass Indien hier noch stärker wird. Man hat traditionell gute Beziehungen zwischen Afghanistan und Indien. Das heißt, die Armee fürchtet eine Einkreisung durch Indien. Man hat ja mit Indien seit 60 Jahren den Konflikt um Kaschmir. Der zweite Konflikt ist dann mehr auf Afghanistan ausgerichtet. Es gibt vonseiten der Paschtunen in Afghanistan immer wieder Forderungen auf die paschtunischen Gebiete in Pakistan. Das heißt, von pakistanischer Seite aus unterstützt man Taliban-Gruppen, die eher eine religiöse Vorstellung von Nationalismus haben, in der Hoffnung, dass eben damit diese territorialen Forderungen, die es in der Vergangenheit immer wieder gab, beendet werden. In dem Sinne sind die Taliban für Pakistan eigentlich ein doppeltes Schwert: sowohl gegenüber Indien als auch gegenüber nationalistischen Bestrebungen in Afghanistan.
Barenberg: Kurz zum Schluss, Herr Wagner. Die Regierung in Islamabad spielt ja offenbar mit dem Gedanken, die Afghanistan-Konferenz in Bonn nächste Woche zu boykottieren. Welche Folgen hätte das?
Wagner: Das wäre sicherlich fatal. Das wäre sicherlich ein Signal, mit dem man eben deutlich machen würde, dass man sich noch mehr vom Westen abwendet. Wir befinden uns hier im Westen da natürlich in einer schlechten Lage, weil zum einen eben wir weiterhin auf Pakistan angewiesen sind, zum zweiten aber natürlich auch Pakistan momentan oder schon seit Längerem sehr gute Beziehungen zu China hat. Das heißt, man kann hier natürlich jederzeit versuchen, die chinesische Karte gegen den Westen auszuspielen, und das macht natürlich die Verhandlungspolitik des Westens noch schwieriger. Generell, wie gesagt, würde ich nicht davon ausgehen, dass es zu einem vollständigen Bruch kommt, denn auch in Pakistan weiß man natürlich um die Bedeutung der Beziehungen zum Westen.
Barenberg: Christian Wagner. Er leitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik die Forschungsgruppe Asien. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wagner.
Wagner: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.