Michael Köhler: Moderne Popmusik, aber auch die pathetischen "Enigma"-Variationen des Staatsmusikers Edward Elgar aus dem zu Ende gehenden Empire. Das Inselvolk der Briten bot eine nationale, aber auch selbstironische "Best of Britain"-Show bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele, inszeniert von Theater- und Filmregisseur Danny Boyle. Frage an Matthias Thibaut: Wie haben sich denn die Gastgeber der Olympischen Spiele in der Eröffnungsfeier dargestellt?
Matthias Thibaut: Ich glaube schon, dass Sie recht haben, dass es auf einer Seite ein gigantischer Werbespot für das Land war, so war es wohl auch gedacht, auch von der Regierung, die die 27 Millionen Pfund dafür gegeben hat, aber es ist auch eine Art von nationalem Ritual geworden. Es ist wohl einer dieser wichtigen Akte der Selbstverständigung und Selbstdarstellung, der den Briten für sich selber wichtig ist. Und reiht sich so in die Reihe ein der Veranstaltungen von "Trooping the Colours" bis zum Remembrance Day, das ist der Gedenktag an die Kriegstoten. Das war ja sehr bewegend mitten in dieser chaotischen Jubelfeier, das Gedenken an die Kriegstoten.
Köhler: Ja, genau. Also die Seefahrer, das Landvolk, die Schäfer, die Industrialisierung, aber auch der nationale Gesundheitsdienst, die Wohlfahrt, die Suffragetten, moderne Popkultur, Musik- und Filmindustrie, selbstironisch ein bisschen. Vor den Augen der Queen das Ganze auch noch vorgeführt. Tanz, Musical, Gesang, Rezitation - wollte man sozusagen den kulturellen Beitrag des Inselvolkes zur Weltkultur herausstellen?
Thibaut: Ja, und man wollte auch einfach zeigen, wer sind wir, wir Briten. Das eigentliche Thema der Show war das Kollektiv eigentlich. Es waren nicht nur die Helden, die natürlich auch vorkamen, die Schauspielerhelden, die Kinderbuchautoren, Shakespeare, aber es waren die Kollektive, die Menschen, die zusammen etwas machen, arbeiten, feiern, jubeln. Das fing an mit dem Kricketspiel auf grünen Wiesen. Aber dann die Suffragetten, der Arbeitskampf, der Cherryl-March war darin, der Hungermarsch der Arbeitslosen 1936, Chelsea Pensioners, Pearly Queens, das war das, was, glaube ich, Danny Boyle vor allem wichtig war. Es war also keine Idealisierung des bukolischen Großbritanniens, sondern man hat hier das Großbritannien gesehen, auch mit diesen Szenen im Reihenhaus, in die dann die Popmusik eingespielt wurde. Das war das Großbritannien, wie es sich selber heute sieht.
Köhler: Regisseur Danny Boyle, merkt man, er kommt vom Theater. Er hat also gelungene Bilder gefunden, überdimensionierte Betten, in denen Kinder springen, etwas Traumhaftes - manchmal erinnerte mich das fast schon an die Weihnachtsgeschichten von Ebenezer Scrooge von Charles Dickens, also, Männer mit großen Hüten auf dem Kopf, die einen inneren sozialen und seelischen Wandel durchmachen.
Thibaut: Ja, diese Szene, auf die Sie anspielen mit dem NHS, das war vielleicht diejenige, die für Ausländer am schwersten zu verstehen war.
Köhler: Das nationale Gesundheitssystem.
Thibaut: Das ist das nationale Gesundheitssystem, diese großen Betten, das hat übrigens auch am meisten Kritik in Großbritannien gegeben. Aber man muss dazu wissen, es gibt ja dieses Kinderbuch "Peter Pan" von J. Barry, und das Ormond Hospital, das Kinderkrankenhaus, das wichtigste britische Kinderkrankenhaus, hat die Rechte an dieser Geschichte von Peter Pan. Das war eigentlich der Grundstock. Und Danny Boyle hat darüber eine Hommage an die britische Kinderliteratur gemacht. J.K. Rowling mit "Harry Potter" kam vor, "Mary Poppins" vom Himmel - das war eigentlich eine Hommage auf die britische Kinderliteratur.
Köhler: Herr Thibaut, lassen Sie mich, auf die Gefahr hin, ein bisschen der Spielverderber zu sein oder jetzt den bösen Buben zu spielen - war das, bei aller Sympathie für die Geschichte der Selbstdarstellung, neben also Mike-Oldfield-Musik und Edward Elgar nicht alles ein bisschen retro und oldiemäßig? Also der Mythos eines überwundenen Englands vielleicht, ja, ich setze noch einen drauf, war das nicht vielleicht sogar auch ein bisschen anti-internationalistisch, wo doch die Spiele gerade den Gedanken der Völkerverständigung und der Internationalität in den Vordergrund stellen? Oder war das mit Absicht nicht gewollt?
Thibaut: Ich fand das überhaupt nicht so. Ich finde, man hat gesehen, was für ein Selbstbewusstsein die Briten haben. Sie haben gesehen, die Briten, die aus dem Stadion kamen in der Nacht, die haben gesagt, diese Show hat mich stolz gemacht, Brite zu sein. Aber das waren auch Leute, die erst seit vielleicht 20 Jahren in Großbritannien wohnen. Das waren Einwanderer, es kamen ja - auch die Einwanderer haben eine Rolle gespielt. Das war das Großbritannien, das offen und umfassend ist. Diese Selbstsicherheit, dieses Selbstbewusstsein der Briten, das verstehen wir Deutsche oft falsch oder nicht richtig gut. Denken wir einen Moment an die Probleme, die Großbritannien mit der EU hat. Sie spielen ja auf solche Sachen an. Man sagt dann oft ja, die Briten, die haben ihr Weltreich verloren, die trauern ihrer alten, großen Vormacht und Herrschaftsrolle in der Welt nach. Aber nichts könnte eigentlich falscher sein. Man hat bei dieser Show eigentlich gesehen, dass die Briten extrem gelassen sind. Sie fühlen sich als Nation in ihrer Haut einfach wohl. Und das ist ein Wohlbefinden, das alle mit umschließt. Auch, die ins Land kommen, die Einwanderer, die nicht diese lange Geschichte gemacht haben. Diese Geschichte ist für alle da.
Köhler: Man kann nicht über englische Kultur reden, ohne auch diesen skurrilen Humor zu erwähnen, mit dem sich das Volk selber auf die Schippe nimmt, und den es auch ein bisschen ausgestellt hat. Wie hat es das gemacht, und wie ist das geglückt?
Thibaut: Es gab unheimlich viele Anspielungen, die vielleicht Außenstehende gar nicht verstanden haben. Sie haben den Elgar am Anfang erwähnt. Während Elgar gespielt wird, wird zum Beispiel über Lautsprecher die Shipping Forecast vorgelesen. Das ist der Schiffswetterbericht, der jeden Tag frühmorgens im Radio kommt und der den Engländern auf eine eigenartige Weise das Selbstbewusstsein gibt, weil die ganzen Küsten abgelesen werden. Dieser Emotionalität, die in dieser Show war, wird immer wieder widersprochen durch Humor, durch skurrilen Humor. Paarungen wie Simon Rattle, der die schwelgerische Musik von dem Film "Chariots of fire" spielt, und dazu Mr. Bean mit seiner Kontra-Show. Oder die Queen, die berühmteste Frau der Welt, die Regierungschefin seit 60 Jahren, lässt sich herab, sich selbst zu spielen in diesem kleinen Zwischenfilm mit James Bond, Daniel Craig, und nimmt sich und ihre Corgies, ihre Hunde auf, lässt sich auf die Schippe nehmen mit ihren Corgies, ihren Hunden. Das ist etwas ganz Einmaliges, und ich glaube, das war ein Moment, da hat die halbe Welt schallend gelacht.
Köhler: Sagt Matthias Thibaut zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele, "Best of Britain", choreografiert von Danny Boyle als Affekttheater und Herzensangelegenheit der Briten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Matthias Thibaut: Ich glaube schon, dass Sie recht haben, dass es auf einer Seite ein gigantischer Werbespot für das Land war, so war es wohl auch gedacht, auch von der Regierung, die die 27 Millionen Pfund dafür gegeben hat, aber es ist auch eine Art von nationalem Ritual geworden. Es ist wohl einer dieser wichtigen Akte der Selbstverständigung und Selbstdarstellung, der den Briten für sich selber wichtig ist. Und reiht sich so in die Reihe ein der Veranstaltungen von "Trooping the Colours" bis zum Remembrance Day, das ist der Gedenktag an die Kriegstoten. Das war ja sehr bewegend mitten in dieser chaotischen Jubelfeier, das Gedenken an die Kriegstoten.
Köhler: Ja, genau. Also die Seefahrer, das Landvolk, die Schäfer, die Industrialisierung, aber auch der nationale Gesundheitsdienst, die Wohlfahrt, die Suffragetten, moderne Popkultur, Musik- und Filmindustrie, selbstironisch ein bisschen. Vor den Augen der Queen das Ganze auch noch vorgeführt. Tanz, Musical, Gesang, Rezitation - wollte man sozusagen den kulturellen Beitrag des Inselvolkes zur Weltkultur herausstellen?
Thibaut: Ja, und man wollte auch einfach zeigen, wer sind wir, wir Briten. Das eigentliche Thema der Show war das Kollektiv eigentlich. Es waren nicht nur die Helden, die natürlich auch vorkamen, die Schauspielerhelden, die Kinderbuchautoren, Shakespeare, aber es waren die Kollektive, die Menschen, die zusammen etwas machen, arbeiten, feiern, jubeln. Das fing an mit dem Kricketspiel auf grünen Wiesen. Aber dann die Suffragetten, der Arbeitskampf, der Cherryl-March war darin, der Hungermarsch der Arbeitslosen 1936, Chelsea Pensioners, Pearly Queens, das war das, was, glaube ich, Danny Boyle vor allem wichtig war. Es war also keine Idealisierung des bukolischen Großbritanniens, sondern man hat hier das Großbritannien gesehen, auch mit diesen Szenen im Reihenhaus, in die dann die Popmusik eingespielt wurde. Das war das Großbritannien, wie es sich selber heute sieht.
Köhler: Regisseur Danny Boyle, merkt man, er kommt vom Theater. Er hat also gelungene Bilder gefunden, überdimensionierte Betten, in denen Kinder springen, etwas Traumhaftes - manchmal erinnerte mich das fast schon an die Weihnachtsgeschichten von Ebenezer Scrooge von Charles Dickens, also, Männer mit großen Hüten auf dem Kopf, die einen inneren sozialen und seelischen Wandel durchmachen.
Thibaut: Ja, diese Szene, auf die Sie anspielen mit dem NHS, das war vielleicht diejenige, die für Ausländer am schwersten zu verstehen war.
Köhler: Das nationale Gesundheitssystem.
Thibaut: Das ist das nationale Gesundheitssystem, diese großen Betten, das hat übrigens auch am meisten Kritik in Großbritannien gegeben. Aber man muss dazu wissen, es gibt ja dieses Kinderbuch "Peter Pan" von J. Barry, und das Ormond Hospital, das Kinderkrankenhaus, das wichtigste britische Kinderkrankenhaus, hat die Rechte an dieser Geschichte von Peter Pan. Das war eigentlich der Grundstock. Und Danny Boyle hat darüber eine Hommage an die britische Kinderliteratur gemacht. J.K. Rowling mit "Harry Potter" kam vor, "Mary Poppins" vom Himmel - das war eigentlich eine Hommage auf die britische Kinderliteratur.
Köhler: Herr Thibaut, lassen Sie mich, auf die Gefahr hin, ein bisschen der Spielverderber zu sein oder jetzt den bösen Buben zu spielen - war das, bei aller Sympathie für die Geschichte der Selbstdarstellung, neben also Mike-Oldfield-Musik und Edward Elgar nicht alles ein bisschen retro und oldiemäßig? Also der Mythos eines überwundenen Englands vielleicht, ja, ich setze noch einen drauf, war das nicht vielleicht sogar auch ein bisschen anti-internationalistisch, wo doch die Spiele gerade den Gedanken der Völkerverständigung und der Internationalität in den Vordergrund stellen? Oder war das mit Absicht nicht gewollt?
Thibaut: Ich fand das überhaupt nicht so. Ich finde, man hat gesehen, was für ein Selbstbewusstsein die Briten haben. Sie haben gesehen, die Briten, die aus dem Stadion kamen in der Nacht, die haben gesagt, diese Show hat mich stolz gemacht, Brite zu sein. Aber das waren auch Leute, die erst seit vielleicht 20 Jahren in Großbritannien wohnen. Das waren Einwanderer, es kamen ja - auch die Einwanderer haben eine Rolle gespielt. Das war das Großbritannien, das offen und umfassend ist. Diese Selbstsicherheit, dieses Selbstbewusstsein der Briten, das verstehen wir Deutsche oft falsch oder nicht richtig gut. Denken wir einen Moment an die Probleme, die Großbritannien mit der EU hat. Sie spielen ja auf solche Sachen an. Man sagt dann oft ja, die Briten, die haben ihr Weltreich verloren, die trauern ihrer alten, großen Vormacht und Herrschaftsrolle in der Welt nach. Aber nichts könnte eigentlich falscher sein. Man hat bei dieser Show eigentlich gesehen, dass die Briten extrem gelassen sind. Sie fühlen sich als Nation in ihrer Haut einfach wohl. Und das ist ein Wohlbefinden, das alle mit umschließt. Auch, die ins Land kommen, die Einwanderer, die nicht diese lange Geschichte gemacht haben. Diese Geschichte ist für alle da.
Köhler: Man kann nicht über englische Kultur reden, ohne auch diesen skurrilen Humor zu erwähnen, mit dem sich das Volk selber auf die Schippe nimmt, und den es auch ein bisschen ausgestellt hat. Wie hat es das gemacht, und wie ist das geglückt?
Thibaut: Es gab unheimlich viele Anspielungen, die vielleicht Außenstehende gar nicht verstanden haben. Sie haben den Elgar am Anfang erwähnt. Während Elgar gespielt wird, wird zum Beispiel über Lautsprecher die Shipping Forecast vorgelesen. Das ist der Schiffswetterbericht, der jeden Tag frühmorgens im Radio kommt und der den Engländern auf eine eigenartige Weise das Selbstbewusstsein gibt, weil die ganzen Küsten abgelesen werden. Dieser Emotionalität, die in dieser Show war, wird immer wieder widersprochen durch Humor, durch skurrilen Humor. Paarungen wie Simon Rattle, der die schwelgerische Musik von dem Film "Chariots of fire" spielt, und dazu Mr. Bean mit seiner Kontra-Show. Oder die Queen, die berühmteste Frau der Welt, die Regierungschefin seit 60 Jahren, lässt sich herab, sich selbst zu spielen in diesem kleinen Zwischenfilm mit James Bond, Daniel Craig, und nimmt sich und ihre Corgies, ihre Hunde auf, lässt sich auf die Schippe nehmen mit ihren Corgies, ihren Hunden. Das ist etwas ganz Einmaliges, und ich glaube, das war ein Moment, da hat die halbe Welt schallend gelacht.
Köhler: Sagt Matthias Thibaut zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele, "Best of Britain", choreografiert von Danny Boyle als Affekttheater und Herzensangelegenheit der Briten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.