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"Man kann die Natur nicht besiegen"

Der Chefredakteur des Wissenschaft- und Technik-Magazins PM, Hans-Hermann Sprado, empfiehlt, die Ansprüche an die Mobilität zu reduzieren: "Man kann im Winter nicht fahren wie im Sommer."

Hans-Hermann Sprado im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Kaum schneit es mal ein bisschen in Deutschland, dann bricht auf den viel befahrenen Autobahnen und auf den Flughäfen das Chaos aus, aber eben nicht nur dort. Gerade auch jene Verkehrsmittel, die bei solchen Witterungsverhältnissen besonders zuverlässig sein sollten, weil sie auf Schienen laufen, Straßen- und Eisenbahnen, haben auch Probleme. Wir müssen gar nicht auf den Eurostar unterm Ärmelkanal schauen; auch bei uns melden Bahn und öffentliche Verkehrsbetriebe Verspätungen und Ausfälle en Masse. Muss das so sein? - Das wollen wir wissen vom Chefredakteur des Magazins PM, das sich der Wissenschaft und Technik besonders verbunden weiß. Guten Morgen, Hans-Hermann Sprado.

    Hans-Hermann Sprado: Guten Morgen!

    Spengler: Warum muss die Technik immer wieder vor der Natur kapitulieren?

    Sprado: Ich glaube, das ist ein Naturgesetz. Es hängt damit zusammen, dass die Maschine Deutschland laufen muss. Der Zugverkehr ist immer enger getaktet, die Startzeiten der Flugzeuge folgen immer dichter aufeinander und je stärker die Verkehrswege belastet sind, desto verletzlicher sind sie auch. Deswegen lautet für mich die Frage nicht, wie oft wir im Winterchaos versinken, sondern eher, warum es so selten passiert.

    Spengler: In den 60er-Jahren hat die Bahn Werbung gemacht mit dem Spruch "alle reden vom Wetter, wir nicht". Das heißt, die Zeiten sind vorbei?

    Sprado: Die Zeiten, glaube ich, hat es nie gegeben, weil man muss ein bisschen differenzieren zwischen Werbung und Wirklichkeit. Tatsächlich verfügt, glaube ich, die Bahn, wenn ich mich richtig erinnere, über 90.- bis 100.000 Weichen. Davon sind zwar die meisten beheizt, auf den Fernstrecken jedenfalls, auf den normalen Strecken eher weniger. Das heißt, im Extremfall - und wir reden hier, glaube ich, jetzt vom Extremfall - besteht halt die Gefahr, dass diese Weichen einfrieren und die müssen dann von Hand wieder freigeklopft werden, was wiederum auch zur Folge hat, dass viele Bahnmitarbeiter gar nicht an die Weichen herankommen, eben durch die zugeschneiten oder eisglatten Straßen.

    Spengler: Aber jetzt mal ernsthaft: Minus zehn Grad ist doch noch nicht ein Ernstfall, oder?

    Sprado: Für Deutschland, denke ich, ist es schon ein Ernstfall und ich glaube, das hängt immer damit zusammen, wie schnell irgendetwas passiert. Man kann sich sicherlich auf einige Sachen einstellen, aber da kommt natürlich dann der Kostenfaktor auch ins Spiel. Aber andererseits glaube ich, dass man, je mehr Geld man in die Hand nimmt, dennoch nicht die Natur besiegen kann. Ich glaube, wir müssen, was den Verkehr betrifft, unseren Anspruch doch ein bisschen herunterschrauben. Grenzlose Mobilität ist halt nicht möglich. Man kann im Winter nicht fahren wie im Sommer.

    Spengler: Herr Sprado, waren die Elektrooberleitungen ein Rückschritt? Wären wir mit Dieselloks besser bedient?

    Sprado: Das mag auf den ersten Blick so scheinen, aber Hochgeschwindigkeitszüge wären mit Dieselloks natürlich gar nicht möglich und das wiederum würde unsere Mobilität auf Dauer weit mehr einschränken, wenn wir noch mit Dieselloks zum Beispiel herumfahren müssten, die auch nicht ganz unanfällig sind.

    Spengler: Schlussfolgerung: wir müssen damit leben? Höhere Investitionen in die Bahn würden die Probleme nicht lösen?

    Sprado: Sie würden sie auf Dauer auf gar keinen Fall lösen. Es gibt ein Logistikzentrum bei der Bahn - ich glaube, die sitzen in Frankfurt. Die arbeiten mit Computern, mit Hochleistungs-Computern, die sofort ausrechnen, wenn zum Beispiel ein IC Verspätung hat, ob es sich lohnt, Anschlusszüge warten zu lassen. Ich weiß, dass dieses Krisenzentrum 24 Stunden im Einsatz ist, und die tun meiner Meinung nach alles dafür, dass es weiter läuft. Auf den Flughäfen passiert das gleiche natürlich auch. Da sind in der Regel die Startbahnen innerhalb von 20 Minuten wieder geräumt.

    Spengler: Dann müssen wir uns also in das Unvermeidliche fügen. - Danke schön, Hans-Hermann Sprado, Chefredakteur des Magazins PM.

    Sprado: Bitte schön!