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"Man kann sie nicht mehr ignorieren"

Die japanische Literatur ist heute im Bewusstsein der Leser und Kritiker fest verankert - Namen wie Haruki Murakami, Banana Yoshimoto, aber auch Kenzaburo Oe sind feste Größen. Das ist allerdings erst seit gut 40 Jahren so. Das Deutsche Institut für Japanforschung in Tokio hat jetzt Rezensionen zu Büchern aus dem Japanischen aus zwölf deutschsprachigen Tages- und Wochenzeitungen analysiert.

Von Peter Urban-Halle | 14.05.2007
    Die japanische Literatur kann in den deutschsprachigen Ländern mit einer interessierten und wohlwollenden Aufnahme rechnen. Man weiß mittlerweile, was man von ihr erwarten darf. Japanische Autoren entführen uns gern in ein unwirkliches Land, ein Hauch von Fantasy umweht uns dabei, und Einsamkeit und Vergänglichkeit überdecken die Szenerie. Ihre Romane haben eine schroffe, kompromisslose, tiefgehende Erotik, die von Gewalt und Tod kaum zu trennen ist; das Wesen einer solchen Erotik hat Georges Bataille in seinem Buch "Die Tränen des Eros" analysiert. Diese Literatur, in der es immer um existentielle Themen geht, hat - etwas schwärmerisch gesagt - eine unaussprechliche Verführungskraft und eine schmerzende Kälte. Kürzer gesagt: "Schönheit und Trauer" zeichnet sie aus - so hieß auch ein Roman von Yasunari Kawabata, dem ersten japanischen Literatur-Nobelpreisträger, ja, nach dem Inder Tagore erst dem zweiten Schriftsteller überhaupt, dessen Werk in einer nichteuropäischen Sprache verfasst war.

    Die Verleihung des Nobelpreises an Kawabata 1968, besonders aber Japan als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 1990, hat das Interesse an der Literatur des ostasiatischen Inselreiches immens gesteigert. Das zeigt der vorliegende, nach Prosa und Lyrik untergliederte Sammelband mit ungekürzten Besprechungen aus zwölf großen deutschsprachigen Tages- und Wochenzeitungen. Er ist, das darf man jetzt schon sagen, eine Fundgrube.

    Die drei Herausgeber haben sich bei ihrer Auswahl auf einen Zeitraum von 36 Jahren beschränkt, der von 1968 bis 2003 reicht - aus guten Gründen. Tatsächlich wurde vor Kawabatas Nobelpreis 1968 kaum aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt, dementsprechend waren auch Rezensionen Mangelware. Das zeigt im übrigen, dass vor dem Rezipienten erst einmal der Übersetzer kommt, worauf das Vorwort auch ausdrücklich hinweist. Aber selbst in den folgenden 20 Jahren hielten sich Übersetzungen und Besprechungen in Grenzen, was sich eben erst 1990 änderte, mit dem Buchmessenschwerpunkt Japan.

    1972 zum Beispiel lautete der Untertitel einer FAZ-Rezension zu Kenzaburo Oes "Eine persönliche Erfahrung": "Psychologischer Roman eines uns unbekannten Japaners". 22 Jahre später erhielt Oe als zweiter Japaner den Literatur-Nobelpreis. In derselben Rezension steht übrigens eine Erkenntnis, welche die japanische Literatur sehr genau charakterisiert: dass nämlich ein Buch, das das Schamgefühl, absichtlich sogar, verletzt, doch sittlich zu nennen ist. Die chronologisch erste und nebenbei überaus reservierte Rezension von Heinrich Vormweg im Mai 1968 in der Süddeutschen Zeitung handelt von Yukio Mishimas Roman "Geständnis einer Maske"; wenigstens freut sich Vormweg über die - Zitat - "Mitteilungen aus einem sehr fremden Land". Die meisten Besprechungen hat natürlich Haruki Murakami, er füllt allein rund 100 Seiten. Die Popikone Banana Yoshimoto liegt im Mittelfeld, gleichauf mit den Großen, mit Kawabata, Oe, und Yasushi Inoue, der im Mai dieses Jahres 100 geworden wäre. Schade, dass ein Autor wie Kazuo Ishiguro fehlt, nur weil er nicht auf japanisch geschrieben hat, aber sonst ist wohl alles vertreten, was Rang und Namen hat, sowohl auf Seiten der Autoren als auch auf Seiten der Kritiker. Das Buch ist wie eine Art Enzyklopädie, in der man sich festlesen kann - nur lebendiger und persönlicher geschrieben. Umso bedauerlicher ist der gepfefferte Preis.

    Die Zeitungen, darunter zwei österreichische, Die Presse und Der Standard, und eine Schweizer, die Neue Zürcher Zeitung, wurden nach ihrer Verbreitung und ihrem Einfluss ausgewählt. Auch wollte man verständlicherweise ein Blatt aus der deutschen Hauptstadt, da hatte der Tagesspiegel offenbar einen Westbonus, denn die Berliner Zeitung ließ man weg, obwohl sie größer ist und in punkto Einfluss mindestens ebenbürtig. Vielleicht hätte man aus dem Osten Deutschlands noch die Wochenzeitung Freitag unter die Lupe nehmen sollen, während ein Wegfall des Neuen Deutschland, in dem man ohnehin nur zehn Beiträge fand, zu verschmerzen gewesen wäre. Die Schweizer Weltwoche wiederum habe ich vermisst.

    Interessant ist auch die Entwicklung der Gattung Rezension an sich. Bis vor 20 bis 25 Jahren noch verstand sich die Literaturkritik zu Büchern aus dem Japanischen eher als wissenschaftlich geprägte Vermittlerin, besonders in der DDR wurden die Rezensionen nur von Fachleuten geschrieben, alles andere galt als unsolide. Heute ist die japanische Literatur Teil der Weltliteratur, der sich mit der europäischen und amerikanischen Literatur nicht nur messen kann, sondern auch daran gemessen werden muss. Das heißt, sie wird als gleichberechtigt wahrgenommen, das heißt auch, die Rezensenten sind in erster Linie Literaturkritiker, keine Japanspezialisten. Das mögen einige bedauern, die meisten dürften es begrüßen. Denn man nimmt ja der japanischen Literatur damit nicht ihre Besonderheit, "Schönheit und Trauer", ihre beiden Säulen, werden in der seriösen Kritik immer erkannt und gewürdigt. Sondern damit befreit man diese existentiell geprägte Literatur, die zu den großen Schöpfungen der Menschheit gehört, endgültig aus einem exotischen Ghetto. Man kann sie nicht mehr ignorieren.

    Japanische Literatur im Spiegel deutscher Rezensionen. Herausgegeben von Junko Ando, Irmela Hijiya-Kirschnereit und Matthias Hoop. (Bibliographische Arbeiten aus dem Deutschen Institut für Japanstudien, Band 9). Iudicium Verlag, München. 882 Seiten, Euro 119,-