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"Man kennt dieses Tier hauptsächlich aus dem Märchen"

In der Lausitz leben und heulen sechs Wolfsfamilien mit ihrem Nachwuchs - immerhin, muss da anerkennend gesagt werden. Markus Bathen, Wolfsfachmann des Naturschutzbundes NABU, erklärt, was ein Rudel braucht, um sich in einer Region wohlzufühlen.

Susanne Kuhlmann im Gespräch mit Markus Bathen | 19.10.2010
    Susanne Kuhlmann: Es sind schwierige Verhandlungen in der japanischen Stadt Nagoya, wo gestern die große Artenschutzkonferenz der Vereinten Nationen begann. Wissenschaftler fürchten, der Erde drohe das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Saurier. Aber es sieht nicht so aus, als könne sich die Weltgemeinschaft auf eine große Initiative zum Artenschutz einigen. Wie steht es um die kleineren Initiativen, die dort, wo sie entstehen, große Wirkung haben können? Wir blicken in die Lausitz. Dort leben sechs Wolfsfamilien mit ihrem Nachwuchs. Am Telefon ist Markus Bathen, der Wolfsexperte des Naturschutzbundes Nabu, der die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland mit seinem Projekt "Willkommen Wolf" begleitet. Guten Tag, Herr Bathen.

    Markus Bathen: Guten Tag!

    Kuhlmann: Wie werden Wölfe denn gezählt?

    Bathen: Wölfe werden gezählt, indem man das Territorium ausfindig macht, damit weiß, wo eine Familie lebt, wo die Wölfe Nachwuchs bekommen, also wo ein Wolfspaar ist, was Nachwuchs bekommt, und dann ist das eine Mischung nicht-invasives Monitoring, das heißt Fährtensuche, Kotsuche, teilweise mit genetischer Analyse, und last but not least kann man auch Fotofallen aufstellen, mit denen man dann die Chance hat, die Welpen zu fotografieren und dann zu zählen.

    Kuhlmann: Wie viel Platz braucht denn eigentlich ein Wolfsrudel, beziehungsweise wohin wandern Tiere weiter, wenn ein Revier irgendwann einmal voll ist?

    Bathen: Ein Wolfsrudel, das braucht in Mitteleuropa, damit auch hier in der Lausitz, ungefähr 300 Quadratkilometer für diese geschätzten acht Tiere. Das ist ungefähr das Stadtgebiet von München, also eine sehr, sehr geringe Dichte. Und wenn dann diese jungen Wölfe abwandern, dann sind manche dieser Tiere wirkliche Langstreckenläufer, die mehrere Tausend Kilometer laufen, und auf diese Art und Weise haben eben ostpolnische Wölfe die Lausitz besiedelt.

    Kuhlmann: Auch in einigen anderen Bundesländern sind ja schon Wölfe aufgetaucht, in Brandenburg zum Beispiel, in Niedersachsen und Hessen wurden schon welche gesehen. Wie reagiert die Bevölkerung auf Wölfe als Nachbarn, wenn auch entfernte Nachbarn?

    Bathen: Ja, als räumliche Nachbarn. Das ist dann der erste große Überraschungsmoment, so dieses Tier, was man eben aus den Weiten Osteuropas kennt, ist dann plötzlich in dem Wald, in dem man Spazieren geht. Das führt erst mal zu Irritationen. Man kennt dieses Tier hauptsächlich aus dem Märchen. Dort wird es meistens als Menschenfresser dargestellt. Mit dieser anfänglichen Irritation beginnt dann unsere Informationsarbeit, zu erklären, was macht dieser Wolf eigentlich, wie lebt er eigentlich wirklich? Er hat nichts mit Rotkäppchen zu tun, er ist ein vorsichtiges Tier, was Angst vor dem Menschen hat, eigentlich ihm aus dem Weg geht. In den zehn Jahren Wölfe in der Lausitz hat sich nie ein Wolf aggressiv einem Menschen genähert. Das bestätigen auch Beobachtungen aus anderen europäischen Wolfsregionen. Was man tun muss ist, Schafe zu schützen. Die Schafe passen in das Beutespektrum des Wolfes. Das kann man aber effektiv machen und wenn dann doch Schaden auftreten sollte, dann wird der aber auch voll ersetzt. Das sind dann auch die Maßnahmen, die dazu führen, dass die Menschen sagen, die Menschen hier in der Lausitz sagen, so schlimm wie der Wolf dargestellt wurde ist es letztlich nicht, diese Nachbarschaft funktioniert ja doch.

    Kuhlmann: Welche Bedeutung hat der Wolf für das Ökosystem?

    Bathen: Er hat wahrscheinlich eine relativ kleine Bedeutung fürs Ökosystem, weil er eben in so einer geringen Dichte vorkommt. Man kann jetzt leider nicht der Forstwirtschaft sagen, wenn der Wolf zurückkommt, werdet ihr keine Schalenwildproblematik, keine Verbissproblematik in der Forstwirtschaft mehr haben. Aber nichts desto Trotz ist er ein Element, ein bedeutendes Element als Top Relator. Er wirkt ein bisschen als Gesundheitspolizist, er nimmt kranke und schwache Tiere und verbessert damit die Überlebenssituation der gesünderen Tiere.

    Kuhlmann: Hat man eigentlich eine Chance, einen Wolf in freier Wildbahn wirklich zu sehen?

    Bathen: Da würde ich dann doch zu einer Reise in die amerikanischen Nationalparks empfehlen, auch wenn das klimatechnisch nicht ganz so sauber ist, aber hier ist es eigentlich nahezu nicht möglich. Die Tiere sind so vorsichtig, dass ein Kontakt oder eine Sichtung wenn nur aus sehr großer Distanz möglich ist, und da braucht man viel, viel Glück.

    Kuhlmann: Vorsichtige Wölfe, die sich in der Regel fern von den Menschen halten. Ein Beispiel für Artenschutz in Deutschland schilderte Markus Bathen vom Naturschutzbund NABU. Danke dafür.

    Bathen: Recht herzlichen Dank!