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"Man muss aussteigen aus dem Streichkurs"

Die Sechs-Milliarden-Euro-Hilfe gegen Jugendarbeitslosigkeit in Europa löse das Problem nicht, meint der Bremer Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. "Das kann eigentlich nur eine Begleitmaßnahme sein." Vielmehr brauche es ein Strukturprogramm, das die Wirtschaft stärke.

Rudolf Hickel im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Unwichtig, langweilig, alles nur Routine - das war ganz oft im Vorfeld des Gipfeltreffens zu hören. Schon wieder eine Spitzenrunde der Ministerpräsidenten, der Staatspräsidenten und auch der Kanzlerinnen in Brüssel. Ganz so irrelevant ist es dann doch nicht: Was tun gegen das Millionenheer von jungen Menschen in Europa ohne Job, eine der gravierendsten Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise, für viele die Folge der rigiden Sparpolitik in den Krisenländern, angeordnet aus den Reihen Brüssels, unterstützt aus den Regierungshauptstädten.

    Sechs Milliarden Euro für Europas Jugend, für die vielen, vielen Millionen arbeitslosen Jugendlichen vor allem in den südlichen Krisenländern - soweit der wichtigste Beschluss des EU-Gipfels. Darüber wollen wir nun reden mit dem Bremer Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel. Guten Tag!

    Rudolf Hickel: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Hickel, bei aller Kritik, muss das alles nur Augenwischerei sein?

    Hickel: Nein, so kann man das nicht sagen, obwohl ich die Kommentierung heute ja mitbekommen habe, dass selbst Jean-Claude Juncker sagt, es sei nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Also diejenigen, die jetzt diese sechs Milliarden freigegeben haben - und es ist völlig zurecht jetzt gerade in der Kommentierung gesagt worden -, die Voraussetzung war natürlich dafür, dass der Haushaltsplan bis 2020 steht. Das ist ja nun der Fall. Das ist schon eine erste Maßnahme. Beispielsweise finde ich innerhalb des Pakets gar nicht so wichtig die Zusage, nach vier Monaten jemand, der arbeitslos geworden ist, aus der Schule kommt, einen Job beziehungsweise einen Ausbildungsplatz zu vermitteln, sondern ich finde viel wichtiger die Maßnahme, weil die geht an die reale ökonomische Problematik heran, nämlich zu sagen, dass etwa 60 Milliarden - das war die Zahl, die Hollande heute Nacht genannt hat -, 60 Milliarden Euro gehen in Kredite, zinsgünstige Kredite, die vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Ich fasse es so zusammen: 5,6 Millionen Jugendliche unter 25 Jahre arbeitslos - alles, was da gemacht wird, ist unglaublich wichtig.

    Müller: Sie sagen, 50 bis 60 Milliarden auf Hollande bezogen. Das war die Quelle, der französische Staatspräsident. Investitionen in den Mittelstand, in die kleineren Betriebe in Form von Krediten. Ist da denn garantiert, dass dort auch Ausbildung geschaffen wird?

    Hickel: Das ist ja die ganz entscheidende Frage. Ich habe heute versucht, den ganzen Tag und den ganzen Morgen zu recherchieren, was wird eigentlich nun gemacht. Die Bundeskanzlerin hat angekündigt, wohl auch ganz ehrlich und offen eingestanden, dass sie selber noch nicht genau weiß, was mit dem Geld passiert, dass jetzt nächste Woche überhaupt erst mal ein Kongress stattfindet, in dem man die Frage dann ventiliert, welche Instrumente kann man anwenden. Da setzt jetzt die ganz große Kritik ein, die auch dazu führt, dass vielleicht doch mehr Symbolik ist als Realität, was da gemacht wird, nämlich die Kritik setzt da ein: Wer schafft eigentlich die Arbeitsplätze, wer schafft die Ausbildungsplätze. Und da sind wir wirklich am Eingemachten, nämlich in den Ländern, beispielsweise Griechenland, Portugal und Spanien, liegt ja die Ökonomie darnieder. Und ich sage klipp und klar: Solange der Grundkurs nicht geändert wird der Rettung dieser Länder, nämlich zu sagen, wenn ihr auf der einen Seite Finanzhilfen bekommt aus dem Rettungsfonds, müsst ihr auf der anderen Seite ein brutales Einsparprogramm fahren, solange diese Linie gefahren wird, schaffen wir ja mit dieser Art von sogenannter Krisenbewältigung ständig den Abbau von Arbeitsplätzen. Wir wissen, dass etwa in Griechenland allein infolge der zwei großen Streichpakete die Ökonomie um über sechs Prozent eingebrochen ist. Das heißt also, man braucht jetzt beides: Man braucht Maßnahmen zur Stärkung der Bedingungen für diejenigen Jugendlichen, die Arbeitsplätze suchen, aber auf der anderen Seite muss man die Gesamtökonomie stabilisieren. Dazu ist jetzt auf dem Gipfel überhaupt nichts gesagt worden und deshalb denke ich, man kann da ein bisschen was bewegen, aber das Grundproblem der hohen Massenarbeitslosigkeit in den Krisenstaaten, das wird erzeugt durch die Strategie der Art von Sanierung, die gefahren wird.

    Müller: Das war ja, Rudolf Hickel, auch in einigen Kommentaren der Tageszeitungen heute Morgen schon zu lesen. Symbolik - wir haben das eben auch im Korrespondentengespräch wieder gehört -, das ist so der Vorwurf. Wenn wir noch einmal bei den sechs Milliarden bleiben, dann ist es ja ungefähr so: Das sind 170 Euro im Jahr, im Schnitt jedenfalls, für einen europäischen arbeitslosen Jugendlichen. Das sind tausend Euro in sechs Jahren, heruntergebrochen 170 Euro im Jahr. Da fragen sich ja viele, die nicht operativ tätig sind, die nicht in den Details stecken: 170 Euro pro Mann, pro Frau, was soll das bringen?

    Hickel: Ja das ist genau die entscheidende Frage. Das kann eigentlich nur eine Begleitmaßnahme sein, beispielsweise in Richtung Qualifizierung, in Richtung besserer Ausbildung. Aber es löst das Problem nicht. Die Unternehmen - und das ist die Herausforderung in den Krisenstaaten - müssen in die Lage versetzt werden, wieder dauerhaft Arbeitsplätze zu schaffen, und das schafft man natürlich nicht mit einem solchen Programm von sechs Milliarden, weil die ja gar nicht unmittelbar in die Substanz gehen, der Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern da braucht man zusätzliche Maßnahmen. Deshalb betone ich ja auch die Kredithilfe an die kleineren und mittleren Unternehmen, die in der Tat auch in Spanien, vor allem aber in Portugal und Griechenland, unter einer Kreditklemme leiden, dass man da schon erste Maßnahmen vornimmt. Es wird jetzt ganz wichtig sein und hat auch ganz viel mit dem Vertrauen vor allem der jungen Menschen in das Projekt der Europäischen Union und der Euro-Gemeinschaft zu tun, jetzt auch Umsetzungsprogramme, Implementierungsprogramme zu formulieren, bei denen klar ist, dass in den Ländern auch wieder Arbeitsplätze geschaffen werden, und da muss man aussteigen aus dem Streichkurs beziehungsweise aus der Austeritätspolitik, weil die gesamtwirtschaftlich belasten. Unmittelbar hat jetzt der Internationale Währungsfonds seinen Irrtum ja eingestanden, dass er die negativen, die belastenden Wirkungen der Einsparprogramme völlig unterschätzt hat, beispielsweise in Griechenland.

    Müller: Wolfgang Schäuble hat ja neulich auch noch mal im Deutschlandfunk klipp und klar grundsätzlich die Sparpolitik der Bundesrepublik verteidigt, beziehungsweise auch das Bestehen auf den entsprechenden Reform- und Sparkursen in den Krisenländern. Wie groß ist die Verantwortung der Bundesregierung, der Bundeskanzlerin für das, was jetzt die große Krise in den Ländern ausmacht?

    Hickel: Die ganz große Verantwortung liegt natürlich bei der Bundesrepublik Deutschland. Das wird ja auch von den internationalen Organisationen signalisiert. Und ich glaube, dass die Aussage von Wolfgang Schäuble die Bundesregierung selber vielleicht auch klugerweise relativiert hat. Es ist jetzt immer von Streckung des Programms die Rede. Man sagt jetzt, man braucht mehr Zeit. Beispielsweise die Troika, die Dreiergruppe, die die ganzen Projekte durchsetzt beziehungsweise kontrolliert, diese Einsparprogramme, diese Privatisierungsprogramme, die sagen jetzt ja selber, man muss das mehr strecken. Weil es ist doch ganz klar: Wenn ich beispielsweise durch eine Lohnsenkung, wenn ich durch Entlassungen im öffentlichen Dienst die Binnenwirtschaft destabilisiere beziehungsweise zum Zusammenbruch bringe, dann kann das auch nicht am Ende zu einer wirtschaftlichen Stärkung führen. Wir haben da viel dazugelernt und ich denke, man muss natürlich längerfristig die Konsolidierung der Haushalte im Auge haben, das ist ganz klar. Aber jetzt ist Konsolidierung über eine Stärkung der wirtschaftlichen Wachstumsentwicklung wichtig, und deshalb sage ich, das Programm, die sechs Milliarden können durchaus etwas taugen, wenn sie eingepflanzt, eingebettet werden in ein Strukturprogramm, das insgesamt der Stärkung der Wirtschaft dient und vor allem dann eben auch für die Jugendlichen.

    Müller: Wir haben nur noch eine knappe halbe Minute, unser Korrespondent Gerhard Schröder wartet schon in der anderen Leitung, zugeschaltet aus dem Bundestag. Dennoch noch mal die Frage: Sie sagen, klare Verantwortung, Mitverantwortung der Bundesregierung. Gibt es dadurch, was Sie sagen, absolute Entlastung, einen Freibrief für die Verursacher?

    Hickel: Nein, überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil! Das ist ein Element und die Verursacher müssen jetzt darüber nachdenken, wie man andere Elemente im Sinne der Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung der Krisenländer beitragen beziehungsweise einfügen kann.

    Müller: Danke nach Bremen - der Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel.

    Hickel: Schönen Dank, Herr Müller.


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