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"Man will sie noch gar nicht"

Mit der Durchsetzung des elektronischen Buches werde es noch "ein paar Jahre" dauern, sagt Gottfried Honnefelder. Gleichwohl zeigt sich der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zufrieden mit dem diesjährigen Umsatzplus in seiner Branche.

Gottfried Honnefelder im Gespräch mit Christoph Schmitz | 06.10.2010
    Christoph Schmitz: Gottfried Honnefelder, wir beginnen. Als Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels lauschen Sie dem Herzschlag der Branche. Wie schlägt das Herz zurzeit?

    Gottfried Honnefelder: Der Turnus ist gesund und ich denke, er hat auch die nötige Klopfzahl. Ich habe gerade Ihrer Einspielung von der Oberbürgermeisterin Roth gelauscht. Ich muss sagen, die Pointe zwischen dem Rindfleisch und zwischen den medialen Industrien, die sehe ich gar nicht, denn auch mediale Produkte sind Lebensmittel, oder?

    Schmitz: Sicher!

    Honnefelder: Insofern müssen wir nicht an den Rio de la Plata. Und wenn Herr Westerwelle sagt, wir sollten alle nach Argentinien schauen und nach Lateinamerika, habe ich mir gedacht, Frau Strausfeld hat schon 1976 da hingeschaut und hat hier der gesamten Messe den Schwerpunkt Lateinamerika mit organisiert. Das nenne ich vorausschauend.

    Schmitz: Wir schauen aber zuerst mal auf die deutsche Buchbranche. Natürlich gibt es viele Übersetzungen aus dem Spanischsprachigen und aus dem Argentinischen. Es sind 70 Autoren da, es sind, glaube ich, 300 Titel übersetzt worden durch ein Übersetzungsprogramm der argentinischen Regierung.

    Honnefelder: 220!

    Schmitz: Aber zuerst mal ein Blick auf die Stimmungslage in den Buchverlagen. Sie kennen das sehr genau, auch die Buchhandlungen kennen Sie genau. Reden wir zuerst über die Buchhandlungen in Deutschland. Immer ist ja die Rede von der Krise, dass das Internet-Geschäft den Buchhandlungen den Garaus machen könnte, dann die vielen Online-Produkte, die es mittlerweile gibt. Wie sehen Sie es zurzeit, heute im Jahr 2010?

    Honnefelder: Entspannt! - Entspannt, denn die Furcht vor dem, was da auf den Buchhandel oder auch auf die Verleger einströmen könnte, die hat sich gelegt. Die Branche insgesamt hat festgestellt, dass die anderen Formate, die es jetzt eben digital gibt, auch nur Entgrenzungsformen von Büchern sind und dass sie genauso wie Bücher behandelt werden können. Sie produzieren sie, sie bieten sie an, der Markt ist extrem klein. Alles redet über E-Books, aber im Augenblick haben E-Books einen Marktanteil in Deutschland von noch nicht einmal einem Prozent. Aber das wird auch steigen, und vielleicht sind wir in drei oder vier Jahren bei zehn Prozent. Da wird das vielleicht irgendwo sein, so sagen die Auguren. Und wie gesagt, es gibt keine Furcht mehr vor dem digitalen Medium, sondern man hat sich längst arrangiert, mit beidem umzugehen.

    Schmitz: Der Gesamtumsatz bei Verlagen und Buchhandlungen lag 2009 bei knapp zehn Milliarden. Wie ist die Entwicklung in diesem Jahr? Ist das Buch nach wie vor kräftig, gibt es Steigerungen, oder lahmt auch dieser Markt, wie andere auch gelahmt haben?

    Honnefelder: Es ist ja etwas Merkwürdiges. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Einzelhandel nicht begriffen, dass der Buchhandel immer etwas mehr zugelegt hat als er, und das hat sich durch die Jahre bis auf zwei oder drei Jahre, wo es mal kein Plus war, durchgehalten bis jetzt. Die beiden letzten Jahre hat der Buchhandel ein schönes Plus und auch in diesem Jahr haben wir bis jetzt 0,8 Prozent - ich habe das gestern Abend bei der Eröffnung auch mitgeteilt - und es müsste eigentlich mit dem Teufel zugehen, wenn diese 0,8 Prozent sich zum Jahresende nicht halten.

    Schmitz: Oder steigern?

    Honnefelder: Vielleicht auch das.

    Schmitz: Die Verlage bringen nach wie vor ungeheuere Mengen an Büchern auf den Markt, dass man fast von einer Schwemme reden könnte. Die Leser bleiben treu?

    Honnefelder: Tja, was ist die Treue der Leser? - Die Treue der Leser kann nur eine Treue zu bestimmten Büchern, zu Texten, zu Autoren sein, aber nicht zu Verlagen. Wissen Sie, diese Rede davon, dass so viele Bücher da sind und dass der Markt riesig ist, das ist schon wahr und die Transparenz ist auch manchmal nicht immer gegeben. Aber ich habe schon als junger Buchhändler, als Verkaufsmann gesagt, wir sollten nicht von einer Überproduktion sprechen, sondern von einer Unterdistribution. Das Problem ist nicht, dass wir zu viele Bücher machen, sondern dass wir für jeden Leser die Bücher auch wirklich parat haben. Das ist das Schöne im Übrigen am deutschen Buchhandel. Sie können in eine Buchhandlung gehen und können ein Buch bestellen; binnen 24 Stunden liefert Ihnen dieser Buchhändler dieses Buch. In Amerika würden die sich an den Kopf fassen.

    Schmitz: Der Buchhandel aber leidet ja auch darunter, also nicht unter der Schwemme, dass er die Bücher nicht richtig verteilen kann an die jeweiligen spezifischen Leser, sondern unter den großen Ketten. Das ist ja ein Thema schon seit Jahren, immer wieder in der Diskussion. Gibt es da auch eine Entspannung?

    Honnefelder: Ja! - Ja! - Auch das sieht man nicht mehr als bösen Wolf im Hintergrund, sondern man hat gemerkt, welche Funktion diese Ketten haben, welche Wegbereiter sie für manche Dinge auch gewesen sind. Man weiß aber auch, welche Schwächen die Ketten haben und welche Grenzen sie haben, und sieht plötzlich auch als kleiner oder mittlerer Buchhändler, dass man mit dem richtigen Geschäftsmodell, mit dem richtigen Konzept nicht nur den Großen Paroli bieten kann, sondern überhaupt ein wunderbares Leben haben kann, wenn man es nur richtig macht.

    Schmitz: Sie haben die digitalen Medien schon angesprochen. Das elektronische Buch gibt es, E-Book nennen es fast alle. Aber tatsächlich haben doch diese digitalen Textträger - Sie haben es gesagt - bislang nur einen Marktanteil von unter einem Prozent. Seit Jahren reden aber immer alle nur vom E-Book. Warum?

    Honnefelder: Die Furcht hat man ja immer vor jemandem, und das war wohl auch hier. Man wusste nie so recht, was da auf einen zukommt. Jetzt kommt es auf einen zu. Die Verlage bieten ja schon zig Tausende Bücher digital an.

    Schmitz: Aber keiner nimmt sie doch anscheinend, oder?

    Honnefelder: Nein! Man will sie noch gar nicht. Es dauert auch noch. Der Markt entwickelt sich erst. - Dieser Hype wird natürlich auch von den verschiedenen Seiten hervorgerufen. Man darf da nie so ganz genau hinhören. Es wird noch ein paar Jahre dauern!

    Schmitz: Kann es auch sein, dass die Leser lieber Papierseiten auch in Zukunft haben werden?

    Honnefelder: Das ist für mich eine rhetorische Frage. Ich glaube, sie werden auch in Zukunft ihre Vorliebe noch für das Papier haben, aber das schließt eben jetzt das E-Book nicht aus.

    Schmitz: Noch ein Wort zum Schluss über die wichtigen Preise, die der Börsenverein installiert hat: in Leipzig der Leipziger Buchpreis, auch der Deutsche Buchpreis, der ja gerade vergeben worden ist an eine Schweizer Autorin. Ist das ein gutes Marktinstrument geworden, um die deutsche oder die deutschsprachige Literatur im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit fest zu verankern?

    Honnefelder: Der Börsenverein hat vor sechs Jahren zum ersten Mal den Deutschen Buchpreis vergeben und hat selbst nicht gewusst, dass das eine solche Erfolgsgeschichte werden sollte. Inzwischen ist es so, dass nicht nur der Buchpreis-Träger, sondern auch die Preisträger der sogenannten Shortlist - das sind die letzten sechs in der Auswahl - im Ausland in viele Sprachen übersetzt werden, was wir früher mit der deutschen Sprache überhaupt nicht erreicht haben. Also insofern ist das vor allen Dingen ein Erfolg international gesehen und ein Erfolg für die deutsche Sprache.

    Schmitz: Ein optimistischer und, kann man sagen, glücklicher Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Gottfried Honnefelder, danke schön für das Gespräch.

    Honnefelder: Ich danke auch.