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"Manchmal sieht es aus wie eine eigene Tanzperformance"

Gehörlose können über die Resonanz der Bässe Musikgefühl und Rhythmus wahrnehmen. Immer häufiger werden Musiktexte speziell für Gehörlose vermittelt. Am Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser an der Uni Hamburg wird auch das Musikdolmetschen gelehrt.

Von Ina Plodroch | 04.06.2012
    Ein zartes Gitarrenintro, schwarz weiße Bildästhetik. Eine junge Frau im Zentrum begleitet die gesungene Melodie durch Ihre Gesten. Es ist die Hollywoodschauspielerin Natalie Portman, die zusammen mit Johnny Depp den Text des Songs in Gebärdensprache darstellt. Im Video zum aktuellen Song "My Valentine" von Paul McCartney. Das also ist Popmusik für Gehörlose, keine Musik, keine Melodie - wie für uns Radiohörer. Einfach nur Songtexte zum Anschauen:

    "Was wäre, wenn es regnet? Es würde uns nicht interessieren. Sie sagte, eines Tages würde die Sonne scheinen. Sie hatte Recht, meine Liebe."

    Denn für Gehörlose klingt Musik sonst allenfalls so:

    "(Musik: nur Bass.)"

    Paul McCartney ist nicht der einzige, der seine Musik Gehörlosen nahe bringen will. Nina Mühl aus Frankfurt zum Beispiel performt deutsche Songtexte in Gebärdensprache.

    "Ich versuche erst mal, das so grob zu übersetzen, fange meist mit dem Refrain an bei den Liedern. Und dann gehe ich die Strophen durch, übersetze das Wort für Wort."

    "Ich bin der König der Stadtmitte. Mein Palast in eine selbst gebastelte Papphütte. Und meine Krone ist eine Baskmütze, mit meinem Zepter durchwühle ich die Abfälle."

    Die Hip-Hop-Blasmusik von Moop Mama läuft im Hintergrund. Nina Mühl formt mit ihren Händen die Gebärden dazu, ihre Kamera nimmt sie dabei auf. Kurz danach lädt sie das Video bei YouTube hoch.

    ""Die Vorbereitung dauert immer länger, aber in ein bis zwei Stunden ist das Video im Kasten."

    "Also wir waren alle ziemlich geflasht, als wir es das erste Mal gesehen haben."

    Keno Langbein ist Rapper bei Moop Mama.

    "Es macht Sinn für mich als ästhetisches Ereignis zum Zugucken, ich finde es toll und ich finde es interessant. Wir haben das auch ein paar Mal schon live gemacht, was im Gegensatz dazu ein bisschen schwieriger ist."

    Nina Mühl versucht dann neben der Textübersetzung mit Mimik und Gebärden auch darzustellen, was die elf Musiker mit Rap, Trompete, Blech und Schlagzeug rüberbringen.

    "Weil man natürlich extremen Fokus braucht auf die Hände und auf den Ausschnitt Gesicht und Hände. Was live leider nicht so gut funktioniert, weil da einfach viel zu viel los ist."

    In den USA scheint das bereits etabliert: Auf dem Coachella Festival zum Beispiel bei den Auftritten von Bon Iver, The Black Keys oder Radiohead.

    "Man kann eigentlich theoretisch fast alles machen,"

    erklärt Simone Scholl vom Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser.

    "Wenn man jetzt siebenmal nacheinander 'I love you yeah yeah yeah' hat, dann wird es eng für die Dolmetscher. Da muss man sich schon sehr viel Anderweitiges einfallen lassen, um das noch halbwegs attraktiv aussehen zu lassen."

    Manchmal sieht es aus wie eine eigene Tanzperformance, wenn die Gebärdendolmetscher Rhythmus und Text eines Songs darstellen. Schwierig wird es, den Klang der Musik auszudrücken, das zarte Streichen einer Geige, klare Komposition auf einem Klavier oder eine berührende Melodie.

    "Melodie kann man etwa durch kleinere, größere Bewegungen darstellen, aber wirklich anzunehmen, dass Gehörlose dann erkennen: ‚Aha, das ist die und die Melodie geht natürlich nicht’ weil die nie im Leben eine Melodie gehört haben."

    Und trotzdem spielt Musik eine Rolle. Nur eben anders. Als Schwingung, Bass oder Beats. Auf Deaf-Parties legen schwerhörige DJs tiefe Bässe auf und auf der Maydeaf treffen sich fast 1000 Gehörlose zum Techno-Event.

    "Die fühlen die Musik dafür, was wir wahrscheinlich eher weniger empfinden. Die Gehörlosen orientieren sich oft an den Vibrationen der Musik auf dem Boden."

    Gebärdendolmetscher öffnen den Gehörlosen eine Tür in die Popwelt. Oder den Hörenden in die Gebärden-Welt. Paul McCartneys Video in Gebärdensprache hat fast vier Millionen Klicks.