Ich bin Mandäerin. Mit diesem Satz erntet Sally Murrani, die mit ihren Eltern im südenglischen Plymouth lebt, stets nur fragende Blicke. Das hat sie noch nie anders erlebt.
"Wenn wir gefragt werden, wer wir sind oder was unsere Religion ist, dann hat von den Mandäern noch nie jemand etwas gehört. Obwohl die Wurzeln sehr weit zurückgehen: Es gibt sie seit tausenden Jahren."
Auch wenn sich Sally an die Frage mittlerweile gewöhnt hat - sie verließ ihr Heimatland Irak bereits vor 18 Jahren. Ganz leicht fällt es ihr immer noch nicht, über den mandäischen Glauben zu sprechen, mit dem sie ganz selbstverständlich aufgewachsen ist.
"Es geht nicht darum, andere vom Mandäismus zu überzeugen oder die Vorzüge der Religion darzustellen. Mandäismus ist eine geschlossene Gemeinschaft, konvertieren kann man nicht. Deswegen sind wir es nicht gewöhnt, darüber zu reden. Außerdem ist Glaube bei uns etwas sehr Privates, Spirituelles."
Wasser spielt eine wichtige Rolle
Mandäer ist nur, wessen Eltern schon dem Glauben angehörten. Vermutlich ein Grund, warum über diese monotheistische Religion aus der Spätantike wenig bekannt ist. Im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus entstanden viele neue Religionsgemeinschaften – so auch der Mandäismus. Mandäer gelten als letzte gnostische Religion. Im Koran finden sie unter dem Namen Sabier Erwähnung. Über Jahrhunderte lebten Mandäer im Zweistromland um Euphrat und Tigris, im heutigen Grenzgebiet zwischen Iran und Irak. Fließende Gewässer sind in der Religion von großer Bedeutung. Direkt am Flussufer praktizieren die Mandäer ihre Rituale. Professorin Christine Robins leitet das Institut für islamische und arabische Studien in Exeter. Sie hat zu den Mandäern geforscht und wurde dazu kürzlich von der BBC interviewt:
"Die Mandäer glauben, dass die Seele ewig lebt und dass man nach dem Verlassen der Erde über Umwege in die Lichtwelt gelangt. Und Elemente aus dieser Lichtwelt bereiten den Weg dorthin. Wichtig sind fließende Gewässer, denn sie bringen die Kraft der Lichtwelt zu den Gläubigen - und haben eine reinigende Wirkung. Und das Wasser hat noch viele weitere Effekte. Für uns sind sie vielleicht ein Mysterium, für Mandäer sind sie aber sehr bedeutsam."
Fast fünf Jahre lang haben Robins und ihr Team gemeinsam mit Wissenschaftlern von der Universität Leiden die Riten und Traditionen dokumentiert. Entstanden ist ein Archiv aus Fotos, Videos und Texten über den Mandäismus von heute.
"Die Geschichte, die Sprache und die Schriften der Mandäer sind wissenschaftlich recht gut erforscht. Wenig ist hingegen über das heutige Leben der Mandäer bekannt. Wir wissen, dass die Religion und ihre Gemeinden bedroht sind, denn wir gehen davon aus, dass es weltweit nur noch 60.000 Mandäer gibt. In unserer Studie haben wir uns auf die Priester als Hüter des Wissens konzentriert. Wir denken, dass es weltweit nur 42 Priester gibt."
Komplexe Rituale
Ein Mann mit langem grauem Bart, in weiße Gewänder gekleidet, steigt in einen Fluss hinab. Immer wieder benetzt er seinen Kopf, um den er einen dünnen weißen Schal gelegt hat, mit Wasser. Ein jüngerer Mann unterstützt ihn dabei. Das jetzt nasse Tuch auf dem Kopf lässt einen Kranz aus gebundener Myrte durchscheinen. Hier wird eine Taufe gefeiert, an einem hohen Feiertag. Die Taufe ist in der Religion, die sich in der Tradition Johannes des Täufers sieht, ein zentrales Element. Viele Rituale der Mandäer sind komplex, sie können bis zu zwölf Stunden dauern. Dabei zitieren die Priester Gebete auf Mandäisch – einem Dialekt des Aramäischen. Sally Murrani kennt die Rituale vor allem aus ihrer Kindheit und Jugend im Irak:
"Diese Rituale wurden von den Priestern am Andachtsort, der Mandi vollzogen. Wann immer zum Beispiel jemand geheiratet hat, waren wir dabei. Die Hochzeitszeremonie hat den ganzen Tag gedauert. Es ist ein ausgefeiltes, komplexes Ritual, das von den Priestern akribisch genau ausgeführt wurde. Dann wurde ein symbolisches Häuschen aus Schilf geflochten. Und wir haben gefeiert, gesungen und getanzt. Es war eine wundervolle Zeit. Das sind die Erinnerungen, von denen ich zehre. Hier gibt es das alles leider nicht."
Verstreut über die gesamte Welt
In Großbritannien leben insgesamt etwa 1.000 Mandäer. Darunter ist allerdings kein einziger Priester.
"Ohne Priester gibt es keine Rituale, denn normale Gemeindemitglieder können keine Taufen zelebrieren. Das ist Priestern vorbehalten. Und dieses Ambiente als Ganzes, der gesellige Teil – das gibt es hier natürlich auch nicht."
Dieser gemeinsame Geist, der ihre Religion auszeichnet, der fehlt auch Sallys Eltern. Ihr Vater Waleed Al-Murrani betrachtet Fotos von früher. Prägende lebendige Erinnerungen, festgehalten in schwarz-weiß. Auf einem Bild ist er an seinem Hochzeitstag zu sehen, im rituellem Gewand am Fluss. Ein anderes zeigt ihn als Kind im Kreise seiner Freunde. Sieben Jungs, die in die Kamera strahlen: Um die dreizehn Jahre alt müssten sie damals gewesen sein. Waleed geht reihum durch.
Schweden, Kanada, Australien, Irak, USA, Ägypten. Seine Freunde von damals leben über die gesamte Welt verstreut. Typisch mandäische Lebenswege. In Waleeds Kindheit in seinem Heimatort im Südirak lebten die Mandäer in benachbarten Straßenzügen. Sie waren eine große Familie. Der Fluss Tigris ganz nah. Doch das ist Vergangenheit. Waleeds Tochter Sally Murrani widmet sich jetzt auch in ihrer Doktorarbeit den Mandäern. Sie betrachtet das Alphabet in einem Buch, das einst ihre Tante verfasst hat. Sie hat angefangen, sich Mandäisch beizubringen.
"Das mandäische Alphabet beginnt mit einem 'Ä' und endet mit einem 'Ä'. Es symbolisiert den Kreislauf. Wo du beginnst, hörst du auf, und wo du endest, beginnst du wieder."
Die Familie Murrani bemüht sich, so viele mandäische Traditionen wie möglich zu bewahren. Gleich neben der Haustür steht eine zunächst unauffällige Pflanze in einem Blumentopf: Myrte, die für alle die wichtigen mandäischen Rituale gebraucht wird. Offen ist, ob auch der Mandäismus in der neuen Heimat Wurzeln schlagen kann.