Ah, da bist du ja wieder, sagt Jonathan Sambara, klappt den prächtigen rot-goldenen Sargdeckel vollständig zur Seite und hebt seinen Vater langsam heraus. Freudig und vorsichtig trägt er ihn aus der Grabkammer und lehnt ihn davor an einer schwarzgemusterten Säule in die Sonne.
Sein Vater Daniel ist seit sechs Jahren tot, seine Nase wird langsam schwarz, die graue, ledrige Haut spannt über dem steifen Körper, aber er trägt ein traditionelles Batikhemd, Hose, seine Brille, und die Kopfbedeckung des Dorfchefs, der er bis zu seinem Tod war. Während Jonathan ihm die schwarzen Schuhe hinstellt, kuschelt sich die Mutter an den Arm ihres Mannes. Willkommen beim Bergvolk der Toraja, willkommen zur Ma’Nene, dem Fest der Zusammenkunft.
"Ich bin glücklich, es ist immer noch ein Vergnügen, ihn zu treffen. Er ist in guter Verfassung – bei vielen Leuten ist schon gar nichts mehr da, nur noch Knochen", sagt Ludia Limbong.
Die Witwe lebt jetzt auf Papua, ganz im Osten Indonesiens, dort, wo ihr Mann lange Jahre erfolgreicher Bauunternehmer war. Doch zur Ma’Nene kommt sie immer zurück in ihr Dorf Lempo Poton. Sie hält den Arm ihres Mannes fest – seiner Mumie, eher gesagt. Das macht für sie keinen Unterschied.
Familienfest mit Toten
Sohn Jonathan macht mit einem Pinsel währenddessen die Ohren, das Gesicht und die Brust seines Vaters sauber, rückt die Kappe zurecht und ermutigt neugierige Besucher, ruhig die Hand seines Vaters zu berühren.
"Hallo, ich bin Daniel Sambara. Wie geht’s? Mir geht’s gut!"
So albert der 43-Jährige mit der Ferrari-Kappe mit der Leiche seines Vaters herum. Was auf den ersten Blick makaber wirkt, ist für die Angehörigen eine Zeit der Freude - sie sehen ihren Mann wieder, ihren Großvater, jemand, der ihnen fehlt.
"Ich bin stolz und froh über diese Zeit, denn es fühlt sich so an, als wäre er immer noch in unserer Welt und die nächste Generation kann ihn kennenlernen."
Kleinkinder beschauen neugierig ihren Opa, Enkel im Teenageralter machen Selfies mit ihm.
"Die Kinder haben keine Angst, die Eltern haben ihnen alles erklärt und gesagt, sie müssen sich nicht fürchten, das ist alles normal."
Ma’Nene ist ein Familienfest, das Fest der Zusammenkunft, alle Verwandten kommen, zehn Tage lang werden die Gräber wichtiger Personen geöffnet, reihum kommt das ganze Dorf erst hierhin, dann dorthin – viele der Familien sind miteinander verwandt, darum finden sich immer wieder dieselben Menschen vor den verschiedenen Gräbern ein.
Gruppenbild mit Toten
Blut fließt die Straße entlang. Keinen Kilometer vom Grab Daniel Sambaras entfernt stehen drei weitere Grabstätten der Familie Sambara - es ist ein großer Clan. Eben ist ein Wasserbüffel geopfert worden, sein Körper wird auf der Straße zerteilt, die Gedärme gewaschen, das Fleisch wird gleich im großen Fass über Feuer gekocht und dann von allen verspeist.
"Das Blut des Büffels ist wichtig, es bildet eine Brücke für die Verstorbenen ins Jenseits", erklärt Jonathan.
Es ist Volksfeststimmung. Der Eismann ist mit seinem Moped angekommen und lässt seine Erkennungsmelodie in Dauerschleife laufen, eine fliegende Händlerin hat sich mit ihren Waren eingefunden. Gerade wickeln zwei Töchter ihre Eltern aus, die seit dreißig Jahren tot sind. Gemeinsam lösen sie die alten Tücher und Kleider von den ledrigen Körpern - sie lassen sie von beiden Seiten ein wenig in der Sonne liegen, damit sie gut trocknen und noch besser mumifiziert werden. Und dann präsentieren sie sich zum Gruppenbild, Lebender neben Totem neben Lebendem neben Totem neben Lebenden, und ein Mitglied der Familie begrüßt alle feierlich:
"Ladies and Gentlemen!"
Er tut das auf Englisch, damit auch die Zuschauer, die nicht zum Volk der Toraja gehören, ihn verstehen. Denn tatsächlich sind einige Touristen hier, aus Frankreich, Italien, auch anderen Teilen Indonesiens. Denn nur hier, hoch oben in den bewaldeten Bergen von Süd-Sulawesi gibt es diese besondere Sitte der Ma’Nene, bei der die Toten auch tatsächlich aus den Gräbern geholt und frisch gemacht werden. Ludia Limbong, die Frau von Daniel Sambara, sieht das als Zeit der Zärtlichkeit an, und für Ardi Lulun ist der Dienst am Toten auch ein Dienst an der gesamten Familie:
"Das machen wir von Herzen, denn wir glauben, wenn wir das Beste für unsere Ahnen tun, wird unsere Familie bald viel Glück haben."
Wettstreit um die besterhaltenen Toten
Ardi ist sowohl der Enkel von Daniel Sambara als auch verwandt mit Romeo und Julia - also, dem Paar, das eben mit großem Tamtam ausgewickelt wurde. Romeo und Julia werden die beiden im Dorf genannt, weil sie so viele, viele Jahre so glücklich verheiratet waren. Jetzt stehen sie wiedervereint nebeneinander an der Säule vor ihrem Grabhaus in der Sonne: Romeo mit großer Sonnenbrille im Gesicht, und Batikhemd um den Körper, Julia mit pink und bunt geblümtem Gewand und Kopftuch auf dem kahlen Schädel. Dreißig Jahre sind sie tot, aber noch gut erhalten.
Der Zustand der Körper ist ganz unterschiedlich – das ist auch eine Art Wettstreit, die Familien sind stolz, wenn ihre Toten noch ganz sind, wenn man sie noch aufstellen kann. Manchmal ist die Enttäuschung groß, wenn ein Sarg nach drei Jahren wieder geöffnet wird: Ungeziefer und Feuchtigkeit können an den Körpern ihr zerstörerisches Werk verrichten – so wie bei zweien von Ardis Verwandten.
Die haben nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem Foto aus Lebenszeiten, das vor jedem Sarg präsentiert wird. Also nageln die Angehörigen die Särge schnell wieder zu. Sobald die Körper drohen, auseinanderzufallen, lassen die Familien sie in ihren Särgen. Die werden geputzt, das ganze Grab wird gereinigt und schön gemacht – das ist nur während dieser zehn Tage der Ma’Nene erlaubt, in den drei Jahren dazwischen nicht, das bringe Unglück.
Christentum und alte Bräuche
Fast alle Toraja sind Christen – aber die alten Bräuche und ihr Glaube können gut nebeneinander existieren. Zur feierlichen Graböffnung spricht die Priesterin ein Gebet, dort, wo eben noch der Büffel zerhackt wurde. Am nächsten Tag, einem Sonntag, gehen die Familien in die Kirche – und die Männer danach zum Hahnenkampf. Der ist zwar illegal, gehört aber auch zur Ma’Nene. Und am letzten Tag des Festes:
"Am 30. August opfert jede Familie einen Büffel und ein Schwein."
Für alle, die sie wiedergesehen haben. Die Brücke ins Jenseits wird hier aus Blut gebaut. Als Daniel Sambara vor sechs Jahren beerdigt wurde, mussten – je nachdem, wen man fragt – 125 oder aber mehr als 300 Büffel ihr Leben lassen. Auf jeden Fall so viele, wie es sich für einen Dorfchef gehört. Das war ein Jahr nach seinem Tod – bis dahin wurde er im Wohnhaus aufbewahrt:
"Eigentlich wollte er nicht länger im Haus bleiben, aber eine Enkelin, die in Yogyakarta studiert, konnte nicht eher kommen, also hat er ein Jahr im Haus gewartet."
Warten auf die Beerdigung
Solange der Verstorbene nicht beerdigt ist, gilt er nicht als tot, nur als krank. So einen Kranken hat auch Ester Bu’tu im Haus. Ihr Mann Elias ist vor einem halben Jahr gestorben.
"Aber wir können ihn erst im nächsten Juni beerdigen, es müssen alle zusammenkommen."
So lange liegt er in einer Kiste mit einem geblümten Tuch zugedeckt im Zimmer der Tochter, die auf die Universität geht.
"Ich setze mich manchmal zu ihm und trinke Tee mit ihm."
Niemand findet das merkwürdig, alle wachsen mit diesen Sitten auf. Und als Elias Mann gerade gestorben war, da haben ihm alle Familienmitglieder gemeinsam Formalin gespritzt, wie hier üblich - damit er nach seiner Beerdigung bei der nächsten Ma’Nene auch noch gut erhalten ist.