Eigentlich ist in der Mangareihe "Sherlock" alles wie in der Original BBC-Serie: Sherlock erledigt schon mal stilsicher einen Angreifer und verliert kein Wort darüber gegenüber Watson. Während der an der Supermarktkasse kapituliert, weil die Geldkarte streikt.
"Warum gehen Sie nicht einkaufen, Sie sitzen doch den ganzen Morgen eh nur rum. Sie haben sich kein bisschen bewegt."
Kunstvoller Abklatsch
Und dem alten Schulfreund und Banker Sebastian erklärt Sherlock messerscharf, warum er erkannt hat, dass der in einem Monat zwei Mal um die Welt gereist ist.
"Ich habe draußen mit deiner Sekretärin geredet, die hat es mir gesagt."
Nein, das ist natürlich nur Understatement. Tatsächlich hat die Armbanduhr den Banker verraten, wie Sherlock ein paar Seiten später seinem Freund Watson erklärt: die Datumsanzeige seiner Uhr geht zwei Tage nach.
"Er hat also zwei Mal die Datumsgrenze überflogen. Und die Uhr ist ein neues Modell, das erst diesen Monat rauskam."
Ein herrliches Spiel mit Sherlock-Holmes-Klischees im zeitgenössischen Setting. "Der Blinde Banker" heißt Band 2, und es geht um einen chinesischen Schmuggler-Ring. Eigentlich also ein Abklatsch der Fernsehserie - allerdings ein ausgesprochen kunstvoller. Und zwar nicht nur, weil Mangaka Jay die Arbeit so virtuos beherrscht, sondern auch, weil Sherlock so gut zur traditionell rasanten Bildsprache des Mangas passt. Da fliegt der Leser schon mal mit Sherlock durch den Raum, wenn gekämpft wird. So entsprechen die Zeichnungen den prägnanten Kameraschwenks und Zooms, für die die Serie berühmt ist: Wenn Holmes denkt, verschwimmen im Manga die Hintergründe, als würde er daran vorbeirauschen und zum Punkt kommen. "Sherlock" ist also allerbeste Unterhaltung und ein wunderbarer Einstiegsmanga für Erwachsene.
"Kill Bill" im 19. Jahrhundert
Einen Einblick in die vielfältigen Genregesetze des Manga bietet der gerade auf Deutsch erschienene Historien-Aktion-Klassiker "Lady Snowblood". Diese Lady, die meist im traditionellen Kimono auftritt, ist eine japanische Superheldin und zugleich Bewahrerin der alten Ordnung. Wenn die Upperclass des ausgehenden 19. Jahrhunderts sich auf Kosten des Volkes der Prunksucht hingibt, mischt sie die entsprechenden Etablissements auf. Und wenn die geordnete Unterwelt von einem Oberschurken gekapert werden soll, bringt sie den zur Strecke.
"Lady Snowblood" ist Anfang der 1970er Jahre entstanden. Mangastar Koike hat einen monumentalen Thriller entwickelt. Denn zwischen die Superhelden-Episoden spinnt er über rund 1400 Seiten die Geschichte der Lady Snowblood ein: ein Kind, das im Gefängnis geboren wurde, weil deren Mutter Opfer von brutalen Verbrechern war. Snowblood lässt sich in langen Trainings zur Killerin ausbilden, die nur ein Lebensziel hat: Rache üben. Klingt irgendwie bekannt? Tatsächlich, Quentin Tarantin ließ sich von "Lady Snowblood" zu seinem Film "Kill Bill" inspirieren.
Präzise und melancholisch
"Der Mensch ist in seinem Herzen / Ein Gefangener - verkümmert allein / Ächzend unter der Traurigkeit."
So poetisch kommen die Zwischentitel des aktuellen Manga "Unlucky Young Men" daher. Eine Dokufiktion über die enttäuschte japanische Jugend der 1960er-Jahre, in der die Studentenrevolte genauso verarbeitet wird, wie ein bis heute unaufgeklärter Raubüberfall. Geschickt verwebt Autor Eiji Otsuka Zeitgeschichte und Fiktion zu einer Hommage an Kino und Musik dieser Zeit. Und lässt den damals jungen und noch erfolglosen Fernseh- und Kinostar Takeshi Kitano eine tragende Rolle spielen.
"Düstere Wolken / Ich blicke zum Himmel / Ich habe Lust, zu töten"
Allein dieses hartgesotten-melancholische Gewebe macht den Manga lesenswert. Dazu kommen noch atemberaubend präzise gezeichnete Schwarz-Weiß-Bilder: Eine Langspielplatte etwa sieht mit ihren glänzenden Rillen so täuschend echt aus, dass man Sorge hat, sie könnte beim Umblättern Kratzer bekommen. Außerdem spielt der Zeichner Kamui Fujiwara so geschickt mit Perspektiven, dass die Straßenschluchten Tokios ebenso atemberaubend wirken, wie eine Verfolgungsjagd. Und erzeugt dann enge Räume, die sich ganz leicht wölben. Das sieht man weniger, sondern spürt eher ein Unbehagen, das die jungen japanischen Wilden durch den ganzen Manga begleitet. "Unlucky Young Men" ist große Mangakunst.
Alle drei Mangas sind bei Carlsen erschienen.