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Mangel an LKW-Fahrern
Branchenverband: Situation in Deutschland ähnlich schlecht wie in Großbritannien

"Wir schlittern in einen schleichenden Versorgungskollaps hinein", sagte BGL-Hauptgeschäftsführer Dirk Engelhardt im Dlf. Auch in Deutschland fehlten bis zu 80.000 LKW-Fahrer. Als Ursache nannte er drei Gründe. Verbesserungen seien dringend notwendig - sonst drohe eine "Situation wie in England".

Dirk Engelhardt im Gespräch mit Birgid Becker |
Lastwagen und Autos fahren nahe der Abfahrt Lanke auf der Autobahn A 10 in beiden Richtungen.
Das Transportlogistikgewerbe ist in der Krise - auch in Deutschland (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Soeren Stache)
Lange Schlangen an Tankstellen, leere Supermarktregale - in Großbritannien kommt es derzeit zu massiven Versorgungsengpässen, unter anderem weil es zu wenige LKW-Fahrer gibt. Der britische Branchenverbrand der Spediteure schätzt, dass im Land rund 100.000 Trucker fehlen. In Deutschland ist die Situation offenbar ähnlich ernst. "Unseren Schätzungen zufolge fehlen in Deutschland 60.000-80.000 Fahrer", sagte Dirk Engelhardt*, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), im Deutschlandfunk.
Dem Gewerbe fehlt schlicht der Nachwuchs. "In Deutschland gehen jedes Jahr rund 30.000 Berufskraftfahrer in Rente, aber nur 15.000 neue werden ausgebildet. Wir schlittern in einen schleichenden Versorgungskollaps hinein", warnte Engelhardt. "Und es wird jedes Jahr schlimmer, weil es immer schwerer wird, Fachpersonal zu finden."

"Sozialdumping muss endlich ein Ende haben"

Die größten Probleme der Branche seien die zu geringe Entlohnung, das Image des Berufes sowie die allgemeine Verkehrslage in Deutschland. Aber auch die Vereinbarkeit des Berufes mit Privat- und Familienleben sei ein Minuspunkt.
In den vergangenen Jahren seien zunehmend Transportunternehmen aus osteuropäischen Ländern eingesetzt worden, bei denen der Mindestlohn bei zwei Euro beginne, kritisierte Engelhardt. "Das kann der deutsche Mittelständler nicht kompensieren. Dieses Sozialdumping muss hier endlich ein Ende haben", forderte er.
Man habe sich deswegen in Brüssel für das Mobilitätspaket eingesetzt, welches in großen Teilen ab kommendem Jahr in Kraft trete und die Löhne zwangsläufig steigen ließe. "Osteuropäische Fahrer sind über Monate in Deutschland und Westeuropa im Einsatz, und das stellenweise unter menschenunwürdigen Bedingungen. Dem muss ein Ende gesetzt werden, damit der Job wieder für alle attraktiver wird", sagte der BGL-Hauptgeschäftsführer.

"Menschunwürdige Behandlung"

Von den Arbeitgebern würden die Fahrer inzwischen gut behandelt, auch seien die LKW inzwischen sehr gut ausgestattet. "Aber bei den Kunden, bei der Industrie werden sie immer noch teilweise menschenunwürdig behandelt." Bei einem großen Verlader in der Automobilbranche dürften die LKW-Fahrer nicht einmal die sanitären Anlagen benutzen, wenn sie die Ware anliefern. "Das ist in 2021 nicht hinnehmbar", betonte Engelhardt. Der Verband mache sich für eine Änderung der Arbeitsstättenrichtlinie stark, damit ein solcher Zugang gewährt werden müsse.
"Außerdem suchen wir den Dialog mit den anderen Handelsverbänden, um gemeinsam Verbesserungen herbeizuführen", sagte Engelhardt. "Ansonsten haben wir irgendwann die Situation wie in England."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
* An mehreren Stellen wurde ein Nachname korrigiert.