Kritik am ÖRR
Kommentar: Ein "Manifest" der Behauptungen

Ein "Manifest" fordert eine Reform der Öffentlich-Rechtlichen. Es beklagt unter anderem eine Eingrenzung des Debattenraums. Dlf-Redakteur Martin Krebbers widerspricht: Er erlebe keine Sprechverbote. Doch das Manifest setze auch richtige Akzente.

Ein Kommentar von Martin Krebbers | 07.04.2024
Auf einem Schild sind die Logos von ARD, ZDF und Deutschlandradio zu sehen.
Sollen nach Auffassung der "Manifest"-Unterzeichner reformiert werden: ARD, ZDF und das Deutschlandradio. (picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
Es rumort in den Redaktionen, endlich regt sich Widerstand – so kommentierten manche Beobachter unmittelbar das sogenannte Manifest zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. „Mehr und mehr Risse im grünrot lackierten Heile-Welt-Konstrukt der Sender“, jubilierte etwa der geschätzte Chefredakteur der "Welt". Doch er liegt falsch.  
Rund 100 Erstunterzeichner geben sich mit Klarnamen zu erkennen, darunter sind nur wenige aktive Journalisten aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. 33 Mitarbeiter der Sender sollen ihre Unterschriften anonym bei einem Anwalt hinterlegt haben. Alle Übrigen sind bunt gemischt: Orchestermusiker, ein Software-Architekt, ein Mathematiker, Schauspieler, Künstler und einige Ex-Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Sender. Nicht bei jedem erschließt sich, wofür oder wogegen und auf welcher Wissensbasis er oder sie da eigentlich unterschrieben hat.

Wer die Debatte will, muss Klartext sprechen

Die Erklärung selbst ist nämlich so divers wie ihre Urheberschaft: Da wird eine Eingrenzung des Debattenraums und der inneren Pressefreiheit ebenso beklagt, wie die Besetzung der Kontrollgremien, die Existenzängste freier Mitarbeitenden oder durchformatierte Radioprogramme. Schwierig zu sagen, wo man da zuerst anfangen soll.
Eines wird der Text dabei selten, nämlich konkret: Welche konträren Stimmen wurden mundtot gemacht, wie behauptet wird? Wo werden abwertende Formulierungen verwendet? Welche Kultur- und Bildungsangebote werden „dramatisch ausgedünnt“? Da wird viel geraunt und behauptet. Doch wer die Debatte will, muss Klartext sprechen.

Die innere Pressefreiheit ist quicklebendig

Und es geht deutlich konkreter: Ich habe in meinem Leben für viele öffentlich-rechtliche Redaktionen gearbeitet, im rbb, im ZDF und heute im Deutschlandfunk. Die innere Pressefreiheit ist quicklebendig. Jeden Tag wird meinungsfreudig diskutiert. Ich erlebe weder Sprechverbote noch verordnete Denkmuster. Allerdings ist man sich in vielem zu schnell zu einig. Vielleicht ist eher das ein Problem.
In einem Gastkommentar in der "Zeit" beklagte der WDR-Nachrichtenchef Stefan Brandenburg vor Kurzem eine gewisse Konformität in den Redaktionen. Wir seien uns zu ähnlich, schreibt er und könnte Recht damit haben: Große Medienhäuser senden aus großen Städten, der Deutschlandfunk etwa aus der Millionenstadt Köln, nicht aus Harsewinkel und auch nicht aus Zwickau. In Redaktionen arbeiten mehrheitlich Akademiker. Sie leben in urbanen Milieus. Viele haben Geistes- oder Sozialwissenschaften studiert. All das prägt Perspektiven.

Wir müssen wieder verschiedener werden

Das muss sich ändern. Wir müssen wieder verschiedener werden, reicher an Sichtweisen und Einstellungen, in Biografien und Prägungen. Das gelingt durch Nachwuchsförderung und kluge Personalpolitik.

Wenn der Text eine Eingrenzung des Debattenraums beklagt, dann klingt das nach einer Macht, die aktiv die Grenzen des Sagbaren verschiebt. Konformität aber wird nicht verordnet, sie wächst höchstens heran.

Dem Rundfunk einen Bärendienst erwiesen

Aber das sogenannte Manifest setzt auch richtige Akzente: Zu wenige feste Stellen und damit zukunftssichere Perspektiven für freie Mitarbeiter, zu groß die Fixierung auf die Quote, zu durchformatiert einige Hörfunkwellen. Doch es verliert sich in einer Vielzahl von großen und kleinen Punkten, bei denen sich jeder – auch jeder Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – das Passende herausbrechen wird. Die Unterzeichner des Manifests sehen sich als Hüter dieses Rundfunks – sie haben ihm einen Bärendienst erwiesen.