Nach Bekanntwerden des Skandals bei VW habe sein Ministerium mit den Autoherstellern in Baden-Württemberg Kontakt aufgenommen und dort von "höchster Ebene" erfahren, dass sie "auf keinen Fall Vergleichbares vorgenommen hätten", sagte Hermann.
Nun müsse geklärt werden, ob sie nichts davon gewusst oder gelogen hätten. "Wenn es wirklich um eine Million Fahrzeuge geht, ist es nicht sehr glaubwürdig, dass das ohne Kenntnis von niemandem geschehen ist", so Hermann.
Hermann warf Bundesverkehrsminister Dobrindt vor, seit Beginn des Abgasskandals vor zwei Jahren zu zögerlich gehandelt zu haben. "Er hätte mehr tun müssen." Dobrindt müsse nun auch dafür sorgen, dass Dieselfahrzeuge sauber werden. "Er muss bei der Nachrüstung und bei der der blauen Plakette die Blockade aufgeben", so Hermann. Denn der Diesel werde auch in Zukunft als Übergangstechnologie eine Rolle spielen.
Aber auch die Autoindustrie selbst sei gefragt, um aus der Krise herauszukommen.
Das Interview in voller Länge:
Stefan Heinlein: Daimler, weltweit ein Begriff deutscher Wertarbeit, das Aushängeschild der heimischen Automobilindustrie. Der Stern auf der Motorhaube galt als das Gütesiegel auf den Straßen. Doch im glänzenden Lack der schwäbischen Edelkarossen drohen tiefe Kratzer. Offenbar ist der Stuttgarter Autobauer tiefer verstrickt in den Diesel-Skandal, als bislang angenommen. Getrickst, getäuscht und betrogen wurde nicht nur im hohen Norden bei Volkswagen; auch beim Daimler ist die Schummel-Software unter der Motorhaube. Die Konzernmanager mussten bei Verkehrsminister Dobrindt zum Rapport.
Mitgehört hat der Grünen-Politiker Winfried Hermann, Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Guten Morgen nach Stuttgart.
Winfried Hermann: Guten Morgen.
Heinlein: Herr Hermann, haben Sie es schon immer geahnt, auch der Daimler hat Dreck am Stecken?
Hermann: Nein. Wir haben gleich nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals von VW in Baden-Württemberg Kontakt aufgenommen mit den Herstellern, Mercedes, Porsche und Audi, und haben von höchster Ebene, von den Verantwortlichen erfahren, dass sie auf gar keinen Fall vergleichbare Manipulationen vorgenommen hätten, wie das bei VW zutage gekommen ist. Insofern haben wir schon auch gezielt nachgefragt, weil wir wissen wollten, ob das auch unsere Unternehmen betrifft, und haben eigentlich die Antwort bekommen, nie und gar nicht und wir waren immer legal.
Insofern ist das schon auch sehr irritierend, dass jetzt diese Untersuchungen stattfinden, und die Vorwürfe sind ja schwerwiegend.
Es sind erst mal Vorwürfe, die natürlich gerichtlich jetzt überprüft werden müssen. Insofern muss man etwas zurückhaltend sein. Das verstehe ich auch, dass mein Bundesministerkollege da auch zurückhaltend ist und auf die Justiz verweist. Aber er hat natürlich auch eine eigene Verantwortung mit dem Kraftfahrtbundesamt.
"Entweder haben sie es nicht gewusst oder sie haben es nicht gesagt"
Heinlein: Darüber müssen wir gleich reden. – Sie sagen, sehr irritierend ist das, was da jetzt aus Stuttgart zu hören ist, dass man vorher sagte, es ist nichts passiert, und jetzt tatsächlich diese Vorwürfe. Haben die Daimler-Manager in Ihren Augen damals gelogen?
Hermann: Das kann ich im Moment nicht sagen. Aber zumindest haben Sie es nicht gesagt und entweder sie haben es nicht gewusst, oder sie haben es nicht gesagt. Das muss überprüft werden. Deswegen finde ich auch, bei der Aufklärung kommt es jetzt wirklich darauf an, sind das wirklich illegale Abschalt-Einrichtungen gewesen, die da eingesetzt worden sind, wenn ja, wie viele, und wer hat das veranlasst, wer hat das gewusst. Man hat ja ein bisschen bei den Unternehmen den Eindruck, irgendwie keiner ist schuld und keiner übernimmt die Verantwortung. In der Politik würde das auf keinen Fall funktionieren, dass ein Minister sagt, ich habe von allem nichts gewusst, ich bin unschuldig.
Ich will das schon genau wissen. Ich glaube, das ist auch die Aufgabe der Justiz zu klären, wie die Verantwortungslinien in den Unternehmen sind. Denn ich meine, wenn das eine Million Fahrzeuge wären, die manipuliert worden wären, dann muss man schon sagen, dass eine Million Fahrzeuge ohne Kenntnis von niemand irgendwie so hergestellt worden wären, das ist ja nicht sehr glaubwürdig.
"Es muss eine wirklich vorbehaltlose Aufklärung geben"
Heinlein: Bisher scheint die Staatsanwaltschaft ja nicht ganz oben zu graben, sondern sie hat ja nur zwei kleinere Angestellte zum Rapport bestellt. Wird es Zeit, dass auch die großen Tiere jetzt in den Fokus der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen geraten?
Hermann: Ganz grundsätzlich gilt es, die Verantwortungslinien zu untersuchen und auch zu klären, wer die Entscheidungen getroffen hat. Das kann natürlich auch sein, dass es ganz unten entschieden worden ist, aber so richtig wahrscheinlich ist es nicht, dass die nächsten Ebenen das nicht gewusst haben. Denn was ist das Motiv eines einfachen Ingenieurs, so etwas zu tun?
Deswegen glaube ich einfach, da muss mal nachgebohrt werden, und deswegen meine ich wie mein Ministerpräsident, es muss eine wirklich vorbehaltlose Aufklärung des ganzen Vorgangs und der Verantwortlichkeiten geben.
Heinlein: Also auch Herr Zetsche, der Vorstandsvorsitzende, sollte einen Termin beim Staatsanwalt bekommen?
Hermann: Na ja. Ich muss nicht die Termine der Staatsanwaltschaft machen und wen sie vorladen. Aber ich will nur sagen: Grundsätzlich aufklären heißt, dass alles geklärt werden muss, wer potenzielle Verantwortung
"Dobrindt hätte mehr tun müssen"
Heinlein: hat. Grundsätzliche Verantwortung sieht Ihr Grünen-Parteivorsitzender bei dem Bundesverkehrsminister. Er sagt, das ist eine Bankrotterklärung. Sehen Sie das auch so, oder hat Dobrindt diesmal alles richtig gemacht, indem er sofort gestern reagiert hat?
Hermann: Na ja, jetzt hat er gestern schnell reagiert. Aber in der Summe des Skandals in den letzten zwei Jahren, muss man sagen, musste man den Bundesminister und seine Behörden schieben, und eigentlich hat man erst gehandelt, wenn genügend schlechte Schlagzeilen überall zu lesen waren. Das war alles sehr zögerlich, die Aufklärung war zögerlich und die Reaktionen zum Teil offenbar unvollständig, denn man hat ja mit Daimler vereinbart, dass ein Teil der Fahrzeuge freiwillig korrigiert werden. Aber das war ja höchstens ein Bruchteil dessen, worum es jetzt vermutlich geht. Insofern muss ich schon sagen, er hätte mehr tun müssen. Er hat mich am Anfang ja auch angegriffen. Ich habe öffentlich ja sehr früh gefordert, es ist der Bundesminister gefragt, es sind die unabhängigen Institutionen des Bundes gefragt zu Nachuntersuchungen, und da war er sehr zögerlich.
Und wenn man so viele Informationen in den Medien hat, dass es einen Verdacht gibt, dass da manipuliert wird, dann kann man sich nicht alleine auf schöne Aussagen von Managern verlassen, sondern dann muss man selber handeln. Als Landesminister habe ich da begrenzt Kompetenzen. Genau deswegen habe ich gesagt, da muss das Kraftfahrtbundesamt ran und da muss nachgemessen werden auf dem Rollenprüfstand wie im Realverkehr, und das ist zu spät gekommen.
"Das ist wirklich kein Zeichen von Handlungsverantwortung"
Heinlein: Ein Wort noch Herr Hermann zu Verkehrsminister Dobrindt, Ihrem Kollegen in Berlin. Für Ihre Partei ist das der Schutzpatron der Trickser und Betrüger und Sie sagen gerne, er ist eine Kühlerfigur der Autoindustrie. Ist es also Zeit für einen Rücktritt von Herrn Dobrindt?
Hermann: Wissen Sie, ich werde nicht den Rücktritt eines Kollegen fordern. Ich kann nur sagen, was er zu tun hat, und meines Erachtens muss er auf der einen Seite alles tun, was er tun kann, damit umfassend aufgeklärt wird.
Er muss aber auch dafür sorgen, dass die Diesel-Fahrzeuge sauber werden, und er muss endlich auch seine Blockade aufgeben, etwa bei der Nachrüstung von Dieseln und bei der Einführung der blauen Plakette. Denn das eigentliche Problem, was wir als Verkehrspolitiker und was die Menschen haben, ist ja: Aufgrund der Tatsache, dass die Autos nicht so sauber sind wie versprochen, haben wir in den Großstädten riesige Probleme mit dreckiger Luft. Vor allem die Stickoxide sind ja eine Folge der nicht sauberen Diesel-Motoren und das gefährdet diese Technologie und das Ansehen dieser Technologie und das gefährdet die Gesundheit der Menschen. Da ist dringend Handlung angesagt und das ist was, was mir am meisten Sorge macht, dass der Bund nicht vorankommt in Sachen Abgasreinigung und blauer Plakette.
Jetzt haben wir im August den ersten Termin, wo wir überhaupt über Nachrüstung sprechen. Auch dazu musste mein Kollege geschoben werden. Das ist eigentlich wirklich kein Zeichen von Handlungsverantwortung.
"Die Zukunft der Mobilität ist nicht Diesel"
Heinlein: Herr Hermann, jetzt hat Ihr Ministerpräsident, Herr Kretschmann, gestern erklärt, er glaube an die Zukunft des Diesel. Glauben Sie auch an die Zukunft des Diesel? Können die Fahrverbote noch vermieden werden?
Hermann: Ich glaube nicht. Jedenfalls ich versuche, das sehr rational zu beurteilen. Und wenn ich das so sehe, dann kann ich sagen, es gibt Technologien, die einen sauberen Diesel ermöglichen. Insofern wird der Diesel auch in Zukunft eine Rolle spielen können, wenn er denn tatsächlich sauber ist, wenn alle technischen Möglichkeiten, die wir kennen, die wir haben, gerade in Baden-Württemberg, wenn sie tatsächlich eingesetzt werden und wenn nicht der Motor geschützt wird, sondern wenn die Gesundheit der Menschen geschützt wird. Und ich will auch gleich dazu sagen: Wir sind jetzt wirklich in einer großen Krise und Krisen sind auch Chancen. Das ist auch die Chance zu emissionsfreier Mobilität, sprich die nächste Stufe heißt dann elektrisch betriebene oder Brennstoffzellen betriebene Fahrzeuge. Diese Chance haben wir jetzt auch. Ich sehe in der Diesel-Technologie eine wichtige Übergangstechnologie, aber das ist nicht das Ziel. Mittelfristig müssen wir zu einer emissionsfreien Mobilität kommen, und die sieht anders aus. Die ist nicht Diesel.
"Es darf nicht nochmal getrickst und getäuscht werden"
Heinlein: Jetzt haben Sie das Stichwort Nachrüstung mehrfach erwähnt, Herr Hermann, in Ihren Antworten. Die große Frage, die sich natürlich jetzt jeder Diesel-Besitzer stellt, ist: Wer bezahlt für diese Nachrüstung? Muss ich bezahlen als Besitzer eines Diesel, oder werden die Konzerne dann vollständig in die Pflicht genommen?
Hermann: Ich bin ja sehr froh, dass die Konzerne, auch Herr Zetsche, jetzt inzwischen öffentlich bekannt haben, dass die Nachrüstung der Euro-Fünf-Diesel in die Herstellerverantwortung geht, als dass sie die Kosten übernehmen, was nur recht und billig ist, denn die Hersteller haben ein schlechtes Produkt verkauft. Sie haben teilweise ihre Kunden getäuscht. Und dann ist es nur recht und billig, dass sie den Schaden beseitigen. Die haben einiges gut zu machen. Die deutsche Automobilindustrie hat in Deutschland, in Europa, weltweit ihre Kunden schwer enttäuscht und teilweise betrogen, oder zumindest ihnen nicht reinen Wein eingeschenkt über die tatsächlichen Emissionen ihrer Fahrzeuge, und deswegen ist es allerhöchste Zeit, dass sie da etwas gut macht.
Was mich sehr ärgert oft, dass nicht wenige aus der Branche, die eigentlich selbst Verantwortung haben, jetzt auf die Politik zeigen, weil wir über Fahrverbote diskutieren und über Einschränkungen, die Folge dieser Unzulänglichkeiten sind, als wären wir, die Verkehrsminister, diejenigen, die den Feinstaub und Stickoxide ausstreuen, um die Automobilindustrie zu ärgern. Die Verantwortung liegt sehr stark bei der Branche selber und sie muss jetzt auch einen großen Beitrag dazu leisten, dass wir erstens aus dieser Krise rauskommen – das ist ja auch eine Glaubwürdigkeitskrise der Branche – und dass wir vor allen Dingen jetzt den Städten und den Ländern helfen, dass die Luft sauber wird. Das heißt schnelle Nachrüstung und vor allem wirksame Nachrüstung und es darf nicht noch mal getrickst werden oder getäuscht werden, sondern die Nachrüstung muss dann eine echte und eine wirksame sein.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Grünen-Politiker Winfried Hermann, Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Herr Hermann, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Stuttgart.
Hermann: Ich danke auch.
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