"Ewigleben" – so heißt der Workshop, bei dem Männer gemeinsam einen Sarg bauen. Ein Angebot, das auf reges Interesse stößt, sagt Günter Kusch, Pfarrer der evangelischen Männerarbeit in Nürnberg.
"Meine Erfahrung ist jetzt nach fünf Jahren Männerarbeit, dass Männer eher ins Reden kommen, wenn sie handwerklich etwas tun. Dann sind sie so beschäftigt miteinander, das schweißt zusammen. Es entsteht ein gemeinsames Werk und während des Tuns reden sie über das Thema, was vor ihnen liegt."
Was vor ihnen liegt, ist nicht nur die Tischlereiarbeit: Die Gespräche schürfen tief.
"Gerade bei den Männern ist es ein Tabu. Alles, was mit Gefühlen behaftet ist, wird ja eher ein bisschen zögerlich angegangen. Liegt auch an unserer Erziehung. Und man will ja auch nicht als Weichei gelten. Ich merke aber, wenn Männer unter sich sind, dann machen sie auch mal das Hemd auf und lassen sich ins Herz blicken."
Die Vater-Kind-Arbeit boomt
An der Spitze der evangelischen Kirche sind Männer stark vertreten, in der katholischen haben Frauen keinen Zugang zum Klerus. Den Weg in die Gemeinde aber finden Männer eher selten. Zwar machen die Männer mit 45 Prozent knapp die Hälfte der Kirchenmitglieder aus, doch bei den kirchlichen Beschäftigen sind es zu drei Viertel die Frauen – ebenso bei denen, die die ehrenamtliche Arbeit leisten. Das liege aber nicht nur an den Männern, klagt Günter Kusch. Die Kirchen würden zu wenig auf die Männer zugehen:
"Es gibt wenig Angebote für Männer, und die Männer verabschieden sich immer mehr aus den Kirchengemeinden."
Eine Ausnahme: die Vater-Kind-Arbeit boomt seit Jahren. Vor allem über die kirchlichen Kitas könne man gut Väter, beispielsweise für ein Vater-Kind-Zeltwochenende ansprechen. Aber vor Ort habe man die Männer oft nicht im Blick, meint der Nürnberger Männerpfarrer:
"Wenn wir mehr Vater-Kind-Angebote machen würden in Kirchengemeinden, was meinen Sie, wie uns die Väter die Bude einrennen würden. Da würde Leben einziehen in die Kirchengemeinde – männliches Leben."
Vollmond am Karfreitag
Männliches Leben in die Gemeinde bringen – das gelingt Gerhard Kahl zumindest einmal im Jahr. Der katholische Männerseelsorger aus Augsburg bietet in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag eine Nachtwallfahrt an. Mittlerweile findet im Bistum Augsburg in 30 Orten dieses Nachtpilgern statt - mit jeweils bis zu 50 Männern:
"Da ist in der Regel ja Vollmond, dann haben die Männer am Karfreitag frei und das dritte ist die Bedeutung: Jesus sagt wachet und betet, es ist eine Nacht der Auseinandersetzung mit Leid, Sterben und Tod. Und ich denke, für uns Männer ist das eine gute Nacht, um mit unserer Innenwelt in Berührung zu kommen. Wir laufen drei bis vier Stunden im Schweigen, in Gemeinschaft und das ist das, was die Männer sehr gern mögen."
Studien belegen, dass für ein Fünftel der Männer Kirche so etwas wie Heimat ist; und dass sie vermehrt nach religiösen Erfahrungen suchen. Allerdings nicht im Gotteshaus. Männer zieht es eher nach draußen. Das ist eine Erfahrung, die bei dem Kongress in Kassel fast alle Männerseelsorger teilen. So auch der Freiburger Katholik Norbert Wölfle. Er geht mit den Männern raus in die Natur und setzt seit Jahren auf bestimmte Rituale:
"Ganz unterschiedliche Rituale, unter anderem auch eine große Schwitzhütte, und es geht um Themen: wie komme ich als Mann in meine Kraft? Was hat mich geprägt? Bin ich von meinem Vater gesegnet?
Angebote wie die "Initiationswoche ins Mannsein", bei der man die männlichen "Archetypen Krieger, König, Magier und Liebhaber entdecken und erspüren kann", sind sehr gefragt, sagt Norbert Wölfle:
"Ich stelle fest, es gibt eine große Sehnsucht bei den Männern letztlich nach Heil und ihr Leben zu verstehen und in den vielfältigen Beziehungen da auch das eigene zu finden: was macht mich aus? Wo sind für mich Grenzen, wo ich selber sorge für mich, anders handeln möchte und nicht dem Rollendiktat unterliege, immer alles können zu müssen und immer der beste sein zu müssen. Da geht es darum, neue Formen von Männlichkeit zu entwickeln."
Visionssuche in Schweden
Einen ähnlichen Weg wie der Freiburger Katholik beschreitet der Hamburger Protestant Joerg Urbschat. "Visionssuche" nennt sich sein Gang in die Natur:
"Wenn so Schwellen im Leben sind, dann kommen Männer und dann schicken wir sie mit den Fragen, die sie haben, raus in die Natur mit diesem Anspruch: Die Natur ist Lehrmeisterin, die gibt dir die Antworten. Nicht wir sind die Gurus, sondern die Mutter Natur, die Erde, Gott in der Natur, das ist auch ein Stück Geheimnis und damit schicken wir sie raus. Dann geht es darum, in Kontakt zu kommen mit den Wesen da draußen, mit den Mitgeschöpfen, die Bäume und die Tiere, und die Elemente nicht mehr als Objekt zu sehen sondern als Gegenüber, die was zu sagen haben."
Das mag für manchen arg esoterisch klingen, doch die Nachfrage ist groß: zum Beispiel für die Visionssuche in Schweden. Zehn Tage ist Joerg Urbschat dann mit rund einem Dutzend Teilnehmer unterwegs. Dabei sind die Männer vier Tage und Nächte allein, ohne Nahrung und Dach über dem Kopf der Natur ausgesetzt – zurückgeworfen auf elementare Dinge:
"Wir lehren die Männer so einen Dialog mit der Natur, wie man auf Antworten hört: das sind so Seelenantworten so eine Frage bei der Visionssuche könnte sein; was ist meine Gabe, in er ich in der Welt arbeiten kann? Und sie kommen wieder und sagen: Ich bin Finder oder ich bin jemand, der fest verwurzelt ist und der Stürmen standhalten kann."
Selbstpflege von Körper und Seele
Bei dem Männerkongress in Kassel widmet man sich auch der Sexualität. Ein Workshop, den der Dresdener Matthias Stehler anbietet, trägt den zumindest im kirchlichen Umfeld irritierenden Titel: "Pflege deinen Schwanz":
"Der Hintergrund dieses Titels ist, dass es durchaus auch um die Selbstpflege geht. Das ist etwas, was Männern schwer fällt, was sie eher hinten anstellen: sie wollen der tolle Hengst sein, sie wollen das tun, was von ihnen erwartet wird, aber in diese Selbstsorge zu gehen, in die Selbstpflege, das ist dann schwieriger, und dass hat dann nicht nur mit dem primären Geschlechtsorgan des Mannes zu tun, sondern auch mit seiner Seele, seinem Körper und seinen sozialen Beziehungen.
Schwierigkeiten haben die Kirchenleute und ihre Männern mit der "Me too"-Debatte über die sexuellen Belästigungen und Übergriffe auf Frauen. Der Theologe Matthias Stiehler vom Institut für Erwachsenenbildung und Gesundheitswissenschaft in Dresden.
"Das ist nicht das Thema des normalen Mannes. Das ist das, was mich auch stört, dass das in so eine Grundsätzlichkeit gebracht wurde. Das heißt: Me too oder die Formen sexueller Belästigung ist für mein Empfinden ein Thema, dass viele Männer eher verunsichert, aber mit vielen Alltagsformen weniger zu tun hat, als es medial den Anschein hat."
"Begegnet Frauen auf Augenhöhe"
Und Martin Rosowski von der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland gesteht ein, dass sich viele seiner Geschlechtsgenossen noch auf der Suche nach einem Weg befinden...
"...der auf der einen Seite nicht wohlfeil Solidarität mit den Opfern suggeriert, ohne dass man seine eigene Männlichkeit reflektiert, und auf der anderen Seite aber eben auch nicht in Larmoyanz verfallen, dass angesichts dieser dramatischen Fehlverhaltens einzelner Personen kann die ganze Männerwelt jetzt an den Pranger gestellt werden – dazwischen einen reflektierten Weg zu finden, das ist nicht so einfach."
Gerd Humbert von der evangelischen Männerarbeit in der Pfalz warnt allerdings davor, dass Männer sich angesichts der Me too-Debatte nun beleidigt oder irritiert abschotten. Er gibt seinen Männern nach Seminaren oder Wochenendkursen immer mit auf den Weg:
"Wenn ihr nach Hause geht, begegnet ihr wieder euren Partnerinnen, euren Chefinnen, euren Sekretärinnen: begegnet diesen Frauen auf Augenhöhe und diese Begegnung auf Augenhöhe erfordert von einigen Männern, dass sie etwas runtergehen, aber auch von vielen Männern, dass sie etwas hoch gehen. Und wenn Männer und Frauen sich auf Augenhöhe begegnen, dass erlebe ich auch in der Me too-Diskussion, dass ich das als Gewinn erlebe, dass ich die Auseinandersetzung mit den Frauen, mich denen stelle, das gemeinsame Diskutieren ist ein Gewinn für beide Geschlechter."