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Manufaktur für Schaufensterfiguren
Herr Moch und seine Supermodels

In Zeiten des florierenden Online-Handels scheint die Zukunft von Schaufensterpuppen bedroht. Dennoch werden die starren Mannequins macherorts noch immer mit viel Begeisterung hergestellt - zum Beispiel in der Kölner Manufaktur Moch. Der derzeitige Inhaber des Familienbetriebs kennt so manches Geheimnis über seine Models aus Polyesterharz und Fiberglas.

Von Leila Knüppel |
    Der Inhaber der Schaufensterpuppenfabrik Moch, Josef Moch, stützt sich in Köln auf neu gestaltete weibliche Figuren.
    Dynamisches Quintett: Josef Moch und vier seiner Figuren. (picture-alliance/ dpa - Oliver Berg)
    Frank Kästner hat gerade drei Schönheiten enthauptet. Jetzt schleift er einer anderen, über der Hüfte abgesägten Dame am Bauch herum. Eine Schönheitsoperation der groben Art, gesteht Kästner zu: "100-prozentig gerade muss es nicht sein, aber die Optik muss schon stimmen." Nebenan pult sein Kollege Jean-Luc Riedinger einen Kopf aus seiner Gießform, und er bestätigt: "Das ist ein Mann."
    Glatze, markante Kinnpartie, maskuline Züge, faltenloses Gesicht. Antonio heißt er. Beruf: Schaufensterfigur. Jean-Luc Riedinger betont, alles sei mit der Hand gefertigt: "Ist ein altes, traditionelles Unternehmen."
    "Moch Figuren" in Köln-Rodenkirchen ist eine der letzten Manufakturen für Schaufensterpuppen. Seit über 100 Jahren gibt es das Unternehmen schon. Und wie vor einem Jahrhundert wird hier noch immer fast alles in Handarbeit individuell für den jeweiligen Kunden angefertigt – ob für's große Warenhaus, eine kleine Boutique oder für Modeketten. Riedinger erklärt, dass es eine Reihe an Standardfiguren gebe: "Aber natürlich können die Kunden auch vorbeikommen, eine Skizze oder ein Foto bringen, und wir versuchen, das dann so nah wie möglich zu erstellen."
    200 bis 600 Euro kostet ein solches Top-Model fürs Schaufenster. Jean-Luc Riedinger stellt den Männerkopf "Antonio" auf den staubigen Arbeitstisch, wischt sich seine Hände am Blaumann ab. Er ist einer der 14 Mitarbeiter bei Moch. Seit zehn Jahren entwickelt der Bildhauer und Künstler Schönheiten mit Top-Figur und Traumgesicht - und versucht, damit den Modetrends nahe zu kommen. Jedes Jahr etwa zehn neue Typen aus Fiberglas und Polyesterharz, bilanziert Riedinger: "Die Mode verlangt zum Beispiel: eine Frau, selbstbewusst und sportlich. Ein paar Jahre später vielleicht mehr die weibliche Seite hervorzuheben."
    "Eine Schaufensterfigur ist immer schlanker als die Person, für die die Mode geschnitten ist"
    Konstant sei nur der Wandel: "Im Moment ist der Trend: ohne Gesicht. Figuren sind ohne Augen, nur angedeuteter Kopf. Vielleicht spiegelt das auch ein bisschen die Gesellschaft."
    Ein konturloses Gesicht – dafür ein extrem schlanker, sportlich durchtrainierter Körper: 40 dieser neuen Trend-Schaufensterfiguren werden gerade einen Raum weiter in Kartons verpackt. Offiziell haben sie Konfektionsgröße 38 – aber eben nur offiziell. Josef Moch verrät, wie er sagt, ein Geheimnis: "Eine Schaufensterfigur ist immer schlanker als die Person, für die die Mode geschnitten ist. Wir sagen, die Figur ist gotisiert, in die Länge gezogen. Der Korpus ist sehr schlank, sehr übertrieben hoch. Und die Beine erst recht. Sie werden kaum einen Menschen sehen, der diese langen Beine hat."
    Firmenchef Josef Moch steht neben seinen weiß lackierten Schaufenstergrazien. Klein und beruhigend unperfekt. Zwar bekommt er ab und an auch Aufträge für korpulentere Schönheiten. Die sind aber noch eindeutig in der Minderheit. Diese schlanken Damen werden an ein Einkaufszentrum in Norddeutschland verschickt, erzählt Moch: "Unser Haus verlassen so gut wie 2.000 Figuren im Jahr, wobei ich sagen muss: Es wird nicht alles von Grund auf im Haus produziert, wie in der Autoindustrie. Man kauft Teile zu, baut sie zusammen, liefert das fertige Auto aus."
    Die meisten Körper-Rohlinge lasse er mittlerweile in Taiwan und China fertigen, sagt Moch. So wie seine Konkurrenten, die ihre Produktion oft gleich vollständig nach Asien verlagert habe. Dort sind die Lohnkosten sehr viel niedriger.
    Viele Köpfe der Puppen, die Hautfarbe und das Make-up entstehen bei "Moch" aber nach wie vor in Köln, sagt der Firmenchef – und öffnet die Tür zu einem weiteren Werkstattraum: "Ob jetzt eine Figur ohne Kopf oder mit einem Gesicht sein wird, ob sie sportlich oder klassisch sein wird, ob sie weiß oder in Hautfarbe geliefert wird, das können wir hier machen."
    Und deshalb, so Firmenchef Moch, könne auch innerhalb von drei Wochen komplett ausgeliefert werden. Nächste Station: "Hier sehen wir unser Make-up-Studio."
    Auf dem Dachboden: Ein Atelier mit historischen Figuren
    Moch führt weiter durch die verschiedenen Werkstaträume und Lager und erinnert sich: " Als Kind habe ich viel in der damaligen Werkstatt gespielt. Ich bin hier groß geworden."
    Ein Familienbetrieb. Sein Großvater hat die Firma 1907 gegründet. Oben, unter dem Dach gibt es noch ein Atelier mit alten Moch-Figuren: eine Mischung aus Büro, Fotostudio und Rumpelkammer: "Hier oben sehen sie sehr viele Köpfe von Figuren aus den 50er-, 60er-, teilweise auch aus den 20er-, 30er-Jahren."
    Die Köpfe in dem Glasschrank sind keine konturlosen Schönheiten – sondern Charakterköpfe. Mit Schnurrbart, Doppelkinn oder sonnengegerbter Haut. Firmenchef Moch stellt vor: "Diesen Kopf nannten wir einfach Ronny. Das ist ein Wildwestschauspieler aus den 50er-Jahren. Und jeder meint, Ronald Reagan darin zu erkennen – und jeder wusste, was gemeint war."
    Neben der Glasvitrine strecken sich einige unlackierte Beinpaare gen Decke: Hosen-Torsos für einen großen Internethändler: Sie werden benötigt, um Bilder von Jeans für den Online-Katalog zu machen. Möglichst faltenfrei. Ganz ohne Figuren geht es also auch im Internet nicht.
    Trotzdem: Geht niemand mehr Schaufensterbummeln, sieht die Zukunft für Mochs Figuren schlecht aus, mutmaßt der Firmenchef: "Unser Umsatz liegt im Augenblick bei 1,5 Millionen; wir liegen bei 6,7 Prozent Marktanteil. Wir hatten umsatzstärkere Jahre gehabt. Der ganze Markt ist im Moment nicht sehr investitionsfreundlich. Man schottet sich ab und wartet auf das, was in den nächsten Jahren kommt."
    Wie es mit seiner Firma weitergeht, weiß der 62-Jährige noch nicht. Ob eines seiner zwei Kinder den Betrieb irgendwann übernehmen möchte, ist eher ungewiss. Unten, in im Werkraum, hat Frank Kästner seinen drei enthaupteten Damen neue Köpfe aufgesetzt. – und sich in eine prompt ein klein wenig verguckt: "Das ist die kleine Punkfrisur da. Valeska nennt sich diese Dame. Die sieht interessanter aus als die anderen."
    In verstaubter Arbeitskleidung steht er vor dem Modepüppchen mit schicker Kurzhaarfrisur und leicht geöffnetem Schmollmund. Mit Falten oder Cellulite wird sie nie Probleme haben. Und ein langes Leben als Schaufensterpuppe sei ihr so gut wie sicher, meint Kästner: "Man kann sie immer weiter reparieren und dann lebt sie weiter."