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Manuskript: Auflösungserscheinungen

Die Ozeane haben in den letzten zweihundert Jahren rund die Hälfte des  Kohlendioxids aufgenommen, das der Mensch in die Luft pustet. Nicht ohne Folgen: Die Meere versauern, weil das CO2 im Wasser zu Kohlensäure reagiert. Bis zum Ende des Jahrhunderts werden die Ozeane doppelt so sauer sein wie heute, erwarten Forscher.

Von Christine Westerhaus |
    Paris im Jahr 2004. Wissenschaftler aus aller Welt treffen sich zu einer Konferenz im Gebäude der Unesco, diskutieren, wie sich überschüssiges Kohlendioxid am besten im Meer verklappen lässt. Es ist eine Idee, die durch die Welt geistert: Überschüssiges Kohlendioxid könnte in den tiefen Ozean gepumpt werden, um die Atmosphäre zu entlasten. Doch dann die überraschende Wende, erinnert sich der Geomar-Forscher Ulf Riebesell aus Kiel:

    "Während der Konferenz wurde im Laufe der drei Tage plötzlich klar, dass wir gar nicht CO2 aktiv im Ozean verklappen müssen, dass das schon passiv stattfindet. Und dann hat sich innerhalb dieser Konferenz die ganze Stimmung unglaublich gewandelt. Eine Konferenz die eigentlich als CO2-Verklappungskonferenz gedacht war, wurde dann zu einer 'Das läuft schon, was bedeutet das eigentlich?'-Ozeanversauerungskonferenz."

    Ozeanversauerung. Die Meere werden saurer, weil der Mensch mehr und mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre entlässt. Dieses CO2 aus der Luft löst sich im Meerwasser und reagiert dort zu Kohlensäure. Je mehr Kohlendioxid der Mensch in die Luft pustet, umso weiter sinkt der pH-Wert des Wassers.

    Das Bootshaus des Sven-Lovén-Zentrums für Marine Wissenschaften im schwedischen Kristineberg. Am Steg bereitet sich eine kleine Gruppe von Forschern auf ihren Einsatz vor. Sie schaffen Kisten und Gerätschaften auf ein kleines Motorboot, etwa sechs Meter lang. Manche Forscher tragen orangefarbene Neoprenanzüge, ein Schutz gegen die Kälte der schwedischen Sommernacht.

    "Jetzt kommt gleich noch ein schwieriges: Auf das Boot zu steigen!"

    Catriona Clemmesen-Bockelmann hat das Kommando über die nächtliche Ausfahrt. Kurz vor Abfahrt checkt sie noch einmal die Ausrüstung:

    "Können wir bitte noch mal alles durchdenken: "Do you have everything for the camera? Tim: Extra batteries?” OK, ready for take off!"

    Michael Sswat startet den Motor. Die "Wassermann" macht sich auf den Weg durch die schwedische Nacht. Obwohl es fast elf Uhr ist, sind die kleinen Felsen noch gut zu erkennen. An ihnen vorbei pflügt sich die "Wassermann" durch den Gullmarsfjord, einen Meeresarm des Kattegat an der schwedischen Westküste. Clemmesen-Bockelmann:

    "Wir fahren jetzt raus zu den Mesokosmen um zu gucken, ob die Fischlarven wirklich in den Mesokosmen sind. Wir werden Videokameras einsetzen - dazu muss es aber erstmal richtig dunkel werden, damit wir das besser sehen können und dann hoffen wir, dass wir die Fischlarven, das sind Heringslarven, die im Mesokosmos sind, aufnehmen können."

    Die Mesokosmen sind schon von weitem an ihren orangefarbenen Befestigungspfeilern zu erkennen. Es sind überdachte, stabile Plastiksäcke, in denen die Forscher jeweils 55 Kubikmeter Meerwasser samt den darin lebenden Organismen eingesperrt haben. Einige der Mesokosmen enthalten zusätzliches Kohlendioxid in unterschiedlichen Konzentrationen. Damit simulieren die Forscher die Ozeanversauerung. Catriona Clemmesen-Bockelmann ist in dem Mesokosmos-Projekt für die Fische verantwortlich. Vor etwa zwei Wochen hat sie Heringslarven ausgesetzt. Mit einer Unterwasserkamera möchte sie nun schauen, wie es ihren Schützlingen dort geht.

    "Wir wissen so ungefähr, wie viel wir eingesetzt haben und wissen ungefähr, wie viele gestorben sind und hätten gerne noch weitere Abschätzung. Ob sie darin rumschwimmen, ob genug Futter für sie da ist und wie sie so aussehen."

    Die "Wassermann" hat ihr Ziel erreicht. Clemmesen legt das Boot an den Befestigungspfeilern von Mesokosmos Nr. 3 an. Der sichtbare Teil der stabilen Plastikschläuche ragt nur etwa zwei Meter weit aus dem Wasser. Doch unter der Oberfläche geht es 17 Meter in die Tiefe. Tim Boxhammer und sein schwedischer Kollege bereiten eine Unterwasser- Kamera vor. Sie überprüfen die Batterie und schalten das Licht ein. Zu zweit hieven sie die armlange Röhre über den durchsichtigen Plastikrand des Mesokosmos. An einem langen Seil lassen die Forscher das Gerät ganz langsam in das Wasser hinab gleiten. Vor dem Objektiv der Kamera ein Gewimmel von Lebewesen. Kleine Krebschen und Algen schweben wie feine weiße Staubpartikel durch das Bild. Auch die Heringslarven wuseln durchs Bild, manchmal schießen sie pfeilartig nach vorne, um sich ein Stück Futter zu schnappen. Sie sind mit zwei Zentimetern Länge die größten Lebewesen im Mesokosmos. Auch deshalb entdeckt Clemmesen sie auf Anhieb.

    "Oj, da sind sie, da sind sie! Jetzt kommen richtig viele ins Bild. Und die hier hat den Darm voll Futter. Die sind ja so langgestreckt, auch der Darm und am Ende, wenn man da so helle Flecken sieht. Das bedeutet, sie haben Futter aufgenommen. Und dieses Bewegung, die sie machen, dieses S, das ist eben auch sehr charakteristisch für Heringe. Die stoppen, machen dieses S und schießen dann wie ein Pfeil nach vorne um auf dieses Futter zu gehen. Das kann man hier wunderbar sehen. So naturnah haben wir das noch nie beobachtet, wie hier im Mesokosmos."

    Die Ozeane nehmen derzeit rund ein Viertel der Kohlendioxidemissionen aus der Atmosphäre auf und verwandeln einen Teil davon in Kohlensäure. In den vergangenen 150 Jahren ist der pH-Wert des Wassers bereits um 0,1 bis 0,15 pH-Einheiten gesunken. Das klingt vernachlässigbar. Doch der Säuregrad des Wassers wird auf einer logarithmischen Skala gemessen. Verschiebt er sich um 0,1 bis 0,15 pH-Einheiten, bedeutet das: Die Säuremenge im Meerwasser hat um etwa 30 Prozent zugenommen. Macht der Mensch weiter wie bisher, wird der pH-Wert bis zum Jahr 2100 um durchschnittlich 0,4-pH-Einheiten sinken. Damit wäre das Wasser annähernd doppelt so sauer, wie heute. Ulf Riebesell:

    "Man weiß überhaupt nicht, wie der Organismus sich im natürlichen System verhalten wird, wenn er in Konkurrenz steht zu anderen Organismen, wenn er Verlustprozesse durch Fraß, durch Virenbefall hat und erst in Wechselwirkung all dieser Interaktionen kann man wirklich beurteilen: ist der Organismus in der Zukunft benachteiligt oder kann er sich dran anpassen und das sind Ergebnisse dann, die plötzlich was ganz anderes bringen als das, was man im Labor gesehen hat und versucht hat, aus Labordaten zu extrapolieren."

    In dieser Nacht setzen die Forscher in den Mesokosmen des Gullmarsfjord auch Lichtfallen aus – lang gezogene weiße Netze, an deren Unterseite ein Plastikbecher hängt. Catriona Clemmesen:

    "Die Lichtfalle! Aufmachen: Merkst Du? Das Gewicht ist drin und Licht an. Dann noch zumachen. Und dann hoffen wir, dass es die Fische anlockt."

    Clemmesens Kollege Michael Sswat hebt die Lichtfalle über den Rand des Mesokosmos. Langsam verschwindet sie unter der Wasseroberfläche.

    "Du gehst auf zehn Meter diesmal? Ja, zehn Meter. Einmal den Becher bitte versenken!"

    Die Fischlarven in den Mesokosmen werden vom Licht angelockt und in der Falle gefangen. Später werden sie untersucht, ihr Entwicklungsstand verglichen mit gleichaltrigen Larven, die Clemmesen in Tanks aufgezogen hat: Im Labor, unter kontrollierten Bedingungen.

    In 100 Jahre könnte das Wasser doppelt so sauer sein, wie heute. Vor allem kalkbildende Organismen werden unter diesem Säurestress leiden, wissen die Forscher. Denn die Säure greift den Kalk an wie der Essigreiniger die Ablagerungen im Wasserkocher. Doch inzwischen ist klar, dass auch Planktonorganismen und Fische Probleme bekommen werden, wenn der pH-Wert sinkt. Phil Munday hat sich in seiner australischen Heimat Korallenfische angesehen. Der Biologe von der James-Cook-Universität hat Jungfische in ein Säuremilieu verfrachtet, wie Forscher es für das Jahr 2100 voraussagen. Körperliche Schäden hat er nicht beobachtet. Doch er machte eine andere interessante Entdeckung.

    "Es war sehr überraschend zu sehen, dass sich das Verhalten der Fische unter hohem CO2 dramatisch änderte. Der erhöhte Kohlendioxid-Gehalt wirkte sich offenbar auf ihren Geruchssinn aus. Sie konnten nicht mehr zwischen verschiedenen Gerüchen unterscheiden. Wir haben sogar gesehen, dass sie plötzlich vom Geruch ihres Feindes angelockt wurden, obwohl sie normalerweise davor fliehen würden. Offensichtlich ändert sich das Verhalten also recht dramatisch - was wahrscheinlich nicht besonders gut für ihr Überleben ist."

    Das saurere Wasser wirkte nicht nur auf den Geruchssinn der Tiere. Auch ihr Hörvermögen litt darunter.

    "Sie reagierten auf andere Geräusche und waren nicht mehr in der Lage, zu lernen. Sie konnten auch keine Feinde erkennen und vor ihnen fliehen. Und: sie zeigten auch keine Vorliebe mehr für die linke oder rechte Seite. Fische machen das genauso wie wir Menschen. Sie sind links- oder rechtsflossig. Aber wenn sie unter hohen Kohlendioxidwerten aufwachsen, verlieren sie diese Präferenz."

    Andere Forscher hatten beobachtet, dass Tiere besser mit der Ozeanversauerung zurechtkamen, wenn schon ihre Eltern unter einem hohen CO2-Gehalt aufgewachsen waren. Dafür sind unter anderem so genannte epigenetische Effekte verantwortlich. Sie verändern das Erbgut reversibel, und steuern, welche Information aus dem Genom abgerufen wird und welche nicht. Offenbar gab es diesen Gewöhnungs-Effekt auch bei Korallenfischen.

    "Eines der spannendsten und wichtigsten Dinge wird nun sein zu verstehen, ob die Organismen in der Lage sind, sich über längere Zeiträume anzupassen. Das ist wirklich etwas, das wir wissen müssen: Haben diese Fische das Potenzial, sich daran zu gewöhnen."

    Auch Sam Dupont interessiert sich dafür, wie sich das Verhalten von Meeresbewohnern ändert, wenn sie unter Säurestress geraten. Im Keller des Sven-Lovén-Zentrums in Kristineberg bereitet er gerade einen Versuch vor, in dem zwei Seesterne gegeneinander antreten sollen. In einem kleinen Becken sitzt ein Handteller großer, lila gefärbter Seestern. Im Nachbaraquarium ein Sonnen-Seestern. Dieser ist mindestens vier Mal so groß und ernährt sich mit Vorliebe von kleineren Seesternen. Dupont gewöhnt die beiden Widersacher seit mehreren Wochen an einen neuen pH-Wert. Dafür pumpt er zusätzliches CO2 in ihre Aquarien.

    "Ich werde später einen der kleinen Seesterne und einen großen nehmen und sie ein neues Aquarium setzen. Dort filmen wir das Verhalten der Tiere und beobachten, ob sie sich füreinander interessieren oder einander ausweichen."

    Dupont vermutet, dass sich der saurere pH-Wert auf das Fluchtverhalten des kleinen Seesterns auswirkt. Der Versuch läuft noch. Doch ein ähnlicher Test mit einer Krabbenart und einem Seeigel zeigte, dass der Fluchtreflex des Opfers stärker wird, wenn die Tiere in saurerem Wasser gehalten wurden. Für den Räuber hieße das nichts Gutes.

    "Wenn eine Art im Experiment gut zurecht kommt heißt das nicht, dass sie das auch in der Realität tun wird. Denn wenn ein Organismus von niedrigen pH-Werten profitiert, aber nichts zu fressen hat, weil seine Beute verschwindet, ist er zum Untergang verurteilt. Das macht es schwer, Voraussagen zu treffen. Ich kann zwar sagen: Diese Art wird wahrscheinlich verschwinden. Das ist meist einfach. Doch wer wirklich profitieren wird, ist schwer zu sagen."

    Den weitaus größten Teil seiner Zeit widmet sich Dupont den Seeigeln. Die winzigen Larven züchtet er in großen Flaschen, darüber leuchten rot digitale Ziffern. Sie zeigen den pH-Wert des Wassers an. Auf der anderen Seite des Raums stehen Becken mit ausgewachsenen Seeigeln. Faustgroße, leuchtend lila gefärbte, stachelige Kreaturen. Die winzigen weißen Gebilde in den Flaschen sehen nicht so aus, als könnten sie jemals diese stattliche Größe erreichen. Sam Dupont:

    "Ich weiß nicht, ob man es sehen kann. Diese kleinen Punkte. Das sind die Larven, die da rumschwimmen."

    Unter dem Mikroskop betrachtet erinnern die kleinen Punkte an einen winzigen zusammengeklappten Regenschirm. Man nennt sie Pluteus-Larven. Dupont nutzt für seine Beobachtungen ein ganz spezielles Mikroskop. Ein Konfokal-Mikroskop. Damit kann er sich in Echtzeit ansehen, wie viel Nahrung die Larven fressen. In seinen Aquarien-Tests hat Dupont gesehen, dass die Seeigellarven recht gut mit der Ozeanversauerung zurecht kamen. Sie entwickelten sich genauso wie ihre Artgenossen, die unter normalen Bedingungen aufwuchsen. Doch sie brauchten länger, um erwachsen zu werden und mussten deutlich mehr Nahrung aufnehmen.

    "Der größte Effekt, den wir unter sauren Bedingungen beobachtet haben, war, dass sie weniger Energie für ihr Wachstum übrig hatten. Sie brauchen Energie, um die pH-Änderung zu kompensieren. Die fehlt ihnen dann aber für das Wachstum. Sie wachsen also langsamer. Besonders für Larven ist das ein echtes Problem, denn je langsamer sie wachsen, desto mehr Zeit verbringen sie im Wasser und umso eher werden sie gefressen."

    Viele Meeresorganismen scheinen die niedrigeren pH-Werte, die für das Jahr 2100 erwartet werden, relativ gut zu tolerieren. Vorausgesetzt, sie haben genügend Energie, sprich genug Nahrung, um die Effekte dieser Ozeanversauerung zu kompensieren. Doch genau das kann im Freiland ein großes Problem sein, sagt Dupont. Deshalb wagte der Forscher mit seinen Seeigeln den Sprung in den Gullmarsfjord. Eine Seeigellarve pro Liter eingeschlossenen Meerwassers durfte er in den Mesokosmen aussetzen. Der Versuch war ein absoluter Glücksgriff für den Forscher. Schon nach wenigen Tagen hatte er ein überzeugendes Ergebnis.

    "Ob man es glaubt, oder nicht: Wir konnten in den Mesokosmen eindeutig Effekte der höheren CO2-Gehalte sehen. Mit meinen Laborversuchen hätte ich das niemals voraussagen können. Das ist wirklich aufregend für mich: Irgendwas passiert also da draußen und wir müssen nun herausfinden, was."

    Nach der Larvalzeit beginnen die Seeigel normalerweise, sesshaft zu werden und sich anzusiedeln. Dupont beobachtete, dass seine Larven in den CO2-angereicherten Mesokosmen etwa eine Woche länger dafür brauchten als ihre Artgenossen in den Kontrollansätzen. Außerdem interessierten sie sich offenbar herzlich wenig für ihre zukünftige Bleibe. Normalerweise suchen sich Seeigel einen Platz, der mit Algen bewachsen ist, also gute Futtermöglichkeiten verspricht. Doch die Larven in den Kohlendioxid angereicherten Mesokosmen zeigten sich wenig wählerisch und ließen sich anscheinend am nächstbesten Platz nieder. Dupont nimmt nun an, dass seine Larven so sehr mit dem Säurestress beschäftigt sind, dass ihr zukünftiger Wohnort zweitrangig für sie ist. Jetzt wartet er darauf, dass auch die anderen Wissenschaftler ihre Daten aus den Mesokosmen-Experimenten auswerten.

    "Forscher arbeiten derzeit an allen möglichen Fragen: Die Chemie in den Mesokosmen, Bakterien, Kleinkrebse und andere Aspekte. Und an einem Punkt werden wir alle zusammenkommen, unsere Daten zusammenfügen und das ganz große Bild der Ozeanversauerung sehen."

    In den vergangenen Jahren haben Wissenschaftler die Effekte in einem sauren Ozean intensiv untersucht. Dafür brachten sie meist einzelne Arten ins Labor, vermaßen im Säurebad ihre Stoffwechselabläufe, die Dicke ihrer Kalkschalen, das allgemeine Wohlbefinden. Wie sich derart veränderte Bedingungen auf ganze Lebensgemeinschaften auswirken, blieb dabei zunächst außen vor. Jetzt schließen die Langzeitversuche in den Mesokosmen diese Lücke. Im Gullmarsfjord beginnt die Auswertung gerade erst. Doch vor drei Jahren schon hat Riebesells Team Mesokosmen vor Spitzbergen ins Wasser gelassen. 2011 dann vor der norwegischen Küstenstadt Bergen, 2012 in der Ostsee vor Finnland. Die bisherigen Ergebnisse zeigen einen beunruhigenden Trend. Riebesell:

    "Eine Erkenntnis, die wir mittlerweile aus allen vier Studien gezogen haben ist, dass die CO2-Anreicherung durch Ozeanversauerung besonders die kleinsten der kleinen Planktonorganismen bevorteilt. Und zwar sehen wir immer, dass das Picoplankton, dass die durch Ozeanversauerung am meisten profitieren, am stärksten in Wachstumsraten und Biomasseproduktion zulegen und dadurch zum Teil den größeren Organismengruppen die Nährstoffe entziehen."

    Das Picoplankton steht am Anfang des Nahrungsnetzes. Verschiebungen an dieser Stelle könnten die gesamte Lebensgemeinschaft beeinflussen.

    "Das haben wir sehr deutlich beobachtet in einer Studie in der Arktis. Da haben wir gesehen, dass durch das stimulierte Wachstum bei den Picoplankta, den kleinsten Phytoplankta, haben die größeren, zum Beispiel die Diatomeen, in der Arktis das Nachsehen gehabt - die waren in der Produktion und Biomasseentwicklung deutlich geringer und das hat die Konsequenz gehabt zum einen, dass in der Nahrungskette weniger Nahrung für Kleinkrebse zur Verfügung stand aber auch der Export, das heißt der Tiefenfluss von Kohlenstoff in den tiefen Ozean vermindert war."

    Ein typischer Rückkopplungseffekt, der das Problem weiter verschärfen könnte: Weniger Tiefenfluss bedeutet, dass weniger Kohlenstoff langfristig in den Sedimenten des Ozeans gespeichert wird. Das würde bedeuten, dass das Meer der Atmosphäre in Zukunft weniger Kohlenstoff entzieht. Riebesell:

    "Das andere Ergebnis, das wir gefunden haben, ist, dass das Klimagas, das so genannte Dimethysulfit – das ist ein Kühlgas, so kann man das nennen, das dazu führt, dass sie Wolkenbildung angeregt wird - dass dieses Gas deutlich weniger produziert wurde unter Ozeanversauerung in diesem arktischen Experiment. Das haben wir auch wiedergefunden in anderen Meeresregionen und übertragen auf den globalen Ozean würde das bedeuten, der Ozean produziert weniger von diesem kühlenden Klimagas."

    Auch weniger Kühlgas könnte bedeuten, dass sich die Erde weiter aufheizt, so Riebesell.

    "Und damit wäre auch möglicherweise die Klimaerwärmung noch ein bisschen ausgeprägter Und das ist eine sehr konsistente Aussage, die wir jetzt in allen Mesokosmen-Experimenten wiedergefunden haben – zum ersten Mal in der Arktis, in dem Experiment."

    Auch im Gullmarsfjord beschäftigt die Breitenwirkung des Plankton die Forscher, einer von ihnen ist Lennart Bach, PostDoc am Geomar. An diesem Tag parkt er die "Wassermann" an Mesokosmos Nr. 5. Lennart Bach will eine Wasserprobe ziehen. Dafür löst er den so genannten Sampler aus seiner Verankerung. Ein etwa ein Meter langes, durchsichtiges Rohr aus Plexiglas.

    "Und dann kommt er hier rein, sanft, na ja, mehr oder weniger sanft ins Wasser, und dann muss man ihn halt aktivieren, indem man ihm sagt: OK, jetzt bist Du an der Oberfläche."

    Bach lässt das Gerät langsam an einem langen Seil in den Mesokosmos hinabgleiten.

    "Das ist ein integrierender Wassersampler oder Schöpfer, und den lassen wir langsam auf 17 Meter runter, und währenddessen saugt der kontinuierlich Wasser ein, so dass wir halt Eine Probe kriegen von dem Mesokosmos, über die ganze Wassersäule integriert und nicht nur eine diskrete Tiefe."

    Noch an Bord zapft der Forscher das geschöpfte Wasser in kleine Fläschchen ab. Später an Land werden die Proben an alle Team-Mitarbeiter verteilt. Einige Gruppen schauen sich die chemischen Parameter im Meerwasser an, beispielsweise den Kohlenstoff-Gehalt. Andere studieren einzelne Organismengruppen, wie winzige Krebstierchen oder Flügelschnecken. Und Lennart Bach konzentriert sich auf die pflanzlichen Kleinstlebewesen. Im Labor des Sven-Lovén-Zentrums wird er seine Wasserproben durchleuchten, ihre Zahl und ihre Masse bestimmen. So soll geklärt werden, wie genau sich die Blüte des Picoplanktons auf die gesamte Lebensgemeinschaft auswirkt. Ob beispielsweise größere Planktonorganismen seltener werden, wenn ihnen das Picoplankton die Nährstoffe entzieht.

    Dass die Ozeane saurer werden, ist zweifelsfrei belegt. Je mehr Kohlendioxid der Mensch in die Atmosphäre pustet, umso saurer wird das Wasser. Spürbar sind die Folgen heute schon in den arktischen Gewässern: Hier sieht man, dass die Schalen kalkbildender Organismen dünner geworden sind. Für die meisten Gebiete gilt aber: Ozeanversauerung ist ein Problem, das erst noch kommen wird. Der Direktor der Hopkins Meeresstation der Stanford Universität in Pacific Grove, Steve Palumbi, sieht darin das grundsätzliche Dilemma der Forscher.

    "Momentan haben wir eben kein Problem mit der Ozeanversauerung. Und wenn man sich als Forscher hinstellt und sagt: Momentan gibt es kein Problem aber es wird eines geben, interessiert das keinen. Ich vergleiche das immer mit einer Amputation oder einem Unfall: Wenn man einen Arm oder ein Bein erst einmal verloren hat, ist alles zu spät. Sobald es geschehen ist, kann man nichts mehr machen. Und man würde alles tun, um es zu verhindern. In diesen Gedanken müssen wir uns versetzen: Dass die Ozeanversauerung ein Riesen-Problem sein wird, wenn es erstmal soweit ist."

    Ähnlich sieht das auch Palumbis Kollege Jelle Bijma. Der aus den Niederlanden stammende Forscher arbeitet am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und durchforstet Klimaarchive. Er sucht nach Hinweisen auf Massenaussterben, die mit einem höheren Kohlendioxid-Gehalt in der Luft zusammenhängen.

    "Es gibt Zeiten, wo der Ozean versauert war in der Erdgeschichte und das kann man sehen, das ist alles eine Folge von Änderungen im Kohlenstoff-Kreislauf. Also, der Ozean ist versauert, es gab auch eine Erwärmung das ist also der andere Bruder sozusagen von der C-Pertubation: Global warming, Versauerung und auch Anoxia. Und das sind die Fingerabdrücke, die wir bei diesen Massenaussterben auch sehen und das ist eigentlich eine Warnung, nicht? Dass wir jetzt mit einem sehr gefährlichen Experiment unterwegs sind, wo wir eigentlich aus der geologischen Vergangenheit den Ablauf des Experiments schon sehen können."

    Erhöhter Kohlendioxidgehalt, Erwärmung und Anoxia, also Sauerstoffarmut: Diese drei Faktoren kennzeichnen ein Massenaussterben, das vor etwa 55 Millionen Jahren stattgefunden hat. Damals, während des so genannten PETM, des Paläozän/Eozän-Temperaturmaximums, stieg die Durchschnittstemperatur auf der Erde um 6 Grad Celsius an, innerhalb von 20.000 Jahren. So genannte Methanhydrate hatten diesen natürlichen Klimawandel angestoßen. Auch Methanklathrate genannte Verbindungen setzten Methan frei, das an der Luft zu Kohlendioxid oxidierte. Der CO2 Gehalt in der Atmosphäre stieg dramatisch an und führte zu dem Temperaturanstieg. Bijma:

    "Nach diesem katastrophalen Event, also dieses PETM, wo Methanklathrate freigesetzt wurden, hat es 100.000 Jahre gedauert, bevor nur dieses chemische Gleichgewicht wieder eingestellt wurde. Und um sich das bildlich darzustellen muss man sich überlegen: Wenn man mal einen zuviel trinkt abends, dass man danach nicht nur den nächsten Tag Kopfschmerzen hat sondern für die nächsten zwei Jahre! Wenn man dieses Bild den Politikern vielleicht mal vorlegt, dann kapieren die, worum es eigentlich geht."

    Der erste grundlegende Schritt ist immerhin getan. Im kommenden Weltklimabericht, der 2014 erscheint, wird es auch um die Ozeanversauerung gehen. Hans-Otto Pörtner, Ökophysiologe am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven ist einer der Autoren dieses Berichts.

    "Es gibt zwei neue Kapitel, die sich mit der Ozeanversauerung beschäftigen. Ich würde die Ozeanversauerung auch nicht vom Klimawandel trennen. Für mich ist sie Teil des Klimawandels und des globalen Wandels und ein wichtiger Prozess, der künftig möglicherweise ähnlich wichtig sein wird, wie die Temperaturänderungen, die jetzt in ihren Auswirkungen hervortreten."

    Doch die Wissenschaftler haben auch Hoffnung. Sie setzen vor allem auf die Anpassungsfähigkeit vieler Arten. Eine Population besteht aus sehr vielen Individuen, deren Erbgut sich trotz vieler Ähnlichkeiten voneinander unterscheidet. Möglich, dass tolerante, widerstandsfähige Individuen mit dem neuen Milieu zurechtkommen. Allerdings könnten sie einen hohen Preis dafür bezahlen, schätzt der Australier Phil Munday.

    "Wenn sich die Organismen an einen Stressfaktor gewöhnen, könnten sie anfälliger für andere werden. Es wird also auf Kompromisse hinauslaufen: Sie werden sich an einen Faktor anpassen können, aber nur auf Kosten von etwas anderem. Das ist ein ziemlich kompliziertes Problem, und es wird eine Weile dauern, bis wir es verstanden haben."

    Wichtig sei deshalb, die Meeresbewohner nicht noch zusätzlich unter Druck zu setzen, sagt auch Mundays Kollege Sam Dupont: um ihnen die Chance zu geben.

    "Wenn wir die Ökosysteme erhalten wollen, müssen wir sie widerstandsfähiger machen. Das geht aber nur, wenn wir alle zusätzlichen Stressfaktoren wegnehmen: Verschmutzung, Überfischung, die Zerstörung der Lebensräume. Damit können wir zwar die Ozeanversauerung nicht stoppen. Aber wir gewinnen etwas mehr Zeit."