Anke Völzmann: "Die Grundidee von Open Access ist ja, dass jeder, egal wo er ist, auf diesen Artikel zugreifen kann, ohne dafür bezahlt zu haben."
Die Realität heißt Closed Access: Zugang zu Forschungsergebnissen hat nur, wer Fachzeitschriften kauft.
Peter Teichner: "Hier ist ein ganz klarer logischer Widerspruch: die eine Seite macht die Arbeit und die andere Seite kassiert, das gefällt uns nicht."
Welthandel und Klimawechsel. Von Harun Onder - eine achtseitige Studie, das klingt interessant. Zum Glück kann ich sie herunterladen. Wie jeder andere mit Internetzugang auch. Man muss nur ins Onlinearchiv der Weltbank gehen, das es seit neuestem gibt. Nicht nur die Forschung der Weltbank ist kostenfrei zugänglich. Auch die neuesten Erkenntnisse der Forschung zum Asperger Syndrom, oder hier, wie sich geistige Erschöpfung auf das EEG auswirkt. Natürlich findet sich in den kostenfreien Onlinejournalen auch schwer Verdauliches. Über den Artikel "Topologische K und A Äquivalenzen von Polynomfunktionen" im "Journal of Singularities" etwa, freut sich allenfalls ein Fachkollege, jemand, der ebenfalls auf diesem Spezialgebiet der Mathematik arbeitet und froh ist, dass diese Arbeit nicht in einer gedruckten Zeitschrift erscheint, die seine Bibliothek leider nicht abonniert hat.
"Die Grundidee von Open Access ist ja, dass jeder, egal wo er ist, auf diesen Artikel zugreifen kann, ohne dafür bezahlt zu haben. Jeder ist jeder, also dass es einfach frei verfügbar im Netz ist. Das ist ja Open Access eigentlich."
Anke Völzmann verwaltet die Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Mathematik in Bonn. Obwohl Wissenschaftler weltweit ihre Daten digital austauschen, online kommunizieren und auf Kongressen alle medialen Register ziehen, um sich verständlich zu machen – hier wie in jeder Institutsbibliothek liegt das Fluidum medialen Mittelalters in der Luft. Monatshefte, zu dicken Büchern gebunden, reihen sich bündig und meterlang in einer Phalanx von Regalen. "Schau mich an, schlag mich auf!" scheinen die meisten durch ihre dünnen Staubmäntel zu rufen. Lediglich die jüngsten, noch nicht gebundenen Hefte im Neuheitenregal zeugen durch dezente Unordnung von gelegentlichem Geblättertwerden. Der einzige Benutzer sitzt vor einem Bildschirm und liest einen mathematischen Artikel – online. Die Ausgaben von 148 wissenschaftlichen Journalen sind hier versammelt: die "Annals of Mathematics", die "Inventiones Mathematicae" oder "Geometry and Topology". Allesamt gedruckte Zeitschriften, sie kommen zehn bis 15 Mal pro Jahr heraus, und die Max-Planck-Gesellschaft muss dafür eine Menge Abonnementgebühren bezahlen. Die 12 Hefte der "Inventiones" etwa kosten die Bibliothek trotz eines 75-prozentigen Rabattes noch 890 Euro pro Jahr. Zwar stehen dieselben Beiträge auch online zum download bereit. Aber nur für den, der Zugangsrechte bezahlt, 34,95 Euro für einen Artikel.
"Hallo! Ich bin ein Open-Access-Artikel","
sagt ein junger Mann in Pulli, Jeans und legerem Halstuch in einem Open Access-Werbevideo.
""Und ich bin ein Closed-Access-Artikel","
antwortet ihm ein anderer junger Mann, etwas steif in Anzug und Krawatte gewandet. Er schiebt einen leeren Einkaufswagen vor sich her.
""Was ist das denn? Gehst du einkaufen?"
"Nein! Ich bin jetzt auch in einem Online-Jourmal erschienen."
"Und? Wie ist es, so oft gelesen und zitiert zu werden?"
"Na ja, so oft kam das leider noch nicht vor. Immer wenn jemand auf mich klickt, kommt immer erst mal so ein Einkaufswagen, mit Bezahlhinweis. Und dann brechen die meisten Leute ab."
Anke Völzmann: "Das gibt es halt jetzt für etliche Artikel, dass man meinetwegen auf der Springer Seite ist, und sieht jetzt, oh ja, der Artikel ist ja frei verfügbar, und ich brauche ja nicht bezahlt haben dafür."
"Wieviel kostest du denn?"
"Also, ich kann kostenfrei heruntergeladen werden."
Online heißt noch längst nicht Open Access. Hybridjournale, die neben der Printversion ihre Inhalte auch digital aber gegen Bezahlung anbieten, sind in den Augen der OpenAccess-Verfechter eine Mogelpackung. Die Idee zum wirklich befreiten Publizieren kam Mitte der 90er auf und sie wuchs in kurzer Zeit zu einer echten Bewegung heran.
"Das Hauptziel der Bewegung war, beziehungsweise die Vorstellung ist nach wie vor, dass Publikationen aus öffentlich geförderter Forschung, also das sind die Projekte, die die DFG finanziert, genauso wie jede Forschung, die an Hochschulen entsteht, also dass diese frei zugänglich sind."
Die Idee fand viele Anhänger, auch bei den großen Forschungsorganisationen. Wie die, für die Anne Lipp arbeitet – die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG. Die empfiehlt seit geraumer Zeit, Forschungsergebnisse open access zu publizieren und nicht ausschließlich in einer gedruckten Zeitschrift. Die Gründe sind vielfältig. Zum einen dient ein schneller Austausch und barrierefreier Zugang dem Fortschritt der Wissenschaft als Ganzes. Zum zweiten argumentiert die Bewegung auch gesellschaftlich: Öffentlich geförderte Forschung sollte auch öffentlich zugänglich sein. Verkürzt formuliert: Wer die Forscher bezahlt, also der Steuerzahler, darf nicht nochmals zur Kasse gebeten werden, wenn er die Forschungsergebnisse sehen will. Doch vorerst ist das noch so. Das alte und immer noch lebendige Publikationswesen der Wissenschaft funktioniert so:
"Forscher reichen ihre Arbeiten bei einer Zeitschrift ein und geben ihre Verwertungsrechte daran ab. Der Artikel wird in druckreife Form gebracht und anschließend an Bibliotheken und andere wissenschaftliche Institutionen verkauft. Der Verlag, der die Zeitschrift herausbringt, macht damit Gewinn."
Als Manuskripte noch handschriftlich verfasst wurden, war der Weg bis zum fertigen Druckwerk lang und mühsam. In Zeiten der Digitalisierung kostete die Drucklegung immer weniger Geld. Was blieb, waren Kosten für Redaktion und Vertrieb. Doch statt preiswerter zu werden gingen die Preise für die Zeitschriften in die Höhe. Das brachte Bibliotheken, Unis und einige Wissenschaftler auf die Palme. Von Raubzügen war die Rede, von skrupellosen Kapitalisten, ja sogar mit dem Teufel wurde der Geschäftsführer des britisch-niederländischen Verlags-Konzerns Reed-Elsevier schon verglichen. Anne Lipp:
"Und ein Grund, warum sich der Boykott gegen Elsevier richtet ist, dass das der teuerste Verlag ist."
Das Karlsruher Institut für Technologie KIT hat eine Hitliste der zehn teuersten Zeitschriften in seiner Bibliothek ins Netz gestellt. Elsevier-Journale belegen dort acht der zehn Plätze. An der Spitze die "Biochimica et Biophysica Acta". Der Bezug dieses Druckwerks kostet das KIT im Jahr stolze 20.000 Euro.Wären alle wissenschaftlichen Zeitschriften so teuer, könnten viele Unibibliotheken dicht machen. Eines der Flaggschiffe von Elsevier, die viel gelesene Medizin-Zeitschrift "The Lancet" ist da mit etwa 1000 Euro fürs Jahresabo vergleichsweise billig zu haben. Niemand bestreitet, dass Drucklegung oder digitale Veröffentlichung und Verbreitung organisiert werden müssen. Das kostet natürlich.
"Jetzt kann man fragen, wie viel ist dieser Aufwand wert? Und verschiedene Verlage nehmen halt verschieden viel Geld dafür."
Peter Teichner ist Direktor am MPI in Bonn. Er hat, wie viele seiner Kollegen, einen Boykottaufruf gegen den Elsevier-Verlag unterschrieben. Elsevier ist neben dem US-amerikanischen Verlagshaus Wiley-Blackwell und dem deutschen (wissenschaftlichen) Springer-Verlag einer der drei Riesen im Verlagsgeschäft. Als Mathematiker ist Peter Teichner besonders erbost, weil er und seine Forscherkollegen im Zuge der Digitalisierung ohnehin schon druckreife Manuskripte abgeben. Wie auch viele Physiker tippen sie ihre Manuskripte und Formeln selbst, mithilfe eines Editierprogramms namens LaTex. Das Ergebnis kann praktisch unmittelbar in Satz gegeben werden, und damit entfällt ein Großteil der früheren Verlagskosten. Teichner:
"Die Anzahl der Journale geht nach oben, klar, es gibt immer mehr Wissen, das aufgeschrieben wird, aber eben auch die Preise gehen hoch, obwohl sie eigentlich runtergehen müssten, weil die Verlage eben weniger leisten."
In seinen besten Jahren hat Elsevier 30 Prozent Gewinn gemacht, bei einem Jahresumsatz von 7 Milliarden Euro. Um die Vehemenz zu verstehen, mit der die Wissenschaft plötzlich gegen die Preispolitik der Verlage aufbegehrte, muss man auch dies wissen: die Hauptarbeit machen öffentlich bestallte Wissenschaftler. Peter Teichner:
"Die Uni zahlt ja schon praktisch die Professoren dafür, dass sie die Arbeiten schreiben, editieren, referieren, das heißt die Uni zahlt eigentlich am meisten, und dann zahlt sie noch die Bibliothek, und dazwischen sitzt ein Verlag, der gar nicht mehr so viel beiträgt."
Wissenschaftler Professor A forscht jahrelang an seinem Thema. Bezahlt wird er als Landesbediensteter vom Steuerzahler. Dann schreibt er seine Ergebnisse zusammen und reicht sie bei einer Zeitschrift X ein. Deren Verleger ist ein anderer beamteter Wissenschaftler B, der diese Arbeit ehrenamtlich macht. B sucht zwei Kollegen C und D aus, die die Arbeit begutachten. Auch C und D, man ahnt es schon, arbeiten ehrenamtlich. Sie prüfen, ob der Artikel Fehler enthält, ob er interessant und neu genug ist. Falls nicht, geht er zurück an Autor A zwecks Nachbesserung. Ein solches Peer Review- oder Begutachtungsverfahren kann sich über mehrere Runden und Monate erstrecken. Erst dann geht der Artikel an den Verlag, dem die Zeitschrift X gehört. Kosten für den Verlag bis dahin: Null. Nun eignet sich der Verlag die Verwertungsrechte an dem Artikel an, druckt ihn oder stellt ihn online und verkauft ihn an Unibibliotheken in Form eines teuren Zeitschriftenabonnements. Dort können ihn nun auch die Kollegen E bis Z lesen. Schätzungsweise 90 Prozent dieser Wertschöpfungskette steckt in der Arbeit der Forscher, der ehrenamtlichen Gutachter und Verleger. Nur zehn Prozent in Druck und Vertrieb. Peter Teichner:
"Und hier ist ein ganz klarer logischer Widerspruch: die eine Seite macht die Arbeit und die andere Seite kassiert, das gefällt uns nicht."
Der Boykottaufruf gegen Elsevier zirkuliert seit Januar 2012 im Netz. Seither haben knapp 13.000 Wissenschaftler unterzeichnet, mit mehr als 2000 Sympathisanten sind die Mathematiker an vorderster Stelle dabei. Wahrscheinlich, weil sie am wenigsten mit logischen Widersprüchen leben können. Die meisten erklären, dem Elsevier-Verlag in Zukunft weder als Herausgeber noch als Gutachter zur Verfügung zu stehen. Und veröffentlichen wollen sie in den Zeitschriften des Verlags auch nicht mehr. Teichner:
"Elsevier ist ja aus anderen Gründen noch schlecht, weil die haben zum Beispiel diese Journal-Bündelung eingeführt. Wo die den Bibliotheken nicht nur die Journale verkaufen, die die haben wollen, sondern die sagen: Wenn ihr etwas von Elsevier wollt, dann müsst ihr das ganze package kaufen."
Das package Modell, die Zeitschriftenbündelung, erscheint wie eine besonders infame aber betriebswirtschaftlich clevere Methode, schlecht laufende Produkte loszuwerden. Es ist als gäbe es die frischen Croissant beim Bäcker nur noch im Verbund mit einem Fünferpack Aufbackbrötchen. Bibliotheken, die nur wirklich notwendige Magazine beziehen wollen, können das gar nicht, weil sie nur im im Paket mit einer Reihe meist uninteressanter Zeitschriften vertrieben werden. Niemand werde dazu gezwungen, kontert der Verlag in einer öffentlichen Antwort auf den Protest, jeder könne auch einzelne Titel bestellen. Im Bündel seien die Journale halt nur günstiger zu haben.
"Aber wenn man das dann umrechnet auf die Journale, die man eigentlich nur haben will, dann ist das wieder viel teurer, als es sein sollte."
Und so protestieren auch die Bibliotheken. Die Harvard University beispielsweise hat schon 2004 einen Großteil ihrer Elsevier-Zeitschriften abbestellt. Die Mathematische Fakultät der TU München will es ihr demnächst gleichtun; sie hat Anfang Mai beschlossen, ein teures Elsevier Abo-Paket zu kündigen, Zitat: "Aufgrund unzumutbarer Kosten und Bezugsbedingungen". Von den knapp 24.000 wissenschaftlichen Journalen, die weltweit erscheinen, hat Elsevier mehr als 2700 im Angebot, 700 allein in der Medizin. Dazu gehören renommierte internationale Blätter wie "Cell" oder "Lancet" ebenso landessprachliche Zeitschriften wie etwa die "Zeitschrift für medizinische Physik" oder das hoch spezialisierte "Neurophysiologielabor". Die Großen 3 der wissenschaftlichen Verlags-Branche bringen es zusammen auf einen Marktanteil von mehr als 40 Prozent. Peter Teichner:
"Also die nutzen das Monopol aus."
Dagegen steht die Utopie des Open Access. Dessen Verfechter spalten sich in Fundis und Realos. Das Ideal der Fundis ist der "Goldene Weg". Anne Lipp erläutert.
"Der goldene Weg bedeutet, dass eine Publikation sofort bei Erscheinen frei zugänglich ist. Das ist eine Zeitschrift, die im Internet erscheint und deren Beiträge nicht finanziert werden, indem die Zeitschrift verkauft wird, sondern deren Beiträge sofort frei erscheinen."
Finanziert werden muss eine solche Zeitschrift trotzdem. Auch Open Access braucht Verleger. Würde jeder Wissenschaftler völlig unorganisiert seine Ergebnisse ins Netz stellen, beispielsweise auf der eigenen Homepage, wäre das Suchen nach bestimmten Themen oder Arbeiten ineffektiv wie das blinde Zugreifen in einem Wühltisch. Zum zweiten würde den Arbeiten auf dem Wühltisch der Wissenschaft das Gütesiegel der Kollegen fehlen. Auch ein Begutachtungsprozess will organisiert und in einer für die Wissenschaftler besseren Welt auch bezahlt sein. Im Goldenen Weg übernehmen die Publikationskosten die Autoren selbst oder die Institutionen, für die sie arbeiten. Lipp:
"Diese genuinen Open Access Zeitschriften werden durch so genannte Publikationsgebühren oder Autorengebühren bezahlt."
Typische APCs, "article processing charges", die Druckkosten pro Artikel, liegen bei etwa 700 Euro, variieren aber stark. Peter Teichner:
"Erst einmal bringt das die Wissenschaft voran, wenn ich jedes Mal, wenn ich über ein Problem nachdenke, habe ich den vollen Zugriff über die ganze Forschung dazu. Das ist ein enormer Vorteil für die Wissenschaft."
Nach einheitlichen Finanzierungsmodellen für den Goldenen Weg wird eifrig gesucht. Angeführt vom Großforschungszentrum Cern haben sich jüngst die Teilchenphysiker weltweit mit ihren Verlagen auf Open Access Publishing geeinigt: Von 2014 an werden alle Veröffentlichungen aus den Forschungseinrichtungen der Hochenergiephysik in zwölf Zeitschriften frei zugänglich sein. Die Publikationsgebühren von im Schnitt 1400 Euro pro Artikel bestreitet ein Fond der beteiligten Labors. Peter Teichner:
"Es gibt Überlegungen, das gesamte Verlagswesen auch in die Uni einzugliedern. Das Hauptgeld ist die Zeit der Wissenschaftler, das sind die Hauptkosten. Jetzt fehlen noch, sagen wir mal zehn Prozent, die die Verlage noch wirklich leisten. Und es gibt schon Überlegungen, die sagen, nun gut, da muss die Uni eben in den sauren Apfel beißen, und das auch noch übernehmen, mit anderen Worten, die stellt dann eben ein paar Leute ein, die früher beim Verlag gearbeitet haben, morgen sollen sie dann bei der Uni arbeiten, aber die macht das dann alles."
Bei diesem Finanzierungsmodell gäbe es praktisch gar keine Verlage mehr. Dagegen werden diese sich naturgemäß so lange wie möglich zur Wehr setzen, im besten Falle ihre Geschäftsmodelle anpassen, so dass sie weiter ihr Auskommen haben und die Wissenschaftler trotzdem Open Access. Aber auch die werden nicht von heute auf morgen auf lieb gewonnene Publikationsgewohnheiten verzichten. Einen gangbaren Kompromiss zwischen der Publikationsschnellstraße " Goldener Weg" und der Sackgasse Printjournal gibt es schon heute, den "Grünen Weg". Anne Lipp:
"Grüner Weg heißt, eine Publikation, die ganz normal in einer Zeitschrift erschienen ist, kann nach einer gewissen Frist, in der Regel nach einem halben Jahr, frei zugänglich in einem Repositorium abgelegt werden, und damit weltweit für jeden, der interessiert ist, zugänglich sein. Ein Repositorium ist ein Speicherort, eine Datenbank für Publikationen, wenn Sie so wollen, die sind in der Regel fachlich sortiert."
Zunächst als Print wie gehabt, Open Access erst später. Auf dem grünen Weg müssen Wissenschaftler nicht an ihre Projektmittel gehen oder gar in die eigene Tasche greifen; und sie können weiterhin auf die ihnen vertraute Weise veröffentlichen. Der grüne Weg ist ein Kompromiss, eine Übergangslösung, die es auch den Verlagen ermöglicht, ihr Geschäftsmodell den Open Access-Ideen allmählich anzupassen. Anne Lipp:
"Die jetzige Wissenschaftlergeneration, die die Trends dominiert, die gehört noch zu einer Generation von Digital Immigrants, das sind noch keine Born Digitals. Das heißt man kennt es noch, dass man Geld bezahlen muss, um Zugang zu etwas zu bekommen und man kennt sogar noch die Situation, dass es das Netz nicht gab, und man ans Regal gehen musste. Das wird in 20 Jahren komplett anders sein."
Mehr als 8200 Open-Access Journale sind derzeit auf dem Directory of Open Access Journals verzeichnet. Auch die großen Printverlage wie Springer haben echte Open-Access-Zeitschriften aufgelegt. In "Springer Open" findet man an die 100. Im "Health Economics Review" zum Beispiel wird ein Artikel über die gesellschaftlichen Kosten der Alzheimer-Erkrankung besonders häufig gelesen. Sein Autor, wie jeder Autor dieses Journals, musste 800 Euro als APC berappen. Alternativ könnte seine Institution eine feste Pauschale zahlen, die alle Veröffentlichungen ihrer Forscher im Health Economics Review abdecken würde.
Auch nach mehr als 15 Jahren Open Access Publishing stellen solche Journale nur einen Teil der mehr als 24.000 wissenschaftlichen Zeitschriften weltweit. Obwohl Wissenschaftler also ausreichend Möglichkeiten haben, Open Access zu publizieren, können Elsevier und Co immer noch überteuerte Printjournale vertreiben. Und obwohl, so zeigen Befragungen, durchweg 90 Prozent aller Forscher Open Access befürworten, veröffentlichen nur etwa zehn Prozent auf diesem Weg. Warum also halten Wissenschaftler so hartnäckig an dem alten Verlagsmodell fest? Zwei Gründe nennen sie selbst: Die teilweise unkomfortable Kostenregelung durch APCs und, als Hauptgrund, das Renommee der Zeitschriften. Denn der Ruf, den ein Fachblatt genießt, färbt auf diejenigen ab, die in ihm veröffentlichen. Noch sind die meisten Zeitschriften mit dem besten Ruf klassische Printjournale. Lipp:
"Die Impact-Faktoren einer Zeitschrift haben erschreckende Bedeutung, wenn man das so plakativ sagen kann, die Auseinandersetzung mit dem Inhalt ist in den Hintergrund getreten, angesichts dieses Impact-Faktors, das heißt wenn der Impact-Faktor einer Zeitschrift, in der der Artikel erschienen ist, stimmt, dann ist das eine positive Aussage über den Autor, egal ob der Inhalt gut ist oder nicht."
Der Impact-Factor ist ein Maß dafür, wie häufig die Artikel einer Zeitschrift von anderen Wissenschaftlern zitiert werden. Peter Teichner:
"Das ist historisch gewachsen. Der Wert, den die besitzen, ist sozusagen das Ansehen der Journale. Auch Elsevier hat ja verschiedene Sorten Journale in den verschiedenen Wissenschaften, und einige wenige von diesen, das sind dann auch die, die die Universitäten am Ende haben wollen, haben sehr hohes Ansehen. Und so etwas lässt sich nicht von heute auf morgen kreieren. Das ist wie eine Art Evolution, weil, wenn ein Journal dadurch auffällt, dass da gute Arbeiten drin sind, wollen andere auch wieder darin veröffentlichen. Dann kommen die besseren Leute, die für das Journal arbeiten, und so geht das weiter über die Jahre."
Die Open Access Journale bahnen sich erst langsam einen Weg in die oberen Bewertungsränge. Die 1996 gegründete "documenta mathematica" etwa konnte 2008 endlich stolz vermelden, dass sie im Impact Ranking auf Platz 4 in Europa vorgerückt war. Trotzdem hält sich hartnäckig das Vorurteil, Open Access sei Aldi, die Printjournale aber Einkauf im Feinkostgeschäft. Peter Teichner rät seinen Doktoranden aus Überzeugung, in Open Access Journalen zu veröffentlichen. Aber...
"das muss jeder für sich entscheiden, das ist eine Gewissensentscheidung. Es gibt genügend Journale, die günstig sind, wo man einreichen kann, aber ich würde es auch keinem übel nehmen, wenn der sozusagen die Preise ignoriert, solange bis man eine feste Stelle hat."
"Ich freue mich sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass Ihr Artikel von meiner Zeitschrift angenommen wurde. Bitte unterschreiben Sie hier."
Ein weiterer Sketch aus dem Open Access Lager. Einem Roboter, zusammengesetzt aus Pappkartons, steht eine kritisch blickende Forscherin gegenüber.
"Das ist mein Standard-Urheberrechtsformular, ohne das wir Ihr Manuskript leider nicht veröffentlichen können. Bitte unterschreiben Sie hier."
Anne Lipp: "Wenn ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin eine Publikation bei einem Verlag einreicht, dann muss man einen Vertrag unterschreiben, und in diesem Rahmenvertrag werden in der Regel die exklusiven Verwertungsrechte an den Verlag abgetreten. Das heißt, also nicht nur die erste Publikation, sondern auch jede weitere Verwertung."
"Wozu benötigen Sie denn die Urheberrechte an meinem Artikel?"
"Damit der Artikel nur gegen Bezahlung gelesen werden kann. Bitte unterschreiben Sie hier."
"Wie hoch sind meine Tantiemen?"
"Tantiemen kann ich Ihnen leider keine anbieten."
"Wie wäre es mit einem Pauschalbetrag von 300 Euro?"
"Wie wäre es mit nichts? Unterschreiben Sie bitte hier."
Mit dem Verwertungsrecht verliert der Autor auch die Möglichkeit, seinen Artikel zur besseren Verfügbarkeit auf den Institutsrechner, seine Homepage oder ein anderes Online-Repositorium zu stellen.
"Die Praxis ist so, dass in 99,5 Prozent der Fälle das exklusive Verwertungsrecht abgetreten wird, Unter Wissenschaftlern ist zum einen das Bewusstsein nicht so ausgeprägt, die Verträge sind dergestalt dass man sie einfach unterschreibt, und nicht sich die Mühe machen möchte, die durchzulesen","
fasst Anne Lipp ihre Erfahrungen in der Deutschen Forschungsgemeinschaft zusammen. Peter Teichner konstatiert etwas gelassener
""Das war ja früher so, wenn man einen Artikel abgegeben hat beim Verlag, musste man unterschreiben, dass man das Copyright abtritt. Heutzutage streicht das jeder durch und sagt nein ich behalte mir das Recht vor, das selbst auf die Website stellen zu dürfen. Das akzeptiert der Verlag, inzwischen."
Anne Lipp relativiert:
"Einige renommierte Wissenschaftler, Max Planck Direktoren, die sagen: 'Ich streiche das immer durch und ich hab noch nie was vom Verlag zurückbekommen'. Aber das ist eine Frage in welcher Verhandlungsposition sie sind."
Der Max-Planck-Direktor – in Deutschland ein Synonym für denkbar größten wissenschaftlichen Erfolg - kann es sich leisten, seine Arbeiten in weniger angesehenen Zeitschriften zu publizieren und große Verlage zu brüskieren. Der junge Stellensuchende nicht.
"Unterschreiben Sie bitte hier."
Einen Versuch, die Monopolstellung der Verlage aufzubrechen, will der Bundesrat in seiner nächsten Novelle zum Urheberrecht unternehmen. Mit Zustimmung aller Parteien hat die Enquetekommission "Internet und Digitale Gesellschaft" vorgeschlagen, ein so genanntes Zweitveröffentlichungsrecht gesetzlich festzuschreiben. Es würde Wissenschaftlern ermöglichen, nach einer angemessenen Frist nach der Erstveröffentlichung wieder über ihr Werk zu verfügen. Insbesondere, es online zu stellen und damit frei zugänglich zu machen. Dagegen hat es erstaunlich heftige Kritik gegeben, weniger aus den Reihen der Wissenschaftler als von Künstlern und Buchautoren. Sie haben sich 2009 im so genannten Heidelberger Appell gegen die Open Access-Politik ausgesprochen. Unter den Unterzeichnern finden sich klingende Schriftstellernamen wie die von Grass, Lenz und Enzensberger. Sie sehen die Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft durch Open Access gefährdet. Anne Lipp:
"Hier werden die Diskussionen häufig vermischt, wir haben die wissenschaftlichen Urheber, die ihr Werk generieren aus einer finanzierten Position heraus, das ist niemals zu verwechseln mit den Urhebern, die sozusagen von der Arbeit ihres produktiven Schreibens leben."
Literaten und Künstler leben von den Erzeugnissen ihrer Arbeit. Ihnen sichert das Urheberrecht den Lebensunterhalt. Wissenschaftler dagegen brauchen das Urheberrecht nicht zur Existenzsicherung, sie werden von der öffentlichen Hand bezahlt. Und sie wollen ihre Gedanken und Ideen verbreiten, möglichst schnell und freizügig. Dagegen sieht der Deutsche Hochschulverband, eine nicht öffentliche Interessenvertretung deutscher Professoren, im Zweitveröffentlichungsrecht eine Gefahr für die im Grundgesetz Artikel 5, Absatz 3 garantierte Freiheit der Wissenschaft. Michael Hartmer, Geschäftsführer und Sprecher des Verbandes meint durch das geplante Gesetz würde dem Wissenschaftler...
"...ein Recht gegeben, das er ja ohnehin schon hat. Also es ist so ein bisschen aufgedrängte Bereicherung."
Und in einigen Jahren werde aus dem Recht eine Pflicht werden, ein Zwang also, der dem Selbstbestimmungsrecht der Wissenschaft entgegensteht, befürchtet Michael Hartmer. Ob ihm die Mitglieder des Verbandes da vorbehaltlos folgen, ist angesichts der massiven Unterstützung von Open Access durch alle großen deutschen Forschungsorganisationen eher zweifelhaft. Und dass auch die Verlage mit Open Access leben und ihr Auskommen haben können, zeigen Beispiele wie der Deal der Teilchenphysiker. Open Access heißt nicht einfach nur online und es heißt auch nicht ohne Verlage. Es bedeutet nur weniger Bereicherung und mehr Freizügigkeit für Forscher und Erforschtes. Die Verfechter des Open Access sind zuversichtlich, dass die Wissenschaft den Übergang aus dem medialen Mittelalter in die digitale Neuzeit schaffen wird. Anne Lipp:
"Das ist schon eine spannende Zeit, in der sich das gesamte Publikationswesen befindet, wir befinden uns im Moment in einem Übergang, wie sich unsere Vorfahren befunden haben, als der Buchdruck erfunden wurde. Da gibt es interessante Überlieferungen dazu, dass die ersten Drucke, die mit der Gutenbergschen Druckerpresse gedruckt wurden, noch Handschriften imitiert haben. Dass man versucht hat, das, was man bisher kannte, in der neuen Technik zu imitieren. Genauso ist es an vielen Stellen heute noch, wir sind noch gefangen - und da ist keiner von uns, der nicht jetzt geboren ist, davon ausgenommen. Wir sind noch gefangen in dem, was wir aus der nicht digitalen Welt kennen. Eine Zeitschrift, das ist etwas abgeschlossenes zwischen zwei Buchdeckeln, im Prinzip braucht man das gar nicht mehr, das Internet braucht die Form der Zeitschrift eigentlich nicht mehr, aber das ist ein Prozess, der im Moment abläuft und der einfach seine Zeit braucht."
Die Realität heißt Closed Access: Zugang zu Forschungsergebnissen hat nur, wer Fachzeitschriften kauft.
Peter Teichner: "Hier ist ein ganz klarer logischer Widerspruch: die eine Seite macht die Arbeit und die andere Seite kassiert, das gefällt uns nicht."
Welthandel und Klimawechsel. Von Harun Onder - eine achtseitige Studie, das klingt interessant. Zum Glück kann ich sie herunterladen. Wie jeder andere mit Internetzugang auch. Man muss nur ins Onlinearchiv der Weltbank gehen, das es seit neuestem gibt. Nicht nur die Forschung der Weltbank ist kostenfrei zugänglich. Auch die neuesten Erkenntnisse der Forschung zum Asperger Syndrom, oder hier, wie sich geistige Erschöpfung auf das EEG auswirkt. Natürlich findet sich in den kostenfreien Onlinejournalen auch schwer Verdauliches. Über den Artikel "Topologische K und A Äquivalenzen von Polynomfunktionen" im "Journal of Singularities" etwa, freut sich allenfalls ein Fachkollege, jemand, der ebenfalls auf diesem Spezialgebiet der Mathematik arbeitet und froh ist, dass diese Arbeit nicht in einer gedruckten Zeitschrift erscheint, die seine Bibliothek leider nicht abonniert hat.
"Die Grundidee von Open Access ist ja, dass jeder, egal wo er ist, auf diesen Artikel zugreifen kann, ohne dafür bezahlt zu haben. Jeder ist jeder, also dass es einfach frei verfügbar im Netz ist. Das ist ja Open Access eigentlich."
Anke Völzmann verwaltet die Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Mathematik in Bonn. Obwohl Wissenschaftler weltweit ihre Daten digital austauschen, online kommunizieren und auf Kongressen alle medialen Register ziehen, um sich verständlich zu machen – hier wie in jeder Institutsbibliothek liegt das Fluidum medialen Mittelalters in der Luft. Monatshefte, zu dicken Büchern gebunden, reihen sich bündig und meterlang in einer Phalanx von Regalen. "Schau mich an, schlag mich auf!" scheinen die meisten durch ihre dünnen Staubmäntel zu rufen. Lediglich die jüngsten, noch nicht gebundenen Hefte im Neuheitenregal zeugen durch dezente Unordnung von gelegentlichem Geblättertwerden. Der einzige Benutzer sitzt vor einem Bildschirm und liest einen mathematischen Artikel – online. Die Ausgaben von 148 wissenschaftlichen Journalen sind hier versammelt: die "Annals of Mathematics", die "Inventiones Mathematicae" oder "Geometry and Topology". Allesamt gedruckte Zeitschriften, sie kommen zehn bis 15 Mal pro Jahr heraus, und die Max-Planck-Gesellschaft muss dafür eine Menge Abonnementgebühren bezahlen. Die 12 Hefte der "Inventiones" etwa kosten die Bibliothek trotz eines 75-prozentigen Rabattes noch 890 Euro pro Jahr. Zwar stehen dieselben Beiträge auch online zum download bereit. Aber nur für den, der Zugangsrechte bezahlt, 34,95 Euro für einen Artikel.
"Hallo! Ich bin ein Open-Access-Artikel","
sagt ein junger Mann in Pulli, Jeans und legerem Halstuch in einem Open Access-Werbevideo.
""Und ich bin ein Closed-Access-Artikel","
antwortet ihm ein anderer junger Mann, etwas steif in Anzug und Krawatte gewandet. Er schiebt einen leeren Einkaufswagen vor sich her.
""Was ist das denn? Gehst du einkaufen?"
"Nein! Ich bin jetzt auch in einem Online-Jourmal erschienen."
"Und? Wie ist es, so oft gelesen und zitiert zu werden?"
"Na ja, so oft kam das leider noch nicht vor. Immer wenn jemand auf mich klickt, kommt immer erst mal so ein Einkaufswagen, mit Bezahlhinweis. Und dann brechen die meisten Leute ab."
Anke Völzmann: "Das gibt es halt jetzt für etliche Artikel, dass man meinetwegen auf der Springer Seite ist, und sieht jetzt, oh ja, der Artikel ist ja frei verfügbar, und ich brauche ja nicht bezahlt haben dafür."
"Wieviel kostest du denn?"
"Also, ich kann kostenfrei heruntergeladen werden."
Online heißt noch längst nicht Open Access. Hybridjournale, die neben der Printversion ihre Inhalte auch digital aber gegen Bezahlung anbieten, sind in den Augen der OpenAccess-Verfechter eine Mogelpackung. Die Idee zum wirklich befreiten Publizieren kam Mitte der 90er auf und sie wuchs in kurzer Zeit zu einer echten Bewegung heran.
"Das Hauptziel der Bewegung war, beziehungsweise die Vorstellung ist nach wie vor, dass Publikationen aus öffentlich geförderter Forschung, also das sind die Projekte, die die DFG finanziert, genauso wie jede Forschung, die an Hochschulen entsteht, also dass diese frei zugänglich sind."
Die Idee fand viele Anhänger, auch bei den großen Forschungsorganisationen. Wie die, für die Anne Lipp arbeitet – die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG. Die empfiehlt seit geraumer Zeit, Forschungsergebnisse open access zu publizieren und nicht ausschließlich in einer gedruckten Zeitschrift. Die Gründe sind vielfältig. Zum einen dient ein schneller Austausch und barrierefreier Zugang dem Fortschritt der Wissenschaft als Ganzes. Zum zweiten argumentiert die Bewegung auch gesellschaftlich: Öffentlich geförderte Forschung sollte auch öffentlich zugänglich sein. Verkürzt formuliert: Wer die Forscher bezahlt, also der Steuerzahler, darf nicht nochmals zur Kasse gebeten werden, wenn er die Forschungsergebnisse sehen will. Doch vorerst ist das noch so. Das alte und immer noch lebendige Publikationswesen der Wissenschaft funktioniert so:
"Forscher reichen ihre Arbeiten bei einer Zeitschrift ein und geben ihre Verwertungsrechte daran ab. Der Artikel wird in druckreife Form gebracht und anschließend an Bibliotheken und andere wissenschaftliche Institutionen verkauft. Der Verlag, der die Zeitschrift herausbringt, macht damit Gewinn."
Als Manuskripte noch handschriftlich verfasst wurden, war der Weg bis zum fertigen Druckwerk lang und mühsam. In Zeiten der Digitalisierung kostete die Drucklegung immer weniger Geld. Was blieb, waren Kosten für Redaktion und Vertrieb. Doch statt preiswerter zu werden gingen die Preise für die Zeitschriften in die Höhe. Das brachte Bibliotheken, Unis und einige Wissenschaftler auf die Palme. Von Raubzügen war die Rede, von skrupellosen Kapitalisten, ja sogar mit dem Teufel wurde der Geschäftsführer des britisch-niederländischen Verlags-Konzerns Reed-Elsevier schon verglichen. Anne Lipp:
"Und ein Grund, warum sich der Boykott gegen Elsevier richtet ist, dass das der teuerste Verlag ist."
Das Karlsruher Institut für Technologie KIT hat eine Hitliste der zehn teuersten Zeitschriften in seiner Bibliothek ins Netz gestellt. Elsevier-Journale belegen dort acht der zehn Plätze. An der Spitze die "Biochimica et Biophysica Acta". Der Bezug dieses Druckwerks kostet das KIT im Jahr stolze 20.000 Euro.Wären alle wissenschaftlichen Zeitschriften so teuer, könnten viele Unibibliotheken dicht machen. Eines der Flaggschiffe von Elsevier, die viel gelesene Medizin-Zeitschrift "The Lancet" ist da mit etwa 1000 Euro fürs Jahresabo vergleichsweise billig zu haben. Niemand bestreitet, dass Drucklegung oder digitale Veröffentlichung und Verbreitung organisiert werden müssen. Das kostet natürlich.
"Jetzt kann man fragen, wie viel ist dieser Aufwand wert? Und verschiedene Verlage nehmen halt verschieden viel Geld dafür."
Peter Teichner ist Direktor am MPI in Bonn. Er hat, wie viele seiner Kollegen, einen Boykottaufruf gegen den Elsevier-Verlag unterschrieben. Elsevier ist neben dem US-amerikanischen Verlagshaus Wiley-Blackwell und dem deutschen (wissenschaftlichen) Springer-Verlag einer der drei Riesen im Verlagsgeschäft. Als Mathematiker ist Peter Teichner besonders erbost, weil er und seine Forscherkollegen im Zuge der Digitalisierung ohnehin schon druckreife Manuskripte abgeben. Wie auch viele Physiker tippen sie ihre Manuskripte und Formeln selbst, mithilfe eines Editierprogramms namens LaTex. Das Ergebnis kann praktisch unmittelbar in Satz gegeben werden, und damit entfällt ein Großteil der früheren Verlagskosten. Teichner:
"Die Anzahl der Journale geht nach oben, klar, es gibt immer mehr Wissen, das aufgeschrieben wird, aber eben auch die Preise gehen hoch, obwohl sie eigentlich runtergehen müssten, weil die Verlage eben weniger leisten."
In seinen besten Jahren hat Elsevier 30 Prozent Gewinn gemacht, bei einem Jahresumsatz von 7 Milliarden Euro. Um die Vehemenz zu verstehen, mit der die Wissenschaft plötzlich gegen die Preispolitik der Verlage aufbegehrte, muss man auch dies wissen: die Hauptarbeit machen öffentlich bestallte Wissenschaftler. Peter Teichner:
"Die Uni zahlt ja schon praktisch die Professoren dafür, dass sie die Arbeiten schreiben, editieren, referieren, das heißt die Uni zahlt eigentlich am meisten, und dann zahlt sie noch die Bibliothek, und dazwischen sitzt ein Verlag, der gar nicht mehr so viel beiträgt."
Wissenschaftler Professor A forscht jahrelang an seinem Thema. Bezahlt wird er als Landesbediensteter vom Steuerzahler. Dann schreibt er seine Ergebnisse zusammen und reicht sie bei einer Zeitschrift X ein. Deren Verleger ist ein anderer beamteter Wissenschaftler B, der diese Arbeit ehrenamtlich macht. B sucht zwei Kollegen C und D aus, die die Arbeit begutachten. Auch C und D, man ahnt es schon, arbeiten ehrenamtlich. Sie prüfen, ob der Artikel Fehler enthält, ob er interessant und neu genug ist. Falls nicht, geht er zurück an Autor A zwecks Nachbesserung. Ein solches Peer Review- oder Begutachtungsverfahren kann sich über mehrere Runden und Monate erstrecken. Erst dann geht der Artikel an den Verlag, dem die Zeitschrift X gehört. Kosten für den Verlag bis dahin: Null. Nun eignet sich der Verlag die Verwertungsrechte an dem Artikel an, druckt ihn oder stellt ihn online und verkauft ihn an Unibibliotheken in Form eines teuren Zeitschriftenabonnements. Dort können ihn nun auch die Kollegen E bis Z lesen. Schätzungsweise 90 Prozent dieser Wertschöpfungskette steckt in der Arbeit der Forscher, der ehrenamtlichen Gutachter und Verleger. Nur zehn Prozent in Druck und Vertrieb. Peter Teichner:
"Und hier ist ein ganz klarer logischer Widerspruch: die eine Seite macht die Arbeit und die andere Seite kassiert, das gefällt uns nicht."
Der Boykottaufruf gegen Elsevier zirkuliert seit Januar 2012 im Netz. Seither haben knapp 13.000 Wissenschaftler unterzeichnet, mit mehr als 2000 Sympathisanten sind die Mathematiker an vorderster Stelle dabei. Wahrscheinlich, weil sie am wenigsten mit logischen Widersprüchen leben können. Die meisten erklären, dem Elsevier-Verlag in Zukunft weder als Herausgeber noch als Gutachter zur Verfügung zu stehen. Und veröffentlichen wollen sie in den Zeitschriften des Verlags auch nicht mehr. Teichner:
"Elsevier ist ja aus anderen Gründen noch schlecht, weil die haben zum Beispiel diese Journal-Bündelung eingeführt. Wo die den Bibliotheken nicht nur die Journale verkaufen, die die haben wollen, sondern die sagen: Wenn ihr etwas von Elsevier wollt, dann müsst ihr das ganze package kaufen."
Das package Modell, die Zeitschriftenbündelung, erscheint wie eine besonders infame aber betriebswirtschaftlich clevere Methode, schlecht laufende Produkte loszuwerden. Es ist als gäbe es die frischen Croissant beim Bäcker nur noch im Verbund mit einem Fünferpack Aufbackbrötchen. Bibliotheken, die nur wirklich notwendige Magazine beziehen wollen, können das gar nicht, weil sie nur im im Paket mit einer Reihe meist uninteressanter Zeitschriften vertrieben werden. Niemand werde dazu gezwungen, kontert der Verlag in einer öffentlichen Antwort auf den Protest, jeder könne auch einzelne Titel bestellen. Im Bündel seien die Journale halt nur günstiger zu haben.
"Aber wenn man das dann umrechnet auf die Journale, die man eigentlich nur haben will, dann ist das wieder viel teurer, als es sein sollte."
Und so protestieren auch die Bibliotheken. Die Harvard University beispielsweise hat schon 2004 einen Großteil ihrer Elsevier-Zeitschriften abbestellt. Die Mathematische Fakultät der TU München will es ihr demnächst gleichtun; sie hat Anfang Mai beschlossen, ein teures Elsevier Abo-Paket zu kündigen, Zitat: "Aufgrund unzumutbarer Kosten und Bezugsbedingungen". Von den knapp 24.000 wissenschaftlichen Journalen, die weltweit erscheinen, hat Elsevier mehr als 2700 im Angebot, 700 allein in der Medizin. Dazu gehören renommierte internationale Blätter wie "Cell" oder "Lancet" ebenso landessprachliche Zeitschriften wie etwa die "Zeitschrift für medizinische Physik" oder das hoch spezialisierte "Neurophysiologielabor". Die Großen 3 der wissenschaftlichen Verlags-Branche bringen es zusammen auf einen Marktanteil von mehr als 40 Prozent. Peter Teichner:
"Also die nutzen das Monopol aus."
Dagegen steht die Utopie des Open Access. Dessen Verfechter spalten sich in Fundis und Realos. Das Ideal der Fundis ist der "Goldene Weg". Anne Lipp erläutert.
"Der goldene Weg bedeutet, dass eine Publikation sofort bei Erscheinen frei zugänglich ist. Das ist eine Zeitschrift, die im Internet erscheint und deren Beiträge nicht finanziert werden, indem die Zeitschrift verkauft wird, sondern deren Beiträge sofort frei erscheinen."
Finanziert werden muss eine solche Zeitschrift trotzdem. Auch Open Access braucht Verleger. Würde jeder Wissenschaftler völlig unorganisiert seine Ergebnisse ins Netz stellen, beispielsweise auf der eigenen Homepage, wäre das Suchen nach bestimmten Themen oder Arbeiten ineffektiv wie das blinde Zugreifen in einem Wühltisch. Zum zweiten würde den Arbeiten auf dem Wühltisch der Wissenschaft das Gütesiegel der Kollegen fehlen. Auch ein Begutachtungsprozess will organisiert und in einer für die Wissenschaftler besseren Welt auch bezahlt sein. Im Goldenen Weg übernehmen die Publikationskosten die Autoren selbst oder die Institutionen, für die sie arbeiten. Lipp:
"Diese genuinen Open Access Zeitschriften werden durch so genannte Publikationsgebühren oder Autorengebühren bezahlt."
Typische APCs, "article processing charges", die Druckkosten pro Artikel, liegen bei etwa 700 Euro, variieren aber stark. Peter Teichner:
"Erst einmal bringt das die Wissenschaft voran, wenn ich jedes Mal, wenn ich über ein Problem nachdenke, habe ich den vollen Zugriff über die ganze Forschung dazu. Das ist ein enormer Vorteil für die Wissenschaft."
Nach einheitlichen Finanzierungsmodellen für den Goldenen Weg wird eifrig gesucht. Angeführt vom Großforschungszentrum Cern haben sich jüngst die Teilchenphysiker weltweit mit ihren Verlagen auf Open Access Publishing geeinigt: Von 2014 an werden alle Veröffentlichungen aus den Forschungseinrichtungen der Hochenergiephysik in zwölf Zeitschriften frei zugänglich sein. Die Publikationsgebühren von im Schnitt 1400 Euro pro Artikel bestreitet ein Fond der beteiligten Labors. Peter Teichner:
"Es gibt Überlegungen, das gesamte Verlagswesen auch in die Uni einzugliedern. Das Hauptgeld ist die Zeit der Wissenschaftler, das sind die Hauptkosten. Jetzt fehlen noch, sagen wir mal zehn Prozent, die die Verlage noch wirklich leisten. Und es gibt schon Überlegungen, die sagen, nun gut, da muss die Uni eben in den sauren Apfel beißen, und das auch noch übernehmen, mit anderen Worten, die stellt dann eben ein paar Leute ein, die früher beim Verlag gearbeitet haben, morgen sollen sie dann bei der Uni arbeiten, aber die macht das dann alles."
Bei diesem Finanzierungsmodell gäbe es praktisch gar keine Verlage mehr. Dagegen werden diese sich naturgemäß so lange wie möglich zur Wehr setzen, im besten Falle ihre Geschäftsmodelle anpassen, so dass sie weiter ihr Auskommen haben und die Wissenschaftler trotzdem Open Access. Aber auch die werden nicht von heute auf morgen auf lieb gewonnene Publikationsgewohnheiten verzichten. Einen gangbaren Kompromiss zwischen der Publikationsschnellstraße " Goldener Weg" und der Sackgasse Printjournal gibt es schon heute, den "Grünen Weg". Anne Lipp:
"Grüner Weg heißt, eine Publikation, die ganz normal in einer Zeitschrift erschienen ist, kann nach einer gewissen Frist, in der Regel nach einem halben Jahr, frei zugänglich in einem Repositorium abgelegt werden, und damit weltweit für jeden, der interessiert ist, zugänglich sein. Ein Repositorium ist ein Speicherort, eine Datenbank für Publikationen, wenn Sie so wollen, die sind in der Regel fachlich sortiert."
Zunächst als Print wie gehabt, Open Access erst später. Auf dem grünen Weg müssen Wissenschaftler nicht an ihre Projektmittel gehen oder gar in die eigene Tasche greifen; und sie können weiterhin auf die ihnen vertraute Weise veröffentlichen. Der grüne Weg ist ein Kompromiss, eine Übergangslösung, die es auch den Verlagen ermöglicht, ihr Geschäftsmodell den Open Access-Ideen allmählich anzupassen. Anne Lipp:
"Die jetzige Wissenschaftlergeneration, die die Trends dominiert, die gehört noch zu einer Generation von Digital Immigrants, das sind noch keine Born Digitals. Das heißt man kennt es noch, dass man Geld bezahlen muss, um Zugang zu etwas zu bekommen und man kennt sogar noch die Situation, dass es das Netz nicht gab, und man ans Regal gehen musste. Das wird in 20 Jahren komplett anders sein."
Mehr als 8200 Open-Access Journale sind derzeit auf dem Directory of Open Access Journals verzeichnet. Auch die großen Printverlage wie Springer haben echte Open-Access-Zeitschriften aufgelegt. In "Springer Open" findet man an die 100. Im "Health Economics Review" zum Beispiel wird ein Artikel über die gesellschaftlichen Kosten der Alzheimer-Erkrankung besonders häufig gelesen. Sein Autor, wie jeder Autor dieses Journals, musste 800 Euro als APC berappen. Alternativ könnte seine Institution eine feste Pauschale zahlen, die alle Veröffentlichungen ihrer Forscher im Health Economics Review abdecken würde.
Auch nach mehr als 15 Jahren Open Access Publishing stellen solche Journale nur einen Teil der mehr als 24.000 wissenschaftlichen Zeitschriften weltweit. Obwohl Wissenschaftler also ausreichend Möglichkeiten haben, Open Access zu publizieren, können Elsevier und Co immer noch überteuerte Printjournale vertreiben. Und obwohl, so zeigen Befragungen, durchweg 90 Prozent aller Forscher Open Access befürworten, veröffentlichen nur etwa zehn Prozent auf diesem Weg. Warum also halten Wissenschaftler so hartnäckig an dem alten Verlagsmodell fest? Zwei Gründe nennen sie selbst: Die teilweise unkomfortable Kostenregelung durch APCs und, als Hauptgrund, das Renommee der Zeitschriften. Denn der Ruf, den ein Fachblatt genießt, färbt auf diejenigen ab, die in ihm veröffentlichen. Noch sind die meisten Zeitschriften mit dem besten Ruf klassische Printjournale. Lipp:
"Die Impact-Faktoren einer Zeitschrift haben erschreckende Bedeutung, wenn man das so plakativ sagen kann, die Auseinandersetzung mit dem Inhalt ist in den Hintergrund getreten, angesichts dieses Impact-Faktors, das heißt wenn der Impact-Faktor einer Zeitschrift, in der der Artikel erschienen ist, stimmt, dann ist das eine positive Aussage über den Autor, egal ob der Inhalt gut ist oder nicht."
Der Impact-Factor ist ein Maß dafür, wie häufig die Artikel einer Zeitschrift von anderen Wissenschaftlern zitiert werden. Peter Teichner:
"Das ist historisch gewachsen. Der Wert, den die besitzen, ist sozusagen das Ansehen der Journale. Auch Elsevier hat ja verschiedene Sorten Journale in den verschiedenen Wissenschaften, und einige wenige von diesen, das sind dann auch die, die die Universitäten am Ende haben wollen, haben sehr hohes Ansehen. Und so etwas lässt sich nicht von heute auf morgen kreieren. Das ist wie eine Art Evolution, weil, wenn ein Journal dadurch auffällt, dass da gute Arbeiten drin sind, wollen andere auch wieder darin veröffentlichen. Dann kommen die besseren Leute, die für das Journal arbeiten, und so geht das weiter über die Jahre."
Die Open Access Journale bahnen sich erst langsam einen Weg in die oberen Bewertungsränge. Die 1996 gegründete "documenta mathematica" etwa konnte 2008 endlich stolz vermelden, dass sie im Impact Ranking auf Platz 4 in Europa vorgerückt war. Trotzdem hält sich hartnäckig das Vorurteil, Open Access sei Aldi, die Printjournale aber Einkauf im Feinkostgeschäft. Peter Teichner rät seinen Doktoranden aus Überzeugung, in Open Access Journalen zu veröffentlichen. Aber...
"das muss jeder für sich entscheiden, das ist eine Gewissensentscheidung. Es gibt genügend Journale, die günstig sind, wo man einreichen kann, aber ich würde es auch keinem übel nehmen, wenn der sozusagen die Preise ignoriert, solange bis man eine feste Stelle hat."
"Ich freue mich sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass Ihr Artikel von meiner Zeitschrift angenommen wurde. Bitte unterschreiben Sie hier."
Ein weiterer Sketch aus dem Open Access Lager. Einem Roboter, zusammengesetzt aus Pappkartons, steht eine kritisch blickende Forscherin gegenüber.
"Das ist mein Standard-Urheberrechtsformular, ohne das wir Ihr Manuskript leider nicht veröffentlichen können. Bitte unterschreiben Sie hier."
Anne Lipp: "Wenn ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin eine Publikation bei einem Verlag einreicht, dann muss man einen Vertrag unterschreiben, und in diesem Rahmenvertrag werden in der Regel die exklusiven Verwertungsrechte an den Verlag abgetreten. Das heißt, also nicht nur die erste Publikation, sondern auch jede weitere Verwertung."
"Wozu benötigen Sie denn die Urheberrechte an meinem Artikel?"
"Damit der Artikel nur gegen Bezahlung gelesen werden kann. Bitte unterschreiben Sie hier."
"Wie hoch sind meine Tantiemen?"
"Tantiemen kann ich Ihnen leider keine anbieten."
"Wie wäre es mit einem Pauschalbetrag von 300 Euro?"
"Wie wäre es mit nichts? Unterschreiben Sie bitte hier."
Mit dem Verwertungsrecht verliert der Autor auch die Möglichkeit, seinen Artikel zur besseren Verfügbarkeit auf den Institutsrechner, seine Homepage oder ein anderes Online-Repositorium zu stellen.
"Die Praxis ist so, dass in 99,5 Prozent der Fälle das exklusive Verwertungsrecht abgetreten wird, Unter Wissenschaftlern ist zum einen das Bewusstsein nicht so ausgeprägt, die Verträge sind dergestalt dass man sie einfach unterschreibt, und nicht sich die Mühe machen möchte, die durchzulesen","
fasst Anne Lipp ihre Erfahrungen in der Deutschen Forschungsgemeinschaft zusammen. Peter Teichner konstatiert etwas gelassener
""Das war ja früher so, wenn man einen Artikel abgegeben hat beim Verlag, musste man unterschreiben, dass man das Copyright abtritt. Heutzutage streicht das jeder durch und sagt nein ich behalte mir das Recht vor, das selbst auf die Website stellen zu dürfen. Das akzeptiert der Verlag, inzwischen."
Anne Lipp relativiert:
"Einige renommierte Wissenschaftler, Max Planck Direktoren, die sagen: 'Ich streiche das immer durch und ich hab noch nie was vom Verlag zurückbekommen'. Aber das ist eine Frage in welcher Verhandlungsposition sie sind."
Der Max-Planck-Direktor – in Deutschland ein Synonym für denkbar größten wissenschaftlichen Erfolg - kann es sich leisten, seine Arbeiten in weniger angesehenen Zeitschriften zu publizieren und große Verlage zu brüskieren. Der junge Stellensuchende nicht.
"Unterschreiben Sie bitte hier."
Einen Versuch, die Monopolstellung der Verlage aufzubrechen, will der Bundesrat in seiner nächsten Novelle zum Urheberrecht unternehmen. Mit Zustimmung aller Parteien hat die Enquetekommission "Internet und Digitale Gesellschaft" vorgeschlagen, ein so genanntes Zweitveröffentlichungsrecht gesetzlich festzuschreiben. Es würde Wissenschaftlern ermöglichen, nach einer angemessenen Frist nach der Erstveröffentlichung wieder über ihr Werk zu verfügen. Insbesondere, es online zu stellen und damit frei zugänglich zu machen. Dagegen hat es erstaunlich heftige Kritik gegeben, weniger aus den Reihen der Wissenschaftler als von Künstlern und Buchautoren. Sie haben sich 2009 im so genannten Heidelberger Appell gegen die Open Access-Politik ausgesprochen. Unter den Unterzeichnern finden sich klingende Schriftstellernamen wie die von Grass, Lenz und Enzensberger. Sie sehen die Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft durch Open Access gefährdet. Anne Lipp:
"Hier werden die Diskussionen häufig vermischt, wir haben die wissenschaftlichen Urheber, die ihr Werk generieren aus einer finanzierten Position heraus, das ist niemals zu verwechseln mit den Urhebern, die sozusagen von der Arbeit ihres produktiven Schreibens leben."
Literaten und Künstler leben von den Erzeugnissen ihrer Arbeit. Ihnen sichert das Urheberrecht den Lebensunterhalt. Wissenschaftler dagegen brauchen das Urheberrecht nicht zur Existenzsicherung, sie werden von der öffentlichen Hand bezahlt. Und sie wollen ihre Gedanken und Ideen verbreiten, möglichst schnell und freizügig. Dagegen sieht der Deutsche Hochschulverband, eine nicht öffentliche Interessenvertretung deutscher Professoren, im Zweitveröffentlichungsrecht eine Gefahr für die im Grundgesetz Artikel 5, Absatz 3 garantierte Freiheit der Wissenschaft. Michael Hartmer, Geschäftsführer und Sprecher des Verbandes meint durch das geplante Gesetz würde dem Wissenschaftler...
"...ein Recht gegeben, das er ja ohnehin schon hat. Also es ist so ein bisschen aufgedrängte Bereicherung."
Und in einigen Jahren werde aus dem Recht eine Pflicht werden, ein Zwang also, der dem Selbstbestimmungsrecht der Wissenschaft entgegensteht, befürchtet Michael Hartmer. Ob ihm die Mitglieder des Verbandes da vorbehaltlos folgen, ist angesichts der massiven Unterstützung von Open Access durch alle großen deutschen Forschungsorganisationen eher zweifelhaft. Und dass auch die Verlage mit Open Access leben und ihr Auskommen haben können, zeigen Beispiele wie der Deal der Teilchenphysiker. Open Access heißt nicht einfach nur online und es heißt auch nicht ohne Verlage. Es bedeutet nur weniger Bereicherung und mehr Freizügigkeit für Forscher und Erforschtes. Die Verfechter des Open Access sind zuversichtlich, dass die Wissenschaft den Übergang aus dem medialen Mittelalter in die digitale Neuzeit schaffen wird. Anne Lipp:
"Das ist schon eine spannende Zeit, in der sich das gesamte Publikationswesen befindet, wir befinden uns im Moment in einem Übergang, wie sich unsere Vorfahren befunden haben, als der Buchdruck erfunden wurde. Da gibt es interessante Überlieferungen dazu, dass die ersten Drucke, die mit der Gutenbergschen Druckerpresse gedruckt wurden, noch Handschriften imitiert haben. Dass man versucht hat, das, was man bisher kannte, in der neuen Technik zu imitieren. Genauso ist es an vielen Stellen heute noch, wir sind noch gefangen - und da ist keiner von uns, der nicht jetzt geboren ist, davon ausgenommen. Wir sind noch gefangen in dem, was wir aus der nicht digitalen Welt kennen. Eine Zeitschrift, das ist etwas abgeschlossenes zwischen zwei Buchdeckeln, im Prinzip braucht man das gar nicht mehr, das Internet braucht die Form der Zeitschrift eigentlich nicht mehr, aber das ist ein Prozess, der im Moment abläuft und der einfach seine Zeit braucht."