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Manuskript: Blutsauger in meinem Bett

Große juckende Quaddeln auf der Haut, Kotflecken auf dem Laken – wer diese Spuren entdeckt, teilt Bett und Sofa vermutlich mit Bettwanzen. Ein Schädling ist zurück, von dem die meisten Experten vor 15 Jahren noch glaubten, er sei ausgerottet. Oder zumindest außer Stande, in unsere modernen Häuser und unsere moderne Hotels mit all der modernen Technik einzuziehen.

Von Joachim Budde |
    Mario Heising: "Bettwanzen haben sich ungemein uns Menschen angepasst. Daher finde ich sie auch interessant als Schädlingsbekämpfer. Sie leben, wo wir nicht rankönnen, können sehr lange hungern, und sie kommen immer dann, wenn wir am müdesten sind."

    Arlette Boyer: "Man hat sie ja früher im Krieg auch Tapetenflunder genannt, ich finde, das ist auch wirklich sehr passend, weil sie sich einfach in jeder kleinsten Ritze verstecken können. Also das können Sie sich nicht vorstellen, was wir schon alles entdeckt haben, wirklich das kleinste Loch, da saß schon die Bettwanze drin, ein kleiner Splitter, der im Lattenrost herausgesplittert war, da saß die Bettwanze drin, es ist so schwer, die Tiere zu finden."

    Reiner Pospischil: "Die parasitische Lebensweise hat natürlich einen riesigen Vorteil für das Tier: Ich habe jeden Tag einen gedeckten Tisch."

    Ein Schulungsraum bei der DEULA in Kempen bei Krefeld, einer der Deutschen Lehranstalten für Agrartechnik. 20 angehende Schädlingsbekämpfer starren in Lichtmikroskope, sie mustern die winzigen Insekten, die ihnen ihr Kursleiter Dr. Reiner Pospischil mitgebracht hat – fein säuberlich auf Nadeln gespießt.

    Pospischil: "So, da können Sie gerade mal gucken, wo sie sein können, zwei Stück sind drin."

    Kursteilnehmer: "Da?"

    Pospischil: "Hmm."

    Kursteilnehmer: ""Zwei Stück sind hier drin?"

    Pospischil: "Denken Sie mal an die verschiedenen Stadien."

    Kursteilnehmer: "Ne Nymphe hier noch, ja?"

    Pospischil: "Daneben."

    Kursteilnehmer: "Hm. Die L1."

    Pospischil: "L1, okay."

    Kursteilnehmer: "Hab ich noch nie live gesehen!"

    Pospischil: "Nee?"

    Kursteilnehmer: "Ich war zwar schon öfters in einer Wohnung, wo sie vermutet wurden, aber gefunden live direkt, habe ich sie noch nie. – Ich habe jetzt erst wieder eine eingeschickt bekommen."

    Die angehenden Schädlingsbekämpfer sind noch ganz am Anfang ihrer Ausbildung. In diesem ersten Crash-Kurs lernen sie das Ungeziefer kennen, das ihnen bei ihrer Arbeit begegnen wird: Flöhe, Läuse, Schaben oder Fliegen hat ihnen Reiner Pospischil schon vorgestellt.

    "Wir kommen zu dem letzten Schädling der Farmhygiene, und das ist die Bettwanze, die in den letzten zehn, 15 Jahren eine sehr starke Renaissance erlebt hat und inzwischen zu einem der wichtigsten Schädlinge in der Schädlingsbekämpfung geworden ist."

    Der Entomologe hat bis 2010 bei Bayer neue Insektizide geprüft, jetzt projiziert er Fotos der Insekten auf die Leinwand. Sie haben die Farbe von dünnem Kaffee. Der platte, fast runde Hinterleib der Bettwanzen ist riesig im Vergleich zu ihrem Brustsegment und dem winzigen Kopf. Sie wirken nackt so ohne Flügel. Deutlich sind Streifen auf dem Hinterleib zu erkennen. Diese Ladereserve stülpen die Bettwanzen aus, wenn sie Blut saugen. Pospischil:

    "Die Tiere werden in der Regel bis zu sechs Millimeter lang, vollgesogen können sie bis neun Millimeter erreichen, und haben eine Breite von circa drei Millimetern. Die Eier sind weißlich, teilweise gelblich, sind bis circa ein Millimeter lang, und sind an den Verbergeorten der Tiere in Ritzen und Spalten versteckt, wo dann auch die Larven schlüpfen, die dann sofort den Wirt aufsuchen, wie wir auch gleich sehen werden."

    Fünf Mal häuten sie sich, ehe sie erwachsen sind. Jedes Mal müssen sie sich dafür mit Blut vollsaugen. Sie ernähren sich von nichts anderem. Den Tag über verstecken sich die Tiere meist im Bett, am Fernsehsessel. Wenn der Mensch sich abends zum Ausruhen niederlässt, kommen sie hervor und stechen unbemerkt zu. Pospischil:

    "Die medizinische Bedeutung der Tiere bezieht sich vor allen Dingen auf die Reaktion auf das Blutsaugen, es handelt sich um linsen- bis centgroße, stark juckende Quaddeln, die durch den Speichel der Wanzen hervorgerufen werden und meistens nach wenigen Tagen abklingen, bei empfindlichen Personen durchaus ein bis zwei Monate andauern können."

    Wie manchem von Pospischils Schülern geht es den meisten Bundesbürgern: Sie wissen nicht, wie eine Bettwanze aussieht, weil sie noch nie eine gesehen haben. Als Wissenschaftler der Universität Tübingen im Jahr 2012 Passanten in den Fußgängerzonen von Köln, Hamburg, Leipzig und München Röhrchen mit Bettwanzen zeigten, tippten die meisten auf Zecken, Läuse oder sogar Marienkäfer. Gerade einmal 13 Prozent erkannten die Bettwanzen.

    "Wenn wir zurückblicken: In den 1930er, 1940er Jahren waren Bettwanzen in den meisten Ländern eine schwere Last und weit verbreitet."

    Clive Boase leitet die Pest Management Consultancy, eine unabhängige Beratungsfirma bei Cambridge. Insektengifte wie DDT, moderner Wohnungsbau und das Engagement der Städte hatten die Bettwanzen nach dem 2. Weltkrieg in Europa, Nordamerika und Australien zurückgedrängt. In den 70er und 80er Jahren, sagt er, begegneten Schädlingsbekämpfer den Wanzen dort nur noch vereinzelt.

    "In den späten 90ern habe ich dann eine Reihe von Wohnungen mit so starkem Befall gesehen, wie ich es bis dahin noch nicht kannte. Von da an häuften sich die Berichte aus ganz Europa, wenngleich vor allem aus Großbritannien, aus den USA und Australien, dass Bettwanzen ungewöhnlich oft und ungewöhnlich zahlreich auftauchten."

    Als im Jahr 2006 seine Kunden sich immer häufiger über hartnäckige Bettwanzenpopulationen beklagten, sei er sehr bald auf den Gedanken gekommen, dass dahinter Resistenzen stecken könnten. Boase:

    "And, of course, one of the explanations that jumps to mind very readily is that it might be resistance."

    Arlette Boyer: "Das ist hier der Kernbereich der Zucht."

    Die Zweigstelle des UBA in Berlin-Dahlem. Arlette Boyer führt in das Labor mit den Brutschränken für die Bettwanzen.

    "Hier haben wir also unsere verschiedenen Bettwanzenstadien, alle einzeln in einer Schale, hier sehen wir also frisch geschlüpfte, die gerade gefuttert haben, die sind also sehr, sehr prall, man sieht, die sehen schon aus wie die Erwachsenen, wenn man sie jetzt vergleicht, allerdings sind sie in der Farbe ein bisschen heller. So dunkel sind sie jetzt nur, weil sie gestern Blut aufgenommen haben. Dann sind sie auch gar nicht mehr flach wie eine Flunder, sondern schon recht rund."

    Die Bettwanzen, die in diesem Labor gehalten werden, sind der Referenzstamm des Umweltbundesamtes. Er geht auf das Jahr 1947 zurück. DDT oder andere Gifte haben sie nie gesehen. Die Tiere sind garantiert nicht resistent und das ideale Vergleichsmaterial für Arlette Boyer. Denn die Biologin untersucht für ihre Doktorarbeit, wie resistent wilde Bettwanzenpopulationen in Wohnungen und Häusern in Berlin inzwischen gegen Pestizide sind. Dazu begleitet sie Schädlingsbekämpfer bei deren Einsätzen und sammelt dabei Bettwanzen ein, um zu testen, wie viel mehr Insektengift sie im Vergleich zu ihren Artgenossen aus dem UBA-Stamm vertragen.

    Das geschieht zwei Etagen über dem Zuchtlabor. Auf der Arbeitsplatte in dem schmalen hellen Raums stehen flache weiße Wannen. In jeder liegen quadratische Platten, so groß wie CD-Hüllen, auf denen Glasringe je ein Dutzend Bettwanzen am Weglaufen hindern. Boyer:

    "Ich habe jetzt drei Oberflächen hier, ich habe Tapete benutzt, wo ja auch die Bettwanzen gerne drunter oder drauf sitzen, dann haben wir Hornitex, das ist ein Äquivalent zu Laminat, und Sperrholz, woraus ja auch viele Bettgestelle bestehen oder Lattenroste. Verschiedene Oberflächen testen wir natürlich aus dem Grund, weil natürlich jeder zu Hause auch verschiedene Oberflächen hat."

    Zudem saugen Sperrholz und Tapete das Gift viel stärker auf als zum Beispiel Laminat. Das hat Einfluss auf die Wirkung der Mittel. Boyer:

    "Manche Mittel versprechen schon nach sehr kurzer Zeit einen Knock-Down-Effekt, das heißt, dass die Tiere dann paralysiert sind, andere Mittel brauchen ein bisschen länger, und dementsprechend werden halt verschiedene Zeiten getestet."

    Ähnliche Versuche macht auch Dr. Birgit Habedank. Sie leitet am UBA die Arbeitsgruppe "Mittelprüfung Gliedertiere". Die Biologin und ihre Mitarbeiter testen – in der Regel auf Antrag der Hersteller –, ob Insektizide gegen Ungeziefer mit sechs oder acht Beinen wirklich das halten, was die Packungsbeilage verspricht. Nur dann werden diese Mittel in die "Bekanntmachung der geprüften und anerkannten Mittel und Verfahren zur Bekämpfung von tierischen Schädlingen nach §10c Bundes-Seuchengesetz", kurz die "Entwesungsmittelliste", aufgenommen. Nur was auf dieser Liste steht, darf zum Einsatz kommen, wenn Behörden eine Schädlingsbekämpfung anordnen. Die Länge der Liste zeigt: Es gibt ein Problem bei der Bettwanzenbekämpfung. Habedank:

    "Weil wir zum Beispiel in der aktuellen Entwesungsmittel liste nur zwei Mittel gegen Bettwanzen aufgenommen haben, und die gehören beide in die Wirkstoffgruppe der Pyrethroide, und unter der aktuellen Situation, dass wir wissen, dass es international Resistenzen gibt, dass wir auch in Deutschland Nachweise davon haben, ist natürlich der Handlungsdruck besonders groß, dass wir auch Produkte mit anderen Wirkstoffen finden müssen, sodass wir auch aktiv uns verschiedene Mittel angucken, ohne dass wir einen gezielten Antrag von Antragstellern bekommen haben, um vorzutasten, welches Mittel wäre ein Kandidat und könnte vielleicht die Kriterien erfüllen."

    Ein Mann, der sich mit Insektengiften auskennt, ist Dr. James Austin. Der Entomologe leitet die Entwicklung neuer Produkte für den Gesundheitssektor bei der BASF-Tochter in Raleigh im US-amerikanischen Bundesstaat North Carolina. Austin hat die letzten fünf Jahre einer Arbeitsgruppe bei BASF mit Experten aus der ganzen Welt angehört, die gezielt nach neuen Molekülen zum Einsatz als Insektizide gesucht hat.

    "Ich war der einzige in der Gruppe, der nicht aus dem Pflanzenschutz kam. Mich interessierte aber genauso wenig, was auf Kartoffeläckern passiert, sondern was man gegen Bettwanzen, Stechmücken, Schaben oder Termiten machen kann, die vielen Menschen Schwierigkeiten bereiten. Resistenzen erschweren es, solche Tiere zu bekämpfen. Zum Beispiel gegen die Chlorkohlenwasserstoffe: Durch den breiten Einsatz von DDT von den 40ern bis weit in die 70er sind viele Schädlinge gegen die gesamte Chemikaliengruppe resistent geworden. Daraus folgt ein weiteres Problem, nämlich das der Kreuzresistenzen. Diese Kreuzresistenzen schützen die Tiere gleich gegen den kompletten Mechanismus, dadurch kann es also gleich gegen mehrere Gifte resistent machen."

    Die Folgen reichen bis heute. DDT nutzt denselben Mechanismus wie die Pyrethroide. All diese Gifte sind Nervengifte, sie durchdringen den Hautpanzer und wandern in die Nervenzellen. Arlette Boyer:

    "Gut, dann schauen wir uns die Tiere mal an!"

    Arlette Boyers Bettwanzen waren 24 Stunden lang mit einem Pyrethroid in Kontakt. Zuerst schaut sich die Wissenschaftlerin die Tiere aus dem UBA-Stamm an.

    "Jetzt kann man eigentlich schon ohne Mikroskop relativ einfach sehen, wenn ich Ihnen hier mal so ein Männchen hinlege, das Tier liegt auf dem Rücken, schafft es auch nicht mehr, sich selber in die Bauchlage zu bringen, und zeigt eben nur noch ein Zittern. Und wenn wir uns alle Tiere hier ansehen, dann wird das bei allen so sein, das ist auch ganz typisch nach 24 Stunden, aber auch nach 2 und 4 Stunden finden wir bei dem Umweltbundesamtsstamm genau diese Ausprägung."

    Knock-Down nennen die Experten diesen Zustand. Das Pyrethroid beeinträchtigt den spannungsabhängigen Natriumkanal in den Nervenzellen. Werden Reize übertragen, öffnet sich dieser Kanal für einen Augenblick, um Botenstoffe in die Nervenzellen hereinzulassen. Pyrethroide verhindern, dass sich der Natriumkanal wieder schließt. Boyer:

    "Wir sprechen also wirklich von einer Dauererregung, und daher kommt auch dieses Zittern, alles, was da so da ist, motorische Nerven, fangen alle an zu zittern, und das ist so ein Reiz, dass die Tiere dadurch irgendwann sterben. Meistens braucht es schon die sechs Tage, auch nach Frischeinwirkung bis die Tiere wirklich letztendlich tot sind. Aber zur Tilgung, also wir sprechen von 100 Prozent Tilgung, wenn sich die Tiere genau in diesem Zustand befinden, das heißt, wenn wir sie so in einer Wohnung finden, könnten wir sie theoretisch absaugen, und dann wären die Tiere weg."

    Ganz anders sieht es aus bei dem Wildstamm, den die Wissenschaftlerin in einer Wohnung irgendwo in Berlin gefunden hat. Boyer:

    "Da sehen wir, das Tier, das ist ein Weibchen, das saß jetzt wirklich 24 Stunden lang komplett auf dem Insektizid, man sieht, wenn man sie in Rückenlage dreht, und sie sich selber wieder rumdreht und auch wieder normale Laufbewegung zeigt, und sich dann auch wieder versteckt, und da liegt es dann schon wieder sehr nahe, dass dieses Weibchen diese Mutation aufweist. Die wird dann noch einmal eingefroren, und dann werde ich das später im Labor untersuchen, ob das auch der Fall ist. Nur so kann man ja beweisen, dass diese Mutation, die wir finden, auch wirklich mit der Resistenz was zu tun hat."

    Dabei hilft Arlette Boyer, dass im Jahr 2010 Wissenschaftler von der amerikanischen Ohio State University verglichen haben, welche Gene in resistenten Bettwanzen aktiv sind. Erst Anfang 2013 stellten Forscher von der University of Kentucky die wichtigsten Mechanismen zusammen. Ihr Ergebnis: Die Wanzen haben mehrere Abwehrmechanismen gegen das Gift entwickelt. Das fängt mit der Zusammensetzung des Chitinpanzers an. Boyer:

    "Einige Tiere haben dort mehr Fette also mehr Lipide auf der Außenhülle und andere Oberflächenproteine entwickelt, die dazu führen, dass das Mittel schwerer eindringen kann in die Bettwanze."

    Ist das Gift dann doch in ihren Körper eingedrungen, haben manche Wanzen Wege entwickelt, es schneller wieder auszuscheiden. Boyer:

    "Zum einen die metabolische Resistenz nennen wir das, das ist eine erhöhte Stoffwechselaktivität in der Bettwanze, und verschiedene chemische Prozesse führen dazu, dass diese Pyrethroide schneller entgiftet werden und auch ausgeschieden werden können. Zum anderen haben wir die ABC-Transporter, das sind Transporter für verschiedene Hormone, Proteine, auch Fette und eben auch für Gifte, die werden sozusagen hochreguliert, was dazu führt, dass eben auch wieder der Entgiftungsprozess schneller vonstatten gehen kann."

    Und schließlich ist bei Bettwanzen, die Pyrethroide vertragen, der Spannungsabhängige Natriumkanal verändert – die Knock-Down-Mutation. Boyer:

    "Das sind zwei bisher nachgewiesene Punktmutationen, das heißt, es wird wirklich in der DNA, die ja aus Basen besteht, nur eine einzige Base ausgetauscht, und dadurch kriegen wir dann eine andere Aminosäure, und das führt dazu, dass dieser Spannungsabhängige Natriumkanal seine Funktion behält."

    Eigentlich ist "Resistenz" das falsche Wort, denn an Pyrethroiden sterben irgendwann alle Bettwanzen. Mutierte Tiere vertragen lediglich eine viel höhere Dosis als ihre sensiblen Verwandten. Das zeigt sich auch bei den Berliner Bettwanzenstämmen. 200 verschiedene Populationen hat Arlette Boyer inzwischen untersucht.

    "Wir haben also bei der Knock-Down-Resistenz-Mutation wirklich sehr viele Tiere gefunden, die auch hier in Berlin das aufweisen. Wobei man trotzdem sagen muss: Im Vergleich zu Amerika, wo die ja teilweise Resistenzen von bis zu 10.000fach mehr Toleranz eines Pyrethroids haben als ein sensibler Stamm, das muss man sich ja wirklich mal vorstellen, haben wir als höchste Toleranz bisher das 50fache gefunden."

    Als Clive Boase immer häufiger Klagen seiner Kunden erreichten, sie würden die Bettwanzen nicht mehr los, wandte er sich 2006 an die Universität Sheffield. Auch dort hielten die Forscher einen Stamm, der noch nie mit Insektiziden in Berührung gekommen war. Hier verglich Boase, wie viel Gift die Stämme vertrugen.

    "Als ich die ersten Resultate sah, dachte ich, wir hätten einen Fehler gemacht bei den Tests. Es waren alle Labor-Wanzen, aber überhaupt keine Tiere aus dem Feld gestorben. Das hat uns sehr überrascht. Wir mussten für die wilden Wanzen hundert Mal soviel Insektizid einsetzen oder sogar noch mehr."

    Zwischen 2000 und 2005 wuchs die Anzahl der Anfragen nach Bettwanzenbekämpfung in London jedes einzelne Jahr um 25 Prozent. In manchen Stadtteilen waren in einem Jahr über 2000 Einsätze notwendig. In Australien schnellte ihre Zahl in den sieben Jahren nach der Jahrtausendwende hoch auf 4600 Prozent. In Deutschland fehlen offizielle Statistiken, denn die Tiere übertragen keine Krankheiten. Der Hotelverband Deutschland teilte auf Anfrage mit, es gebe in deutschen Hotels allenfalls sporadisch Bettwanzen – darum auch dort keine Daten. Doch der Berliner Landesverband des Deutschen Schädlingsbekämpferverbandes, in dem Mario Heising und 25 weitere Schädlingsbekämpfer organisiert sind, erstellt seit 2007 seine eigene Statistik. Rechnet man Heisings Zahlen auf die gesamte Stadt hoch, ergibt sich ein beunruhigender Trend: Im Jahr 2007 lag die Zahl der Einsätze gegen Bettwanzen in Berlin noch bei rund 800. Im Jahr 2012 waren es drei Mal so viele.

    "Wir reden jetzt vielleicht über zwei- oder dreitausend Bekämpfungen, die in der Stadt laufen, die bekannt sind, wir reden nicht noch von denen, wo sich die Leute auch noch alleine helfen, und da ist das ich denke schon eine ganz schlimme Situation."

    Clive Boase: "Ein Schädling ist zurück, von dem die meisten Leute noch vor 15 Jahren glaubten, er sei ausgerottet. Oder zumindest außerstande, im 21. Jahrhundert in unsere modernen Häuser und unsere modernen Hotels mit all unserer modernen Technik zurückzukehren. Die Bettwanzen waren so schnell, dass das Medienecho darauf zu manchen Zeiten an Hysterie grenzte."

    Um die Jahrtausendwende erkannten die Schädlingsbekämpfer die Resistenzen noch nicht. Sie gingen mit Strategien gegen die Insekten vor, die im Rückblick unangemessen waren. Aber wir können ihnen vergeben, weil sie von den Resistenzen nichts wussten.

    Don’t you let the bedbugs bite
    they can’t be seen in candle light
    No romantic bubble-baths this time


    Es gibt Methoden gegen die Wanzen ohne Gift: Kleidung und Stofftiere etwa kann man bei mindestens 60 Grad waschen. Empfindliche Textilien und kleinere Gegenstände passen für ein paar Tage in die Tiefkühltruhe.

    I’m the bug, I’m the bug,
    that lingers in your bed.


    Komplette Koffer können Schädlingsbekämpfer in speziellen Wärmekammern erhitzen. Sie können sogar Eisenbahnwaggons und – nach gründlicher Vorbereitung – ganze Wohnungen so weit aufheizen, dass die Bettwanzen darin sterben.

    I’m the bug, I’m the bug,
    that lingers in your bed.


    Auch Hunde werden inzwischen trainiert, um Bettwanzen aufzuspüren. Es gibt zudem Gruppen, die an Bettwanzenfallen arbeiten. Wissenschaftler von der University of California in Irvine etwa versuchen, künstliche Bohnenblätter herzustellen. Auf dem Balkan verstreuten die Menschen früher Bohnenblätter im Schlafzimmer. Kamen die Wanzen aus ihren Verstecken und krabbelten über diese Blätter, blieben sie in deren Widerhaken hängen. Am Morgen fegten die Leute das Bohnenlaub zusammen und verbrannten es mitsamt der Quälgeister. Die Häkchen der künstlichen Bohnenblätter schnappen zwar zuverlässig nach den Wanzenbeinen – die Tiere können sich jedoch bisher wieder befreien.

    Entscheidend ist, wirklich alle Tiere zu erwischen. Darum bleiben Schädlingsbekämpfer trotz allem also vorerst auf Pyrethroide angewiesen. Gegen die Resistenzen behelfen sie sich bisher, indem sie bei den Nachkontrollen andere Pyrethroide einsetzen als bei der ersten Bekämpfung. Neue Mittel fehlen. Sie sind schwer zu finden, sagt James Austin, der Insektizid-Experte von BASF.

    "Wir suchen Gifte, die möglichst gezielt bestimmte Lebewesen töten, ohne anderen zu schaden. Das ist kompliziert, und der regulatorische Rahmen macht es nicht leichter. Ein neues Insektizid zu entwickeln dauert zehn Jahre und kostet zwischen 150 und 250 Millionen Euro. Solche Kosten spielen wir nur wieder ein, wenn wir Mittel gegen Agrarschädlinge entwickeln, nur dann können wir genug davon verkaufen. Jedes Mittel gegen Bettwanzen ist ein Nebenprodukt aus der Agrarsparte."

    Um Pyrethroide effektiver zu machen, werden sie jetzt in Kombination mit anderen Wirkstoffen eingesetzt. Ein solches Mittel ist der BASF-Wirkstoff Chlorfenapyr, der bereits gegen mehrere andere Insekten versprüht wird. Austin:

    "Der Vorteil dieser Chemikalie ist ihre Wirkweise. Es ist ein Entkoppler, der die Energie aus den Mitochondrien, den Kraftwerken der Insektenzellen, ableitet. Dagegen sind keine Resistenzen bekannt. Das Schöne: In Kombination mit manchen Pyrethroiden tritt ein Effekt namens Negative Kreuzresistenz auf. Der Mechanismus, der den Körper eigentlich entgiftet, macht das Pyrethroid in dieser Kombination sogar toxischer."

    Andere Hersteller setzen auf eine Kombination eines Pyrethroids mit einem Gift auf Basis von Nikotin. Bei all diesen Kombiprodukten soll das Pyrethroid die Wanzen schnell umhauen, dann kann die zweite Komponente die Tiere töten, weil sie nicht dagegen resistent sind. Birgit Habedank vom Umweltbundesamt beurteilt solche Kombi-Präparate nicht ganz so rosig.

    "Wenn wir das jetzige Produkt irgendwie in einer Form anwenden, und man bleibt nicht konsequent dran, macht nicht die Nachkontrollen, macht nicht eine gegebenenfalls erforderliche Nachbehandlung, und da überleben uns Tiere, dann haben wir die ganz große Gefahr, dass wir womöglich Resistenzen gegen zwei verschiedene Wirkstoffgruppen provozieren. Darum bin ich bei diesen Kombipräparaten sehr zurückhaltend."

    Das Umweltbundesamt gibt Info-Material über Bettwanzen heraus. Als Hilfe für Leute, die fürchten, sich Bettwanzen eingeschleppt zu haben, empfiehlt Birgit Habedank die Website biozid.info. Können sich Verbraucher vielleicht auch an der "Entwesungsmittelliste" orientieren, als Einkaufsführer womöglich? Habedank:

    "Entschuldigen Sie, dass ich da ein bisschen lachen muss, das Problem ist, dass der Verbraucher selber die Bettwanzenbekämpfung nicht durchführen sollte. Wenn jemand zu Hause probiert hat, mit einem Pyrethrum aus dem Baumarkt oder so dann Bettwanzen zu bekämpfen, das ist also keine gute Konstellation. Gerade Bettwanzenbekämpfung ist ganz kompliziert, weil die sich ja wirklich auch intensiv verstecken können."

    Berlin, ein Plattenbau in der Allee der Kosmonauten. Arlette Boyer begleitet Mario Heising in eine leerstehende Wohnung, die Heisings Mitarbeiter bereits behandelt haben. Der Meister für Schädlingsbekämpfung und Geschäftsführer der Schade GmbH pumpt seine Spritze auf.

    "Sie sehen, wir halten auch einen gewissen Abstand, damit wir auch einen breiten Sprühkegel erreichen, damit auch wirklich genug Insektizid für die Tiere da ist, und die durch 30, 40 Zentimeter laufen müssen. Wir gehen ganz gezielt an die normalen Verbergeorte, die wir versuchen zu erreichen, und natürlich wichtig, immer dieser geschlossene Kreis, diese Barrierespritzung."

    In dieser Wohnung lebte eine ältere Dame. Heising kennt sie von früheren Einsätzen, bei Nachbarn.

    "Der Laie würde jetzt vielleicht im ersten Augenblick denken, es handelt sich hier um Schimmel, aber wie Sie da oben zum Beispiel erkennen können, wie der Kot schön abgelaufen ist, nachdem er befeuchtet wurde, ja, also hier war heftig was los. Wie ich Ihnen ja vorhin schon gesagt habe, das war eine Dame, die immer gesagt hat, sie hat keine Probleme."

    Kotspuren sind sichere Hinweise auf Bettwanzen. Normalerweise findet man schwarze Punkte, die aussehen wie zu groß geratener Fliegendreck. In dieser Wohnung sind es handgroße Flecken, lange Streifen an den Wänden. Arlette Boyer zeigen diese Spuren, wie die Möbel gestanden haben. Boyer:

    "Ich würde sagen, dass hier genau das Bett stand, man sieht auch sehr schön, wo das Bett Kontakt zur Wand hatte, da sind auch extreme Kotspuren, die sind auch schon immer wieder übereinander abgegeben worden der Kot, das hier war schon ein sehr ordentlicher Befall, das dürfte schon mehrere Jahre auf jeden Fall hier Bettwanzenbefall gegeben haben. Kopfende des Bettes deshalb, weil dort CO2 abgegeben wird von demjenigen, der darin schläft, und das ist der Indikator für die Bettwanzen, um dann den Wirt zu finden, genauso wie Körperwärme, deshalb ist Bettnähe auf jeden Fall immer die Wahl der Bettwanze."

    Auch im Flur, im Wohnzimmer und der kleinen offenen Küche finden Boyer und Heising Spuren der Tiere. Boyer:

    "Was auch immer interessant ist, man sieht erst einmal, wie schlimm der Befall ist, wenn er sich nicht mehr aufs Schlafzimmer konzentriert, sondern wirklich die ganze Wohnung hat, und ich war gerade in der Küche, und selbst in der Küche sieht man Bettwanzenspuren an den Steckdosen und sogar hinter der Dunstabzugshaube, also Bettwanzen verbreiten sich wirklich erst so, wenn sie keine anderen Positionen mehr finden überhaupt in der Wohnung."

    Heising: "Also das hat man nicht so oft. Ich würde sagen, bei mir im Ranking wäre das jetzt die drittschlimmste Wohnung."

    Die Wohnung steht schon ein paar Wochen leer. Um aber dennoch sicher zu gehen, dass keine Bettwanzen, die dem ersten Einsatz entronnen sind, zu den Nachbarn wandern, sprüht Mario Heising die Steckdosen mit Schaum aus: Der hält die Bettwanzen auf und tötet sie ab.

    Heising: "Sie sehen, in den Plattenbauten sind früher die Stromleitungen im Fußboden verlegt worden. Also jeder, der früher hier eingezogen ist, musste erklären, nicht in die Decke zu bohren. Also ist damit natürlich auch die Möglichkeit der Abwanderung gegeben, und es ist jetzt kein Quatsch, selbst über die Lampenkanäle oben, die aus den Decken gestoßen…"

    Boyer: "Da lebt jemand! Ein lebendiges Weibchen, ob es ganz lebendig ist, werde ich gleich sehen. Es ist ordentlich noch am Strampeln, aber man sieht, obwohl hier jetzt schon stark bekämpft wurde, dass es hier noch Stadien gibt, die sich bewegen, also wie hartnäckig die Tiere tatsächlich sind. Das war dann auch Zufall, das zu entdecken."

    Heising: "Bei Bettwanzen kann man eigentlich immer davon ausgehen, dass das überhaupt nichts zu tun hat damit wie einer von seiner Reinlichkeit und ähnlichem, Sauberkeit zu tun hat. Meine Aussage ist immer, besonders trifft es die Reichen, die viel unterwegs sind, aber auch leider Gottes die Leute, die auf sehr viel Hilfe angewiesen sind, die teilweise gebrauchte Betten von jemandem nehmen müssen, die aus Möbelsammlungen kommen und ähnlichem, auch die sind betroffen."

    Habedank: "Wenn man wirklich weiß, das Risiko ist da, dann ist der Tipp: Nach Kotspuren gucken."

    Pospischil: "Ich habe durchaus auch schon mal die Matratze hochgehoben, da hab ich keine Probleme mit, und hab dann druntergeschaut"

    Es ist so schwer, die Tiere zu finden.