"Heute mache ich Ihnen ein bisschen Pasta mit einer Sauce mit den Mehlwürmern und den Grashüpfern und die Grashüpfer gehen in die Maschine und ich mache ein Mehl davon. Das Mehl geht in das Pastamehl, man kann nicht sehen, dass Sie Insekten essen. In die Sauce gehen die Mehlwürmer rein und man kann den Mehlwurm richtig sehen."
Insekten-Steckbrief: Gryllotalpa orientalis: Maulwurfsgrille. Kräftige Grabschaufeln, großer abgeplatteter Kopf, gut gepanzerter Körper. Gegrillt ähnlich gebratenem Speck.
"Das sind trockene Grashüpfer. Ich muss mal die Flügel abnehmen und ein bisschen die harten Teile. Das ist für uns genug. Die Beine auch."
Ohne Beine und Flügel, aber samt dem Kopf mit den großen Augen wirft Johan Verbon die Grashüpfer in die Pfanne und brät sie an. Ein nussiger Geruch steigt auf in der Küche des Restaurants der Zukunft in Wageningen. Hier experimentiert die niederländische Universität zusammen mit Unternehmen der Lebensmittelbranche. Es geht um salzarme Saucen oder um Schnellgerichte, die auch Rentnern schmecken. Heute zeigt Chefkoch Verbon eine seiner Insektenkreationen.
"Ich hab hier ein bisschen Knoblauch, eine Zwiebel, ein bisschen frische Kräuter, Thym und Oregano und das Dill und Basilikum ist als letztes in die Sauce. Riecht wirklich gut. Das sind die Mehlwürmer, die gehen dazu . Das ist eigentlich genau, wie man eine Pastasauce macht. Das soll das Hackfleisch sein. Man braucht so viel Mehlwürmer wie man normalerweise Hackfleisch braucht."
Die Mehlwürmer und Grashüpfer sind getrocknet. In den Niederlanden werden sie in kleinen Plastikdosen im Großhandel verkauft. Wie jedes andere Lebensmittel auch hygienisch verpackt und mit kompletter Nährwerttabelle. Johan Verbon gibt Sahne an die Sauce, die Mehlwürmer saugen sie auf, sind jetzt doppelt so groß. Sicher zwei Zentimeter lang gucken sie zwischen den Tagliatelle heraus.
"So, die Sauce ist fertig. Ein bisschen Salz dazu, es ist ein bisschen flau, Pfeffer. So fertig, wollen Sie mal probieren?"
Wildermuth: "Aber ja: Mein erster Versuch mit Mehlwurmpasta. Also man merkt deutlich dass da was drin ist, ein bisschen hart sind sie immer noch, aber die Sauce schmeckt in jedem Fall extrem lecker, aber ich versuche mal den Mehlwurm Geschmack hier rauszuschmecken. Es schmeck in jedem Fall ein bisschen anders , als mit Hackfleisch."
Verbon: "Ein bisschen mehr süß wie Hackfleisch vielleicht. Es ist ein Beigeschmack, aber ein guter Beigeschmack, wie frische Nüsse oder frische Karotten oder so etwas. Es ist ein frischer Beigeschmack."
Insekten auf dem Teller. Für Europäer sicher gewöhnungsbedürftig. Dabei stecken im Brot, im Fruchtsaft, im Salat gelegentlich Reste von Insekten.
"Wir essen Krabben, wir essen Austern, wir essen Schnecken, aber wir würden nie in einen Grashüpfer beißen. Das ist ein kulturelles Problem."
Damit stehen die westlichen Länder global betrachtet recht alleine da, meint Paul Vantomme von der Welternährungsorganisation in Rom. Bei der Food and Agricultural Organisation, kurz FAO, leitet er das Programm "Essbare Insekten".
"Insekten sind wertvolle Nahrungsmittel und das haben nicht erst wir entdeckt. In vielen traditionellen Gesellschaften in China und Afrika und Lateinamerika werden Insekten genutzt. Die Europäischen Kulturen sind die Ausnahme, wahrscheinlich wegen religiöser Tabus. Insekten sind genauso nahrhaft wie Krabben oder Fleisch oder Fisch. Sie enthalten wenig Fett und das Chitin senkt den Cholesterinwert. Sie sind sehr gut für die Gesundheit."
Letztlich wird der Welt gar nichts anderes übrig bleiben, als mehr und mehr Insekten zu verzehren, meint auch Arnold van Huis von der Universität Wageningen.
"Das Problem mit den klassischen Nutztieren ist: Sie benötigen so viel Land. Die Viehzucht beansprucht schon heute 70 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche. Und die Weltbevölkerung wächst. 2050 wird es neun Milliarden Menschen geben. Außerdem steigt auch der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch. Also werden die Preise zum Beispiel für Rindfleisch dramatisch steigen. Insekten sind da eine sehr gute Alternative."
Insekten-Steckbrief: Encosternum delegorguei: Stinkwanze. Platter grüner Körper. Sondert bei Störung oranges, übelriechendes Sekret ab. Getrocknete Wanzen als Snack zum Bier.
"Der Mopane Wurm ist eine essbare Raupe. Sie lebt auf Bäumen und wird im ganzen südlichen Afrika genutzt."
Im Dezember und noch einmal im April wimmeln die Mopanebäume von den Raupen der Kaisermotte, eines afrikanischen Nachtpfauenauges, erzählt Dr. Tshidi Moroka vom Rat für Grundlagen- und Industrieforschung in Südafrika. Mal auffällig rot, schwarz, weiß gemustert, mal in dezentem Grau fressen die Raupen ganze Bäume kahl. Und werden dabei selbst immer fetter. In nur sechs Wochen erreichen sie ein Gewicht von 15 Gramm und die Größe eines Würstchens. Moroka:
"Meist sammeln die Frauen und Kinder die Raupen. Sie werden gewaschen, getrocknet und in große Säcke verpackt. Im Dezember sitzen viele Frauen an den Straßen und verkaufen sie. Viele Leute aus der Stadt kaufen sie. Ihnen fehlen die traditionellen Mopanegerichte in der Stadt."
"Es ist ein ganz besonderer Geschmack, ich habe gerade gestern welche gegessen, ein besonderer Geschmack wirklich."
Dr. Nomusa Dalamini vom selben Forschungsinstitut. Sie hat den Nährstoffgehalt der Mopane-Würmer untersucht.
"Wir haben den Proteingehalt gemessen und der ist höher, als bei Rindfleisch oder Hühnchen. Mopane-Würmer liefern auch Energie. 100 Gramm enthalten 440 Kilokalorien."
Moroka: "In vielen Dörfern sind Mopane-Würmer ein wichtiger Teil der Ernährung, weil sie sehr viel Eiweiß enthalten. Besonders im Norden Südafrikas sind viele Menschen auf sie angewiesen."
Und nicht nur dort. In vielen Gegenden der Welt sind Insekten eine wichtige Nahrungsquelle. Paul Vantomme zitiert die Zentralafrikanische Republik. In der Trockenzeit decken die Menschen dort ein Drittel ihres Proteinbedarfes mit der Sapelli-Raupe.
"Dafür gibt es viele Gründe. Die Raupen sie billig, sie sind leicht zu sammeln, man braucht kein Gewehr, um sie zu jagen, und die Leute mögen sie."
Raupen, Heuschrecken und Termiten sind keine Notnahrungsmittel, die nur in Krisenzeiten verzehrt werden. Das ist ein europäisches Vorurteil.
"Das ist eine völlig falsche Vorstellung. In den Kochbüchern dort zählen Insekten zu den Delikatessen. Oft sind die Insekten in den Tropen sogar teurer als Rindfleisch."
Arnold van Huis muss es wissen. Der Insektenkundler von der Universität Wageningen ist quer durch Afrika gereist und hat den Verzehr von Insekten dokumentiert. Später hat er seine Studie auf die ganze Welt ausgedehnt. Inzwischen sind 1800 essbare Insektenarten dokumentiert. In japanischen Bars gibt es Grillen in Sojasauce als Snack, in Mexiko schwimmen Raupen im Bier, Aborigines schätzen süße Termiten und von den vielen afrikanischen Rezepten erinnert sich Arnold van Huis besonders gerne an scharf gewürzte Heuschrecken. Dass seine Landsleute keine Asseln oder Raupen sammeln erklärt er sich mit kulturellen Tabus und mit dem mangelnden Angebot. In den Tropen werden die Insekten einfach größer und wie die Mopane-Würmer finden sie sich häufig in großen Mengen auf einem Fleck, sind also leicht zu sammeln. Die Zeit ist aber reif für Insekten auch in den Industrienationen findet Arnold van Huis.
"Wenn man darüber nachdenkt, gibt es viele Gründe Insekten zu essen. Sie sind nahrhaft, enthalten viel Eiweiß, ungesättigte Fettsäuren und Mineralstoffe und Vitamine. Da sind sie so gut wie Fisch oder Fleisch. Sie sind auch effektiv, für das gleiche Futter erhält man viel mehr Fleisch als bei den gewöhnlichen Nutztieren. Außerdem kann man sie auf organischem Abfall züchten. Es wäre dumm, diesen Weg nicht zu gehen."
Insekten-Steckbrief: Vespa mandarinia: Asiatische Riesenhornisse. Kopf leuchtend orange mit großen Beißzangen. Im Nest leben mehrere Hundert Individuen. Roh als Sashimi, Speichel der Larven in Energiedrinks.
Dank der Arbeit von Arnold van Huis ist die Universität Wageningen ein Zentrum der Forschung an essbaren Insekten. Die Arbeitsgruppe stellt mit einer Hotelfachschule und dem Restaurant der Zukunft ein Insektenkochbuch zusammen, bei Events bieten sie den Niederländern auch Kostproben an. Vor allem aber wird geforscht.
"Hier hören sie Hausgrillen oder Heimchen. Das ist eine Insektenart, die sich für die menschliche Ernährung eignen könnte."
In dem großen Plastikkasten krabbeln Dutzende glänzend schwarzer Insekten über alte Eierkartons. Dennis Oonincx ernährt seine Mini-Nutztiere mit Hühnerfutter und Karotten und hält sie bei kuscheligen 28 Grad. Unter diesen Bedingungen vermehren sich die Grillen fast wie von selbst.
"Von oben sieht man gar nicht so viele Grillen, vielleicht dreißig, aber wenn ich den Eierkarton anhebe, sehen Sie: die meisten verstecken sich. Wenn man sie alle verarbeiten würde, dann gäbe das einen wirklich großen Burger"
Obwohl Dennis Oonincx die Grillen am liebsten komplett brät und dann in Datteln steckt. Grillensnacks sind aber nur ein Nebenprodukt seiner Forschung. Er vergleicht die Umweltverträglichkeit der Insektenproduktion mit der klassischen Tierhaltung.
"Nehmen Sie die Treibhausgase. Ich habe mir unter anderem die Grillen und Mehlwürmer angesehen. Ihre Haltung ist viel klimafreundlicher als die konventioneller Nutztiere. Zum Beispiel produzieren Rinder 100 Mal mehr Treibhausgase als Mehlwürmer."
Ähnlich günstig auch der Land- und Wasserverbrauch. Deshalb hat sich die Welternährungsorganisation entschlossen, die Zucht von Insekten zu Ernährungszwecken aktiv zu fördern, so Paul Vantomme.
"Wir können die enorme Effizienz der Insekten bei der Umwandlung von organischem Material in wertvolles Protein nicht mehr ignorieren. Wir haben nur diesen einen Planeten. In dreißig Jahren werden mehr als neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, die meisten in Entwicklungsländern. Wenn wir sie ernähren wollen, müssen wir die Nahrungsproduktion dort verdoppeln."
Das erfordert eine industrielle Fleischproduktion oder auch: Insektenproduktion. Hier bei van de Ven im niederländischen Deurne rütteln Mehlwürmer über eine Siebanlage, um sie von den Nährflocken zu befreien und verpackungsfertig zu machen. Der Betrieb produziert jede Woche anderthalb Tonnen Mehlwürmer. Die meisten gehen an Reptilienzüchter und an Zoos, aber inzwischen werden auch Restaurants beliefert. Marian Peters ist die Sprecherin der niederländischen Insektenproduzenten. Sie führt durch den Betrieb.
"Das Leben beginnt in einer großen Halle voller hoch gestapelter Plastikkästen. Die Lampen gehen an und überall versuchen Mehlkäfer aus dem Licht zu kommen. Ich mag sie, sie sind schön. Schwarze Käfer mit sechs Beinen die übereinander krabbeln. So leben sie: aufeinander. Deshalb kann man so viele auf engem Raum halten. Einer der Gründe, weshalb Insekten so effektiv sind."
Ein anderer ist ihr Futter: die Hüllen von Weizenkörnern, die bei der Mehlproduktion als Abfall anfallen und billig zu haben sind. Dazu kommen noch ein paar Karotten, über die die Insekten ihren Flüssigkeitsbedarf decken. Die Rohstoffe sind exakt dokumentiert und zertifiziert, genauso wie der ganze Produktionsprozess. Seit van de Ven auch Restaurants beliefert, gelten die strengen Auflagen des Lebensmittelrechts. Den Käfern ist das egal, sie legen ihre Eier direkt in ihre Nahrung und nach ein paar Tagen schlüpfen kleine Mehlwürmer. Peters:
"Hier sehen Sie die Mehlwurmhochhäuser. Man kann die Kästen stapeln, es ist alles sehr effizient. Sie leben in der Nahrung, es ist alles trocken, sie brauchen wenig Wasser und müssen nicht pinkeln. Gut für die Umwelt."
Das trockene Pulver in den Kästen ist kaum zu sehen, so viele Mehlwürmer kriechen und krabbeln hier durcheinander. Ein lebender Teppich. Peters:
"Wenn Sie hineinfassen, fühlen Sie an der Hand die Bewegung der vielen kleinen Larven. Das ist wie eine Mikromassage."
Ein paar Mehlwürmer im eigenen Schrank mögen eklig sein. Tausende von ihnen in der Fabrik sind seltsam anziehend. Aber darum geht es nicht. Es geht um Produktion, um Gewinn, um Effizienz. Peters:
"In den Niederlanden lebt ein Schwein auf einem Quadratmeter und nach dreieinhalb Wochen haben sie ein Gewicht von neunzig Kilo: Fleisch, Haut und Knochen. Hier sind die Boxen 40 mal 60 Zentimeter, der ganze Stapel ergibt 25 Kilo Mehlwürmer in zehn Wochen und davon muss man nichts wegschmeißen. Das ist sehr effizient. Wir bekommen für zehn Kilo Futter fast acht Kilo Mehlwurm. Bei einem Schwein erhält man für die gleiche Menge Futter nur drei Kilo. Wie gesagt: sehr effizient, das lohnt sich für Unternehmer."
Am Ende werden die Mehlwürmer wieder gesiebt und nach Größe sortiert. Die Futterreste dienen übrigens als Dünger, für Erdbeerpflanzen und in den Niederlanden auch für Marihuana. Peters:
"Die ganz kleinen verkaufen wir nicht, schließlich wollen wir Qualität anbieten, die bleiben noch eine Weile. Und die ganz großen bleiben auch, die werden wieder zu Käfern, damit es neue Eier gibt und sich der Kreislauf schließt."
Noch sind die Mehlwürmer aus Deurne nur gelegentlich in Restaurants zu finden. Aber das könnte sich ändern, wenn Insekten als gesunde Nahrungsmittel wahrgenommen werden.
Insekten-Steckbrief: Camponotus inflatus: Honigtopfameise. Arbeiterinnen mästen spezialisierte Nestbewohner. Der Hinterleib dieser "lebenden Speisekammern" schwillt auf die Größe von Weintrauben an. Süß.
Paul Vantomme: "Es hat sich herausgestellt, dass das Chitin der Insektenpanzer in unserem Darm Cholesterin bindet. Schon heute werden in den Apotheken Cholesterinsenker auf Chitinbasis verkauft."
Noch stammt das aber aus den Abfällen beim Krabbenpulen, so Paul Vantomme. Zusätzlich regt Chitin auch das Immunsystem an. Und noch etwas spreche für Mehlwurmpasta und Ameisen-Soufflé, so Daniel Oonincx: Viele Krankheitserreger stammen von unseren Nutztieren.
"Insekten sind da die sicherere Wahl, weil die Krankheitserreger der Insekten meist keine Wirbeltiere wie den Menschen befallen. Normale Nutztiere können viel leichter Krankheiten übertragen."
Auch Marian Peters glaubt, dass sie ihre Landsleute auf lange Sicht Insekten schmackhaft machen kann. Aber bis es so weit ist, muss noch viel geforscht werden.
"Es gibt viele Fragen: Wie können wir viele Insekten lagern, wie können wir große Mengen von ihnen töten, ohne dass sie es spüren? Und dann brauchen wir neue Techniken. Haben Sie seine Muskeln gesehen? Das ist alles Handarbeit. Wir brauchen aber Automatisierung. Wir sind hier in einer ehemaligen Pilzzucht. Wie könnte ein Gebäude aussehen, in dem wir große, große Mengen von Insekten produzieren können? Das sind die Themen für die Forschung."
Die niederländischen Insektenzüchter arbeiten hier eng mit der Universität in Wageningen und mit Arnold van Huis zusammen. Eine wichtige ungeklärte Frage ist die Lebensmittel-Sicherheit. Van Huis:
"Eine Ausweitung der Produktion verursacht Probleme. Da ist die Automatisierung. Aber es können sich auch leichter Krankheiten unter den Insekten einer großen Zucht ausbreiten."
Sobald viele Tiere auf engem Raum zusammenleben, haben Bakterien oder Viren leichtes Spiel. Die Erreger würden zwar nicht den Menschen gefährden, wohl aber die Nutzinsekten. In der traditionellen Landwirtschaft setzt man bei diesem Problem vor allem auf Antibiotika, die ihrerseits wieder für Schwierigkeiten sorgen. Van Huis:
"Man kann über resistente Stämme nachdenken. Insekten vermehren sich schnell, man muss nicht zwei Jahre auf die nächste Generation warten, da reichen Wochen. Deshalb kann man Insekten schnell an neue Herausforderungen anpassen."
Viel schneller jedenfalls, als traditionelle Nutztiere. Eine industrielle Insektenproduktion könnte gut in die konventionelle Landwirtschaft integriert werden. Gerade die Niederlande haben große Probleme mit Gülle und Dung. Van Huis:
"Die Soldatenfliege kann auf Dung gezüchtet werden. Sie reduziert die Menge um die Hälfte und verwandelt dabei Dung in Protein. Die Larven könnten dann in Fischfarmen verfüttert werden. Zurzeit wird dafür Fischmehl verwendet, doch das wird immer teurer. Die Leute suchen nach Alternativen und Insekten bieten sich da an."
Insekten bilden sogar die wertvollen Omega-III-Fettsäuren und machen so den Farmfisch fast so gesund wie dessen Verwandte aus dem Meer. Es ist eine Win-Win-Situation: Die Insekten wandeln billige Abfälle in Eiweiß um und die Fische oder andere vertraute Nutztiere machen daraus hochwertige Nahrungsmittel, die selbst bei westlichen Konsumenten keine Ekelgefühle mehr auslösen. Paul Vantomme:
"Wenn wir Mayonnaise machen, nutzen wir Proteine aus Hühnereiern. Die Nahrungsmittelindustrie forscht an Alternativen. Wenn sie Eiweiß aus Mehlwürmern oder Grashüpfern nutzt, dann ist das billiger und umweltfreundlicher. Schon bald könnte ein Teil der Emulgatoren für Fertiggerichte von Insekten stammen, selbst in Westeuropa."
Insekten-Steckbrief: Endoxyla leucomochla: Wichetty-Made. Larve sieben Zentimeter lang, bleich. Lebt im Boden und frisst Wurzeln. Nussig.
Die westliche Welt spielt in den Überlegungen von Paul Vantomme nur eine Nebenrolle. Ihm geht es um die Dritte Welt, die dringend Alternativen zu Rind, Schwein und Geflügel benötigt. Zur Zeit ist der Verzehr von Insekten eher rückläufig, bedauert Arnold van Huis.
"In den Entwicklungsländern wollen die Leute modern und westlich sein, und deshalb essen sie immer weniger Insekten. Meiner Meinung nach ist das eine ganz falsche Sichtweise."
Arnold van Huis will diesen Trend zusammen mit Paul Vantomme umkehren. Die beiden Wissenschaftler arbeiten daran, essbare Insekten auf die globale Agenda zu setzen. Vantomme:
"Seit zwei Jahren trifft sich eine informelle Arbeitsgruppe bei der Welternährungsorganisation mit Unterstützung der Niederlande. Dass ein so innovatives Agrarland sich mit diesem Thema beschäftigt, hat Länder wie Mexiko, Kamerun oder Laos überzeugt. Sie sagen: Wir hatten immer Angst, für rückschrittlich gehalten zu werden, aber ja, damit sollte sich die Welternährungsorganisation beschäftigen."
Paul Vantomme formuliert gerade eine entsprechende Strategie. Bislang fördert die Welternährungsorganisation FAO die traditionelle Landwirtschaft, etwa über verbilligtes Saatgut. Damit werden aber nur Menschen erreicht, die Land besitzen oder wenigstens nutzen können. Das aber trifft auf viele der Ärmsten nicht zu.
"Diese Menschen können Insekten sammeln, oder sie können in einem unserer Programme lernen, wie man Insekten züchtet. Dafür braucht man kein Land, das geht in alten Ölfässern oder anderen Behältern, die man sogar in eine Hütte stellen kann. Dann kommt es darauf an, sie weiterzuverarbeiten, sie zu trocknen, um auf dem Markt ein gutes Produkt anbieten zu können."
"Ich habe mit zwei Zuchttonnen angefangen, es hat funktioniert und mein Sohn hat mir Geld gegeben. Jetzt haben wir 56 Tonnen und machen immer noch weiter. Im Monat verdienen wir eine Million Kip."
Das sind über 100 Dollar, viel Geld für Frau Wankam aus Laos. In einem Video der FAO erzählt die alte Frau von ihrer Grillenzucht. In einem Schuppen stehen die Tonnen aus Zement. Die Grillen leben darin zwischen Eierkartons und kleinen Sandschälchen für die Eiablage. Neben den Tonnen stehen jetzt auch Netze für Heuschrecken. Die sind schwieriger zu züchten, weil sie immer frische Blätter brauchen. Das nötige Know-how hat Frau Wankam in einem FAO-Kurs gelernt.
"Wenn wir sie verkaufen wollen, müssen wir warten, bis sie ausgewachsen sind. Wir können sie nicht einfach irgendwann nehmen. Wenn sie fertig sind, mögen sie die Leute auf dem Markt. Dann sind sie fett und sehen gut aus."
Die Kunden auf dem Markt geben ihr recht. Mit ihren Essstäbchen angeln sie nicht nur Grillen aus den Schälchen, sondern auch dicke Maden, gelegentlich sogar ganze Spinnen.
"Das ist Essen aus unserer Gegend. Die Leute in Laos mögen es, da sind keine Chemikalien drin, das ist natürlich."
"Lecker, die Insekten, sie schmecken wie Fleisch."
Weltweit versucht die FAO, die Menschen davon zu überzeugen, Insekten nicht nur für den Eigenbedarf zu sammeln, sondern als Mini-Nutztiere für den Verkauf in größerem Maßstab zu züchten. In Südafrika hat Tshidi Moroka in ihrem Labor Produktideen für den Mopane Wurm entwickelt.
"Man kann zum Beispiel Dosen mit Eintopf machen oder gewürzte Mopane-Würmer als Snack verkaufen. Wir haben Suppenpulver hergestellt, und eine Würzpaste. Jetzt suchen wir Partner, die das auf den Markt bringen."
Damit hofft sie zwei Dinge zu erreichen: armen Menschen Arbeit zu verschaffen und gleichzeitig eiweißreiche Nahrung vor allem für Kinder bereitzustellen. Noch werden Mopane-Würmer gesammelt. Die Wissenschaftlerinnen haben aber schon die wesentlichen Daten zu den Lebensbedingungen der Raupen ermittelt - die wichtigste Voraussetzung für ein erfolgreiches Zuchtprogramm. Das meint auch Marian Peters in den Niederlanden. Sie kooperiert bereits mit afrikanischen Partnern.
"Wir in den Niederlanden sind gute Insektenzüchter, aber wir sind schlecht, wenn es um den Verzehr geht. 80 Prozent der Weltbevölkerung essen schon Insekten, aber sie verstehen oft wenig von der Zucht. Wir können voneinander lernen."
Die Insekten könnten erst indirekt auf den Teller gelangen, als Emulgatoren oder als Bestandteil von Hühner- oder Fischfutter. Und irgendwann ist dann wohl auch in Europa die Zeit reif, für Insekten als Hauptgericht. Da sind sich an der Universität Wageningen Johan Verbon, Dennis Oonincx und Arnold van Huis einig.
Verbon: "Ich denke, wenn ein Top-Chef, ein Top-Koch dann zum Beispiel ein Michelin-Stern-Chef oder -Koch Insekten an dem Menü hat, soll es kein Problem mehr sein in ein paar Jahren."
Oonincx: "Wir essen nur wenige Tierarten, Schwein, Rind, Huhn, mal ein wenig Fisch. Gelegentlich gibt es Hasen, aber das ist schon fast exotisch. Mit an die 2000 essbaren Insekten gibt es viel mehr Möglichkeiten für den Gaumen, mehr Gerichte, in mehr Geschmacksrichtungen."
Van Huis: "Rindfleisch wird immer teurer werden. Wenn ein BigMac erst einmal 100 Dollar kostet, und ein Käferburger nur fünf, dann werden die Leute die Insekten lieben."
Insekten-Steckbrief: Hyblaea puera: Teakholzmotte. Schwarze Raupen mit vielfarbigen Streifen fressen zu Hunderten an einem Teakbaum. Die Kokons werden in aufgerollten Blättern frittiert. Als Stärkungsmittel.
Hinweis: Dies ist der erste Teil einer fünfteiligen Serie über die zukünftige Ernährung der Menschheit. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Übersichtsseite.
Insekten-Steckbrief: Gryllotalpa orientalis: Maulwurfsgrille. Kräftige Grabschaufeln, großer abgeplatteter Kopf, gut gepanzerter Körper. Gegrillt ähnlich gebratenem Speck.
"Das sind trockene Grashüpfer. Ich muss mal die Flügel abnehmen und ein bisschen die harten Teile. Das ist für uns genug. Die Beine auch."
Ohne Beine und Flügel, aber samt dem Kopf mit den großen Augen wirft Johan Verbon die Grashüpfer in die Pfanne und brät sie an. Ein nussiger Geruch steigt auf in der Küche des Restaurants der Zukunft in Wageningen. Hier experimentiert die niederländische Universität zusammen mit Unternehmen der Lebensmittelbranche. Es geht um salzarme Saucen oder um Schnellgerichte, die auch Rentnern schmecken. Heute zeigt Chefkoch Verbon eine seiner Insektenkreationen.
"Ich hab hier ein bisschen Knoblauch, eine Zwiebel, ein bisschen frische Kräuter, Thym und Oregano und das Dill und Basilikum ist als letztes in die Sauce. Riecht wirklich gut. Das sind die Mehlwürmer, die gehen dazu . Das ist eigentlich genau, wie man eine Pastasauce macht. Das soll das Hackfleisch sein. Man braucht so viel Mehlwürmer wie man normalerweise Hackfleisch braucht."
Die Mehlwürmer und Grashüpfer sind getrocknet. In den Niederlanden werden sie in kleinen Plastikdosen im Großhandel verkauft. Wie jedes andere Lebensmittel auch hygienisch verpackt und mit kompletter Nährwerttabelle. Johan Verbon gibt Sahne an die Sauce, die Mehlwürmer saugen sie auf, sind jetzt doppelt so groß. Sicher zwei Zentimeter lang gucken sie zwischen den Tagliatelle heraus.
"So, die Sauce ist fertig. Ein bisschen Salz dazu, es ist ein bisschen flau, Pfeffer. So fertig, wollen Sie mal probieren?"
Wildermuth: "Aber ja: Mein erster Versuch mit Mehlwurmpasta. Also man merkt deutlich dass da was drin ist, ein bisschen hart sind sie immer noch, aber die Sauce schmeckt in jedem Fall extrem lecker, aber ich versuche mal den Mehlwurm Geschmack hier rauszuschmecken. Es schmeck in jedem Fall ein bisschen anders , als mit Hackfleisch."
Verbon: "Ein bisschen mehr süß wie Hackfleisch vielleicht. Es ist ein Beigeschmack, aber ein guter Beigeschmack, wie frische Nüsse oder frische Karotten oder so etwas. Es ist ein frischer Beigeschmack."
Insekten auf dem Teller. Für Europäer sicher gewöhnungsbedürftig. Dabei stecken im Brot, im Fruchtsaft, im Salat gelegentlich Reste von Insekten.
"Wir essen Krabben, wir essen Austern, wir essen Schnecken, aber wir würden nie in einen Grashüpfer beißen. Das ist ein kulturelles Problem."
Damit stehen die westlichen Länder global betrachtet recht alleine da, meint Paul Vantomme von der Welternährungsorganisation in Rom. Bei der Food and Agricultural Organisation, kurz FAO, leitet er das Programm "Essbare Insekten".
"Insekten sind wertvolle Nahrungsmittel und das haben nicht erst wir entdeckt. In vielen traditionellen Gesellschaften in China und Afrika und Lateinamerika werden Insekten genutzt. Die Europäischen Kulturen sind die Ausnahme, wahrscheinlich wegen religiöser Tabus. Insekten sind genauso nahrhaft wie Krabben oder Fleisch oder Fisch. Sie enthalten wenig Fett und das Chitin senkt den Cholesterinwert. Sie sind sehr gut für die Gesundheit."
Letztlich wird der Welt gar nichts anderes übrig bleiben, als mehr und mehr Insekten zu verzehren, meint auch Arnold van Huis von der Universität Wageningen.
"Das Problem mit den klassischen Nutztieren ist: Sie benötigen so viel Land. Die Viehzucht beansprucht schon heute 70 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche. Und die Weltbevölkerung wächst. 2050 wird es neun Milliarden Menschen geben. Außerdem steigt auch der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch. Also werden die Preise zum Beispiel für Rindfleisch dramatisch steigen. Insekten sind da eine sehr gute Alternative."
Insekten-Steckbrief: Encosternum delegorguei: Stinkwanze. Platter grüner Körper. Sondert bei Störung oranges, übelriechendes Sekret ab. Getrocknete Wanzen als Snack zum Bier.
"Der Mopane Wurm ist eine essbare Raupe. Sie lebt auf Bäumen und wird im ganzen südlichen Afrika genutzt."
Im Dezember und noch einmal im April wimmeln die Mopanebäume von den Raupen der Kaisermotte, eines afrikanischen Nachtpfauenauges, erzählt Dr. Tshidi Moroka vom Rat für Grundlagen- und Industrieforschung in Südafrika. Mal auffällig rot, schwarz, weiß gemustert, mal in dezentem Grau fressen die Raupen ganze Bäume kahl. Und werden dabei selbst immer fetter. In nur sechs Wochen erreichen sie ein Gewicht von 15 Gramm und die Größe eines Würstchens. Moroka:
"Meist sammeln die Frauen und Kinder die Raupen. Sie werden gewaschen, getrocknet und in große Säcke verpackt. Im Dezember sitzen viele Frauen an den Straßen und verkaufen sie. Viele Leute aus der Stadt kaufen sie. Ihnen fehlen die traditionellen Mopanegerichte in der Stadt."
"Es ist ein ganz besonderer Geschmack, ich habe gerade gestern welche gegessen, ein besonderer Geschmack wirklich."
Dr. Nomusa Dalamini vom selben Forschungsinstitut. Sie hat den Nährstoffgehalt der Mopane-Würmer untersucht.
"Wir haben den Proteingehalt gemessen und der ist höher, als bei Rindfleisch oder Hühnchen. Mopane-Würmer liefern auch Energie. 100 Gramm enthalten 440 Kilokalorien."
Moroka: "In vielen Dörfern sind Mopane-Würmer ein wichtiger Teil der Ernährung, weil sie sehr viel Eiweiß enthalten. Besonders im Norden Südafrikas sind viele Menschen auf sie angewiesen."
Und nicht nur dort. In vielen Gegenden der Welt sind Insekten eine wichtige Nahrungsquelle. Paul Vantomme zitiert die Zentralafrikanische Republik. In der Trockenzeit decken die Menschen dort ein Drittel ihres Proteinbedarfes mit der Sapelli-Raupe.
"Dafür gibt es viele Gründe. Die Raupen sie billig, sie sind leicht zu sammeln, man braucht kein Gewehr, um sie zu jagen, und die Leute mögen sie."
Raupen, Heuschrecken und Termiten sind keine Notnahrungsmittel, die nur in Krisenzeiten verzehrt werden. Das ist ein europäisches Vorurteil.
"Das ist eine völlig falsche Vorstellung. In den Kochbüchern dort zählen Insekten zu den Delikatessen. Oft sind die Insekten in den Tropen sogar teurer als Rindfleisch."
Arnold van Huis muss es wissen. Der Insektenkundler von der Universität Wageningen ist quer durch Afrika gereist und hat den Verzehr von Insekten dokumentiert. Später hat er seine Studie auf die ganze Welt ausgedehnt. Inzwischen sind 1800 essbare Insektenarten dokumentiert. In japanischen Bars gibt es Grillen in Sojasauce als Snack, in Mexiko schwimmen Raupen im Bier, Aborigines schätzen süße Termiten und von den vielen afrikanischen Rezepten erinnert sich Arnold van Huis besonders gerne an scharf gewürzte Heuschrecken. Dass seine Landsleute keine Asseln oder Raupen sammeln erklärt er sich mit kulturellen Tabus und mit dem mangelnden Angebot. In den Tropen werden die Insekten einfach größer und wie die Mopane-Würmer finden sie sich häufig in großen Mengen auf einem Fleck, sind also leicht zu sammeln. Die Zeit ist aber reif für Insekten auch in den Industrienationen findet Arnold van Huis.
"Wenn man darüber nachdenkt, gibt es viele Gründe Insekten zu essen. Sie sind nahrhaft, enthalten viel Eiweiß, ungesättigte Fettsäuren und Mineralstoffe und Vitamine. Da sind sie so gut wie Fisch oder Fleisch. Sie sind auch effektiv, für das gleiche Futter erhält man viel mehr Fleisch als bei den gewöhnlichen Nutztieren. Außerdem kann man sie auf organischem Abfall züchten. Es wäre dumm, diesen Weg nicht zu gehen."
Insekten-Steckbrief: Vespa mandarinia: Asiatische Riesenhornisse. Kopf leuchtend orange mit großen Beißzangen. Im Nest leben mehrere Hundert Individuen. Roh als Sashimi, Speichel der Larven in Energiedrinks.
Dank der Arbeit von Arnold van Huis ist die Universität Wageningen ein Zentrum der Forschung an essbaren Insekten. Die Arbeitsgruppe stellt mit einer Hotelfachschule und dem Restaurant der Zukunft ein Insektenkochbuch zusammen, bei Events bieten sie den Niederländern auch Kostproben an. Vor allem aber wird geforscht.
"Hier hören sie Hausgrillen oder Heimchen. Das ist eine Insektenart, die sich für die menschliche Ernährung eignen könnte."
In dem großen Plastikkasten krabbeln Dutzende glänzend schwarzer Insekten über alte Eierkartons. Dennis Oonincx ernährt seine Mini-Nutztiere mit Hühnerfutter und Karotten und hält sie bei kuscheligen 28 Grad. Unter diesen Bedingungen vermehren sich die Grillen fast wie von selbst.
"Von oben sieht man gar nicht so viele Grillen, vielleicht dreißig, aber wenn ich den Eierkarton anhebe, sehen Sie: die meisten verstecken sich. Wenn man sie alle verarbeiten würde, dann gäbe das einen wirklich großen Burger"
Obwohl Dennis Oonincx die Grillen am liebsten komplett brät und dann in Datteln steckt. Grillensnacks sind aber nur ein Nebenprodukt seiner Forschung. Er vergleicht die Umweltverträglichkeit der Insektenproduktion mit der klassischen Tierhaltung.
"Nehmen Sie die Treibhausgase. Ich habe mir unter anderem die Grillen und Mehlwürmer angesehen. Ihre Haltung ist viel klimafreundlicher als die konventioneller Nutztiere. Zum Beispiel produzieren Rinder 100 Mal mehr Treibhausgase als Mehlwürmer."
Ähnlich günstig auch der Land- und Wasserverbrauch. Deshalb hat sich die Welternährungsorganisation entschlossen, die Zucht von Insekten zu Ernährungszwecken aktiv zu fördern, so Paul Vantomme.
"Wir können die enorme Effizienz der Insekten bei der Umwandlung von organischem Material in wertvolles Protein nicht mehr ignorieren. Wir haben nur diesen einen Planeten. In dreißig Jahren werden mehr als neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, die meisten in Entwicklungsländern. Wenn wir sie ernähren wollen, müssen wir die Nahrungsproduktion dort verdoppeln."
Das erfordert eine industrielle Fleischproduktion oder auch: Insektenproduktion. Hier bei van de Ven im niederländischen Deurne rütteln Mehlwürmer über eine Siebanlage, um sie von den Nährflocken zu befreien und verpackungsfertig zu machen. Der Betrieb produziert jede Woche anderthalb Tonnen Mehlwürmer. Die meisten gehen an Reptilienzüchter und an Zoos, aber inzwischen werden auch Restaurants beliefert. Marian Peters ist die Sprecherin der niederländischen Insektenproduzenten. Sie führt durch den Betrieb.
"Das Leben beginnt in einer großen Halle voller hoch gestapelter Plastikkästen. Die Lampen gehen an und überall versuchen Mehlkäfer aus dem Licht zu kommen. Ich mag sie, sie sind schön. Schwarze Käfer mit sechs Beinen die übereinander krabbeln. So leben sie: aufeinander. Deshalb kann man so viele auf engem Raum halten. Einer der Gründe, weshalb Insekten so effektiv sind."
Ein anderer ist ihr Futter: die Hüllen von Weizenkörnern, die bei der Mehlproduktion als Abfall anfallen und billig zu haben sind. Dazu kommen noch ein paar Karotten, über die die Insekten ihren Flüssigkeitsbedarf decken. Die Rohstoffe sind exakt dokumentiert und zertifiziert, genauso wie der ganze Produktionsprozess. Seit van de Ven auch Restaurants beliefert, gelten die strengen Auflagen des Lebensmittelrechts. Den Käfern ist das egal, sie legen ihre Eier direkt in ihre Nahrung und nach ein paar Tagen schlüpfen kleine Mehlwürmer. Peters:
"Hier sehen Sie die Mehlwurmhochhäuser. Man kann die Kästen stapeln, es ist alles sehr effizient. Sie leben in der Nahrung, es ist alles trocken, sie brauchen wenig Wasser und müssen nicht pinkeln. Gut für die Umwelt."
Das trockene Pulver in den Kästen ist kaum zu sehen, so viele Mehlwürmer kriechen und krabbeln hier durcheinander. Ein lebender Teppich. Peters:
"Wenn Sie hineinfassen, fühlen Sie an der Hand die Bewegung der vielen kleinen Larven. Das ist wie eine Mikromassage."
Ein paar Mehlwürmer im eigenen Schrank mögen eklig sein. Tausende von ihnen in der Fabrik sind seltsam anziehend. Aber darum geht es nicht. Es geht um Produktion, um Gewinn, um Effizienz. Peters:
"In den Niederlanden lebt ein Schwein auf einem Quadratmeter und nach dreieinhalb Wochen haben sie ein Gewicht von neunzig Kilo: Fleisch, Haut und Knochen. Hier sind die Boxen 40 mal 60 Zentimeter, der ganze Stapel ergibt 25 Kilo Mehlwürmer in zehn Wochen und davon muss man nichts wegschmeißen. Das ist sehr effizient. Wir bekommen für zehn Kilo Futter fast acht Kilo Mehlwurm. Bei einem Schwein erhält man für die gleiche Menge Futter nur drei Kilo. Wie gesagt: sehr effizient, das lohnt sich für Unternehmer."
Am Ende werden die Mehlwürmer wieder gesiebt und nach Größe sortiert. Die Futterreste dienen übrigens als Dünger, für Erdbeerpflanzen und in den Niederlanden auch für Marihuana. Peters:
"Die ganz kleinen verkaufen wir nicht, schließlich wollen wir Qualität anbieten, die bleiben noch eine Weile. Und die ganz großen bleiben auch, die werden wieder zu Käfern, damit es neue Eier gibt und sich der Kreislauf schließt."
Noch sind die Mehlwürmer aus Deurne nur gelegentlich in Restaurants zu finden. Aber das könnte sich ändern, wenn Insekten als gesunde Nahrungsmittel wahrgenommen werden.
Insekten-Steckbrief: Camponotus inflatus: Honigtopfameise. Arbeiterinnen mästen spezialisierte Nestbewohner. Der Hinterleib dieser "lebenden Speisekammern" schwillt auf die Größe von Weintrauben an. Süß.
Paul Vantomme: "Es hat sich herausgestellt, dass das Chitin der Insektenpanzer in unserem Darm Cholesterin bindet. Schon heute werden in den Apotheken Cholesterinsenker auf Chitinbasis verkauft."
Noch stammt das aber aus den Abfällen beim Krabbenpulen, so Paul Vantomme. Zusätzlich regt Chitin auch das Immunsystem an. Und noch etwas spreche für Mehlwurmpasta und Ameisen-Soufflé, so Daniel Oonincx: Viele Krankheitserreger stammen von unseren Nutztieren.
"Insekten sind da die sicherere Wahl, weil die Krankheitserreger der Insekten meist keine Wirbeltiere wie den Menschen befallen. Normale Nutztiere können viel leichter Krankheiten übertragen."
Auch Marian Peters glaubt, dass sie ihre Landsleute auf lange Sicht Insekten schmackhaft machen kann. Aber bis es so weit ist, muss noch viel geforscht werden.
"Es gibt viele Fragen: Wie können wir viele Insekten lagern, wie können wir große Mengen von ihnen töten, ohne dass sie es spüren? Und dann brauchen wir neue Techniken. Haben Sie seine Muskeln gesehen? Das ist alles Handarbeit. Wir brauchen aber Automatisierung. Wir sind hier in einer ehemaligen Pilzzucht. Wie könnte ein Gebäude aussehen, in dem wir große, große Mengen von Insekten produzieren können? Das sind die Themen für die Forschung."
Die niederländischen Insektenzüchter arbeiten hier eng mit der Universität in Wageningen und mit Arnold van Huis zusammen. Eine wichtige ungeklärte Frage ist die Lebensmittel-Sicherheit. Van Huis:
"Eine Ausweitung der Produktion verursacht Probleme. Da ist die Automatisierung. Aber es können sich auch leichter Krankheiten unter den Insekten einer großen Zucht ausbreiten."
Sobald viele Tiere auf engem Raum zusammenleben, haben Bakterien oder Viren leichtes Spiel. Die Erreger würden zwar nicht den Menschen gefährden, wohl aber die Nutzinsekten. In der traditionellen Landwirtschaft setzt man bei diesem Problem vor allem auf Antibiotika, die ihrerseits wieder für Schwierigkeiten sorgen. Van Huis:
"Man kann über resistente Stämme nachdenken. Insekten vermehren sich schnell, man muss nicht zwei Jahre auf die nächste Generation warten, da reichen Wochen. Deshalb kann man Insekten schnell an neue Herausforderungen anpassen."
Viel schneller jedenfalls, als traditionelle Nutztiere. Eine industrielle Insektenproduktion könnte gut in die konventionelle Landwirtschaft integriert werden. Gerade die Niederlande haben große Probleme mit Gülle und Dung. Van Huis:
"Die Soldatenfliege kann auf Dung gezüchtet werden. Sie reduziert die Menge um die Hälfte und verwandelt dabei Dung in Protein. Die Larven könnten dann in Fischfarmen verfüttert werden. Zurzeit wird dafür Fischmehl verwendet, doch das wird immer teurer. Die Leute suchen nach Alternativen und Insekten bieten sich da an."
Insekten bilden sogar die wertvollen Omega-III-Fettsäuren und machen so den Farmfisch fast so gesund wie dessen Verwandte aus dem Meer. Es ist eine Win-Win-Situation: Die Insekten wandeln billige Abfälle in Eiweiß um und die Fische oder andere vertraute Nutztiere machen daraus hochwertige Nahrungsmittel, die selbst bei westlichen Konsumenten keine Ekelgefühle mehr auslösen. Paul Vantomme:
"Wenn wir Mayonnaise machen, nutzen wir Proteine aus Hühnereiern. Die Nahrungsmittelindustrie forscht an Alternativen. Wenn sie Eiweiß aus Mehlwürmern oder Grashüpfern nutzt, dann ist das billiger und umweltfreundlicher. Schon bald könnte ein Teil der Emulgatoren für Fertiggerichte von Insekten stammen, selbst in Westeuropa."
Insekten-Steckbrief: Endoxyla leucomochla: Wichetty-Made. Larve sieben Zentimeter lang, bleich. Lebt im Boden und frisst Wurzeln. Nussig.
Die westliche Welt spielt in den Überlegungen von Paul Vantomme nur eine Nebenrolle. Ihm geht es um die Dritte Welt, die dringend Alternativen zu Rind, Schwein und Geflügel benötigt. Zur Zeit ist der Verzehr von Insekten eher rückläufig, bedauert Arnold van Huis.
"In den Entwicklungsländern wollen die Leute modern und westlich sein, und deshalb essen sie immer weniger Insekten. Meiner Meinung nach ist das eine ganz falsche Sichtweise."
Arnold van Huis will diesen Trend zusammen mit Paul Vantomme umkehren. Die beiden Wissenschaftler arbeiten daran, essbare Insekten auf die globale Agenda zu setzen. Vantomme:
"Seit zwei Jahren trifft sich eine informelle Arbeitsgruppe bei der Welternährungsorganisation mit Unterstützung der Niederlande. Dass ein so innovatives Agrarland sich mit diesem Thema beschäftigt, hat Länder wie Mexiko, Kamerun oder Laos überzeugt. Sie sagen: Wir hatten immer Angst, für rückschrittlich gehalten zu werden, aber ja, damit sollte sich die Welternährungsorganisation beschäftigen."
Paul Vantomme formuliert gerade eine entsprechende Strategie. Bislang fördert die Welternährungsorganisation FAO die traditionelle Landwirtschaft, etwa über verbilligtes Saatgut. Damit werden aber nur Menschen erreicht, die Land besitzen oder wenigstens nutzen können. Das aber trifft auf viele der Ärmsten nicht zu.
"Diese Menschen können Insekten sammeln, oder sie können in einem unserer Programme lernen, wie man Insekten züchtet. Dafür braucht man kein Land, das geht in alten Ölfässern oder anderen Behältern, die man sogar in eine Hütte stellen kann. Dann kommt es darauf an, sie weiterzuverarbeiten, sie zu trocknen, um auf dem Markt ein gutes Produkt anbieten zu können."
"Ich habe mit zwei Zuchttonnen angefangen, es hat funktioniert und mein Sohn hat mir Geld gegeben. Jetzt haben wir 56 Tonnen und machen immer noch weiter. Im Monat verdienen wir eine Million Kip."
Das sind über 100 Dollar, viel Geld für Frau Wankam aus Laos. In einem Video der FAO erzählt die alte Frau von ihrer Grillenzucht. In einem Schuppen stehen die Tonnen aus Zement. Die Grillen leben darin zwischen Eierkartons und kleinen Sandschälchen für die Eiablage. Neben den Tonnen stehen jetzt auch Netze für Heuschrecken. Die sind schwieriger zu züchten, weil sie immer frische Blätter brauchen. Das nötige Know-how hat Frau Wankam in einem FAO-Kurs gelernt.
"Wenn wir sie verkaufen wollen, müssen wir warten, bis sie ausgewachsen sind. Wir können sie nicht einfach irgendwann nehmen. Wenn sie fertig sind, mögen sie die Leute auf dem Markt. Dann sind sie fett und sehen gut aus."
Die Kunden auf dem Markt geben ihr recht. Mit ihren Essstäbchen angeln sie nicht nur Grillen aus den Schälchen, sondern auch dicke Maden, gelegentlich sogar ganze Spinnen.
"Das ist Essen aus unserer Gegend. Die Leute in Laos mögen es, da sind keine Chemikalien drin, das ist natürlich."
"Lecker, die Insekten, sie schmecken wie Fleisch."
Weltweit versucht die FAO, die Menschen davon zu überzeugen, Insekten nicht nur für den Eigenbedarf zu sammeln, sondern als Mini-Nutztiere für den Verkauf in größerem Maßstab zu züchten. In Südafrika hat Tshidi Moroka in ihrem Labor Produktideen für den Mopane Wurm entwickelt.
"Man kann zum Beispiel Dosen mit Eintopf machen oder gewürzte Mopane-Würmer als Snack verkaufen. Wir haben Suppenpulver hergestellt, und eine Würzpaste. Jetzt suchen wir Partner, die das auf den Markt bringen."
Damit hofft sie zwei Dinge zu erreichen: armen Menschen Arbeit zu verschaffen und gleichzeitig eiweißreiche Nahrung vor allem für Kinder bereitzustellen. Noch werden Mopane-Würmer gesammelt. Die Wissenschaftlerinnen haben aber schon die wesentlichen Daten zu den Lebensbedingungen der Raupen ermittelt - die wichtigste Voraussetzung für ein erfolgreiches Zuchtprogramm. Das meint auch Marian Peters in den Niederlanden. Sie kooperiert bereits mit afrikanischen Partnern.
"Wir in den Niederlanden sind gute Insektenzüchter, aber wir sind schlecht, wenn es um den Verzehr geht. 80 Prozent der Weltbevölkerung essen schon Insekten, aber sie verstehen oft wenig von der Zucht. Wir können voneinander lernen."
Die Insekten könnten erst indirekt auf den Teller gelangen, als Emulgatoren oder als Bestandteil von Hühner- oder Fischfutter. Und irgendwann ist dann wohl auch in Europa die Zeit reif, für Insekten als Hauptgericht. Da sind sich an der Universität Wageningen Johan Verbon, Dennis Oonincx und Arnold van Huis einig.
Verbon: "Ich denke, wenn ein Top-Chef, ein Top-Koch dann zum Beispiel ein Michelin-Stern-Chef oder -Koch Insekten an dem Menü hat, soll es kein Problem mehr sein in ein paar Jahren."
Oonincx: "Wir essen nur wenige Tierarten, Schwein, Rind, Huhn, mal ein wenig Fisch. Gelegentlich gibt es Hasen, aber das ist schon fast exotisch. Mit an die 2000 essbaren Insekten gibt es viel mehr Möglichkeiten für den Gaumen, mehr Gerichte, in mehr Geschmacksrichtungen."
Van Huis: "Rindfleisch wird immer teurer werden. Wenn ein BigMac erst einmal 100 Dollar kostet, und ein Käferburger nur fünf, dann werden die Leute die Insekten lieben."
Insekten-Steckbrief: Hyblaea puera: Teakholzmotte. Schwarze Raupen mit vielfarbigen Streifen fressen zu Hunderten an einem Teakbaum. Die Kokons werden in aufgerollten Blättern frittiert. Als Stärkungsmittel.
Hinweis: Dies ist der erste Teil einer fünfteiligen Serie über die zukünftige Ernährung der Menschheit. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Übersichtsseite.