Gegen Abend, es war kühl, und ich zitterte ein wenig; teils, weil es kühl war, teils aus Erregung. Wir standen am Strand. Ich, etwa fünf Jahre, an der Hand meines Vaters, und mein kleiner Bruder Michael, vierjährig. Wir schauten aufs Meer hinaus – das erste Mal in unserem Leben.
Was mich am tiefsten beeindruckte, war der Horizont, der sich fest und ungebrochen, wie von einem überdimensionalen Zirkel gezeichnet, von einem Ende des Blickfeldes zum anderen hinzog.
"Das ist der Horizont", erklärte mein Vater.
"Und was ist hinter dem Horizont?" fragte ich.
"Der Horizont und dahinter wieder der Horizont. Je weiter Du hinausruderst, umso weiter zieht sich der Horizont zurück, sodass Du immer nur einen Horizont siehst; bis ganz, ganz zuletzt Land in Sicht kommt, und dann ist der Horizont verschwunden. Du kannst ihn dann aber wieder sehen, wenn Du Dich herumdrehst." (Elisabeth Mann-Borgese)
Holger Janßen: "Man darf nicht vergessen, dass das Meer ein besonderer Raum ist, und dass wir gut daran tun, einen gewissen Horizont freizuhalten von Großnutzungen. Tatsächlich ist es früher ein gültiger Rechtsgrundsatz gewesen, dass es die Freiheit der Meere gibt. Gleichzeitig merken wir aber auch, dass wir uns dieses Raumes immer stärker bemächtigen und immer mehr Sachen passieren."
Das Meer liegt wie ein glatter Spiegel in der Eckernförder Bucht. Touristen flanieren am Stadthafen entlang, Fischer flicken ihre Netze, und die Möwen lauern bei der Fischbrötchenbude auf leichte Beute. Lorenz Marckwardt schlendert zu seinem Kutter "Ecke 15", der in der Nacht von einer Fangfahrt bei Bornholm zurückgekehrt ist. Im Steuerhaus dudelt das Radio, an Deck wird klar Schiff gemacht. Doch so idyllisch wie es auf den ersten Blick scheint, ist das Leben von Lorenz Marckwardt schon lange nicht mehr.
"Sperrgebiete, Warngebiete, Übungsgebiete, Artillerie-Schießgebiete, die ganzen Verkehrstrennungsgebiete, wo wir Fischer nicht fischen dürfen, das sind eigentlich traditionelle Fanggebiete. Gebiete aus Natura 2000, FFH-Gebiete, Vogelschutzgebiete, Walschutzgebiet, ja und so weiter."
Der Vorsitzende des Landesfischereiverbandes Schleswig-Holstein zeigt auf die elektronische Seekarte, die auf einem der vielen Computerbildschirme im Steuerhaus flimmert. Überall leuchten bunte Symbole auf. Das Meer, so scheint es auf dieser Karte, geht darin vollkommen unter. Marckwardt:
"Wenn Sie das alles in die Karte einzeichnen, müssen Sie sich als Laie fragen: Wo wollen Sie denn noch fischen? Dazu kommen jetzt die ganzen Windparks! Da blievt forn Fischer nichts mehr nach. So sieht es aus! Da bleibt für den Fischer nichts mehr nach."
"Allgemein nimmt die Zahl der Nutzungen auf dem Meer ganz stark zu. Wir haben einmal die traditionellen Nutzungen, wie Fischerei und Schifffahrt. Und jetzt kommen dann eben neue Nutzungen wie die Offshore-Windenergie hinzu, und die beanspruchen große Räume für sich mit festen Installationen, also kein mobiler Nutzer, sondern wirklich für 20, 30, 40 Jahre eine ortsgebundene Nutzung auf dem Meer. Und das wirft vollkommen neue Fragen hervor."
Diesen Fragen widmet Nico Nolte sich in seinem Büro in Hamburg schon eine ganze Weile. Hier, am Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie – kurz BSH – werden nicht nur die Seekarten erstellt, die im Steuerhaus der "Ecke 15" aufleuchten. Hier werden auch die Karten gemacht, die später festlegen, wer auf dem Meer wo was machen darf: Raumordnungspläne. Begonnen hat man damit bereits Ende der 90er-Jahre, als die ersten Anträge für Offshore-Windparks mit bis zu 900 Anlagen eingereicht wurden. Ein Ort, der sich dadurch auszeichnet, dass alles in Bewegung ist, sollte feste Strukturen bekommen. Das war neu.
Als Thomas Mann seiner Tochter Elisabeth Anfang der 20er-Jahre die Ostsee bei Travemünde zeigte und sie ein für alle Mal für die Weite und den unendlichen Horizont des Meeres begeisterte, war diese Entwicklung noch nicht abzusehen. Doch Elisabeth Mann-Borgese sollte später eine der ersten sein, die das Ausmaß der zukünftigen Meeresnutzung erkannte. Die Ökologin und Professorin für Seerecht war 1970 das einzige weibliche Gründungsmitglied des Club of Rome und maßgeblich an der Ausarbeitung des Seerechtsübereinkommen von 1982 beteiligt. Die Freiheit der Meere wurde zu dieser Zeit immer mehr als Freiheit zur wirtschaftlichen Ausbeutung umgedeutet. Elisabeth Mann-Borgese setzte sich dafür ein, dass auch ein neuer Grundsatz festgeschrieben wurde: die Meeresressourcen als gemeinsames Erbe der Menschheit. Ein Erbe, das eine besondere Art von Planung brauche, wie die Seerechtlerin in einem Interview drei Jahre vor ihrem Tod im Jahr 2002 erklärt.
"Denn es fließt ja alles ineinander. Die Meeresnutzungen beeinflussen sich wechselseitig. Die Fischerei, die Ölwirtschaft, der Tourismus, die Küstenentwicklung und so weiter. Das hängt eben alles zusammen. Und man kann es nicht einzeln handhaben. Das verlangt eine völlig andere Art von Management. Denn da ist dann auch das Andere, was damit zusammenhängt."
Dass im Meer alles mit allem zusammenhängt, weiß und berücksichtigt heute jeder Planer. Doch die Frage "wie alles miteinander zusammenhängt", ist oft nur schwer zu beantworten, weiß die Raumplanerin Bettina Käppeler vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie aus eigener Erfahrung.
"Es gibt einen großen Forschungsbedarf. Weil wir immer zu dem Punkt kommen, dass wir nicht genug wissen über bestimmte Auswirkungen. Wenn wir Sand- und Kiesabbau in einem Naturschutzgebiet haben: Was heißt denn das für die Populationen, für die Ökologie für die Biotope, die es da gibt? Wie langfristig ist der Schaden?"
Janßen: "Wir haben einfach keine komplette Karte dessen, was im Meer los ist. Wir haben ein großes Verständnis davon. Das ist in der Ostsee auch sehr viel detaillierter als in vielen anderen Meeren. Nichtsdestotrotz merken wir jetzt für Planungsfragen, dass der Detailgrad, der da gefordert ist, doch ein ganz anderer ist als ihn traditionelle Meeresforschung bisher so im Kopf hatte."
Dabei verfügt Holger Janßen schon über eine scheinbar unerschöpfliche Fülle an Daten. Das kleine Büro des Raumplaners im Institut für Ostseeforschung, Warnemünde, ist über und über behängt mit bunten Karten. Karten von der Ostsee. Karten, die versuchen, Antworten zu geben auf die unzähligen Fragen der Raumplaner. Wie beeinflusst der Schiffsverkehr den Stickstoffgehalt der Ostsee? Wo sind wichtige Brutgebiete für Enten? Und immer wieder auch: Welche Folgen haben die geplanten Offshore-Windparks für die Natur?
Die Offshore-Windparks
"Wir haben ja hier in der Ostsee noch eine entspannte Situation. Wir haben ja unseren ersten kleinen Windpark fertig."
Sie sind noch gar nicht richtig da, und doch haben sie die Raumordnung auf dem Meer erst so richtig in Gang gebracht: die Windparks vor der Küste. Die Forschung muss hier größtenteils auf Simulationen und Modellierungen zurückgreifen, weil es schlichtweg an Erfahrung mit solch großen und breitflächigen Installationen auf dem Meer mangelt. Was wiederum an den ersten Offshore-Parks beobachtet wurde, muss längst nicht für alle gelten, weil sich viele Parameter wie Wassertiefe, Habitate oder Strömungen je nach Standort sehr stark unterscheiden können. Und weil es weitaus mehr Fragen an die Parks gibt als die nach den Auswirkungen auf Schweinswale und Zugvögel, hat Holger Janßen gleich eine ganze Reihe von Modellierungen zu den geplanten Windparks zwischen Rügen und Bornholm. Eine nach der anderen ruft er im Computer auf:
"Das ist ein Beispiel für Sauerstoffzehrung von Windparks, eine Modellierung. Natürlich bilden sich auf den Windkraftpfeilern Habitate aus, die Sauerstoff verbrauchen, was lokal direkt um den Pfeiler herum schon auch zu Sauerstoffmangelerscheinungen führen kann. In einem größeren Maßstab ist das jetzt keine wesentliche Auswirkung, das sind sehr lokale Erscheinungen, mit denen man da rechnen muss. Es gibt hier so eine kleine Fahne, wo man sieht, dass hier nördlich von Bornholm etwas weniger Sauerstoff ankommen würde. Das ist aber ein so viel geringerer Wert, dass es im Grunde keine Rolle spielt."
Dennoch sei es wichtig, diese Dinge zu prüfen, meint Holger Janßen. Schließlich wolle man nicht die gleichen Fehler wie an Land machen und sich von negativen Folgen überraschen lassen. Deswegen denken die Wissenschaftler in alle Richtungen, wie sich bei der nächsten Karte zeigt:
"Da ist die Frage, wie wirken sich Windkraftanlagen auf das Aufkommen von Quallen aus. Was wir schon wissen, ist, dass zusätzliches Hartsubstrat, wie wir es eben durch Windkraftanlagen bekommen werden, auch zu mehr Quallen führen kann. Die Frage ist so ein bisschen, wie werden die sich räumlich ausbreiten."
Holger Janßen zeigt auf die eingezeichneten Windparks, die zwischen Rügen und Bornholm geplant sind, und auf die vielen kleinen Kreuze, die sich von dort aus Richtung Südosten bis an die polnische Küste verteilen. Ein Kreuz entspricht 100 Quallen.
"Was man hier sehen kann, ist, dass wenn wir im deutschen Bereich Windkraftanlagen etablieren, dass wir durchaus Auswirkungen auf polnische Küsten haben können."
Wer Windparks baut, produziert also nicht nur Energie, sondern auch Quallen. Welches Ausmaß diese Quallenzucht annehmen wird, ist noch nicht klar. Auch hier könnten die Folgen letztlich vernachlässigbar sein, meint Janßen. Unumstritten ist dagegen, dass die Parks, wenn sie im geplanten Umfang gebaut werden, ein Hindernis für die Schifffahrt darstellen und das Risiko für Kollisionen erhöhen.
Die Schifffahrt
Lorenz Marckwardt: "Wenn jetzt schönes Wetter ist, dann kann Oma mit der Badewanne zur See fahren. Wann passiert denn mal was? Wenn schlechtes Wetter ist. Dann ist ja schon mal die Sicht dahin. Nun lass aber mal da einen manövrierunfähig werden. Das wird schon schwierig."
Sie waren die ersten. Sie nutzten das Meer bereits, als es am Horizont noch in unbekannte Tiefen fiel. Die Seefahrer waren schon immer da, und sie wissen ihr Recht daraus zu ziehen. Die "Sicherheit und Leichtigkeit" der Schifffahrt, so ist es im internationalen Seerecht festgeschrieben, muss auf den Meeren garantiert sein. Dafür hat jedes Land in seiner Wirtschaftszone zu sorgen. Rund um die Windparks herum gibt es deshalb eine Sicherheitszone, in die kein Schiff hineinfahren darf – weder Containerschiff noch Gummiboot. Doch reicht das? Was ist, wenn ein Tanker manövrierunfähig wird und in die Parks treibt? Ein Ölunfall gilt in der sensiblen Ostsee, in der es 30 Jahre dauert, bis das Wasser einmal ausgetauscht ist, als Horrorszenario. Es gibt daher Überlegungen, in jedem Windpark einen Schlepper zu stationieren. Eine teure Investition, die sich allerdings lohnen könnte, wenn man berücksichtigt, dass sich der Schiffsverkehr auf der Ostsee bis 2030 verdoppeln soll, meint Jochen Lamp. Der Leiter des Ostseebüros der Naturschutzorganisation WWF fordert zudem, die alten Pfründe der Schifffahrt auf den Prüfstand zu stellen. Zuerst kommt die Schifffahrt, alle anderen müssen schauen, was übrig bleibt, war bisher meist die Maxime bei der Raumordnung. Ein Relikt aus alten Zeiten, meint Lamp.
"Das hat inzwischen auch die deutsche Raumordnung zumindest zur Kenntnis genommen. Dass, wenn da Konflikte entstehen zwischen beispielsweise Windenergiepolitik auf dem Meer und Schifffahrtsrouten, dass man möglicherweise auch Schifffahrtsrouten verlegen können muss. In Holland zum Beispiel sind die diesen Weg gegangen. Dass die gesagt haben, hier haben wir ein wichtiges Windgebiet und die wichtige Schifffahrtsroute von Hamburg nach Rotterdam, da müssen wir die Route ein Stück verlegen."
Während sich das Kollisionsrisiko für Schiffe mit Windkraftanlagen über die Raumordnungsplanung sehr gut steuern lässt, ist das anderswo schwieriger. Holger Janßen ruft wieder eine seiner Karten auf. Entlang der Hauptschifffahrtsrouten sieht man blau eingefärbte Linien: der Stickstoffeintrag, der von Schiffen verursacht wird. Über die Abgase gelangt er ins Meer und wird von den Pflanzen im Wasser aufgenommen. Damit ist er zwar nicht haupt-, aber mitverantwortlich für ein Phänomen, das jeden Sommer für Diskussionen sorgt: die Algenteppiche auf der Ostsee.
"Und da haben wir eben auch wieder Folgewirkungen zwischen Schifffahrt und Tourismus, der natürlich gerne saubere Strände haben möchte. Man merkt eben auch, dass wir mit vielen Sachen hier arbeiten, die nicht unbedingt von Planung zu beeinflussen sind. Planung kann vielleicht sagen, wo das Schiff langfahren soll, aber nur bedingt sagen, mit welchen Emissionen so ein Schiff arbeiten muss. Selbst wenn wir hier in der Ostsee gerne sauberere Abgase hätten, dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Regelungen, die wir hier treffen, keine Wirkung entfalten können, wenn andere Länder nicht mitziehen."
Wie die Schifffahrt das Ökosystem genau beeinflusst, wird dabei gerade erst entdeckt. Das jüngste Beispiel dafür sind die so genannten Makrophyten – kleine Wasserpflanzen, die mit bloßem Auge sichtbar sind. Ihr Bestand werde durch die Wellen der Schiffe reduziert, erklärt Holger Janßen.
"Es hat kürzlich eine Veröffentlichung gegeben, wonach Makrophyten weltweit zumindest genauso viel CO2 binden wie die Wälder an Land. Wenn wir über Klimawandel reden, ist das natürlich was, wo wir uns genau überlegen müssen, welche Bedeutung messen wir dem bei? Wie stark ist das eine räumliche Funktion, die wir auch schützen wollen? Können wir da Maßnahmen finden – geringere Geschwindigkeiten, andere Schiffsbauformen – um solche Sachen weiter voranzutreiben. Da gibt es schon viele solche Kleinigkeiten, die ganz spannend sind. Wir stehen aber bei vielen Sachen nach wie vor am Anfang. Das sagt natürlich ein Forscher immer."
Dabei ist die Schifffahrt für die Planung vergleichsweise leicht zu erfassen und zu steuern. Noch weiter am Anfang steht man dagegen bei einer Nutzung, die wie die Schifffahrt seit jeher zum Meer gehört.
Die Fischerei
Lorenz Marckwardt: "Jeder sucht sich seine eigene Spielwiese auf dem Wasser. Wo der Fischer letztendlich abbleibt, interessiert keine Sau."
Während die Schiffe durch große Verkehrstrennungsgebiete gleichsam Autobahnen auf den Meeren errichtet haben, ist die Fischerei sehr viel schwerer einzugrenzen und kommt in den deutschen Raumordnungsplänen der Nord- und Ostsee gar nicht vor. Das hat mehrere Gründe: Zum einen wird die Fischerei nicht auf Bundesebene, sondern von der Europäischen Union geregelt. Zum anderen hat sie keine große Lobby in Deutschland, da sie hier keine große wirtschaftliche Bedeutung mehr hat. Und nicht zuletzt sträubt sie sich selbst dagegen, Gebiete für die Fischerei auszuhandeln. Fischerei findet überall statt, heißt es bei den Fischern. Doch selbst in den Niederlanden, wo die Fischerei ein viel stärkeres Gewicht hat, verfängt dieses Argument nicht mehr, wie Charles Ehler, Unesco-Berater in Sachen Meeresraumordnung, erzählt
"Viele Stakeholder/Interessenvertreter kamen zu den Treffen, die einzigen, die nicht aufschlugen, waren die Fischer: Sie sagten, wir werden uns an der Raumordnung nicht beteiligen, wir müssen überall fischen. Als man schließlich alle Nutzungen auf dem Plan verzeichnet hatte, war für die Fischerei nur eine winziges Gebiet vorgesehen. Und die Fischer kamen nun und sagten: Wie könnt ihr uns das antun? Wir müssen überall fischen. Die Antwort war. Naja, ihr wart nicht dabei, es gab niemanden, der Gebiete für die Fischerei vorschlug. Und das nächste Mal, als der Plan überarbeitet wurde, saß die Fischereiindustrie dann mit am Tisch."
Fischer sind seit Jahrtausenden überall auf den Meeren unterwegs. Insofern sind sie einer der großen Verlierer einer Raumplanung, die jedem Akteur nur noch bestimmte Areale zuweist: Entweder Vorranggebiete, in denen andere Nutzungen ausgeschlossen sind, oder Vorbehaltgebiete, in denen ein besonderes Gewicht gegenüber anderen Nutzungen eingeräumt wird. Dennoch, so meint Holger Janßen, könnte die Raumordnung der Fischerei in einigen Belangen auch helfen:
"Was wir auch sehen, ist, dass die Europäische Fischereipolitik Laichgebiete nicht schützt, nicht managt. Raumordnung wäre ein Instrument, das so etwas machen könnte. Das Rechtsregime wäre dafür da, man bräuchte da allerdings mehr Input, wo genau diese Gebiete sind, wie genau sie geschützt werden könnten. Damit könnte die Ressource Fisch viel besser entwickelt werden."
Nicht nur über die Laichgebiete, auch über die Fanggebiete der Fischer gibt es bisher noch viel zu wenige Daten, argumentieren die Raumplaner, die sich wünschten, dass die Fischer stärker mit ihnen kooperierten.
"Wir haben eine Situation in der EU-Fischereipolitik, dass Schiffe bis letztes Jahr unter zehn Meter Länge gar nicht berichten mussten, wo sie ihre Fänge gefangen haben. Nur die größeren haben die automatischen Überwachungssysteme an Bord, die jede halbe Stunde melden, welche Position hat das Schiff gerade, ansonsten muss man berichten, wo man gefangen hat in 30 x 30 Seemeilen Gebieten. Das sind Riesenflächen, wo ich nicht sagen kann, da sind besonders gute Fischereigebiete oder schlechte."
Jochen Lamp vom WWF hat daher in einem jüngst beendeten EU-Projekt zur Raumordnung in der Ostsee, BaltSeaPlan, eine neue Erfassungsmethode für Fischereifahrzeuge von Forschern untersuchen lassen.
"Wir haben jetzt ein Projekt angefangen, wo wir mal geguckt haben, wie kriege ich denn die kleinen Schiffe lokalisiert, ohne denen Instrumente an Bord geben zu müssen. Und da haben wir jetzt versucht über Radarsatelliten Informationen zu kriegen mit einer Machbarkeitsstudie vom DLR, Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum. Und wir wissen, über 90 Prozent der Boote in unserer Küstenfischerei sind kleiner als zehn Meter. Wenn das funktioniert – das ist noch nicht ganz einfach – dass man das eventuell bald anwenden kann."
Marckwardt: "Überwacht? Wir fühlen uns wie Schwerverbrecher. Der Fischer auf diesem Schiff hat drei elektronische Fußfesseln."
Lorenz Marckwardt hat auf seinem größeren Kutter bereits eine Satellitenüberwachungsanlage, ein elektronisches Logbuch und das Erkennungssystem für Schiffe AIS. Die Kosten für die Geräte, der Zeitaufwand für weitere Auflagen machten aber gerade den Familienbetrieben zu schaffen, so Marckwardt. Doch letztlich geht es auch um einen Kulturbruch, der sich nirgends so deutlich zeigt wie bei der Fischerei. Wo der Vater noch fing, wo und was er wollte, muss der Sohn sich heute unzähligen Auflagen und Reglementierungen unterwerfen. Die Konkurrenz um den Platz und die Ressourcen des Meeres wächst beständig.
Die anderen Nutzungen
Auf dem Meer wird nicht nur gefischt, gefahren und Energie gewonnen. Sand und Kies wird für den Küstenschutz abgebaut, Militärgebiete werden gesperrt, riesige Leitungen wie die Nordstream-Pipeline verlegt. Und wer Raumordnung nicht gerade auf der relativ rohstoffarmen Ostsee betreibt, hat unweigerlich mit den mächtigen Interessen des Bergbaus zu tun. Denn das wirtschaftliche Interesse an Öl, Gas oder Manganknollen ist weiterhin ungebrochen und für Raumplaner nur schwer zu bändigen. 1982 wurde auch aufgrund des wachsenden Interesses an den Ressourcen des Meeres die so genannte Ausschließliche Wirtschaftszone auf bis zu 200 Seemeilen erweitert. In diesem der Küste vorgelagerten Gebiet hat jedes Land das alleinige Recht zur wirtschaftlichen Ausbeutung. In der schmalen Ostsee stoßen diese nationalen Zonen direkt aneinander. Und doch, so warnt Holger Janßen, sollte dies nicht dazu führen, dass alle Staaten ihre Zonen komplett ausbeuten. Schon aus Eigeninteresse.
"Es geht nicht darum, dass wir alles vollknallen mit Nutzungen, sondern wir versuchen ja genau das, diese Ökosystemfunktion zu erhalten und die Ostsee auch als eine gemeinsame Ressource zu begreifen, die Dienstleistungen erbringt, die mittelbar und unmittelbar von enormem Wert sind für die Gesellschaften in den Anrainerstaaten."
Das Meer an sich
Jochen Lamp: "Man kann natürlich auch eine Meeresnutzung organisieren ohne Natur. Die Schiffe werden auch über ein totes Gewässer fahren können, die Windparks werden da auch stehen können und ihren Wind fangen. Nur Fischerei wird da nicht gehen und Naturschutz auch nicht, und Tourismus wird durchaus auch Probleme kriegen."
Wenn es eine Nutzung gibt, die den Wert des Meeres für den Menschen an sich am ehesten ausdrückt, so ist es der Tourismus. Tausende von Menschen strömen jährlich an die Küste, um dort Ruhe, Erholung, vielleicht auch Inspiration und neue Kraft zu finden. Doch das Interesse der Tourismusbranche erstreckt sich zumeist nur auf die Natur des Küstenstreifens. Für das Meer, das hinter dem Horizont liegt, gibt es – neben einigen Naturschutzorganisationen – kaum eine Lobby.
Holger Janßen: "Wir haben zu wenig Leute, die sagen, sie treten für etwas ein und vertreten ihre Interessen. Das passiert immer sehr gut, wenn man den eigenen Garten schützen möchte, auf dem Meer wohnen einfach zu wenig Leute, die auch für diese Schönheit kämpfen. Und viele Sachen sind auch einfach versteckt und werden eher von einer kleinen Öffentlichkeit wahrgenommen, weil Schönheit im Detail verborgen liegt."
Wie eine Umfrage des Helmholtz-Zentrums für Küstenforschung in Geesthacht zeigt, spielt gerade bei den Offshore-Windparks die Schönheit eine ganz wesentliche Rolle. Das häufigste Argument der Windpark-Gegner waren weder das Kollisionsrisiko, noch geschädigte Schweinswale oder Seevögel, es war ein ästhetisches: Das "Gefühl der Eingrenzung" und der "Verlust des offenen Meeres" wurden beklagt. Wie sehr die festen Installationen an der Vorstellung vom weiten, unbegrenzten Meer kratzen, zeigt sich daran, dass diese Argumente auch dann angeführt wurden, wenn der Windpark von der Küste aus gar nicht zu sehen war. Die Schönheit des Meeres zu bewahren und dennoch für die Gesellschaft wichtige Nutzungen zuzulassen, sei eine hohe Kunst, meint Holger Janßen. Er sieht dabei in dem Meer selbst den Lehrmeister.
"Der Plan ist nicht mehr so sehr als ein festes Konzept zu verstehen, sondern als fortwährende Diskussion um die Ziele, die eine Gesellschaft erreichen will und sich eben auch loslöst von rein räumlichen Aspekten, viel stärker ein breites Managementkonzept verfolgt, wo eben wirtschaftliche Aspekte, soziale Aspekte und Natur sehr stark reinspielen. Und das ist das, was wir im Meer in besonderer Weise vorfinden. Dass wir einen sehr dynamischen Raum haben, einen sehr durchlässigen Raum, dass wir Interaktionen auch über große Distanzen hinweg haben. Dass das, was wir in einem Land machen, sich auch über drei, vier Ländergrenzen hinweg auswirken kann. Und das bringt uns dann zu neuen Fragestellungen."
Der Plan vom Meer
Lorenz Marckwardt: "Die Fische unter Wasser, das ist doch nicht wie das Vieh auf der Weide, eingezäunt. Die Fische haben freien Durchgang da unten. Glücklicherweise! Gott sei Dank, sind da noch keine Zäune!"
Auf dem Meer ist heute hier, was morgen dort ist. Will Raumordnung erfolgreich sein und die Nutzungen optimal aufeinander abstimmen, müssen die Anrainerstaaten eines Meeres gemeinsam planen. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, wie Nico Nolte von der zuständigen deutschen Behörde, dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, meint.
"Gerade in der Zusammenarbeit mit anderen Behörden stellen sich neue Herausforderungen. Es gibt andere Planungskulturen, es gibt auch ganz andere Interessen. Für das Land x ist beispielsweise Fischerei sehr bedeutend, für Deutschland wäre es die Offshore-Windenergie. Schifffahrt spielt in der gesamten Ostsee eine Rolle. Und ich denke, dass wir mehrere Jahre brauchen werden, um überhaupt den administrativen Rahmen zu schaffen, um ein solches Planungssystem aufzubauen und grenzüberschreitend für die gesamte Ostsee zu planen."
In dem EU-Projekt BaltSeaPlan, das vom BSH geleitet wurde, haben fast alle Ostseeanrainerstaaten zum ersten Mal grenzüberschreitende und gemeinsame Entwürfe für einige Modellgebiete der Ostsee erarbeitet. Doch bis man sich tatsächlich auf gemeinsame Pläne geeinigt hat, wird es noch sehr lange dauern. Denn Verantwortliche für die Meeresraumordnung gibt es in vielen Ländern noch gar nicht. Schlimmstenfalls reden fünf Ministerien, von Verkehr, über Umwelt, Inneres, Fischerei und Verteidigung mit. Multipliziert mit neun Ländern, wären das 45 Akteure, mit den unterschiedlichsten Interessen an einem Verhandlungstisch. Um hier voranzukommen, hat die EU ein weiteres Projekt initiiert, bei dem die für die Raumordnung zuständigen Behörden in den jeweiligen Ländern gemeinsame Standards schaffen sollen. Bis es soweit ist, muss national geplant werden, mit dem Wissen, das gerade da ist. Holger Janßen:
"Wir müssen ein Stück weit Fakten schaffen, obwohl wir nicht immer in allen Fällen wissen, was wir damit auslösen."
Deutschland ist in Europa einer der Vorreiter in Sachen Raumordnung. Dennoch sind die Pläne, die vor knapp drei Jahren verabschiedet wurden, noch keine Pläne im eigentlichen Sinne, sondern eher eine Erfassung des Status quo. Das liegt zum einen daran, dass viele Kompetenzen noch in verschiedenen Ministerien liegen. Das liegt aber auch daran, dass es in ganz Europa zu wenige Menschen gibt, die für maritime Raumordnung ausgebildet sind, meint der Experte Charles Ehler.
"Historisch gesehen hat die Europäische Union eher in die Forschung investiert, was auch Forschung für die maritime Raumordnung einschließt. Aber es kommt sie nun teuer zu stehen, dass nicht gleichzeitig auch in die Ausbildung von Raumplanern und in Institutionen investiert wurde. Deshalb fehlt es jetzt an einem umfassenden Management, das die Forschung praktisch anwenden und daraus Pläne entwickeln könnte."
Bis es grenzüberschreitende Raumordnungspläne für alle EU-Meere gibt, ist es noch ein weiter Weg. Doch wie Holger Janßen war auch Elisabeth Mann-Borgese davon überzeugt, dass uns das Meer mit seinen Eigenheiten diesen Weg zu einer modernen Planung selbst zeigen wird – und nicht nur das…
"Was mich besonders fasziniert, ist, dass das Arbeiten und Leben auf dem Meer so verschieden ist von dem, was wir an Land gewohnt sind. Dass man sich gezwungen fühlt umzudenken, ganz neu zu denken. Und heutzutage ist das genau was wir brauchen. Und das Meer zwingt uns dazu. Wir können das Meer sozusagen als ein großes Laboratorium benutzen, um eine neue Weltordnung auf die Beine zu stellen."
Ganz so visionär sind der Jurist Nico Nolte, der Wissenschaftler Holger Janßen und der Naturschützer Jochen Lamp nicht. Ihnen würde es für das Erste reichen, wenn es in den nächsten Jahren gelänge, eine neue, moderne Meeresordnung zu schaffen. Doch wer das Meer ordnen will, so viel ist auch klar, muss sich dabei von den alten Vorstellungen über das freie Meer verabschieden. Jochen Lamp:
"Wenn man in einem sehr technischen Teil der Welt lebt, und wenn man dann auch noch sagt, man will bestimmte fossile Energieträger nicht, man will Atomkraft nicht und man will auch nicht zurück in Subsistenzwirtschaft, dann muss man wohl diese Seite hinnehmen, auch wenn einem das weh tut. Klar, der freie Horizont ist möglicherweise Vergangenheit…"
"Das ist der Horizont", erklärte mein Vater. "Und was ist hinter dem Horizont?" fragte ich. "Der Horizont und dahinter wieder der Horizont. (Elisabeth Mann-Borgese)
Was mich am tiefsten beeindruckte, war der Horizont, der sich fest und ungebrochen, wie von einem überdimensionalen Zirkel gezeichnet, von einem Ende des Blickfeldes zum anderen hinzog.
"Das ist der Horizont", erklärte mein Vater.
"Und was ist hinter dem Horizont?" fragte ich.
"Der Horizont und dahinter wieder der Horizont. Je weiter Du hinausruderst, umso weiter zieht sich der Horizont zurück, sodass Du immer nur einen Horizont siehst; bis ganz, ganz zuletzt Land in Sicht kommt, und dann ist der Horizont verschwunden. Du kannst ihn dann aber wieder sehen, wenn Du Dich herumdrehst." (Elisabeth Mann-Borgese)
Holger Janßen: "Man darf nicht vergessen, dass das Meer ein besonderer Raum ist, und dass wir gut daran tun, einen gewissen Horizont freizuhalten von Großnutzungen. Tatsächlich ist es früher ein gültiger Rechtsgrundsatz gewesen, dass es die Freiheit der Meere gibt. Gleichzeitig merken wir aber auch, dass wir uns dieses Raumes immer stärker bemächtigen und immer mehr Sachen passieren."
Das Meer liegt wie ein glatter Spiegel in der Eckernförder Bucht. Touristen flanieren am Stadthafen entlang, Fischer flicken ihre Netze, und die Möwen lauern bei der Fischbrötchenbude auf leichte Beute. Lorenz Marckwardt schlendert zu seinem Kutter "Ecke 15", der in der Nacht von einer Fangfahrt bei Bornholm zurückgekehrt ist. Im Steuerhaus dudelt das Radio, an Deck wird klar Schiff gemacht. Doch so idyllisch wie es auf den ersten Blick scheint, ist das Leben von Lorenz Marckwardt schon lange nicht mehr.
"Sperrgebiete, Warngebiete, Übungsgebiete, Artillerie-Schießgebiete, die ganzen Verkehrstrennungsgebiete, wo wir Fischer nicht fischen dürfen, das sind eigentlich traditionelle Fanggebiete. Gebiete aus Natura 2000, FFH-Gebiete, Vogelschutzgebiete, Walschutzgebiet, ja und so weiter."
Der Vorsitzende des Landesfischereiverbandes Schleswig-Holstein zeigt auf die elektronische Seekarte, die auf einem der vielen Computerbildschirme im Steuerhaus flimmert. Überall leuchten bunte Symbole auf. Das Meer, so scheint es auf dieser Karte, geht darin vollkommen unter. Marckwardt:
"Wenn Sie das alles in die Karte einzeichnen, müssen Sie sich als Laie fragen: Wo wollen Sie denn noch fischen? Dazu kommen jetzt die ganzen Windparks! Da blievt forn Fischer nichts mehr nach. So sieht es aus! Da bleibt für den Fischer nichts mehr nach."
"Allgemein nimmt die Zahl der Nutzungen auf dem Meer ganz stark zu. Wir haben einmal die traditionellen Nutzungen, wie Fischerei und Schifffahrt. Und jetzt kommen dann eben neue Nutzungen wie die Offshore-Windenergie hinzu, und die beanspruchen große Räume für sich mit festen Installationen, also kein mobiler Nutzer, sondern wirklich für 20, 30, 40 Jahre eine ortsgebundene Nutzung auf dem Meer. Und das wirft vollkommen neue Fragen hervor."
Diesen Fragen widmet Nico Nolte sich in seinem Büro in Hamburg schon eine ganze Weile. Hier, am Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie – kurz BSH – werden nicht nur die Seekarten erstellt, die im Steuerhaus der "Ecke 15" aufleuchten. Hier werden auch die Karten gemacht, die später festlegen, wer auf dem Meer wo was machen darf: Raumordnungspläne. Begonnen hat man damit bereits Ende der 90er-Jahre, als die ersten Anträge für Offshore-Windparks mit bis zu 900 Anlagen eingereicht wurden. Ein Ort, der sich dadurch auszeichnet, dass alles in Bewegung ist, sollte feste Strukturen bekommen. Das war neu.
Als Thomas Mann seiner Tochter Elisabeth Anfang der 20er-Jahre die Ostsee bei Travemünde zeigte und sie ein für alle Mal für die Weite und den unendlichen Horizont des Meeres begeisterte, war diese Entwicklung noch nicht abzusehen. Doch Elisabeth Mann-Borgese sollte später eine der ersten sein, die das Ausmaß der zukünftigen Meeresnutzung erkannte. Die Ökologin und Professorin für Seerecht war 1970 das einzige weibliche Gründungsmitglied des Club of Rome und maßgeblich an der Ausarbeitung des Seerechtsübereinkommen von 1982 beteiligt. Die Freiheit der Meere wurde zu dieser Zeit immer mehr als Freiheit zur wirtschaftlichen Ausbeutung umgedeutet. Elisabeth Mann-Borgese setzte sich dafür ein, dass auch ein neuer Grundsatz festgeschrieben wurde: die Meeresressourcen als gemeinsames Erbe der Menschheit. Ein Erbe, das eine besondere Art von Planung brauche, wie die Seerechtlerin in einem Interview drei Jahre vor ihrem Tod im Jahr 2002 erklärt.
"Denn es fließt ja alles ineinander. Die Meeresnutzungen beeinflussen sich wechselseitig. Die Fischerei, die Ölwirtschaft, der Tourismus, die Küstenentwicklung und so weiter. Das hängt eben alles zusammen. Und man kann es nicht einzeln handhaben. Das verlangt eine völlig andere Art von Management. Denn da ist dann auch das Andere, was damit zusammenhängt."
Dass im Meer alles mit allem zusammenhängt, weiß und berücksichtigt heute jeder Planer. Doch die Frage "wie alles miteinander zusammenhängt", ist oft nur schwer zu beantworten, weiß die Raumplanerin Bettina Käppeler vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie aus eigener Erfahrung.
"Es gibt einen großen Forschungsbedarf. Weil wir immer zu dem Punkt kommen, dass wir nicht genug wissen über bestimmte Auswirkungen. Wenn wir Sand- und Kiesabbau in einem Naturschutzgebiet haben: Was heißt denn das für die Populationen, für die Ökologie für die Biotope, die es da gibt? Wie langfristig ist der Schaden?"
Janßen: "Wir haben einfach keine komplette Karte dessen, was im Meer los ist. Wir haben ein großes Verständnis davon. Das ist in der Ostsee auch sehr viel detaillierter als in vielen anderen Meeren. Nichtsdestotrotz merken wir jetzt für Planungsfragen, dass der Detailgrad, der da gefordert ist, doch ein ganz anderer ist als ihn traditionelle Meeresforschung bisher so im Kopf hatte."
Dabei verfügt Holger Janßen schon über eine scheinbar unerschöpfliche Fülle an Daten. Das kleine Büro des Raumplaners im Institut für Ostseeforschung, Warnemünde, ist über und über behängt mit bunten Karten. Karten von der Ostsee. Karten, die versuchen, Antworten zu geben auf die unzähligen Fragen der Raumplaner. Wie beeinflusst der Schiffsverkehr den Stickstoffgehalt der Ostsee? Wo sind wichtige Brutgebiete für Enten? Und immer wieder auch: Welche Folgen haben die geplanten Offshore-Windparks für die Natur?
Die Offshore-Windparks
"Wir haben ja hier in der Ostsee noch eine entspannte Situation. Wir haben ja unseren ersten kleinen Windpark fertig."
Sie sind noch gar nicht richtig da, und doch haben sie die Raumordnung auf dem Meer erst so richtig in Gang gebracht: die Windparks vor der Küste. Die Forschung muss hier größtenteils auf Simulationen und Modellierungen zurückgreifen, weil es schlichtweg an Erfahrung mit solch großen und breitflächigen Installationen auf dem Meer mangelt. Was wiederum an den ersten Offshore-Parks beobachtet wurde, muss längst nicht für alle gelten, weil sich viele Parameter wie Wassertiefe, Habitate oder Strömungen je nach Standort sehr stark unterscheiden können. Und weil es weitaus mehr Fragen an die Parks gibt als die nach den Auswirkungen auf Schweinswale und Zugvögel, hat Holger Janßen gleich eine ganze Reihe von Modellierungen zu den geplanten Windparks zwischen Rügen und Bornholm. Eine nach der anderen ruft er im Computer auf:
"Das ist ein Beispiel für Sauerstoffzehrung von Windparks, eine Modellierung. Natürlich bilden sich auf den Windkraftpfeilern Habitate aus, die Sauerstoff verbrauchen, was lokal direkt um den Pfeiler herum schon auch zu Sauerstoffmangelerscheinungen führen kann. In einem größeren Maßstab ist das jetzt keine wesentliche Auswirkung, das sind sehr lokale Erscheinungen, mit denen man da rechnen muss. Es gibt hier so eine kleine Fahne, wo man sieht, dass hier nördlich von Bornholm etwas weniger Sauerstoff ankommen würde. Das ist aber ein so viel geringerer Wert, dass es im Grunde keine Rolle spielt."
Dennoch sei es wichtig, diese Dinge zu prüfen, meint Holger Janßen. Schließlich wolle man nicht die gleichen Fehler wie an Land machen und sich von negativen Folgen überraschen lassen. Deswegen denken die Wissenschaftler in alle Richtungen, wie sich bei der nächsten Karte zeigt:
"Da ist die Frage, wie wirken sich Windkraftanlagen auf das Aufkommen von Quallen aus. Was wir schon wissen, ist, dass zusätzliches Hartsubstrat, wie wir es eben durch Windkraftanlagen bekommen werden, auch zu mehr Quallen führen kann. Die Frage ist so ein bisschen, wie werden die sich räumlich ausbreiten."
Holger Janßen zeigt auf die eingezeichneten Windparks, die zwischen Rügen und Bornholm geplant sind, und auf die vielen kleinen Kreuze, die sich von dort aus Richtung Südosten bis an die polnische Küste verteilen. Ein Kreuz entspricht 100 Quallen.
"Was man hier sehen kann, ist, dass wenn wir im deutschen Bereich Windkraftanlagen etablieren, dass wir durchaus Auswirkungen auf polnische Küsten haben können."
Wer Windparks baut, produziert also nicht nur Energie, sondern auch Quallen. Welches Ausmaß diese Quallenzucht annehmen wird, ist noch nicht klar. Auch hier könnten die Folgen letztlich vernachlässigbar sein, meint Janßen. Unumstritten ist dagegen, dass die Parks, wenn sie im geplanten Umfang gebaut werden, ein Hindernis für die Schifffahrt darstellen und das Risiko für Kollisionen erhöhen.
Die Schifffahrt
Lorenz Marckwardt: "Wenn jetzt schönes Wetter ist, dann kann Oma mit der Badewanne zur See fahren. Wann passiert denn mal was? Wenn schlechtes Wetter ist. Dann ist ja schon mal die Sicht dahin. Nun lass aber mal da einen manövrierunfähig werden. Das wird schon schwierig."
Sie waren die ersten. Sie nutzten das Meer bereits, als es am Horizont noch in unbekannte Tiefen fiel. Die Seefahrer waren schon immer da, und sie wissen ihr Recht daraus zu ziehen. Die "Sicherheit und Leichtigkeit" der Schifffahrt, so ist es im internationalen Seerecht festgeschrieben, muss auf den Meeren garantiert sein. Dafür hat jedes Land in seiner Wirtschaftszone zu sorgen. Rund um die Windparks herum gibt es deshalb eine Sicherheitszone, in die kein Schiff hineinfahren darf – weder Containerschiff noch Gummiboot. Doch reicht das? Was ist, wenn ein Tanker manövrierunfähig wird und in die Parks treibt? Ein Ölunfall gilt in der sensiblen Ostsee, in der es 30 Jahre dauert, bis das Wasser einmal ausgetauscht ist, als Horrorszenario. Es gibt daher Überlegungen, in jedem Windpark einen Schlepper zu stationieren. Eine teure Investition, die sich allerdings lohnen könnte, wenn man berücksichtigt, dass sich der Schiffsverkehr auf der Ostsee bis 2030 verdoppeln soll, meint Jochen Lamp. Der Leiter des Ostseebüros der Naturschutzorganisation WWF fordert zudem, die alten Pfründe der Schifffahrt auf den Prüfstand zu stellen. Zuerst kommt die Schifffahrt, alle anderen müssen schauen, was übrig bleibt, war bisher meist die Maxime bei der Raumordnung. Ein Relikt aus alten Zeiten, meint Lamp.
"Das hat inzwischen auch die deutsche Raumordnung zumindest zur Kenntnis genommen. Dass, wenn da Konflikte entstehen zwischen beispielsweise Windenergiepolitik auf dem Meer und Schifffahrtsrouten, dass man möglicherweise auch Schifffahrtsrouten verlegen können muss. In Holland zum Beispiel sind die diesen Weg gegangen. Dass die gesagt haben, hier haben wir ein wichtiges Windgebiet und die wichtige Schifffahrtsroute von Hamburg nach Rotterdam, da müssen wir die Route ein Stück verlegen."
Während sich das Kollisionsrisiko für Schiffe mit Windkraftanlagen über die Raumordnungsplanung sehr gut steuern lässt, ist das anderswo schwieriger. Holger Janßen ruft wieder eine seiner Karten auf. Entlang der Hauptschifffahrtsrouten sieht man blau eingefärbte Linien: der Stickstoffeintrag, der von Schiffen verursacht wird. Über die Abgase gelangt er ins Meer und wird von den Pflanzen im Wasser aufgenommen. Damit ist er zwar nicht haupt-, aber mitverantwortlich für ein Phänomen, das jeden Sommer für Diskussionen sorgt: die Algenteppiche auf der Ostsee.
"Und da haben wir eben auch wieder Folgewirkungen zwischen Schifffahrt und Tourismus, der natürlich gerne saubere Strände haben möchte. Man merkt eben auch, dass wir mit vielen Sachen hier arbeiten, die nicht unbedingt von Planung zu beeinflussen sind. Planung kann vielleicht sagen, wo das Schiff langfahren soll, aber nur bedingt sagen, mit welchen Emissionen so ein Schiff arbeiten muss. Selbst wenn wir hier in der Ostsee gerne sauberere Abgase hätten, dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Regelungen, die wir hier treffen, keine Wirkung entfalten können, wenn andere Länder nicht mitziehen."
Wie die Schifffahrt das Ökosystem genau beeinflusst, wird dabei gerade erst entdeckt. Das jüngste Beispiel dafür sind die so genannten Makrophyten – kleine Wasserpflanzen, die mit bloßem Auge sichtbar sind. Ihr Bestand werde durch die Wellen der Schiffe reduziert, erklärt Holger Janßen.
"Es hat kürzlich eine Veröffentlichung gegeben, wonach Makrophyten weltweit zumindest genauso viel CO2 binden wie die Wälder an Land. Wenn wir über Klimawandel reden, ist das natürlich was, wo wir uns genau überlegen müssen, welche Bedeutung messen wir dem bei? Wie stark ist das eine räumliche Funktion, die wir auch schützen wollen? Können wir da Maßnahmen finden – geringere Geschwindigkeiten, andere Schiffsbauformen – um solche Sachen weiter voranzutreiben. Da gibt es schon viele solche Kleinigkeiten, die ganz spannend sind. Wir stehen aber bei vielen Sachen nach wie vor am Anfang. Das sagt natürlich ein Forscher immer."
Dabei ist die Schifffahrt für die Planung vergleichsweise leicht zu erfassen und zu steuern. Noch weiter am Anfang steht man dagegen bei einer Nutzung, die wie die Schifffahrt seit jeher zum Meer gehört.
Die Fischerei
Lorenz Marckwardt: "Jeder sucht sich seine eigene Spielwiese auf dem Wasser. Wo der Fischer letztendlich abbleibt, interessiert keine Sau."
Während die Schiffe durch große Verkehrstrennungsgebiete gleichsam Autobahnen auf den Meeren errichtet haben, ist die Fischerei sehr viel schwerer einzugrenzen und kommt in den deutschen Raumordnungsplänen der Nord- und Ostsee gar nicht vor. Das hat mehrere Gründe: Zum einen wird die Fischerei nicht auf Bundesebene, sondern von der Europäischen Union geregelt. Zum anderen hat sie keine große Lobby in Deutschland, da sie hier keine große wirtschaftliche Bedeutung mehr hat. Und nicht zuletzt sträubt sie sich selbst dagegen, Gebiete für die Fischerei auszuhandeln. Fischerei findet überall statt, heißt es bei den Fischern. Doch selbst in den Niederlanden, wo die Fischerei ein viel stärkeres Gewicht hat, verfängt dieses Argument nicht mehr, wie Charles Ehler, Unesco-Berater in Sachen Meeresraumordnung, erzählt
"Viele Stakeholder/Interessenvertreter kamen zu den Treffen, die einzigen, die nicht aufschlugen, waren die Fischer: Sie sagten, wir werden uns an der Raumordnung nicht beteiligen, wir müssen überall fischen. Als man schließlich alle Nutzungen auf dem Plan verzeichnet hatte, war für die Fischerei nur eine winziges Gebiet vorgesehen. Und die Fischer kamen nun und sagten: Wie könnt ihr uns das antun? Wir müssen überall fischen. Die Antwort war. Naja, ihr wart nicht dabei, es gab niemanden, der Gebiete für die Fischerei vorschlug. Und das nächste Mal, als der Plan überarbeitet wurde, saß die Fischereiindustrie dann mit am Tisch."
Fischer sind seit Jahrtausenden überall auf den Meeren unterwegs. Insofern sind sie einer der großen Verlierer einer Raumplanung, die jedem Akteur nur noch bestimmte Areale zuweist: Entweder Vorranggebiete, in denen andere Nutzungen ausgeschlossen sind, oder Vorbehaltgebiete, in denen ein besonderes Gewicht gegenüber anderen Nutzungen eingeräumt wird. Dennoch, so meint Holger Janßen, könnte die Raumordnung der Fischerei in einigen Belangen auch helfen:
"Was wir auch sehen, ist, dass die Europäische Fischereipolitik Laichgebiete nicht schützt, nicht managt. Raumordnung wäre ein Instrument, das so etwas machen könnte. Das Rechtsregime wäre dafür da, man bräuchte da allerdings mehr Input, wo genau diese Gebiete sind, wie genau sie geschützt werden könnten. Damit könnte die Ressource Fisch viel besser entwickelt werden."
Nicht nur über die Laichgebiete, auch über die Fanggebiete der Fischer gibt es bisher noch viel zu wenige Daten, argumentieren die Raumplaner, die sich wünschten, dass die Fischer stärker mit ihnen kooperierten.
"Wir haben eine Situation in der EU-Fischereipolitik, dass Schiffe bis letztes Jahr unter zehn Meter Länge gar nicht berichten mussten, wo sie ihre Fänge gefangen haben. Nur die größeren haben die automatischen Überwachungssysteme an Bord, die jede halbe Stunde melden, welche Position hat das Schiff gerade, ansonsten muss man berichten, wo man gefangen hat in 30 x 30 Seemeilen Gebieten. Das sind Riesenflächen, wo ich nicht sagen kann, da sind besonders gute Fischereigebiete oder schlechte."
Jochen Lamp vom WWF hat daher in einem jüngst beendeten EU-Projekt zur Raumordnung in der Ostsee, BaltSeaPlan, eine neue Erfassungsmethode für Fischereifahrzeuge von Forschern untersuchen lassen.
"Wir haben jetzt ein Projekt angefangen, wo wir mal geguckt haben, wie kriege ich denn die kleinen Schiffe lokalisiert, ohne denen Instrumente an Bord geben zu müssen. Und da haben wir jetzt versucht über Radarsatelliten Informationen zu kriegen mit einer Machbarkeitsstudie vom DLR, Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum. Und wir wissen, über 90 Prozent der Boote in unserer Küstenfischerei sind kleiner als zehn Meter. Wenn das funktioniert – das ist noch nicht ganz einfach – dass man das eventuell bald anwenden kann."
Marckwardt: "Überwacht? Wir fühlen uns wie Schwerverbrecher. Der Fischer auf diesem Schiff hat drei elektronische Fußfesseln."
Lorenz Marckwardt hat auf seinem größeren Kutter bereits eine Satellitenüberwachungsanlage, ein elektronisches Logbuch und das Erkennungssystem für Schiffe AIS. Die Kosten für die Geräte, der Zeitaufwand für weitere Auflagen machten aber gerade den Familienbetrieben zu schaffen, so Marckwardt. Doch letztlich geht es auch um einen Kulturbruch, der sich nirgends so deutlich zeigt wie bei der Fischerei. Wo der Vater noch fing, wo und was er wollte, muss der Sohn sich heute unzähligen Auflagen und Reglementierungen unterwerfen. Die Konkurrenz um den Platz und die Ressourcen des Meeres wächst beständig.
Die anderen Nutzungen
Auf dem Meer wird nicht nur gefischt, gefahren und Energie gewonnen. Sand und Kies wird für den Küstenschutz abgebaut, Militärgebiete werden gesperrt, riesige Leitungen wie die Nordstream-Pipeline verlegt. Und wer Raumordnung nicht gerade auf der relativ rohstoffarmen Ostsee betreibt, hat unweigerlich mit den mächtigen Interessen des Bergbaus zu tun. Denn das wirtschaftliche Interesse an Öl, Gas oder Manganknollen ist weiterhin ungebrochen und für Raumplaner nur schwer zu bändigen. 1982 wurde auch aufgrund des wachsenden Interesses an den Ressourcen des Meeres die so genannte Ausschließliche Wirtschaftszone auf bis zu 200 Seemeilen erweitert. In diesem der Küste vorgelagerten Gebiet hat jedes Land das alleinige Recht zur wirtschaftlichen Ausbeutung. In der schmalen Ostsee stoßen diese nationalen Zonen direkt aneinander. Und doch, so warnt Holger Janßen, sollte dies nicht dazu führen, dass alle Staaten ihre Zonen komplett ausbeuten. Schon aus Eigeninteresse.
"Es geht nicht darum, dass wir alles vollknallen mit Nutzungen, sondern wir versuchen ja genau das, diese Ökosystemfunktion zu erhalten und die Ostsee auch als eine gemeinsame Ressource zu begreifen, die Dienstleistungen erbringt, die mittelbar und unmittelbar von enormem Wert sind für die Gesellschaften in den Anrainerstaaten."
Das Meer an sich
Jochen Lamp: "Man kann natürlich auch eine Meeresnutzung organisieren ohne Natur. Die Schiffe werden auch über ein totes Gewässer fahren können, die Windparks werden da auch stehen können und ihren Wind fangen. Nur Fischerei wird da nicht gehen und Naturschutz auch nicht, und Tourismus wird durchaus auch Probleme kriegen."
Wenn es eine Nutzung gibt, die den Wert des Meeres für den Menschen an sich am ehesten ausdrückt, so ist es der Tourismus. Tausende von Menschen strömen jährlich an die Küste, um dort Ruhe, Erholung, vielleicht auch Inspiration und neue Kraft zu finden. Doch das Interesse der Tourismusbranche erstreckt sich zumeist nur auf die Natur des Küstenstreifens. Für das Meer, das hinter dem Horizont liegt, gibt es – neben einigen Naturschutzorganisationen – kaum eine Lobby.
Holger Janßen: "Wir haben zu wenig Leute, die sagen, sie treten für etwas ein und vertreten ihre Interessen. Das passiert immer sehr gut, wenn man den eigenen Garten schützen möchte, auf dem Meer wohnen einfach zu wenig Leute, die auch für diese Schönheit kämpfen. Und viele Sachen sind auch einfach versteckt und werden eher von einer kleinen Öffentlichkeit wahrgenommen, weil Schönheit im Detail verborgen liegt."
Wie eine Umfrage des Helmholtz-Zentrums für Küstenforschung in Geesthacht zeigt, spielt gerade bei den Offshore-Windparks die Schönheit eine ganz wesentliche Rolle. Das häufigste Argument der Windpark-Gegner waren weder das Kollisionsrisiko, noch geschädigte Schweinswale oder Seevögel, es war ein ästhetisches: Das "Gefühl der Eingrenzung" und der "Verlust des offenen Meeres" wurden beklagt. Wie sehr die festen Installationen an der Vorstellung vom weiten, unbegrenzten Meer kratzen, zeigt sich daran, dass diese Argumente auch dann angeführt wurden, wenn der Windpark von der Küste aus gar nicht zu sehen war. Die Schönheit des Meeres zu bewahren und dennoch für die Gesellschaft wichtige Nutzungen zuzulassen, sei eine hohe Kunst, meint Holger Janßen. Er sieht dabei in dem Meer selbst den Lehrmeister.
"Der Plan ist nicht mehr so sehr als ein festes Konzept zu verstehen, sondern als fortwährende Diskussion um die Ziele, die eine Gesellschaft erreichen will und sich eben auch loslöst von rein räumlichen Aspekten, viel stärker ein breites Managementkonzept verfolgt, wo eben wirtschaftliche Aspekte, soziale Aspekte und Natur sehr stark reinspielen. Und das ist das, was wir im Meer in besonderer Weise vorfinden. Dass wir einen sehr dynamischen Raum haben, einen sehr durchlässigen Raum, dass wir Interaktionen auch über große Distanzen hinweg haben. Dass das, was wir in einem Land machen, sich auch über drei, vier Ländergrenzen hinweg auswirken kann. Und das bringt uns dann zu neuen Fragestellungen."
Der Plan vom Meer
Lorenz Marckwardt: "Die Fische unter Wasser, das ist doch nicht wie das Vieh auf der Weide, eingezäunt. Die Fische haben freien Durchgang da unten. Glücklicherweise! Gott sei Dank, sind da noch keine Zäune!"
Auf dem Meer ist heute hier, was morgen dort ist. Will Raumordnung erfolgreich sein und die Nutzungen optimal aufeinander abstimmen, müssen die Anrainerstaaten eines Meeres gemeinsam planen. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, wie Nico Nolte von der zuständigen deutschen Behörde, dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, meint.
"Gerade in der Zusammenarbeit mit anderen Behörden stellen sich neue Herausforderungen. Es gibt andere Planungskulturen, es gibt auch ganz andere Interessen. Für das Land x ist beispielsweise Fischerei sehr bedeutend, für Deutschland wäre es die Offshore-Windenergie. Schifffahrt spielt in der gesamten Ostsee eine Rolle. Und ich denke, dass wir mehrere Jahre brauchen werden, um überhaupt den administrativen Rahmen zu schaffen, um ein solches Planungssystem aufzubauen und grenzüberschreitend für die gesamte Ostsee zu planen."
In dem EU-Projekt BaltSeaPlan, das vom BSH geleitet wurde, haben fast alle Ostseeanrainerstaaten zum ersten Mal grenzüberschreitende und gemeinsame Entwürfe für einige Modellgebiete der Ostsee erarbeitet. Doch bis man sich tatsächlich auf gemeinsame Pläne geeinigt hat, wird es noch sehr lange dauern. Denn Verantwortliche für die Meeresraumordnung gibt es in vielen Ländern noch gar nicht. Schlimmstenfalls reden fünf Ministerien, von Verkehr, über Umwelt, Inneres, Fischerei und Verteidigung mit. Multipliziert mit neun Ländern, wären das 45 Akteure, mit den unterschiedlichsten Interessen an einem Verhandlungstisch. Um hier voranzukommen, hat die EU ein weiteres Projekt initiiert, bei dem die für die Raumordnung zuständigen Behörden in den jeweiligen Ländern gemeinsame Standards schaffen sollen. Bis es soweit ist, muss national geplant werden, mit dem Wissen, das gerade da ist. Holger Janßen:
"Wir müssen ein Stück weit Fakten schaffen, obwohl wir nicht immer in allen Fällen wissen, was wir damit auslösen."
Deutschland ist in Europa einer der Vorreiter in Sachen Raumordnung. Dennoch sind die Pläne, die vor knapp drei Jahren verabschiedet wurden, noch keine Pläne im eigentlichen Sinne, sondern eher eine Erfassung des Status quo. Das liegt zum einen daran, dass viele Kompetenzen noch in verschiedenen Ministerien liegen. Das liegt aber auch daran, dass es in ganz Europa zu wenige Menschen gibt, die für maritime Raumordnung ausgebildet sind, meint der Experte Charles Ehler.
"Historisch gesehen hat die Europäische Union eher in die Forschung investiert, was auch Forschung für die maritime Raumordnung einschließt. Aber es kommt sie nun teuer zu stehen, dass nicht gleichzeitig auch in die Ausbildung von Raumplanern und in Institutionen investiert wurde. Deshalb fehlt es jetzt an einem umfassenden Management, das die Forschung praktisch anwenden und daraus Pläne entwickeln könnte."
Bis es grenzüberschreitende Raumordnungspläne für alle EU-Meere gibt, ist es noch ein weiter Weg. Doch wie Holger Janßen war auch Elisabeth Mann-Borgese davon überzeugt, dass uns das Meer mit seinen Eigenheiten diesen Weg zu einer modernen Planung selbst zeigen wird – und nicht nur das…
"Was mich besonders fasziniert, ist, dass das Arbeiten und Leben auf dem Meer so verschieden ist von dem, was wir an Land gewohnt sind. Dass man sich gezwungen fühlt umzudenken, ganz neu zu denken. Und heutzutage ist das genau was wir brauchen. Und das Meer zwingt uns dazu. Wir können das Meer sozusagen als ein großes Laboratorium benutzen, um eine neue Weltordnung auf die Beine zu stellen."
Ganz so visionär sind der Jurist Nico Nolte, der Wissenschaftler Holger Janßen und der Naturschützer Jochen Lamp nicht. Ihnen würde es für das Erste reichen, wenn es in den nächsten Jahren gelänge, eine neue, moderne Meeresordnung zu schaffen. Doch wer das Meer ordnen will, so viel ist auch klar, muss sich dabei von den alten Vorstellungen über das freie Meer verabschieden. Jochen Lamp:
"Wenn man in einem sehr technischen Teil der Welt lebt, und wenn man dann auch noch sagt, man will bestimmte fossile Energieträger nicht, man will Atomkraft nicht und man will auch nicht zurück in Subsistenzwirtschaft, dann muss man wohl diese Seite hinnehmen, auch wenn einem das weh tut. Klar, der freie Horizont ist möglicherweise Vergangenheit…"
"Das ist der Horizont", erklärte mein Vater. "Und was ist hinter dem Horizont?" fragte ich. "Der Horizont und dahinter wieder der Horizont. (Elisabeth Mann-Borgese)