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Manuskript: Die Gedankenübersetzungsmaschine

Wer Dinge mit bloßer Gedankenkraft in Bewegung setzen will, muss kein Jedi-Ritter sein oder über telekinetische Kräfte verfügen. Dazu sind lediglich ein paar EEG-Elektroden, ein Verstärker und ein handelsüblicher Computer nötig. Mit der richtigen Software entsteht daraus ein sogenanntes "Brain-Computer-Interface", kurz BCI. EEG-Elektroden greifen die Gehirnwellen an der Kopfhaut ab. Das Signal wird über einen Verstärker an einen Computer weitergeleitet, und der übersetzt die Signale: In Buchstaben, in Bewegung, in Handlung.

Von Kristin Raabe |
    "Schönes Wetter mitgebracht Frau Raabe!"

    Heide Pfützner hat gute Laune, das habe ich schon bemerkt, bevor mich ihre Computerstimme begrüßt hat. Ich bin erleichtert, denn vor diesem Interview habe ich mich gefürchtet. Als Journalistin bin ich es gewohnt, ständig in der Stimme, den Augen, der Mimik und den Gesten meines Gegenübers zu lesen. Bei Heide Pfützner geht das nicht. Eine Nervenkrankheit hat ihr vor drei Jahren die Kontrolle über sämtliche Muskeln genommen. Seither spricht eine Computerstimme für sie. Ihr Gesicht zeigt keine Regung und ihre Hände können schon lange keine Gesten mehr formen. Die ehemalige Lehrerin ist vollständig gelähmt.

    "Da ich Zeit meines Lebens ein aktiver Mensch gewesen bin, ist der Zustand jetzt gewöhnungsbedürftig, wie sich jeder denken kann."

    Ihr "Zustand" ist aber nicht der Grund, warum ich unbedingt ein Interview mit Heide Pfützner führen will. Ich wollte sie treffen, weil sie einer der ersten Menschen weltweit ist, die regelmäßig mit ihren Gehirnwellen ein Computerprogramm bedienen. Mit Gehirnwellen einen Computer steuern – diese Idee entwickelte Mitte der 1990er Jahre der Psychologe und Hirnforscher Niels Birbaumer in Tübingen. Er wollte damit so genannten "Locked-In Patienten" eine Möglichkeit bieten, mit der Aussenwelt zu kommunizieren. "Locked-In" bedeutet eingeschlossen. Tatsächlich sind solche Patienten in ihrem eigenen Körper gefangen. Sie sind vollständig gelähmt, können nicht reden, atmen oft nur mit Hilfe einer Maschine und werden künstlich ernährt. Ihr Verstand und ihre Sinne funktionieren dabei einwandfrei. Eine "Gedanken-Übersetzungsmaschine" schien Niels Birbaumer die einzige Möglichkeit, mit solchen Menschen zu kommunizieren. Inzwischen gibt es etliche Arbeitsgruppen weltweit, die Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer entwickeln. Solche Systeme bestehen in der Regel aus acht bis 64 EEG-Elektroden, die die elektrische Aktivität des Gehirns ableiten. Dabei messen die Elektroden winzige Spannungsschwankungen an der Kopfhautoberfläche, die die Aktivität des Gehirns hervorruft. Diese Signale werden über einen Verstärker an einen Computer weitergeleitet. Spezielle Programme werten sie dann aus und übersetzen sie in Befehle für den Computer.

    "Die Rechenkapazität ist sehr viel größer als früher. Sie können also sehr viel mehr Informationen innerhalb von kurzer Zeit verarbeiten. Und was auch sich sehr stark verbessert hat, ist unsere Möglichkeit, die Aktivität des Gehirns zu erkennen, zu identifizieren. Sprich, sie tun etwas mit ihrem Gehirn und unsere Systeme können erkennen, was sie tun. Und das geht sehr viel besser als früher."

    Andrea Kübler hat in der Arbeitsgruppe von Niels Birbaumer mit der Forschung an Brain-Computer-Interfaces, kurz BCIs, begonnen. Seit 2008 hat sie eine Professur an der Universität Würzburg. Sie konnte miterleben, wie aus einer belächelten Randdisziplin ein vielbeachtetes und gut gefördertes Forschungsfeld wurde. Mit beachtlichen Erfolgen: Mussten Patienten anfangs noch stundenlang mit den Geräten trainieren, bis sie endlich die Gehirnsignale hervorbrachten, die der Computer auch verstand, so sind die BCIs heute viel einfacher zu bedienen:

    "Also heutzutage ist es so, dass sie sich konzentrieren müssen, aber sie müssen nicht mehr so lange lernen. Das System lernt, die Antwort bei den Patienten zu erkennen. Und wenn es gut läuft, wenn die Patienten sich gut konzentrieren können, kann es sein, dass wir praktisch eine Stunde lang das System kalibrieren und dann können sie anfangen zu buchstabieren oder zu painten, also je nachdem, was die Anwendung gerade bietet. Also das geht relativ schnell."

    Durch die vielen Verbesserungen wird die BCI-Technik nicht nur für Locked-In-Patienten interessant: Patienten mit weniger starken Lähmungen könnten so beispielsweise einen helfenden Roboter durch die Wohnung dirigieren. Ein Amputierter wäre in der Lage, effizient und schnell eine elektronische Prothese zu kontrollieren. Vielleicht können in Zukunft Brain-Computer-Interfaces sogar gesunde Menschen beim Autofahren unterstützen. Nur durch Gedankenkraft scheint plötzlich vieles möglich zu sein.

    Kommunizieren Menschen tatsächlich über mehr als nur Gestik, Mimik und Sprache? Ich habe das Gefühl, Heide Pfützner und ich sind auf einer Wellenlänge. Dabei können wir uns während des Interviews noch nicht einmal ansehen. Ihr Blick ist auf einen Monitor gerichtet. Dort ist auf großen Rechtecken eine Art Tastatur mit Buchstaben abgebildet. Eine Webcam erfasst die Augenbewegungen der gelähmten Rentnerin. Mit ihnen wählt sie die richtigen Buchstaben aus. Die so formulierten Antworten spielt der Computer dann über Lautsprecher ab. Das ist im Moment noch schneller, als ein Schreibprogramm mit einem Brain-Computer-Interface zu kontrollieren. Das BCI braucht sie für etwas anderes: Das Malen. Damit sie endlich wieder malen kann, müssen Pflegerin Katja und Tochter Dörte erst die Elektroden an ihrem Kopf befestigen.

    "Das Anbringen der Elektroden hat mich nie gestört und obwohl die Elektroden etwas drücken. Zum Ende der Sitzung, denke ich immer: Der Zweck heiligt die Mittel. Nur wenn es schmerzt, nicht wenn nur unangenehm."

    Dörte Pfützner: "Das ist wie beim normalen Computer. 'Position' ist auch wichtig."

    Die Elektroden sind an einer Kappe befestigt, die aussieht wie eine altmodische Badekappe. Nur wenn die Elektroden an der richtigen Stelle auf der Kopfhaut aufliegen, kann der Computer ihre Signale auch verstehen. Tochter Dörte und Pflegerin Katja haben mittlerweile Übung im Anlegen der Elektroden. Dörte Pfützner:

    "Ich denke, das ist auch das Hauptproblem, dass viele das nicht zu Hause machen können, nicht nur wegen dem Equipment, sondern weil man auch Leute braucht, die es einrichten, und wissen, wie es geht, und sich dafür Zeit nehmen."

    Aus diesem Grund wurden BCIs bislang nur in Studien verwendet. Niemand hatte ein solches System in seinem normalen Alltag zu Hause ständig zur Verfügung. Ein von der EU gefördertes Projekt soll das nun ändern. Heide Pfützner jedenfalls freut sich darauf, mit ihrem Gehirn zu malen. Brain-Painting nennt sich diese Anwendung des Brain-Computer-Interfaces – aber das kann die Computerstimme leider nicht korrekt aussprechen.

    "Ich brain-painte so dreimal die Woche, gelegentlich aber öfter. Wenn es nur nach mir ginge, würde ich jeden Tag malen. Therapien und Ruhepausen müssen jedoch sein und man muss eben frisch und munter sein, um sich konzentrieren zu können. Sonst geht es schief und gibt Ärger mit dem Ego."

    Entwickelt hat das Brain-Painting die Arbeitsgruppe von Andrea Kübler in Würzburg.

    "Die Idee, die dahinter steckte, würde Adi Hösle wahrscheinlich sagen, war, dass man das Bild direkt vom Gehirn nimmt ohne den Zwischenweg über die Motorik über die Hände, sondern man nimmt das Kunstwerk direkt aus dem Gehirn."

    Bei der Entwicklung des Programms hat Andrea Kübler eng mit dem Künstler Adi Hösle zusammengearbeitet, von dem auch die ursprüngliche Idee für Brain-Painting stammt. Obwohl er gesund ist, malt er selbst auch mit dem Brain-Computer-Interface. Im Mai diesen Jahres zeigte die Kunsthalle Rostock sogar eine Auswahl von Brain-Paintings verschiedener Künstler unter dem Titel "Pingo Ergo Sum – Ich male, also bin ich". Heide Pfützner:

    "Brain-Painting macht mich lebendiger. Natürlich email und schreibe ich viel. Aber malen war ein Lieblingshobby für mich. Ich liebe Farben über alles und Brain-Painting gibt mir nicht nur die Gelegenheit, in Farben zu schwelgen, sondern stellt auch eine große Herausforderung dar, weil ich mich unheimlich konzentrieren muss und systematisch vorgehen sollte, was mir als äußerst emotionalem und spontanem Menschen ganz furchtbar schwer fällt."

    Auf dem Bildschirm des Computers erscheint eine Matrix, auf der verschiedene Farben und Formen festgelegt sind. Außerdem kann Heide Pfützner über die Deckkraft entscheiden, die Pinseldicke und verschiedene andere Parameter. Die einzelnen Symbole, Buchstaben oder Formen leuchten in willkürlicher Reihenfolge auf. Heide Pfützner fragt mich, welche Hintergrundfarbe ich möchte. Ich entscheide mich für blau. Beim ersten Versuch wird die virtuelle Leinwand aber gelb. Vorführeffekt! Normalerweise ist sie beim Malen allein im Raum. Es dauert also ein bisschen länger und braucht mehr Korrekturen, bis schließlich alles wie von mir angesagt auf dem Bildschirm erscheint: Ein blauer Hintergrund, in der Mitte ein grüner verwaschener Kreis und ein rotes Viereck im rechten unteren Bildrand. Heide Pfützner:

    "Ich überlege immer vorher, was ich wohl Neues malen oder wie mit einem angefangenen Bild fortfahren will. Das geht manchmal aber in eine ganz andere Richtung. Also Planung ja und Versuch, das Kopfbild letztendlich umzusetzen. Nie böse, wenn etwas total anderes dabei daraus wird."

    Heide Pfützners Tochter zeigt mir einige Bilder ihrer Mutter. Ich bin überrascht, was sich mit den wenigen Farben und Formen des Brain-Painting-Programms alles erreichen lässt. Manche Bilder erinnern an Kandinsky. Aber trotzdem ist auch hier der eigene Stil der Malerin erkennbar. Eine Botschaft ist jedenfalls allen Bildern gemeinsam: Lebensfreude.

    Was passiert im Gehirn von Brain-Paintern, wenn sie sich für eine bestimmte Farbe entscheiden? Die Gehirn-Maler müssen nicht etwa denken: "Farbe rot", "Form: Viereck". Das würde viel zu lange dauern und wäre wahrscheinlich viel ungenauer. Der Computer erkennt ihre Entscheidung an einer Art "Aufflackern" in den Hirnwellen. Dieses Aufflackern bezeichnen Experten wie Andrea Kübler als sogenannte P300.

    "P steht für Positiv und die 300 für 300 Millisekunden. Also im EEG zeichnen sie eigentlich Spannungsschwankungen auf und es ist eine Spannungsschwankung, die tritt auf charakteristischerweise 300 Millisekunden nach einem Stimulus. Also da kommt etwas Neues und auf dieses Neue reagiert ihr Gehirn mit einer sogenannten P300."

    Auf dem Monitor ist beim Brain-Painten oder Schreiben mit BCI ein Auswahlfeld mit einzelnen Symbolen oder Buchstaben zu sehen. Sie leuchten nacheinander auf. Das geschieht sehr schnell und in willkürlicher Reihenfolge. Wenn ein Feld aufblitzt, auf das der Anwender gewartet hat, bildet sich in seinem Gehirn eine sogenannte P300 und so weiß der Computer beispielsweise, dass der Brain-Painter mit genau dieser Farbe malen will. Das funktioniert nicht immer. Um die Fehlerquote zu vermindern nutzt Andrea Kübler seit kurzem noch weitere Hirnsignale: Die sogenannten N400 und N170. Das sind Ausschläge in den Hirnwellen, die beim Erkennen von Gesichtern auftreten. Für ihr Experiment hat Andrea Kübler das berühmte Bild Einsteins mit der herausgestreckten Zunge verwendet. Dieses Bild überlagert die Symbole und Buchstaben für einen kurzen Moment während sie aufleuchten. Wenn jemand also in der Auswahlliste ein Feld mit einem Buchstaben fixiert und es leuchtet zusammen mit dem überlagerten Einsteinbild auf, reagiert das Gehirn des Anwenders nicht nur mit der P300, sondern auch mit der N170 und der N400. Der Computer hat also mehrere Hirnsignale, die er auswerten kann. Das senkt die Fehlerquote ganz erheblich. Kübler:

    "Wir hatten jetzt zwei Patienten in unserer Gruppe von acht, die konnten ohne diese Überlagerung mit Gesichtern das System gar nicht nutzen, mit der Überlagerung waren sie so gut wie die Gesunden. Das ist schon in gewisser Weise sensationell."

    Viele vollständig gelähmte Patienten leiden unter Erkrankungen, die nach und nach auch die Leistungsfähigkeit ihres Gehirns einschränken. Manchen ist dadurch die Bedienung eines Brain-Computer-Interfaces unmöglich. Aber selbst bei Gesunden gibt es so große Variationen in der Gehirnaktivität, dass nicht jeder ein BCI ansteuern kann. Das ergaben Studien der Charité und der Technischen Universität in Berlin. Benjamin Blankertz hat daran mitgearbeitet.

    "Wenn man so ein Bild von einem Gehirn vor Augen hat. Das ist ja extrem eingefaltet und wir messen die Signale ja außen an der Kopfhaut und wie die Signale da ankommen, das hängt sehr davon ab, wo das entsprechende Areal, was das Signal aussendet, wo das genau liegt, wenn das so ein bisschen eingefaltet ist, das ist ja so ein bisschen wie ein Sender, der projiziert das Signal, und wenn der dann so ein bisschen in einer anderen Richtung steht, projiziert der das woanders hin. Das heißt da würde man dasselbe Signal an einer anderen Elektrode, an einer anderen Stelle am Kopf sehen. Deswegen ist es von Person zu Person sehr unterschiedlich."

    Die Muster der Gehirnwellen sind ähnlich individuell wie eine Handschrift. Sie trotzdem richtig zu entziffern, ist ein Hauptarbeitsgebiet von Benjamin Blankertz’ Arbeitsgruppe für maschinelles Lernen. Dabei bedient er sich einer Methode, wie sie auch von Programmen zur Handschrifterkennung verwendet wird.

    "Wenn man das mathematisch formalisieren will, ist das äußerst schwierig, wenn man genau mathematisch beschreiben will, was ein A ist. Und der maschinelle Lernansatz funktioniert über Beispiele, dass es ganz leicht ist über viele Beispiele von geschriebenen As, geschriebenen Bs, geschriebenen Cs einzusammeln und den Computer damit zu füttern und dann wird der Erkennungsalgorithmus davon unabhängig, also egal, ob es ein bisschen dicker, ein bisschen dünner geschrieben ist oder schräggestellt, der würde immer erkennen, das ist das A und wissen, was ist der systematische Unterschied zwischen As und Bs. Aber das würde nicht explizit beschrieben, sondern man füttert den durch Beispiele und so ist es beim BCI auch."

    Allein mit Gedankenkraft Gegenstände in Bewegung zu versetzen ist seit dem Frühjahr dieses Jahres keine Utopie mehr. Der amerikanische Forscher John Donoghue implantierte einer Frau, die seit 15 Jahren vom Hals abwärts gelähmt war, einen vier mal vier mm großen Chip mit 96 Elektroden ins Gehirn. Mit seiner Hilfe konnte die 58jährige einen Roboterarm steuern, der ihr eine Cola in ein Glas einschenkte. Sie dachte lediglich daran, diese Bewegung selbst auszuführen. Implantierte Elektroden liefern natürlich viel genauere Signale der Hirnaktivität. Die Operation, bei der sie eingesetzt werden, ist allerdings nicht ohne Risiko. Eine Hirnblutung oder eine Infektion können den Patienten das Leben kosten. Deswegen sind viele BCI-Forscher sehr vorsichtig im Umgang mit solchen implantierbaren Systemen. An der polytechnischen Hochschule in Lausanne arbeitet José del Millán ebenfalls an Neuroprothesen. Auch mit den schwachen, außen an der Kopfhaut abgeleiteten EEG-Signalen lassen sich seiner Meinung nach künstliche Arme steuern.

    "Immer wenn ich eine ausgefallene Bewegung durchführe, ist daran nicht nur mein Gehirn beteiligt. Wir haben das Rückenmark, das eigene Rhythmen erzeugt, die für das Laufen wichtig sind, und wir haben ein Skelett und Muskeln. Mein Gehirn, weiß, was mein Körper tun kann. Die Signale müssen gar nicht alle Nuancen einer Bewegung steuern. Selbst unser eigener Körper funktioniert nicht so. Wir müssen also auch Geräte so bauen, dass sie die Bewegungen mit nur wenigen Kommandos aus dem Gehirn ausführen."

    In Kooperation mit Forschern von der Universitätsklinik Heidelberg arbeitet José del Millán an solchen Neuroprothesen. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Viel ausgereifter ist allerdings ein Rollstuhl, der sich mit einem BCI steuern lässt und der im Schweizer Labor des spanischen Forschers steht.

    "Die Technologie könnte bereits heute eingesetzt werden – natürlich nur für begrenzte Vorhaben. Ich würde meinen gehirnkontrollierten Rollstuhl nicht jedem geben. Ich muss noch mehr Studien machen und mich selbst überzeugen, dass es sicher ist, ihn zu benutzen. Wir setzen da ja sehr viel Vertrauen in die Technik. Der Rollstuhl hat Webcams, die eine Wand detektieren, so dass der Rollstuhl nicht dagegen fährt, selbst wenn das BCI die Absicht der Person korrekt wahrnimmt. Aber wer garantiert mir, dass die Webcam immer das Hindernis entdecken wird? Es gibt einfach gewisse Grenzen. Wir könnten natürlich immer noch mehr Sicherheitssysteme integrieren. Aber da würden die Kosten irgendwann so hoch gehen, dass ihn sich niemand leisten könnte."

    Völlig ungefährlich dagegen ist die Anwendung von Robotino. Einem kleinen Roboter, der im wesentlichen aus einer Art rundem Rollwagen mit einigen Kameras, Sensoren und einem Computer besteht. Auf dem Robotino-Rollwagen befindet sich außerdem ein kleiner Tisch auf dem ein Laptop steht. del Millán:

    "Die Idee hierbei ist, dass unsere Endnutzer gerne am täglichen Leben teilnehmen würden, was ihnen aber nicht möglich ist, da sie nicht so mobil sind. Sie können aber mental einen Roboter kontrollieren, der ganz woanders ist. Eine Webcam zeigt dem Nutzer, was der Roboter sieht, und die anderen Leute können ihn auf dem Bildschirm von Robotino sehen. Wir testen dieses System mit Endnutzern, die Hunderte von Kilometern weg sind und so trotzdem eine Tour durch unser Labor machen können, als ob sie hier wären. Und die Ergebnisse zeigen, dass sie genauso gut darin sind, den Roboter zu kontrollieren, wie es gesunde Anwender sind."

    Die Anwendung von Robotino wäre nicht nur auf vollständig gelähmte Patienten beschränkt. Nierenkranke beispielsweise, die wegen ihrer Dialyse keine weiten Reisen unternehmen können, hätten mit Robotino die Chance, eine Kunstausstellung in einem Nachbarland zu besuchen. Ihr Gesicht würde auf dem Bildschirm des kleinen Roboters erscheinen und so könnten sie mit den anderen Besuchern der Ausstellung kommunizieren. Gleichzeitig würden sie zu Hause oder im Krankenhaus alles sehen, was auch Robotino sieht. Natürlich könnte so ein Roboter von vielen Anwendern ganz leicht auch mit einem Joystick gesteuert werden. Aber die Erfahrung wäre vielleicht nicht ganz so direkt. Mit dem BCI ist es beinah so, als würde ein kranker Mensch für eine kurze Zeit mit seinem Geist in die Maschine schlüpfen. Das klingt im ersten Moment vielleicht gespenstisch. Tatsächlich aber gibt es schon jetzt einige Menschen, deren Körper eine enge Verbindung mit einer Maschine eingegangen sind. Heide Pfützner:

    "Beatmung und BCI sind selbstverständlich Teil meines Lebens geworden. Mit Technik hatte ich übrigens nie etwas am Hut. Computer lehnte ich ab, nachdem mir bei anfänglichen Versuchen dauernd das Programm abstürzte und ich feststellte 'k' Punkt, Punkt, Punkt. Ich war mit der Feder wesentlich schneller. Damals wusste ich eben nicht die Vorteile der Technik zu schätzen."

    Ich wundere mich über das ständige "K" und "Punkt", "Punkt", "Punkt" . Schließlich erklärt mir Heide Pfützner, dass sie mit ihrem Schreibprogramm, keine Kommas setzen kann. Das behagt ihr als Lehrerin natürlich überhaupt nicht. Aber sie findet ganz offensichtlich ihren eigenen Weg, die Grenzen zu überwinden, die die Maschinen ihr setzen.

    Brain-Computer Interfaces überwachen das Denken eines Menschen. Sie reagieren auf Veränderungen in der Hirnaktivität. Damit ermöglichen sie es Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen Handlungen auszuführen, die ihnen ohne diese Technologie nicht möglich wären. Sie können malen, reden und sich wieder bewegen. Zunehmend wird diese Technik auch für gesunde Menschen interessant. Beim Autofahren zum Beispiel, könnte ein Brain-Computer-Interface die Aufmerksamkeit eines Fahrers überwachen. Eine Ermüdung würde sich in den so genannten Alphawellen des Gehirns zeigen. Werden sie vom BCI gemessen, könnte der Computer ein Warnsignal ausgeben, das den Fahrer zu einer Pause veranlasst. In Berlin hat der Neurologe Gabriel Curio eine weitere Anwendungsmöglichkeit für BCIs bei Autofahrern untersucht:

    "Das zweite betrifft, die Reaktionsschnelligkeit und dort ist es in der Tat so, dass in einer Zusammenarbeit zwischen technischer Universität hier in Berlin und der Charité in Berlin wir zeigen konnten, dass bei Bremsreaktionen die Hirnaktivitäten durch ein Brain-Computer-Interface so schnell herausgelesen werden können, dass der Wille für eine Notfallbremse schon hochzuverlässig rausgelesen werden kann, bevor das Bremspedal überhaupt gedrückt werden kann."

    Die Hirnaktivität wird vor der Muskelaktivität ausgelesen. In Zusammenarbeit mit einem Autohersteller hat diese BCI-Technologie sogar schon den Praxistest auf einer Teststrecke bestanden. Curio:

    "Der entscheidende Kniff in der Brain-Computer-Interface Anwendung liegt darin, dass diese einzelnen Bestandteile hintereinander entdeckt werden können. Sowohl, dass das Bremslicht aufleuchtet. Das ist Baustein 1. Dass dann eine quasi geistige Kommentierung kommt: 'Aha das ist ein wichtiger Reiz!' Und das dritte ist dann, dass eine Fußbewegung gemacht wird. Es gibt auch Fußbewegungen ohne diese vorhergehenden Notfall-Aha-Erlebnisse und die sollen natürlich nicht zum Bremsen führen. Das Entscheidende ist, dass diese drei Ereignisse in einer geordneten Serie hintereinander ablaufen. Dann und nur dann, wenn das in dieser Form vorliegt, wird das Signal ausgegeben, dass eine Bremsinformation, also der Wille jetzt zu bremsen auch vom Gehirn generiert worden ist."

    Dass sich mit dieser Anwendung Bremswege deutlich verkürzen lassen, haben die Berliner Forscher bereits bewiesen. Im Straßenverkehr ließen sich damit vielleicht sogar Leben retten. Wäre da nicht das lästige Aufsetzen der äußerst unattraktiven Elektrodenkappe und das Kontaktgel, das die Haare der BCI-Nutzer so verklebt, dass sie später gewaschen werden müssen. Unauffälligere Elektroden sind aber bereits in der Erprobung und wurden von Gabriel Curio und seinen Mitarbeitern auch schon mit BCIs getestet. Allerdings sind die damit abgeleiteten Signale meist stark verrauscht - die Fehlerquote steigt deutlich an. Sollten solche unauffälligen Elektroden irgendwann besser werden, könnten BCIs in vielen Bereichen der Arbeitswelt eingesetzt werden. Ihr Einsatz macht überall dort Sinn, wo es auf eine schnelle Reaktionszeit ankommt oder wo eine Ermüdung unangenehme Folgen hätte. Auch das Militär hat Interesse und stellt viel Geld zur Verfügung. Mit einem BCI könnte ein Soldat gedankenschnell auf den Auslöser seiner Waffe drücken. Für Gabriel Curio ein erschreckendes Szenario:

    "Dazu muss man ganz klar sagen, dazu ist die Verlässlichkeit viel zu gering, als dass man eine solche Entscheidung auf den berühmten Roten Knopf zu drücken, um nur, weiß ich, zwei Zehntel Sekunden Vorteil zu haben, ist einfach unvertretbar. Wenn ich nur denke oder der Anwender würde denken, einen Knopf nur rechts oder links zu drücken, wenn das ausreichen sollte, dann wird - das finde ich, ist da der entscheidende Punkt – dann wird die Endverantwortung für das, was man tut, unterlaufen. Denn das Denken der Möglichkeit ist noch nicht, dass man es wirklich durchgeführt hat."

    Wenn ein Mensch sich vorstellt einen Knopf zu drücken, erzeugt das im Gehirn dieselben Muster, wie das tatsächliche Ausführen der Handlung. Ein Brain-Computer-Interface würde keinen Unterschied erkennen. Manche BCIs registrieren die Absicht schon, bevor der Anwender selbst sich dessen bewusst wird. Wo beginnt der freie Wille eines Menschen wirklich? Wer mit Gedankenkraft Maschinen kontrollieren will, muss sich dieser Frage stellen.

    Heide Pfützner sitzt in ihrem Zimmer. An ihrem Hals sitzt eine Kanüle, die an das Beatmungsgerät angeschlossen ist. Immer mal wieder schickt mich ihre Tochter hinaus, damit sie bei ihrer Mutter den Speichel absaugen kann, sonst würde sie daran ersticken. Die Elektrodenkappe auf ihrem Kopf verbirgt ihr graues Haar und lässt sie jünger aussehen. Auf dem Monitor entsteht ein Bild. Die ehemalige Lehrerin, die lieber mit dem Füller als mit dem Computer schreiben wollte, ist von Technik umgeben und von ihr abhängig. Aber niemand würde auf die Idee kommen, dass sie von ihr beherrscht wird. Heide Pfützner:

    "Ich lebe künftig mit künstlicher Beatmung und Ernährung und ich möchte diese letzten drei Jahre nicht missen. Habe gelernt mit Bekannten in Kontakt zu bleiben, viele neue Menschen kennengelernt und mich angefreundet mit dem neuen Dasein, K Punkt, Punkt, Punkt, das ohne Technik gar nicht möglich wäre. Ich lebe immer noch sehr gerne und vergesse gerne das lästige Drum und Dran, beim Lesen, Fernsehen, in der Oper, im Konzert bei Radiosendungen et cetera pp. Fühle mich genauso glücklich und sozial wie meine Zeitgenossen – nur etwas glücklicher und stärker."
    Heide Pfützner, Leipzig, benutzt ein Gehirn-Computer-Interface zur Kommunikation und zum Malen.
    Heide Pfützner (Heide Pfützner)
    Heide Pfützner: Loony Bin
    Heide Pfützner: Loony Bin (Heide Pfützner)
    Heide Pfützner: Ballonnacht
    Heide Pfützner: Ballonnacht (Heide Pfützner)
    Heide Pfützner: Big Brother is watching you
    Heide Pfützner: Big Brother is watching you (Heide Pfützner)
    Heide Pfützner: Blumenstrauß
    Heide Pfützner: Blumenstrauß (Heide Pfützner)
    Heide Pfützner: Einer tanzt immer aus der Reihe
    Heide Pfützner: Einer tanzt immer aus der Reihe (Heide Pfützner)