"Wir als Eltern hatten immer das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt. Sie haben gesagt, das wird schon. Siebe war in seinen ersten vier Lebensjahren so oft im Krankenhaus, deshalb habe er sich nicht entwickeln können wie andere Kinder. Aber meine Frau und ich hatten immer das Gefühl, dass er einfach nicht normal ist."
"Ich habe Siebe kennengelernt, als er vier oder fünf Jahre alt war. Wir haben diverse genetische Untersuchungen gemacht, weil ich mir sicher war, dass etwas Genetisches dahintersteckt. Jahrelang konnten wir nicht wirklich viel machen. Bis die neuen Sequenziermethoden auf den Markt kamen. Und wir plötzlich alle Gene testen konnten. Ich habe sofort an Siebe gedacht. Diese Kinder vergisst man nicht."
Das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin-Dahlem. Ein fensterloser Raum, klimatisiert, kühl.
"Wir haben jetzt hier einen sogenannten Illumina HiSeq 2000, das ist eigentlich wie gesagt die letzte Ausbaustufe, die gegenwärtig im Markt verfügbar ist."
Ein Kasten so groß wie ein Kühlschrank. Lichtgrau, die Schublade schwarz abgesetzt, ein großer Bildschirm. Schlichte Eleganz. Hightech der nächsten Generation.
"Das ist eindeutig die neueste Gerätegeneration, es gibt natürlich jetzt schon wieder viele Ankündigungen von Geräten, die in neun bis zwölf Monaten erscheinen sollen, es ist sicherlich ein sehr schnelllebiger Markt geworden."
Bernd Timmermann ist hier am Institut zuständig für das Next Generation Sequencing.
"Hier links ist eine Schublade, wo wir diese beiden Glasträger einlegen, auf der rechten Seite ist die Fluidik, das heißt, hier werden große Pufferflaschen geladen, in denen sich die Chemikalien dann für den Sequenzierungslauf befinden."
Die Maschine arbeitet lautlos. Nur eine aufglimmende Lichtleiste verrät, dass hier gerade das Erbgut eines Menschen sequenziert wird. Die Basenfolge der DNA, all die As und Gs und Ts und Cs – drei Milliarden Basen. Zwei Wochen wird es dauern, bis das gesamte Genom vorliegt. Zwei weitere, um das Erbgut des Patienten mit einem Referenzgenom zu vergleichen und zu prüfen, an welchen Stellen es abweicht. Timmermann:
"Wenn man an das humane Genomprojekt zurückdenkt, in dem unser Institut ja auch involviert war, dann muss man sehen, dass wir hier einen Zeitraum von über zehn Jahren hatten. Dort haben über 1000 Wissenschaftler mitgearbeitet, die Kostenabschätzungen schwanken, es wird sich auf jeden Fall in einer Größenordnung von über 1,5 Milliarden sich bewegt haben."
Heute dauert ein menschliches Genom gerade einmal vier Wochen, die Kosten liegen bei weniger als 10.000 Euro pro Genom. Die Sequenzierer der nächsten Generation machen es möglich: Die Geräte am MPI können 2,5 Milliarden DNA-Stückchen parallel lesen – jedes DNA-Stückchen ist 100 Basen, also 100 Buchstaben lang.
"Was wir jetzt seit ungefähr vielleicht vier Jahren erleben, ist eine Revolution in diesem Bereich, und das hat auch dazu geführt, dass jetzt natürlich Projekte möglich sind, die man vorher für völlig unmöglich gehalten hat."
An jeder Krankheit sind Gene beteiligt - mal mehr, mal weniger. Die große Hoffnung: Irgendwann einmal mit einem Blick ins Erbgut sagen zu können, woran ein Patient leidet. Ihn gezielter, individueller behandeln zu können. Oder das Risiko für Volkskrankheiten wie Diabetes oder Arteriosklerose vorhersagen zu können.
"Es werden ja intensive Diskussionen geführt, haben wir dann in wenigen Jahren alle unsere Genomsequenz auf der Krankenkassenkarte. Technologisch wäre das sicherlich machbar. Ich sehe aber einen gewissen zeitlichen Verzug, um es mal vorsichtig auszudrücken, mit der Interpretation der Ergebnisse. Wir bekommen natürlich eine unglaubliche Informationsflut. Wenn wir am Beispiel des menschlichen Genoms bleiben, sehen wir gegenwärtig um die 3,5 Millionen Abweichungen von der Referenzsequenz, der menschlichen Referenzsequenz, die in der Datenbank hinterlegt ist. Von diesen 3,5 Millionen können wir nur einen kleinen Prozentsatz wirklich interpretieren."
Eine Abweichung im Genom aufzuspüren ist das eine. Sie interpretieren zu können, etwas ganz anderes. Die Gene, die den Bauplan für Proteine enthalten, machen nur ein Prozent unseres Genoms aus. Wenn man hier also eine Variante findet - hat sie überhaupt irgendeine negative Auswirkung auf den Körper? Und wenn ja, welche? Und welche Rolle spielen Varianten im Rest der DNA, von dem Forscher noch gar nicht genau wissen, wozu er gut ist? Es wird Jahrzehnte dauern, bis Wissenschaftler diese Fragen geklärt haben. Eines ist aber heute schon klar: Für die meisten Krankheiten wird die Aussagekraft des Genoms begrenzt bleiben.
"Nein, also wenn das so wäre, dass man das alles vorhersagen kann, dann wäre der Lebensentwurf eines Menschen ja komplett determiniert. Und das ist in dieser Allgemeinheit sicher nicht der Fall"
Peter Propping aus Bonn ist einer der dienstältesten Humangenetiker Deutschlands.
"Bei den sogenannten Volkskrankheiten sind wir nicht determiniert, da geht es immer nur um Risikoabwägungen und verschiedene Risikokategorien."
Es gibt aber auch Menschen, deren Leben sehr wohl determiniert ist. Sie tragen einen einzelnen Gendefekt in ihrem Erbgut, der so tiefgreifend ist, dass die Krankheit unweigerlich ausbricht. Chorea Huntington gehört dazu, Mukoviszidose, die spinale Muskelatrophie, erbliche Blindheit, geistige Behinderungen. 3000 solcher monogenen Erkrankungen sind heute bekannt. Ihre Symptome sind beschrieben, die Gendefekte identifiziert. Genetiker gehen davon aus, dass es noch Tausende mehr gibt. Geistige Behinderungen, Stoffwechselerkrankungen oder Bewegungsstörungen, oft erblich bedingt, deren genetische Ursache noch im Dunkeln liegt. Die Familien warten oft jahrelang vergeblich auf eine Diagnose.
Mit Hilfe von Next Generation Sequencing wollen Forscher diese Krankheitsgene in den nächsten Jahren aufspüren. Für die betroffenen Familien hat die medizinische Revolution längst begonnen. Familien wie die van Hoofs aus Nimwegen in den Niederlanden.
"Siebe ist zehn, er ist ein fröhlicher Junge. Er geht sehr gerne zur Schule, und er spielt gern mit anderen Kindern, am liebsten draußen. Er spielt Ball, fährt gerne Rad – all solche Dinge."
Eric van Hoof zieht sein Smartphone aus der Tasche, scrollt durch die Fotos. Siebe in ein Handtuch gewickelt, lachend, seine nassen Haare stehen wild vom Kopf ab. Siebe mit seiner Mutter auf dem Spielplatz, einen Becher Pudding in der Hand.
"Wenn Sie ein Bild von Siebe sehen, würden Sie sagen: Ein ganz normales Kind. Aber er ist kein normales Kind. Siebe ist auf dem geistigen Stand eines Drei- oder Vierjährigen. Und: er braucht klare Strukturen. Wir müssen ihm genau sagen, was wir heute machen. Sonst bekommt er Panik. Deshalb haben wir einen Wochenplan, in dem wir alles ganz genau eintragen."
Von wann bis wann ist Schule. Wann gehen wir einkaufen. Jede Einladung zum Kindergeburtstag, jeder Besuch bei der Oma wird notiert. Abweichungen machen Siebe Angst.
"Ja, das sind schon autistische Züge. Siebe ist aber kein Autist, er ist sehr sozial, fragt ständig: 'Wie geht es Dir?' 'Wie fühlst Du Dich, kann ich Dir helfen?' Er ist einfach ein ziemlich lieber Kerl."
Die Schwangerschaft verläuft ganz normal. Doch schon kurz nach der Geburt gibt es Probleme. Siebes Darm ist verdreht, er erleidet einen Darmverschluss. Die Ärzte müssen den halben Darm entfernen. Bis heute kann Siebe nicht richtig essen, höchstens mal einen Sojapudding. Nachts bekommt er Säuglingsnahrung über eine Sonde in der Bauchdecke. Doch da ist noch etwas anderes. Siebe scheint sich geistig nicht wie andere Kinder zu entwickeln. Van Hoof:
"Wir hatten immer das Gefühl, dass da noch mehr ist. Als Siebe dann vier oder fünf war, haben wir uns dann zum ersten Mal mit Han Brunner getroffen."
Han Brunner leitet die Abteilung für Humangenetik am Universitätsklinikum St. Radboud in Nimwegen.
"Die Kinderärzte haben Siebe dann zu uns geschickt, weil sie das Gefühl hatten, dass Siebes Erkrankung eine genetische Ursache hat."
Han Brunner will die Ursache finden. Handelt es sich um eine seltene Erbkrankheit? Brunner:
"Ich habe ihn angeschaut und gedacht, das ist ein besonderes Gesicht."
Nuancen, die nur einem Genetiker auffallen. Die Stupsnase. Die Augen leicht schräg, und ein bisschen weit auseinander.
"Und ich habe in Fachbüchern nach diesem Gesicht gesucht. Dachte, dass er ein ganz bestimmtes Syndrom haben muss. Aber ich habe nichts gefunden."
Es gibt Tausende solcher Syndrome. Die meisten sind so selten, dass ein Genetiker sie im Laufe seines Berufslebens nicht mal zu Gesicht bekommt. Es kann Jahre dauern, bis die Ursache für eine geistige Behinderung tatsächlich gefunden wird - wenn überhaupt. Han Brunner und sein Team machen alle genetischen Untersuchungen, die im Jahr 2005 möglich sind. Sie untersuchen Siebes Chromosomen, analysieren eine Handvoll Gene, von denen sie glauben, dass sie etwas mit Siebes Problemen zu tun haben könnten, schauen sich Stoffwechselprodukte an. Sie finden nichts.
"Dann habe ich mir gedacht, vielleicht weiß irgendein Kollege, was das sein könnte. Ich habe Fotos von Siebe herumgeschickt. Ein Kollege aus Belgien hat mir geantwortet: Ich kann dir zwar nicht sagen, was dein Patient hat - aber vielleicht hat mein Patient hier dasselbe. Dazu Fotos von einem Jungen aus Leuven. Die beiden Jungen waren absolut identisch. Das Problem war nur: wir hatten für beide Kinder keine Diagnose."
Eric van Hoof: "Diese Ungewissheit war schwer für uns. Eigentlich wollten wir immer zwei oder drei Kinder haben. Aber wir haben uns nicht getraut. Ein zweites Kind wie Siebe, das wäre nicht fair – nicht dem Kind gegenüber, und auch nicht uns selbst gegenüber. Und die Ärzte konnten uns nicht sagen, wie hoch das Risiko dafür ist. Das war sehr hart."
Jahrelang passiert nichts. Doch dann, im Oktober 2010 kommt ein Anruf aus der Uniklinik. Es gebe da neue Untersuchungsmöglichkeiten. Ob sie noch einmal Blutproben nehmen könnten – von Siebe, von Eric van Hoof und von seiner Frau. Van Hoof:
"
Es hat gerade mal vier Monate gedauert, bis zum Februar 2011, dann hatten wir das Ergebnis. Sie hatten den Gendefekt tatsächlich gefunden."
In den Niederlanden dürfen genetische Untersuchungen nur an acht spezialisierten Zentren gemacht werden. Die Uniklinik in Nimwegen ist eines davon. Biologen, Bioinformatiker, Humangenetiker und Kinderärzte arbeiten hier Hand in Hand; Labors und Patientenzimmer sind nur durch Flure getrennt. Neue Untersuchungsmethoden finden hier schnell ihren Weg in den klinischen Alltag. Die Nimweger sind mit die ersten weltweit, die Familien wie den van Hoofs eine komplette Gensequenzierung anbieten – im Moment noch im Rahmen von Forschungsprojekten.
"Wir haben alle Gene von Siebe und von seinen Eltern sequenziert, und auch von dem belgischen Jungen und seinen Eltern. Das dauert natürlich. Danach haben unsere Bioinformatiker die Daten analysiert: Sie haben wirklich bei jedem Gen geschaut, ob es Unterschiede zwischen Eltern und Kindern gibt."
Der Molekulargenetiker Joris Veltman hat die Diagnostik mitentwickelt.
"Wir haben ziemlich schnell eine Mutation in einem einzelnen Gen gefunden, die bei beiden Jungen vorkam, aber nicht bei ihren Eltern."
Dieselbe Mutation an derselben Stelle im selben Gen. Bei Siebe und bei dem Jungen aus Leuven.
"Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt bei eins zu einer Milliarde, oder noch weniger. Das war wirklich eindeutig. Auch wenn wir praktisch nichts über das Gen wussten, war klar, dass diese Mutation wahrscheinlich der Grund dafür ist, warum sich beide Patienten so ähnlich sind."
Veltman: "The gene is the PACS-1."
Brunner: "P-A-C-S-1, PACS-1-gene."
Van Hoof: "The gene that was mutated was the PACS-1-gene."
Eine Mutation im PACS1-Gen. Offenbar spielt es eine Rolle bei der Entwicklung des Gehirns und des Darmtrakts. Außerdem ist klar: Die Eltern haben den Defekt nicht an ihre Kinder vererbt. Es handelt sich um eine neue Mutation. Humangenetiker schätzen, dass es mindestens 7000 monogene Erkrankungen gibt. Bei 3000 sind die verantwortlichen Genvarianten bekannt, bei den restlichen sollen sie jetzt so schnell wie möglich identifiziert werden. Wenn Genetiker die Varianten kennen, können sie zukünftige Patienten gezielt testen und schneller eine Diagnose stellen. Han Brunner:
"Es geht hier um vergleichsweise seltene Erkrankungen. Doch einer von 17 Menschen wird im Laufe seines Lebens an einer seltenen Erkrankung erkranken, und oft steckt eine genetische Ursache dahinter. Einige warten fünf oder zehn Jahre auf eine Diagnose, oder sie bekommen eine falsche Diagnose und werden falsch behandelt. Davor können wir sie dann bewahren."
Eine klare Diagnose. Das ist das Ziel der Nimweger. Heilen können sie die Patienten nicht. Oft greift der genetische Defekt zu früh und zu grundlegend in die körperliche Entwicklung ein – wie bei Siebe. Allerdings: Das Bild von der unheilbaren genetischen Erkrankung beginnt sich zu wandeln. So arbeiten Forscher zum Beispiel an einer Gentherapie für Patienten mit erblicher Blindheit. Sie schleusen ein gesundes Gen ins Auge ein. Doch in Zeiten von Next Generation Sequencing tut sich noch ein zweiter Weg auf. Je besser die Gene erforscht sind, je mehr darüber bekannt wird, wie ein verändertes Gen die verschiedenen körperlichen Prozesse beeinflusst, desto eher kann man in diese Prozesse eingreifen. Mit Medikamenten, die längst auf dem Markt sind. Brunner:
"Es gibt da zum Beispiel eine wunderbare Arbeit von einem Forscherteam aus Köln zur spinalen Muskelatrophie, einer monogenen Erbkrankheit. Sie haben die Patienten mit einem herkömmlichen Antiepileptikum behandelt und gezeigt, dass dieses Medikament den Patienten tatsächlich helfen könnte."
Monogene Erkrankungen sind kompliziert genug. Dabei wird die Krankheit gerade einmal von einer Mutation in einem Gen ausgelöst. Humangenetiker kennen die Symptome, vielleicht auch den verantwortlichen Gendefekt. Die Prozesse, die dazwischen ablaufen, liegen oft noch im Dunkeln. Bei den allermeisten Krankheiten, bei Volkskrankheiten wie Diabetes, Arteriosklerose, Schizophrenie oder Krebs, bleibt es aber nicht bei einer einzelnen Genvariante. Oft ist ein ganzes Netzwerk von Genen beteiligt, die miteinander interagieren und dazu noch von der Umwelt beeinflusst werden. Der Bezug von Gen zu Krankheit, von Ursache und Wirkung verschwimmt. Trotzdem ist die Hoffnung groß, Volkskrankheiten irgendwann verstehen zu können. Das Ziel auch hier: Mit Hilfe der Gene schneller die richtige Diagnose zu stellen und zielgerichtete Therapien zu finden. Die Forscher haben noch einen weiten Weg vor sich. Etwa bei Krebs: Jeder Tumor ist anders. Krebszellen unterscheiden sich genetisch stark von gesundem Gewebe, aber sie unterscheiden sich auch untereinander. Das macht die Bekämpfung der Krebszellen so schwierig. Und doch gibt es hier schon erste Erfolge. Bernd Timmermann
"Wir hatten in der Vergangenheit immer die Situation, dass wir nur einen Teil von Therapieerfolgen hatten, das heißt, es gab immer wieder Patienten, bei denen gewisse Therapieformen überhaupt nicht angeschlagen haben. Inzwischen weiß man, dass es einige Schlüsselgene gibt, wenn hier Varianten vorliegen, kann man schon mit einer großen Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob eine Therapie sinnvoll ist oder nicht."
Jüngstes Beispiel: Ein Medikament gegen den schwarzen Hautkrebs, das im Februar 2012 auf den Markt gekommen ist. Einige Hautkrebspatienten besitzen eine ganz bestimmte Genvariante. Das Protein, das daraufhin gebildet wird, heizt das Wachstum des Tumors an. Das neue Mittel kann das veränderte Gen ausschalten, so das Leben der Patienten verlängern. Auch Bernd Timmermann und seine Kollegen vom MPI für molekulare Genetik beschäftigen sich mit Krebs, genauer gesagt mit Darmkrebs. Das Projekt heißt "Oncotrack". Die Forscher wollen Tumoren von vielen einzelnen Patienten bis ins kleinste Detail untersuchen. Irgendwann, so der Plan, soll jeder Patient, jeder Tumor noch individueller behandelt werden können.
"Wir analysieren den Tumor. Wir analysieren natürlich Kontrollgewebe. Wir analysieren Metastasen, wenn sie auftreten. Wir analysieren freie Tumorzellen im Blut. Das ist auch die Herausforderung, wir sequenzieren hier nicht ein Genom pro Patient, sondern eine Vielzahl von Genomen."
Es gibt Mutationen, die nur bei einem winzigen Teil der Krebszellen überhaupt vorkommen, die den Krankheitsverlauf aber entscheidend beeinflussen können. All diese Mutationen wollen die Forscher im Tumor aufspüren und ihre Bedeutung erfassen. Sie prüfen, ob die Gene an- oder abgeschaltet sind. Wie oft wird ein Gen tatsächlich gelesen, wie oft wird tatsächlich das entsprechende Protein gebildet. Ob in den Tumorzellen gar neue Gene entstehen – und mit welchen Folgen. Die Daten werden dann in ein hochkomplexes Computermodell eingespeist, das eigens am MPI entwickelt wurde.
"Da schließt sich auch irgendwo wieder der Kreis, denn das Erzeugen der Daten ist das eine, aber der wichtige Punkt ist die Datenanalyse. Und gerade dieses Modulationsmodell ist sehr komplex, im Grunde sind hier alle Informationen eingefüttert, die wir heutzutage über Stoffwechselwege im Krebs wissen, aber sehr viel muss natürlich auch mit Hilfe von Annahmen moduliert werden. Und das ist natürlich auch ein ständig wachsendes Modell. Je mehr Wissen wir haben, desto genauer können sicherlich auch Veränderungen der Wege moduliert werden."
An "Oncotrack" sind Institute und Pharmafirmen aus ganz Europa beteiligt. Das Projekt ist auf fünf Jahre angelegt. Ob das Datenmodell bis dahin voll funktionsfähig ist, weiß keiner.
"Letzten Endes ist dies sicherlich ein sehr mutiger Versuch, aber es ist ein Versuch, der für mich einfach in die richtige Richtung geht. Wir können nicht einfach sagen, Krebs ist uns zu komplex. Bleiben wir erstmal bei den monogenen Erkrankungen. Wir gehen hier ja auch nicht mit dem Anspruch hinein, dass wir in zwei oder drei Jahren das Problem gelöst haben. Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren ein großes Stück einfach weiter sind."
Das Wissen über die genetischen Grundlagen von komplexen Erkrankungen wächst. Dank moderner Sequenzierer und Hochleistungsrechner, die das Buch des Lebens einfach abscannen, anstatt sich Wort für Wort durchzukämpfen. Manche Firmen behaupten, mit ihren Geräten bald schon ein Genom in 24 Stunden sequenzieren zu können.
"Im Augenblick liegen wir eher bei zwei Wochen für die Analyse eines menschlichen Genoms. Ob wir wirklich innerhalb von 24 Stunden ein Genom praktisch sequenzieren können, innerhalb von einem Jahr, halte ich auch für fraglich, wir können auf wenige Tage herunterkommen,vielleicht auf zwei bis drei Tage, auch mit Probenvorbereitung, das halte ich für durchaus machbar."
Ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht. Die nächste Gerätegeneration steht schon bereit. Sie soll das Buch des Lebens noch schneller scannen, für noch weniger Geld, mit noch weniger Lesefehlern. Das Erbgut von Tausenden von Menschen wird miteinander verglichen, Buchstabe für Buchstabe, innerhalb kürzester Zeit, jede genetische Abweichung registriert. Peter Propping:
"Trotzdem bleibt im Moment das Problem, dass die Fülle an genetischen Varianten, die man findet, schwer interpretierbar ist."
Es werden immer mehr Gene entdeckt, immer mehr Varianten, auch solche die etwas mit Volkskrankheiten zu tun haben. Das Wissen darüber, wie die Gene funktionieren, wächst stetig. Doch in den Genen liegt eben auch nur die halbe Wahrheit. Ob ein Mensch mit einem hohen Risiko für Herzleiden, Diabetes oder Bluthochdruck auch wirklich krank wird, darüber entscheiden auch ganz andere Faktoren.
Umwelt
Lebensweise
Stress
Ernährung
Sport
Deshalb ist es auch so schwer zu ermitteln, wie groß der Einfluss der Gene hier tatsächlich ist. Forscher müssten Langzeitstudien mit Tausenden von Menschen machen, ihr Genom, ihre Krankengeschichte und ihre Lebensweise haarklein erfassen. Eine zweifelsfreie Gewissheit darüber, ob eine Krankheit tatsächlich ausbricht, wird es vermutlich nie geben.Propping:
"Man wird... auch wenn die gesamte Genetik für diese Volkskrankheiten verstanden ist, wird es immer nur bei Wahrscheinlichkeiten bleiben, also die Wahrscheinlichkeit, dass einer unter ganz bestimmten äußeren Bedingungen diese Krankheit entwickelt, ist dann 50, 60 oder 70 Prozent."
Das Schicksal ist also nicht unausweichlich. Im Gegenteil: Der Mensch kann es beeinflussen. Wer die Risiken kennt, kann Krankheiten gezielt vorbeugen, durch eine bessere Ernährung, durch Medikamente, oder durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen.
"Also wenn wir eine starke Neigung zu einer behandelbaren Krankheit haben, dann ist das doch vorteilhaft. Wenn wir diese Option auch nutzen können, um sie rechtzeitig zu erkennen und sie dann gegebenenfalls auch zu behandeln."
Der Blick ins Genom – irgendwann vielleicht eine ganz normale Vorsorgeuntersuchung.
Doch es gibt genetisch bedingte Krankheiten, die man weder verhindern noch behandeln kann. Die unweigerlich ausbrechen werden. Bernd Timmermann:
"Was ist mit dem Recht auf Nichtwissen. Es gibt ja einfach Erkrankungen, die wir auch in fünf und in zehn Jahren und wahrscheinlich sehr viel länger haben, wahrscheinlich immer, die wir einfach nicht heilen können. Zum Beispiel auch Early-onset-Alzheimer, da gibt es verschiedene Varianten, wo man fast mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit vor dem 43. Lebensjahr an Alzheimer erkranken wird. Wir haben aber keine Therapie. Das ist jetzt eine eher umfassende Frage, möchte man das wirklich für sich selber wissen, ja oder nein."
Es ist eine Frage, mit der man sich in Nimwegen schon heute beschäftigt. Jede Familie, die ihr Erbgut analysieren lassen will, wird sehr sorgfältig darüber aufgeklärt, dass die Genetiker theoretisch noch ein anderes Krankheitsgen finden könnten. Han Brunner:
"Entweder, sie akzeptieren den Test dann und wir erzählen ihnen, wenn wir noch etwas anders finden. Oder sie sagen, jetzt, wo ich das alles weiß, möchte ich das lieber nicht machen. Beide Antworten sind in Ordnung. Das wichtigste ist, dass der Patient informiert wird, und die Wahl hat. Unsere Erfahrung ist aber eher die, dass die meisten Eltern, die ein schwerkrankes Kind haben, sagen: 'Wir wollen den Test. Und wenn Sie noch etwas anderes finden, würde ich das gerne wissen. Dieses Nicht-Wissen hat uns so lange gequält, dass wir lieber gleich alles wissen möchten.'"
Schon in zehn Jahren, glaubt Han Brunner, könnte jeder von uns sein Erbgut sequenzieren lassen. Vollständig interpretieren können es die Genetiker dann noch lange nicht. Deshalb mache es auch keinen Sinn, das Genom einfach mal so auf gut Glück nach Krankheitsrisiken durchzurastern.
"Es wäre überhaupt nicht sinnvoll, jedes Genom zu sequenzieren und zu analysieren. Da sollten wir sorgfältig unterscheiden. Das Genom sequenzieren bedeutet nur, dass man eine Menge Buchstaben, Cs und Gs und As und Ts, in einem Computer bekommt. Und das an sich tut ja niemandem weh."
Han Brunner könnte sich das rein hypothetisch so vorstellen: Die Daten liegen an einem sicheren Ort. Analysiert wird nur nach Bedarf.
"Der Patient erkrankt an Epilepsie. Daraufhin geben beide, Patient und Arzt, ihre Pin-Nummern in einen Computer ein – um an das Genom des Patienten heranzukommen - und dazu den Suchbegriff Epilepsie. Der Computer würde daraufhin nur Informationen zu den Epilepsie-Genen ausspucken. Und der Arzt würde dann sehen, dass die Epilepsie schonmal nicht genetisch bedingt ist. Und weiß, dass es eine andere Ursache geben muss. Das wäre für mich das optimale Szenario."
Eine Genomsequenzierung für jeden. Rein technisch wird das bald schon kein Problem mehr sein. Brunner:
"Meine persönliche Meinung ist, dass es irgendwann ziemlich normal sein wird, seine Gene zu kennen."
Doch manche Menschen haben Angst davor, ihr Genom kennenzulernen. Sie habe Angst, dass sie von Versicherungen dazu gezwungen werden könnten. Angst davor, Antworten auf Fragen zu bekommen, die sie lieber nicht gestellt hätten. Jede Gesellschaft wird ihren eigenen Weg finden müssen, mit den Daten umzugehen. Wer sie in welchem Fall nutzen darf, wo sie gespeichert werden, wie das Recht auf Nichtwissen gewahrt bleibt. Der Denkprozess hat gerade erst begonnen. Die medizinische Revolution ist bereits in vollem Gange.
Siebes Eltern haben lange auf eine Antwort gewartet. Sie wissen jetzt, dass eine Mutation im PACS-1-Gen für Siebes Erkrankung verantwortlich ist. Und dass sie den Gendefekt nicht vererbt haben. Eric van Hoof:
"Wir können ihm jetzt in die Augen schauen und sagen, das ist es. Es gibt keine Fragen mehr. Das ist eine große Erleichterung für uns. Auf der anderen Seite waren wir auch unheimlich traurig. Wir hätten gerne noch ein zweites Kind gehabt. Doch jetzt ist Siebe 10, und meine Frau ist fast 40. Jetzt wollen wir kein Baby mehr bekommen wollen. Für uns kam die Antwort zu spät."
"Ich habe Siebe kennengelernt, als er vier oder fünf Jahre alt war. Wir haben diverse genetische Untersuchungen gemacht, weil ich mir sicher war, dass etwas Genetisches dahintersteckt. Jahrelang konnten wir nicht wirklich viel machen. Bis die neuen Sequenziermethoden auf den Markt kamen. Und wir plötzlich alle Gene testen konnten. Ich habe sofort an Siebe gedacht. Diese Kinder vergisst man nicht."
Das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin-Dahlem. Ein fensterloser Raum, klimatisiert, kühl.
"Wir haben jetzt hier einen sogenannten Illumina HiSeq 2000, das ist eigentlich wie gesagt die letzte Ausbaustufe, die gegenwärtig im Markt verfügbar ist."
Ein Kasten so groß wie ein Kühlschrank. Lichtgrau, die Schublade schwarz abgesetzt, ein großer Bildschirm. Schlichte Eleganz. Hightech der nächsten Generation.
"Das ist eindeutig die neueste Gerätegeneration, es gibt natürlich jetzt schon wieder viele Ankündigungen von Geräten, die in neun bis zwölf Monaten erscheinen sollen, es ist sicherlich ein sehr schnelllebiger Markt geworden."
Bernd Timmermann ist hier am Institut zuständig für das Next Generation Sequencing.
"Hier links ist eine Schublade, wo wir diese beiden Glasträger einlegen, auf der rechten Seite ist die Fluidik, das heißt, hier werden große Pufferflaschen geladen, in denen sich die Chemikalien dann für den Sequenzierungslauf befinden."
Die Maschine arbeitet lautlos. Nur eine aufglimmende Lichtleiste verrät, dass hier gerade das Erbgut eines Menschen sequenziert wird. Die Basenfolge der DNA, all die As und Gs und Ts und Cs – drei Milliarden Basen. Zwei Wochen wird es dauern, bis das gesamte Genom vorliegt. Zwei weitere, um das Erbgut des Patienten mit einem Referenzgenom zu vergleichen und zu prüfen, an welchen Stellen es abweicht. Timmermann:
"Wenn man an das humane Genomprojekt zurückdenkt, in dem unser Institut ja auch involviert war, dann muss man sehen, dass wir hier einen Zeitraum von über zehn Jahren hatten. Dort haben über 1000 Wissenschaftler mitgearbeitet, die Kostenabschätzungen schwanken, es wird sich auf jeden Fall in einer Größenordnung von über 1,5 Milliarden sich bewegt haben."
Heute dauert ein menschliches Genom gerade einmal vier Wochen, die Kosten liegen bei weniger als 10.000 Euro pro Genom. Die Sequenzierer der nächsten Generation machen es möglich: Die Geräte am MPI können 2,5 Milliarden DNA-Stückchen parallel lesen – jedes DNA-Stückchen ist 100 Basen, also 100 Buchstaben lang.
"Was wir jetzt seit ungefähr vielleicht vier Jahren erleben, ist eine Revolution in diesem Bereich, und das hat auch dazu geführt, dass jetzt natürlich Projekte möglich sind, die man vorher für völlig unmöglich gehalten hat."
An jeder Krankheit sind Gene beteiligt - mal mehr, mal weniger. Die große Hoffnung: Irgendwann einmal mit einem Blick ins Erbgut sagen zu können, woran ein Patient leidet. Ihn gezielter, individueller behandeln zu können. Oder das Risiko für Volkskrankheiten wie Diabetes oder Arteriosklerose vorhersagen zu können.
"Es werden ja intensive Diskussionen geführt, haben wir dann in wenigen Jahren alle unsere Genomsequenz auf der Krankenkassenkarte. Technologisch wäre das sicherlich machbar. Ich sehe aber einen gewissen zeitlichen Verzug, um es mal vorsichtig auszudrücken, mit der Interpretation der Ergebnisse. Wir bekommen natürlich eine unglaubliche Informationsflut. Wenn wir am Beispiel des menschlichen Genoms bleiben, sehen wir gegenwärtig um die 3,5 Millionen Abweichungen von der Referenzsequenz, der menschlichen Referenzsequenz, die in der Datenbank hinterlegt ist. Von diesen 3,5 Millionen können wir nur einen kleinen Prozentsatz wirklich interpretieren."
Eine Abweichung im Genom aufzuspüren ist das eine. Sie interpretieren zu können, etwas ganz anderes. Die Gene, die den Bauplan für Proteine enthalten, machen nur ein Prozent unseres Genoms aus. Wenn man hier also eine Variante findet - hat sie überhaupt irgendeine negative Auswirkung auf den Körper? Und wenn ja, welche? Und welche Rolle spielen Varianten im Rest der DNA, von dem Forscher noch gar nicht genau wissen, wozu er gut ist? Es wird Jahrzehnte dauern, bis Wissenschaftler diese Fragen geklärt haben. Eines ist aber heute schon klar: Für die meisten Krankheiten wird die Aussagekraft des Genoms begrenzt bleiben.
"Nein, also wenn das so wäre, dass man das alles vorhersagen kann, dann wäre der Lebensentwurf eines Menschen ja komplett determiniert. Und das ist in dieser Allgemeinheit sicher nicht der Fall"
Peter Propping aus Bonn ist einer der dienstältesten Humangenetiker Deutschlands.
"Bei den sogenannten Volkskrankheiten sind wir nicht determiniert, da geht es immer nur um Risikoabwägungen und verschiedene Risikokategorien."
Es gibt aber auch Menschen, deren Leben sehr wohl determiniert ist. Sie tragen einen einzelnen Gendefekt in ihrem Erbgut, der so tiefgreifend ist, dass die Krankheit unweigerlich ausbricht. Chorea Huntington gehört dazu, Mukoviszidose, die spinale Muskelatrophie, erbliche Blindheit, geistige Behinderungen. 3000 solcher monogenen Erkrankungen sind heute bekannt. Ihre Symptome sind beschrieben, die Gendefekte identifiziert. Genetiker gehen davon aus, dass es noch Tausende mehr gibt. Geistige Behinderungen, Stoffwechselerkrankungen oder Bewegungsstörungen, oft erblich bedingt, deren genetische Ursache noch im Dunkeln liegt. Die Familien warten oft jahrelang vergeblich auf eine Diagnose.
Mit Hilfe von Next Generation Sequencing wollen Forscher diese Krankheitsgene in den nächsten Jahren aufspüren. Für die betroffenen Familien hat die medizinische Revolution längst begonnen. Familien wie die van Hoofs aus Nimwegen in den Niederlanden.
"Siebe ist zehn, er ist ein fröhlicher Junge. Er geht sehr gerne zur Schule, und er spielt gern mit anderen Kindern, am liebsten draußen. Er spielt Ball, fährt gerne Rad – all solche Dinge."
Eric van Hoof zieht sein Smartphone aus der Tasche, scrollt durch die Fotos. Siebe in ein Handtuch gewickelt, lachend, seine nassen Haare stehen wild vom Kopf ab. Siebe mit seiner Mutter auf dem Spielplatz, einen Becher Pudding in der Hand.
"Wenn Sie ein Bild von Siebe sehen, würden Sie sagen: Ein ganz normales Kind. Aber er ist kein normales Kind. Siebe ist auf dem geistigen Stand eines Drei- oder Vierjährigen. Und: er braucht klare Strukturen. Wir müssen ihm genau sagen, was wir heute machen. Sonst bekommt er Panik. Deshalb haben wir einen Wochenplan, in dem wir alles ganz genau eintragen."
Von wann bis wann ist Schule. Wann gehen wir einkaufen. Jede Einladung zum Kindergeburtstag, jeder Besuch bei der Oma wird notiert. Abweichungen machen Siebe Angst.
"Ja, das sind schon autistische Züge. Siebe ist aber kein Autist, er ist sehr sozial, fragt ständig: 'Wie geht es Dir?' 'Wie fühlst Du Dich, kann ich Dir helfen?' Er ist einfach ein ziemlich lieber Kerl."
Die Schwangerschaft verläuft ganz normal. Doch schon kurz nach der Geburt gibt es Probleme. Siebes Darm ist verdreht, er erleidet einen Darmverschluss. Die Ärzte müssen den halben Darm entfernen. Bis heute kann Siebe nicht richtig essen, höchstens mal einen Sojapudding. Nachts bekommt er Säuglingsnahrung über eine Sonde in der Bauchdecke. Doch da ist noch etwas anderes. Siebe scheint sich geistig nicht wie andere Kinder zu entwickeln. Van Hoof:
"Wir hatten immer das Gefühl, dass da noch mehr ist. Als Siebe dann vier oder fünf war, haben wir uns dann zum ersten Mal mit Han Brunner getroffen."
Han Brunner leitet die Abteilung für Humangenetik am Universitätsklinikum St. Radboud in Nimwegen.
"Die Kinderärzte haben Siebe dann zu uns geschickt, weil sie das Gefühl hatten, dass Siebes Erkrankung eine genetische Ursache hat."
Han Brunner will die Ursache finden. Handelt es sich um eine seltene Erbkrankheit? Brunner:
"Ich habe ihn angeschaut und gedacht, das ist ein besonderes Gesicht."
Nuancen, die nur einem Genetiker auffallen. Die Stupsnase. Die Augen leicht schräg, und ein bisschen weit auseinander.
"Und ich habe in Fachbüchern nach diesem Gesicht gesucht. Dachte, dass er ein ganz bestimmtes Syndrom haben muss. Aber ich habe nichts gefunden."
Es gibt Tausende solcher Syndrome. Die meisten sind so selten, dass ein Genetiker sie im Laufe seines Berufslebens nicht mal zu Gesicht bekommt. Es kann Jahre dauern, bis die Ursache für eine geistige Behinderung tatsächlich gefunden wird - wenn überhaupt. Han Brunner und sein Team machen alle genetischen Untersuchungen, die im Jahr 2005 möglich sind. Sie untersuchen Siebes Chromosomen, analysieren eine Handvoll Gene, von denen sie glauben, dass sie etwas mit Siebes Problemen zu tun haben könnten, schauen sich Stoffwechselprodukte an. Sie finden nichts.
"Dann habe ich mir gedacht, vielleicht weiß irgendein Kollege, was das sein könnte. Ich habe Fotos von Siebe herumgeschickt. Ein Kollege aus Belgien hat mir geantwortet: Ich kann dir zwar nicht sagen, was dein Patient hat - aber vielleicht hat mein Patient hier dasselbe. Dazu Fotos von einem Jungen aus Leuven. Die beiden Jungen waren absolut identisch. Das Problem war nur: wir hatten für beide Kinder keine Diagnose."
Eric van Hoof: "Diese Ungewissheit war schwer für uns. Eigentlich wollten wir immer zwei oder drei Kinder haben. Aber wir haben uns nicht getraut. Ein zweites Kind wie Siebe, das wäre nicht fair – nicht dem Kind gegenüber, und auch nicht uns selbst gegenüber. Und die Ärzte konnten uns nicht sagen, wie hoch das Risiko dafür ist. Das war sehr hart."
Jahrelang passiert nichts. Doch dann, im Oktober 2010 kommt ein Anruf aus der Uniklinik. Es gebe da neue Untersuchungsmöglichkeiten. Ob sie noch einmal Blutproben nehmen könnten – von Siebe, von Eric van Hoof und von seiner Frau. Van Hoof:
"
Es hat gerade mal vier Monate gedauert, bis zum Februar 2011, dann hatten wir das Ergebnis. Sie hatten den Gendefekt tatsächlich gefunden."
In den Niederlanden dürfen genetische Untersuchungen nur an acht spezialisierten Zentren gemacht werden. Die Uniklinik in Nimwegen ist eines davon. Biologen, Bioinformatiker, Humangenetiker und Kinderärzte arbeiten hier Hand in Hand; Labors und Patientenzimmer sind nur durch Flure getrennt. Neue Untersuchungsmethoden finden hier schnell ihren Weg in den klinischen Alltag. Die Nimweger sind mit die ersten weltweit, die Familien wie den van Hoofs eine komplette Gensequenzierung anbieten – im Moment noch im Rahmen von Forschungsprojekten.
"Wir haben alle Gene von Siebe und von seinen Eltern sequenziert, und auch von dem belgischen Jungen und seinen Eltern. Das dauert natürlich. Danach haben unsere Bioinformatiker die Daten analysiert: Sie haben wirklich bei jedem Gen geschaut, ob es Unterschiede zwischen Eltern und Kindern gibt."
Der Molekulargenetiker Joris Veltman hat die Diagnostik mitentwickelt.
"Wir haben ziemlich schnell eine Mutation in einem einzelnen Gen gefunden, die bei beiden Jungen vorkam, aber nicht bei ihren Eltern."
Dieselbe Mutation an derselben Stelle im selben Gen. Bei Siebe und bei dem Jungen aus Leuven.
"Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt bei eins zu einer Milliarde, oder noch weniger. Das war wirklich eindeutig. Auch wenn wir praktisch nichts über das Gen wussten, war klar, dass diese Mutation wahrscheinlich der Grund dafür ist, warum sich beide Patienten so ähnlich sind."
Veltman: "The gene is the PACS-1."
Brunner: "P-A-C-S-1, PACS-1-gene."
Van Hoof: "The gene that was mutated was the PACS-1-gene."
Eine Mutation im PACS1-Gen. Offenbar spielt es eine Rolle bei der Entwicklung des Gehirns und des Darmtrakts. Außerdem ist klar: Die Eltern haben den Defekt nicht an ihre Kinder vererbt. Es handelt sich um eine neue Mutation. Humangenetiker schätzen, dass es mindestens 7000 monogene Erkrankungen gibt. Bei 3000 sind die verantwortlichen Genvarianten bekannt, bei den restlichen sollen sie jetzt so schnell wie möglich identifiziert werden. Wenn Genetiker die Varianten kennen, können sie zukünftige Patienten gezielt testen und schneller eine Diagnose stellen. Han Brunner:
"Es geht hier um vergleichsweise seltene Erkrankungen. Doch einer von 17 Menschen wird im Laufe seines Lebens an einer seltenen Erkrankung erkranken, und oft steckt eine genetische Ursache dahinter. Einige warten fünf oder zehn Jahre auf eine Diagnose, oder sie bekommen eine falsche Diagnose und werden falsch behandelt. Davor können wir sie dann bewahren."
Eine klare Diagnose. Das ist das Ziel der Nimweger. Heilen können sie die Patienten nicht. Oft greift der genetische Defekt zu früh und zu grundlegend in die körperliche Entwicklung ein – wie bei Siebe. Allerdings: Das Bild von der unheilbaren genetischen Erkrankung beginnt sich zu wandeln. So arbeiten Forscher zum Beispiel an einer Gentherapie für Patienten mit erblicher Blindheit. Sie schleusen ein gesundes Gen ins Auge ein. Doch in Zeiten von Next Generation Sequencing tut sich noch ein zweiter Weg auf. Je besser die Gene erforscht sind, je mehr darüber bekannt wird, wie ein verändertes Gen die verschiedenen körperlichen Prozesse beeinflusst, desto eher kann man in diese Prozesse eingreifen. Mit Medikamenten, die längst auf dem Markt sind. Brunner:
"Es gibt da zum Beispiel eine wunderbare Arbeit von einem Forscherteam aus Köln zur spinalen Muskelatrophie, einer monogenen Erbkrankheit. Sie haben die Patienten mit einem herkömmlichen Antiepileptikum behandelt und gezeigt, dass dieses Medikament den Patienten tatsächlich helfen könnte."
Monogene Erkrankungen sind kompliziert genug. Dabei wird die Krankheit gerade einmal von einer Mutation in einem Gen ausgelöst. Humangenetiker kennen die Symptome, vielleicht auch den verantwortlichen Gendefekt. Die Prozesse, die dazwischen ablaufen, liegen oft noch im Dunkeln. Bei den allermeisten Krankheiten, bei Volkskrankheiten wie Diabetes, Arteriosklerose, Schizophrenie oder Krebs, bleibt es aber nicht bei einer einzelnen Genvariante. Oft ist ein ganzes Netzwerk von Genen beteiligt, die miteinander interagieren und dazu noch von der Umwelt beeinflusst werden. Der Bezug von Gen zu Krankheit, von Ursache und Wirkung verschwimmt. Trotzdem ist die Hoffnung groß, Volkskrankheiten irgendwann verstehen zu können. Das Ziel auch hier: Mit Hilfe der Gene schneller die richtige Diagnose zu stellen und zielgerichtete Therapien zu finden. Die Forscher haben noch einen weiten Weg vor sich. Etwa bei Krebs: Jeder Tumor ist anders. Krebszellen unterscheiden sich genetisch stark von gesundem Gewebe, aber sie unterscheiden sich auch untereinander. Das macht die Bekämpfung der Krebszellen so schwierig. Und doch gibt es hier schon erste Erfolge. Bernd Timmermann
"Wir hatten in der Vergangenheit immer die Situation, dass wir nur einen Teil von Therapieerfolgen hatten, das heißt, es gab immer wieder Patienten, bei denen gewisse Therapieformen überhaupt nicht angeschlagen haben. Inzwischen weiß man, dass es einige Schlüsselgene gibt, wenn hier Varianten vorliegen, kann man schon mit einer großen Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob eine Therapie sinnvoll ist oder nicht."
Jüngstes Beispiel: Ein Medikament gegen den schwarzen Hautkrebs, das im Februar 2012 auf den Markt gekommen ist. Einige Hautkrebspatienten besitzen eine ganz bestimmte Genvariante. Das Protein, das daraufhin gebildet wird, heizt das Wachstum des Tumors an. Das neue Mittel kann das veränderte Gen ausschalten, so das Leben der Patienten verlängern. Auch Bernd Timmermann und seine Kollegen vom MPI für molekulare Genetik beschäftigen sich mit Krebs, genauer gesagt mit Darmkrebs. Das Projekt heißt "Oncotrack". Die Forscher wollen Tumoren von vielen einzelnen Patienten bis ins kleinste Detail untersuchen. Irgendwann, so der Plan, soll jeder Patient, jeder Tumor noch individueller behandelt werden können.
"Wir analysieren den Tumor. Wir analysieren natürlich Kontrollgewebe. Wir analysieren Metastasen, wenn sie auftreten. Wir analysieren freie Tumorzellen im Blut. Das ist auch die Herausforderung, wir sequenzieren hier nicht ein Genom pro Patient, sondern eine Vielzahl von Genomen."
Es gibt Mutationen, die nur bei einem winzigen Teil der Krebszellen überhaupt vorkommen, die den Krankheitsverlauf aber entscheidend beeinflussen können. All diese Mutationen wollen die Forscher im Tumor aufspüren und ihre Bedeutung erfassen. Sie prüfen, ob die Gene an- oder abgeschaltet sind. Wie oft wird ein Gen tatsächlich gelesen, wie oft wird tatsächlich das entsprechende Protein gebildet. Ob in den Tumorzellen gar neue Gene entstehen – und mit welchen Folgen. Die Daten werden dann in ein hochkomplexes Computermodell eingespeist, das eigens am MPI entwickelt wurde.
"Da schließt sich auch irgendwo wieder der Kreis, denn das Erzeugen der Daten ist das eine, aber der wichtige Punkt ist die Datenanalyse. Und gerade dieses Modulationsmodell ist sehr komplex, im Grunde sind hier alle Informationen eingefüttert, die wir heutzutage über Stoffwechselwege im Krebs wissen, aber sehr viel muss natürlich auch mit Hilfe von Annahmen moduliert werden. Und das ist natürlich auch ein ständig wachsendes Modell. Je mehr Wissen wir haben, desto genauer können sicherlich auch Veränderungen der Wege moduliert werden."
An "Oncotrack" sind Institute und Pharmafirmen aus ganz Europa beteiligt. Das Projekt ist auf fünf Jahre angelegt. Ob das Datenmodell bis dahin voll funktionsfähig ist, weiß keiner.
"Letzten Endes ist dies sicherlich ein sehr mutiger Versuch, aber es ist ein Versuch, der für mich einfach in die richtige Richtung geht. Wir können nicht einfach sagen, Krebs ist uns zu komplex. Bleiben wir erstmal bei den monogenen Erkrankungen. Wir gehen hier ja auch nicht mit dem Anspruch hinein, dass wir in zwei oder drei Jahren das Problem gelöst haben. Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren ein großes Stück einfach weiter sind."
Das Wissen über die genetischen Grundlagen von komplexen Erkrankungen wächst. Dank moderner Sequenzierer und Hochleistungsrechner, die das Buch des Lebens einfach abscannen, anstatt sich Wort für Wort durchzukämpfen. Manche Firmen behaupten, mit ihren Geräten bald schon ein Genom in 24 Stunden sequenzieren zu können.
"Im Augenblick liegen wir eher bei zwei Wochen für die Analyse eines menschlichen Genoms. Ob wir wirklich innerhalb von 24 Stunden ein Genom praktisch sequenzieren können, innerhalb von einem Jahr, halte ich auch für fraglich, wir können auf wenige Tage herunterkommen,vielleicht auf zwei bis drei Tage, auch mit Probenvorbereitung, das halte ich für durchaus machbar."
Ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht. Die nächste Gerätegeneration steht schon bereit. Sie soll das Buch des Lebens noch schneller scannen, für noch weniger Geld, mit noch weniger Lesefehlern. Das Erbgut von Tausenden von Menschen wird miteinander verglichen, Buchstabe für Buchstabe, innerhalb kürzester Zeit, jede genetische Abweichung registriert. Peter Propping:
"Trotzdem bleibt im Moment das Problem, dass die Fülle an genetischen Varianten, die man findet, schwer interpretierbar ist."
Es werden immer mehr Gene entdeckt, immer mehr Varianten, auch solche die etwas mit Volkskrankheiten zu tun haben. Das Wissen darüber, wie die Gene funktionieren, wächst stetig. Doch in den Genen liegt eben auch nur die halbe Wahrheit. Ob ein Mensch mit einem hohen Risiko für Herzleiden, Diabetes oder Bluthochdruck auch wirklich krank wird, darüber entscheiden auch ganz andere Faktoren.
Umwelt
Lebensweise
Stress
Ernährung
Sport
Deshalb ist es auch so schwer zu ermitteln, wie groß der Einfluss der Gene hier tatsächlich ist. Forscher müssten Langzeitstudien mit Tausenden von Menschen machen, ihr Genom, ihre Krankengeschichte und ihre Lebensweise haarklein erfassen. Eine zweifelsfreie Gewissheit darüber, ob eine Krankheit tatsächlich ausbricht, wird es vermutlich nie geben.Propping:
"Man wird... auch wenn die gesamte Genetik für diese Volkskrankheiten verstanden ist, wird es immer nur bei Wahrscheinlichkeiten bleiben, also die Wahrscheinlichkeit, dass einer unter ganz bestimmten äußeren Bedingungen diese Krankheit entwickelt, ist dann 50, 60 oder 70 Prozent."
Das Schicksal ist also nicht unausweichlich. Im Gegenteil: Der Mensch kann es beeinflussen. Wer die Risiken kennt, kann Krankheiten gezielt vorbeugen, durch eine bessere Ernährung, durch Medikamente, oder durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen.
"Also wenn wir eine starke Neigung zu einer behandelbaren Krankheit haben, dann ist das doch vorteilhaft. Wenn wir diese Option auch nutzen können, um sie rechtzeitig zu erkennen und sie dann gegebenenfalls auch zu behandeln."
Der Blick ins Genom – irgendwann vielleicht eine ganz normale Vorsorgeuntersuchung.
Doch es gibt genetisch bedingte Krankheiten, die man weder verhindern noch behandeln kann. Die unweigerlich ausbrechen werden. Bernd Timmermann:
"Was ist mit dem Recht auf Nichtwissen. Es gibt ja einfach Erkrankungen, die wir auch in fünf und in zehn Jahren und wahrscheinlich sehr viel länger haben, wahrscheinlich immer, die wir einfach nicht heilen können. Zum Beispiel auch Early-onset-Alzheimer, da gibt es verschiedene Varianten, wo man fast mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit vor dem 43. Lebensjahr an Alzheimer erkranken wird. Wir haben aber keine Therapie. Das ist jetzt eine eher umfassende Frage, möchte man das wirklich für sich selber wissen, ja oder nein."
Es ist eine Frage, mit der man sich in Nimwegen schon heute beschäftigt. Jede Familie, die ihr Erbgut analysieren lassen will, wird sehr sorgfältig darüber aufgeklärt, dass die Genetiker theoretisch noch ein anderes Krankheitsgen finden könnten. Han Brunner:
"Entweder, sie akzeptieren den Test dann und wir erzählen ihnen, wenn wir noch etwas anders finden. Oder sie sagen, jetzt, wo ich das alles weiß, möchte ich das lieber nicht machen. Beide Antworten sind in Ordnung. Das wichtigste ist, dass der Patient informiert wird, und die Wahl hat. Unsere Erfahrung ist aber eher die, dass die meisten Eltern, die ein schwerkrankes Kind haben, sagen: 'Wir wollen den Test. Und wenn Sie noch etwas anderes finden, würde ich das gerne wissen. Dieses Nicht-Wissen hat uns so lange gequält, dass wir lieber gleich alles wissen möchten.'"
Schon in zehn Jahren, glaubt Han Brunner, könnte jeder von uns sein Erbgut sequenzieren lassen. Vollständig interpretieren können es die Genetiker dann noch lange nicht. Deshalb mache es auch keinen Sinn, das Genom einfach mal so auf gut Glück nach Krankheitsrisiken durchzurastern.
"Es wäre überhaupt nicht sinnvoll, jedes Genom zu sequenzieren und zu analysieren. Da sollten wir sorgfältig unterscheiden. Das Genom sequenzieren bedeutet nur, dass man eine Menge Buchstaben, Cs und Gs und As und Ts, in einem Computer bekommt. Und das an sich tut ja niemandem weh."
Han Brunner könnte sich das rein hypothetisch so vorstellen: Die Daten liegen an einem sicheren Ort. Analysiert wird nur nach Bedarf.
"Der Patient erkrankt an Epilepsie. Daraufhin geben beide, Patient und Arzt, ihre Pin-Nummern in einen Computer ein – um an das Genom des Patienten heranzukommen - und dazu den Suchbegriff Epilepsie. Der Computer würde daraufhin nur Informationen zu den Epilepsie-Genen ausspucken. Und der Arzt würde dann sehen, dass die Epilepsie schonmal nicht genetisch bedingt ist. Und weiß, dass es eine andere Ursache geben muss. Das wäre für mich das optimale Szenario."
Eine Genomsequenzierung für jeden. Rein technisch wird das bald schon kein Problem mehr sein. Brunner:
"Meine persönliche Meinung ist, dass es irgendwann ziemlich normal sein wird, seine Gene zu kennen."
Doch manche Menschen haben Angst davor, ihr Genom kennenzulernen. Sie habe Angst, dass sie von Versicherungen dazu gezwungen werden könnten. Angst davor, Antworten auf Fragen zu bekommen, die sie lieber nicht gestellt hätten. Jede Gesellschaft wird ihren eigenen Weg finden müssen, mit den Daten umzugehen. Wer sie in welchem Fall nutzen darf, wo sie gespeichert werden, wie das Recht auf Nichtwissen gewahrt bleibt. Der Denkprozess hat gerade erst begonnen. Die medizinische Revolution ist bereits in vollem Gange.
Siebes Eltern haben lange auf eine Antwort gewartet. Sie wissen jetzt, dass eine Mutation im PACS-1-Gen für Siebes Erkrankung verantwortlich ist. Und dass sie den Gendefekt nicht vererbt haben. Eric van Hoof:
"Wir können ihm jetzt in die Augen schauen und sagen, das ist es. Es gibt keine Fragen mehr. Das ist eine große Erleichterung für uns. Auf der anderen Seite waren wir auch unheimlich traurig. Wir hätten gerne noch ein zweites Kind gehabt. Doch jetzt ist Siebe 10, und meine Frau ist fast 40. Jetzt wollen wir kein Baby mehr bekommen wollen. Für uns kam die Antwort zu spät."