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Manuskript: Gesundheit, ein Gewinn

Erste Krebszentren locken private Investoren bereits mit dem Versprechen, man könne mit der Krankheit gut verdienen, denn Krebs bringe Ertragssicherheit durch wachsende Patientenzahlen. Kritiker fürchten, durch solche "Public-Private-Partnerships" allerdings einen grundlegenden Umbruch im Medizinbetrieb.

Von Thomas Liesen |
    "Moin, moin. So, wir müssen uns einmal hier eintragen. Hier sind teilweise Behandlungsräume. Und Sie sehen: alles noch Baustelle."

    Irgendwann in diesem Jahr soll es so weit sein. Die rohen Betonwände werden dekoriert, die Wartezimmer und Behandlungsräume mit Mobiliar eingerichtet sein. Und das Wichtigste: Ein Linearbeschleuniger zur Erzeugung von Röntgenstrahlung wird den Dienst aufnehmen und den Rohbau hier auf dem Campus der Uniklinik Kiel in ein neues, modernes Strahlentherapiezentrum verwandeln. Doch noch ist alles grau in grau und dick mit Baustaub bedeckt. Werner Hutans, der die Aufsicht über das Gebäude hat, geht weiter voran durch lange Gänge.

    "Hier geht das praktisch in den Bereich von Siemens rein."

    An dieser Stelle beginnt der etwas bizarre Teil der Führung. Der Zutritt ist ab hier verboten. Eine Hälfte gehört nämlich der Firma Siemens und die hat keine Genehmigung zur Besichtigung erteilt. Hutans:

    "Das Gebäude ist praktisch zweigeteilt. Dieser Bereich ist Siemens, das geht ja bis oben hoch."

    Wir umgehen die Siemens-Besitztümer und betreten das Foyer des zukünftigen Strahlentherapiezentrums. Und hier wieder eine Überraschung: In Reih- und Glied stehen fast drei Meter hohe, großblättrige tropischen Zierpflanzen in riesigen Blumenkübeln, wie eine Art Empfangskommittee – aber umringt von Baufolien und kistenweise leeren Kartuschen für Dichtungsmasse und Bauschaum.

    "Das ist noch von der Ursprungszeit. Das Gebäude war ja komplett fertig. Bis Siemens ausgestiegen ist. Das ganze Mobiliar war ja alles schon da. Oder ist alles schon da."

    Bereits im Herbst 2011 sollte hier eigentlich die Behandlung von Patienten beginnen, vorwiegend Krebspatienten. Alles war schon fertig. Doch dann erklärte Siemens am 14. November 2011 in einer Pressemitteilung:
    Die Arbeiten zur Errichtung einer Partikeltherapieanlage von Siemens auf Basis von Protonen und Kohlenstoffionen sollen nicht fortgesetzt werden.

    Hutans: "Oben steht ja dieses Gerät, was sie hier mal einbauen wollten oder eingebaut hatten zum Teil. Und in dem oberen Bereich, was da drüber ist, ist die dazugehörige Technik."

    Besser gesagt: Da war die Technik. Die eines der weltweit modernsten medizintechnischen Geräte. Installiert zusätzlich zur üblichen Ausstattung eines Strahlenzentrums. Eine Anlage, die Protonen und Schwerionen erzeugen sollte. Also atomare Teilchen. Und die diese Teilchen dann wie Mini-Geschosse mit äußerster Präzision auf Tumore feuern und dadurch zerstören sollte. Diese Anlage ist wieder weg. Rückgebaut, wie es heißt.

    "Das, was diese Anlage kann, oder hätte können sollen, nämlich die Behandlung mit Protonen und Schwerionen, ist sicherlich was weltweit Einmaliges, und gerade die Behandlung mit Schwerionen wäre sicherlich ein herausragendes Alleinstellungsmerkmal über Jahre hinaus gewesen."

    Professor Jürgen Dunst wäre der Chef der Anlage gewesen. Dem Direktor der Klinik für Strahlentherapie ist die Enttäuschung bis heute anzumerken. Dabei lief bis Mitte 2011 alles nach Plan. Doch dann entdeckte Siemens, dass das Gerät wohl weniger an Erlösen abwerfen wird, als gedacht. Und die Konzernspitze entschied sich, das nagelneue, 100-Millionen-Euro-Gerät abzureißen.

    "Man hätte sich auch eine Lösung vorstellen können: Wir stellen die Anlage da hin, lassen sie so stehen, verschenken sie. Das hätte man ja machen können. Letztendlich leiden die Patienten und die Wissenschaft unter einer strategischen Konzernentscheidung. Ich muss zugeben, als Arzt habe ich da nicht so viel Verständnis für."

    Das Desaster in Kiel ist das Ende einer noch vor wenigen Jahren öffentlich gefeierten, so genannten public-private-partnership. Der Deal: Mit öffentlichen Geldern errichtet und betreibt die Uniklinik ein Strahlentherapiezentrum. Siemens installiert auf eigene Kosten die Strahlenkanone und vermietet sie an die Klinik. Da Siemens einen Weltmarkt witterte, ging der Konzern sehr offensiv in das Geschäft. Rund 2500 bis 3000 Patienten pro Jahr seien behandelbar, so lauteten die Siemens-eigenen Zahlen. Doch heute steht fest: Man hatte im Konzern die Kalkulation geschönt. Bis Mitte 2011 hatten Erfahrungen mit anderen Anlagen, wie zum Beispiel in Heidelberg, gezeigt: Höchstens 1000 Patienten pro Jahr sind realistisch, mehr nicht. Man braucht mehr Zeit als gedacht, um den Partikelstrahl punktgenau auf Krebsherde auszurichten. Es drohten Verluste, zu Lasten von Siemens. Der Konzern entschied radikal und schnell: Abriss. Da nützte es auch nichts, dass die Anlage Hoffnung für viele Patienten bedeutete und neue Möglichkeiten der Krebstherapie eröffnete.

    "Sehr gute Möglichkeiten, unerwartet hohe Überlebensraten nach Tumoren, wo unter anderen Verhältnissen mit einer Überlebensrate von vielleicht drei Jahren zu rechnen ist, hat man jetzt Beobachtungszeiträume von sieben Jahren, die Patienten leben immer noch, das ist ein gewaltiger Fortschritt."

    Der Strahlentherapieexperte Prof. Jochen Dahm-Daphi. Erste Studienergebnisse zeigen: Mit Partikelstrahlen könnte eine sehr schonende Behandlung gelingen. Anders als die herkömmlichen Röntgen- oder Photonenstrahlen zerstören sie nur den Tumor, umliegendes Gewebe wird weitgehend geschont. Partikelstrahlen eignen sich daher besonders gut zum Beispiel für inoperable Hirntumoren. Aber klar ist auch: Es ist eine neue, innovative Technologie, sie muss parallel zum Betrieb weiter erforscht werden. Weiterführende Studien könnten die Begeisterung schnell dämpfen. Genau deshalb sind solche Geräte bisher meist in der Hand von Unikliniken. Dahm-Daphi:

    "Aber wenn es ein Privatunternehmen ist, das diese Geschicke in der Hand hat, die müssen anders agieren. Das hat nicht mit bösen Willen zu tun und das ist auch nicht eine schlechte Intention, sondern das ist eine Notwendigkeit."

    Der Trend ist eindeutig: Öffentliche Gelder sind knapp, der Staat, die Kommunen ziehen sich aus der Finanzierung von Kliniken und Krankenhäusern so weit wie möglich heraus und übergeben an die Privatwirtschaft. Vor gerade einmal 15 Jahren wurden in Deutschland die ersten public-private-partnerships überhaupt vereinbart. In der Medizin werden sie seitdem immer beliebter, wenn es für den Staat sonst besonders teuer würde: bei Gebäuden und Großgeräten zum Beispiel. Zur Zeit sind bundesweit 16 Großprojekte allein im Bereich Medizintechnik registriert, mit Investitionen meist zwischen 10 und 100 Millionen Euro, in Einzelfällen auch 250 Millionen und mehr. Dieses Geld stammt von Investoren und die wollen es möglichst hoch verzinst wieder sehen. Die Folge: Ärzte, aber auch Forscher geraten zunehmend in einen Dauerkonflikt zwischen Patientenwohl und wirtschaftlichen Vorgaben.

    "Also, die sind keine Gegensätze, Ökonomie und Medizin. Was sich dabei nur ganz klar herauskristallisieren muss, ist, dass die Ökonomie der Medizin dient","

    meint der Arzt und Medizinethiker Professor Urban Wiesing von der Universität Tübingen,

    ""nur scheint sich jetzt in letzter Zeit dieses Verhältnis umzukehren. Die Medizin scheint eine Dienstleistung für ökonomische Bestrebungen zu sein und das auch mit Einflussnahme auf die Medizin, und ich glaube, dann ist der Punkt gegeben, wo es gefährlich wird."

    Hamburg im beschaulichen Viertel Othmarschen. Dass der Arzt und Strahlenbiologe Jochen Dahm-Daphi den Frühling 2013 hier in seiner kleinen Wohnung statt im Labor verbringen wird, hätte er sich noch vor zwei Jahren nicht träumen lassen. Denn da kündigte er gerade seine Lebenszeitstelle an der Universität Hamburg und wurde zum Direktor des Instituts für Strahlenbiologie der Uniklinik Marburg-Gießen ernannt.

    "Das ist eine Stiftungsprofessur, die in Marburg eingerichtet worden ist, speziell mit diesem Fokus auf die Partikelforschung, dann bin ich berufen worden und habe die Stelle angetreten im Februar 2011."

    Die Basis für seine Arbeit war Marburgs brandneue Strahlenkanone, ganz ähnlich wie jene in Kiel und ebenfalls errichtet von Siemens. Und wie in Kiel war die Anlage Mitte 2011 installiert und sogar schon bereit für die ersten Patienten. Doch etwas war auch anders: Die Uniklinik Marburg-Gießen ist die erste privatisierte Uniklinik Deutschlands, geleitet vom Rhön-Konzern. Nicht nur Siemens, auch Rhön hatte an Aktionäre zu denken. Die Folgen erfuhr Jochen Dahm-Daphi aus der Presse:

    "Relativ kurz nach meinem Antritt hat dann Rhön und Siemens zusammen diese Presserklärung verlautbaren lassen, dass diese Partikeltherapie in Marburg nicht etabliert wird. Das war für mich natürlich ein großer Schock, wenn man so will…"

    ...und für Jochen Dahm-Daphi begann dann eine Zeit, die für ihn beruflich zum Albtraum wurde:

    "Nachdem es bekannt wurde, dass diese Anlage nicht betrieben wird, danach wurden die Laborräume nicht ausgebaut, die mir zugesagt wurden. Zuletzt wurden Mitarbeiterstellen nicht wieder besetzt, das war also der kontinuierliche Abbau meiner Arbeitsmöglichkeiten dort und darauf konnte ich letztlich nur reagieren, dass ich sage, dann hat es auch keinen Sinn, dass ich diese Arbeit dort durchführe und wir haben uns dann ja auch getrennt zum 1. November 2012."

    Zwischenzeitlich hieß es zwar, die Anlage solle doch weiterentwickelt werden, als Vorlage für eine Zwillingsanlage in Shanghai. Doch das ändert für Dahm-Daphi wenig: An seinen alten, von ihm selbst gekündigten Arbeitsplatz kann er nicht zurück. Und auch andere Stellen sind für den 57jährigen derzeit nicht in Sicht.

    "Ja, das ist dramatisch. Ich hatte mir vorgestellt, wenn ich so eine Stelle antrete, dann habe ich Gestaltungsmöglichkeiten, die werden aber im Wesentlichen durch diese Verhältnisse im Spannungsfeld zwischen Privatindustrie und Universität aufgerieben."

    Im Uniklinikum Marburg-Gießen ist die Strahlenkanone nicht der einzige Streitfall. Die Arbeitsbelastung sei enorm gestiegen, klagt zum Beispiel das Pflegepersonal. Aber unbeeindruckt davon empfiehlt ein aktuelles McKinsey-Gutachten Rhön jetzt sogar, noch mehr Personal einzusparen. Der Druck erhöht sich auch auf andere Klinikbereiche. So droht dem Institut für Humangenetik am Standort Gießen die Schließung mitsamt seiner Forschung, die nach den genetischen Ursachen von Krankheiten sucht. Der Grund: Man arbeite dort nicht lukrativ genug. Tatsächlich betreuen Humangenetiker viele Menschen mit eher seltenen Erbkrankheiten. Daher sind auch die Patientenzahlen vergleichsweise gering. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht noch ungünstiger: Die komplexe Beratung der Patienten erfordert viel Gesprächszeit. Und die wird schlecht honoriert. Das Aus in Gießen ist daher wohl unvermeidbar. Ist das nun die Zukunft der Medizin? Therapien werden dort entwickelt und angeboten, wo sie sich lohnen? Oder für Krankheiten, die sich lohnen?

    Frankfurt, Campus der Universitätsklinik. Direkt neben dem so genannten Brain-Imaging-Center ein nagelneues Gebäude, auf dem Schild ist zu lesen: Zentrum für Radiochirurgie. Im Keller findet sich das Gerät, auf dem die Hoffnungen der Betreiber und die der Patienten ruhen: Das so genannte Cyberknife. Es sieht aus wie ein Industrieroboter, sein langer Arm kann fast vollständig um eine Patientenliege herum fahren. Im Roboterarm sitzen zwei herkömmliche Röntgenstrahlröhren. Diese können sehr präzise auf einen Tumor ausgerichtet werden. Eine alte Technologie, aber praktisch mit neuer Zieloptik.

    "Der Patient legt sich so hin, dass der Tumor im Fokus von diesen beiden Röntgenröhren liegt. Der Roboter bewegt sich dann auf einer Kugeloberfläche mit einem Abstand von 80 Zentimeter um diesen Fokus herum und kann an verschiedenen Haltepunkten den Tumor bestrahlen und damit wird die Dosis geometrisch portioniert."

    Dr. Andreas Mack, Physiker und einer der Geschäftsführer des Hauses. Der Vorteil der dreidimensionalen Rundum-Befeuerung von Tumoren: Sie werden fast wie in einer Operation entfernt, aber ganz ohne Skalpell und Wunde. Dadurch soll das Cyberknife – so lautet zumindest das Versprechen – besonders bei schwer oder gar nicht operablen Krebsherden im Gehirn oder an der Wirbelsäule von Vorteil sein. Das Geschäft mit dieser Strahlenkanon, fällt ebenfalls in die Kategorie der politisch hoch willkommenen Partnerschaft zwischen Öffentlicher Hand und Privatwirtschaft. Die staatlich finanzierte Uniklinik konnte und wollte sich das Sechs-Millionen-Euro-Gerät nicht leisten. Um die Patienten dennoch damit behandeln zu können, ist man einen Vertrag mit dem Cyberknife-Betreiber eingegangen. Eine Art Outsourcing also, das mittlerweile durchaus üblich ist, auch in der Medizin. Dennoch ist das Finanzierungsmodell vom Frankfurter Cyberknife besonders. Andreas Mack:

    "Es ist letztendlich eigentlich ein Fonds. Es gibt einen Großinvestor und dann noch 30, 40 Kleinanleger, die Gruppe ist überschaubar, aber sind schon ein paar Leute dabei, die den großen Anteil tragen."

    Das Strahlenzentrum hat sich rein über private Investoren finanziert. Unter anderem mit Hilfe von Werbeprospekten suchte man nach Geldgebern. Im Flyer steht, man könne sich mit einer Einlage ab 5000 Euro beteiligen. Weiter ist zu lesen:

    Fonds-Highlights: Ausschüttung von 8 bis zu 10 Prozent jährlich!

    Und das ganze offenbar mit überschaubarem Risiko. Man erwarte...

    Ertragssicherheit!

    Der Grund:

    Krebserkrankungen sind in großer Zahl mit wachsender Tendenz präsent!

    Krebs als Renditeobjekt, Krankheit als Ware? Professor Urban Wiesing, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte für Medizin in Tübingen, kennt den Prospekt.

    "Hier geht es ja darum, Kapitalgeber zu finden. Und diese Kapitalgeber haben ein Interesse, ihr Kapital dorthin zu geben, wo es sich lukrativ verzinst. Das ist der einzige Grund, warum die das machen. Und entsprechend wird der Prospekt für die Kapitalgeber darauf fokussieren. Als Arzt ist mir diese Denkweise fremd."

    Die Broschüre hält obendrein noch ein besonderes Bonbon für die Anleger bereit. Gelb hervorgehoben prangt der Hinweis im Prospekt:

    Bevorzugte Behandlung im Krankheitsfall für Anleger und dessen Familie!

    Wiesing: "Ich fand das sehr befremdlich, ich fand es auch merkwürdig, dass dann gleich versprochen wurde, dass Familienmitglieder bevorzugt behandelt werden für den Fall, dass sie zum Beispiel an Krebs erkranken. Aber das ist eben die unterschiedliche Denkweise zwischen der Ökonomie und den Ärzten."

    Mit der versprochenen Vorzugsbehandlung begeben sich die Cyberknife-Betreiber in eine rechtliche Grauzone. In Grundsatzurteilen haben Gerichte mehrfach betont, dass die ärztliche Unabhängigkeit gewahrt werden muss. Die Behandlung von Patienten soll nach medizinischer Dringlichkeit erfolgen. Und nicht nach Kriterien wie der Höhe einer Geldeinlage. Geschäftsführer Andreas Mack versucht denn auch mittlerweile, sich zu distanzieren.

    "Das war mal eine Idee, die ist aber nie umgesetzt worden und das ist auch völlig vom Tisch."

    Allerdings: Der Prospekt ist immer noch unverändert im Netz zu finden. Das habe aber keine Bedeutung, meint Andreas Mack.

    "Es ist ganz bewusst hier in der Struktur so angelegt, dass die Investoren kein Mitspracherecht haben, was Patienten, Indikationsstellung angeht. Es darf kein Druck ausgeübt werden, dass wir unter wirtschaftlichem Druck Patienten bestrahlen müssen, ganz sicher so."

    Dennoch fürchten Medizinethiker wie Urban Wiesing, dass solche Geschäftsmodelle Teil einer neuen Kultur sind: Kliniken und Behandlungszentren erfüllen Renditeerwartungen.

    "In dem Augenblick, wo die Medizin dazu genutzt wird, um dieses Kapital zu vermehren und vor allen Dingen dann Einfluss auf die Medizin genommen wird, dann, glaube ich, verkaufen wir den Grundgedanken der Medizin."

    Wir haben auch den Direktor der Klinik für Strahlentherapie der Uniklinik Frankfurt um ein Interview gebeten. Denn die Uniklinik hat sich vertraglich an das Cyberknife-Zentrum gebunden und liefert die Patienten zu. Wie steht man zu den Renditeerwartungen des Vertragspartners? Und wie zu einer zumindest einmal geplanten Vorzugsbehandlung? Wie ist gewährleistet, dass die Behandlung der Patienten weiter rein nach medizinischer Dringlichkeit erfolgt? Leider wollte er sich zu diesen Fragen nicht öffentlich äußern.

    "Hier sollten wir vielleicht nicht unbedingt durchlaufen. Es könnte sein, dass wir erschlagen werden."

    Derweil läuft hinter verschlossenen Türen der Abriss der Strahlenkanone in Kiel weiter. Und die Zukunft der Protonenanlage in Marburg ist ungewiss. Beide Anlagen sind an Universitätskliniken mit ihrem Forschungs-Know-how geplant worden, denn es war von Anfang an klar: Es gibt noch viele offene Fragen, daher muss die Behandlung von Patienten wissenschaftlich begleitet werden. Mit ungewissem Ausgang, möglicherweise wird sich die Behandlung langfristig sogar als ineffektiv herausstellen. Doch die Zeiten der zunehmenden public-private-partnerships sind auch die Zeiten der Investoren. Und die scheuen unkalkulierbare Risiken. Das hat ganz grundsätzlich Einfluss auf die medizinische Forschung, fürchtet Jochen Dahm-Daphi:

    "Wenn man einen neuen, originellen Gedanken hat, dann weiß man wirklich nicht, was hinten dabei rauskommt. Und das ist der essenzielle Charakter der Wissenschaft. Und wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, dass das auch weiterhin gewährleistet ist. Die Forschung, die sagt: Ich beschreibe ein wunderbares Forschungsprojekt, ich weiß am ersten Tag, was hinten rauskommt, es werden Projekte formuliert, die vielleicht schon fertig beforscht sind, für die wird ein Forschungsantrag gestellt, wir haben das Ergebnis schon. Wir müssen die Zahlen nur noch einsetzen, die liegen schon in der Schreibtischschublade. Aber wir kriegen eine Finanzierung dafür. Diese Tendenz breitet sich aus. Und das ist natürlich nicht mehr sehr innovativ und sehr kreativ."

    Die Forschung in der Medizin wird mittlerweile fast ausschließlich über so genannte Drittmittel finanziert, also über Geldgeber von außen. Noch im Jahre 2002 war die durchschnittliche Höhe dieser Gelder 230.000 Euro pro Medizinprofessor. 2010 waren es schon über 530.000 Euro. Wenn es um die Entwicklung neuer Medikamente geht, stammt das Geld häufig aus der Pharmaindustrie. Und die verknüpft mit ihrer Finanzierung von Universitätsforschung naturgemäß Erwartungen. Solche Pharmaforschung läuft mitunter ebenfalls als public-private-partnership. Wie zwischen der Universität Köln und dem Pharmariesen Bayer.

    "Da bin ich der Initiator gewesen vor zehn Jahren, und jetzt ist daraus eine wunderbare Zusammenarbeit geworden, dass Ideen, die die Kliniker haben, oder auch bei uns die theoretisch arbeitenden Forscher, gemeinsam besprochen werden mit der Firma Bayer. Die Firma Bayer hat dann aber auch eigene Forschungsanträge, jetzt im Augenblick auf dem neurologischen Gebiet, und da haben wir solche Verträge gemacht, dass die Firma Bayer sich zuerst an uns wendet, wenn sie so ein Forschungsmodell hat und dass wir das prüfen und dass wir gemeinsam so ein Projekt durchführen."

    Professor Erland Erdmann, Kardiologe und mittlerweile von seinem Posten als Direktor des Herzzentrums der Uni Köln emeritiert, hält den Vertrag mit Bayer für ein Vorzeigemodell in Sachen Forschungsfinanzierung.

    "Wir sind stolz darauf, dass wir diese partnership nach Köln geholt haben und daraus auch für den Fortschritt der Medizin an diesem Standort Köln Vorteile ziehen."

    Die Kooperation mit Bayer bezieht sich vor allem auf die Krebs- und die Herzforschung – Bereiche, die viele Patienten betreffen und daher für Bayer ökonomisch interessant sind. Doch nicht alle sind vorbehaltlos begeistert von dieser Zusammenarbeit. Eine kleine Nichtregierungsorganisation, vor über 30 Jahren als Bürgerinitiative gegründet, wurde auf den Vertrag aufmerksam.

    "Wir haben aus dem Medien einfach von der Unterzeichnung des Vertrages erfahren zwischen der Universität und Bayer. Und das haben wir nur zum Anlass genommen, um eine ganz kurze Anfrage an die Universität zu richten, wo wir nur gefragt haben: Wie wird die Forschungsfreiheit gesichert, wer sucht die Forschungsgebiete aus? Wie wird die Publikationsfreiheit sichergestellt? Gibt es eine negative Publikationsfreiheit, also: Was passiert mit Ergebnissen, die nicht so den Wünschen entsprechen? Was ist mit den Patienten, wer profitiert davon? Also alles naheliegende Fragen haben wir an die Universität gestellt. Und da haben wir einen Zweizeiler zurückbekommen: Alles Betriebsgeheimnis, keine Antwort."

    Philipp Mimkes ist Physiker und Vorstandsmitglied der Coordination gegen Bayer-Gefahren, kurz CBG, ein pharmakritischer Verein, der es sich anfangs darum kümmerte, Störfälle bei Bayer aufzudecken. Mittlerweile hat sich die CBG einen Namen gemacht, weil sie hartnäckig als eine Art Bayer-Watch fungiert. Diese CBG also wollte Details zum Vertrag zwischen Bayer und der Uni-Köln wissen. Erland Erdmann und seine Kollegen reagierten erst einmal abwehrend.

    Erdmann: "Ich möchte natürlich niemandem zu nahe treten, in unserem Land hat jeder das Recht, eine andere Meinung zu haben, also auch, dass eine public-private-partnership vielleicht nicht so gut ist."

    Mimkes: "Wir sind nicht prinzipiell gegen eine Forschungskooperation. Aber die Bedingungen müssen transparent sein und die Öffentlichkeit muss eine Möglichkeit haben, über diese Bedingungen mit zu diskutieren. Aktuell haben wir diese Möglichkeit ja nicht, weil die Kooperationsdetails nicht transparent sind."

    Und darum geht es: Der Vertrag ist geheim. Was Bayer darf, ob die Firma die Forschung an der Uni beeinflussen kann – niemand weiß es derzeit. Tatsache ist aber: Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Firmen massiv Einfluss nehmen. Mimkes:

    "Das ist aber eine Logik, der sich Universitäten und andere wissenschaftliche Einrichtungen nicht unterwerfen sollten. Die Universitäten sollten der Wissenschaft, der Wahrheitssuche dienen, und da sind auch negative Ergebnisse – also auch wenn ein Präparat nicht wirkt, sind das ja auch Erkenntnisse, die dem wissenschaftlichen Fortschritt dienen und die veröffentlicht werden sollten."

    Phillip Mimkes reichte daher stellvertretend für die CBG Klage beim Verwaltungsgericht Köln ein mit dem Ziel, Einsicht in den Kooperationsvertrag zu bekommen. Unterstützt wurde er dabei vom Landesdatenschutzbeauftragten in NRW. Kardiologe Erland Erdmann ist dagegen strikt gegen eine Veröffentlichung des Vertrags:

    "Darüber habe ich auch lange nachgedacht, ob man das tun sollte. Aber das geht ja weiter. Wenn heute jemand fordert: veröffentlicht dies – dann wird er morgen das nächste und übermorgen das nächste verlangen und in einem halben Jahr schaut er dann in meine Laborbücher rein. Und da habe ich mir damals gesagt: Nein, das machen wir nicht, sondern das ist wie in allen Dingen, es gibt dafür Gremien in der Universität."

    Erdmann sieht also nicht durch die Industriefinanzierung, sondern durch eine mögliche Transparenz der Vertragsdetails seine Forschungsfreiheit bedroht. In erster Instanz sah es das Gericht ähnlich. Die Klage der CBG wurde daher im Urteil vom 6. Dezember 2012 abgewiesen. Die CBG ist in Berufung gegangen. Doch Erland Erdmann hat ohnehin ein reines Gewissen:

    "Ich würde niemals mir vorschreiben lassen, was ich veröffentlichen darf und was nicht."

    Dennoch - zahlreiche Untersuchungen belegen: Andere industriefinanzierte Wissenschaftler lassen in großem Umfang Studien auf Druck von Geldgebern unveröffentlicht. Diese Geldgeber bestimmen auch die Richtung, in die geforscht wird. Denn es gibt eher Forschungsförderung für einen weiteren Cholesterinsenker als für ein Medikament gegen eine afrikanische Tropenkrankheit. Diesen Trend kritisiert jetzt auch Transparency International. Die Anti-Korruptionsorganisation will im Internet veröffentlichen, welche Universitäten public-private-partnership-Verträge mit der Industrie abgeschlossen haben. Dass diese Verträge mitunter geheim sind, finden dabei auch Wissenschaftler fragwürdig:

    "Das darf nicht geheim bleiben. Ich bin völlig für Transparenz. Der Vertrag muss so gestaltet sein, dass die Doktorierenden, auf denen die Last des Labors liegt, wenn ich das mal so sagen darf, die müssen die Garantie haben, dass sie ihre Ergebnisse publizieren dürfen."

    Professor Gerd Folkers ist Pharmazie-Professor an der renommierten ETH Zürich. Wenn Firmen verlangten, dass die Kooperationsdetails geheim bleiben sollen, dann dürften öffentlich finanziert Forschungsstätten solche Verträge nicht mehr eingehen, so seine Überzeugung. Gerd Folkers sieht aber auch aus einem anderen Grund die zunehmende Abhängigkeit der medizinischen Forschung von Industriegeldern kritisch. Denn industriefinanzierte Forschung soll möglichst schnell vermarktbare Ergebnisse liefern. Seine vielleicht auf den ersten Blick überraschende These: Gerade deshalb sei sie ineffektiv.

    "Die Definition von Forschung ist ja, dass sie auf das Unerwartete abzielt. Und insofern hat die Forschung natürlich Probleme damit, wenn jemand projektorientiert mit einer bestimmten Zielvorgabe kommt. Innerhalb eines festgeschriebenen Projektes haben Sie bestimmte Pfadabhängigkeiten, das heißt: Sie müssen, um das Ziel zu erreichen, ganz bestimmte Wege gehen. Sie können sich aus Effizienzgründen – und die Effizienzkriterien sind in der Forschung extrem hoch geworden – praktisch keine Umwege mehr erlauben. Im Sinne einer Forschung, die Überraschendes, Neues bringen soll, die andere Ansätze bringen soll, wäre es natürlich entscheidend, wenn Sie Umwege machen können."

    Tatsächlich wurden einige der umsatzstärksten Medikamente überhaupt, ob Aspirin oder Viagra, völlig zufällig entdeckt. Offensichtlich ist auch: Die Industrie hat zur Zeit größte Schwierigkeiten, wirklich neue Medikamente auf den Markt zu bringen. Möglicher Grund, sagt Gerd Folkers: Gerade die Marktorientierung. Ein Forscher kann es sich kaum leisten, auch mal zwei oder drei Laborjahre vergeblich zu experimentieren. Also tummeln sie sich auf ausgetretenen Pfaden. Durchbrüche, Sensationelles oder ganz einfach nur ein Medikament, das ganz anders funktioniert als die abertausend Variationen immer gleicher Wirkstoffe – das ist so schwer zu erreichen. Folkers:

    "Es gibt da diesen netten Spruch: Wer Umwege macht und nicht direkt auf sein Ziel losgeht, kennt in der Regel die Umgebung besser. Und das ist für Forschung eigentlich eine essenzielle Grundlage."

    "Und wir müssen uns daran erinnern, wenn man sich das historisch anschaut, ein Großteil des wissenschaftlichen Fortschritts neuer Präparate ist ja an öffentlich finanzierten Forschungsstätten entdeckt worden. Und das ist in Gefahr, wenn das rein ökonomischen Interessen unterworfen ist","

    sagt Philipp Mimkes. Und der Medizinethiker und Arzt Urban Wiesing hat zusammen mit Kollegen ein Manifest verfasst, das etwas eigentlich Selbstverständliches fordert: eine "menschliche Medizin". Es liefe etwas schief, wenn Patienten nicht mehr darauf vertrauen können, dass Ärzte, Klinikchefs oder Forschungseinrichtungen in erster Linie das Patientenwohl im Blick haben.

    ""Wir müssen uns dessen besinnen, was die Medizin eigentlich soll. Sie ist keine Disziplin, die vorrangig dazu da ist, vorhandenes Kapital zu mehren. Sondern hat eine genuine Aufgabe, kranken Menschen zu helfen. Und wenn sie diese Aufgabe aus den Augen verliert, dann ist sie eben nicht mehr die Medizin."