1:50 Minuten. Solange braucht in Augsburg die Straßenbahn vom Zentrum des Uni-Campus bis zur Großbaustelle. Hier soll bald ein weitläufiger Innovationspark den Studierenden neue Karrierechancen eröffnen. Doch bei vielen löst er vor allem Unbehagen aus.
"Die Befürchtung ist, dass extrem viele Firmen, die mit militärischer Forschung zu tun haben, dort tätig sein werden, und die Universität dann in die militärische Forschung eingebunden wird."
Kevin Ansorg, der im Allgemeinen Studentenausschuss Asta die Interessen der Studierenden vertritt, lässt seinen Blick über die Landschaft aus Rohbauten und Kränen schweifen. Wird die Entwicklung von Kampfflugzeugen und Rüstungsgütern bald zum regulären Studienangebot der Universität Augsburg gehören? Oder ist die viel beklagte "Militarisierung der Hochschulen" am Ende nur eine alarmistische Verschwörungstheorie? Es fehlt an Informationen. Stattdessen gibt es Gerüchte, die von geheimen Forschungsprojekten handeln.
"Du, Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!" Der Kriegsheimkehrer Wolfgang Borchert schrieb die berühmten Verszeilen im Jahr 1947: eine bittere Anklage an eine Wissenschaftlergeneration, die ihre Arbeit allzu bereitwillig in den Dienst des Menschen verachtenden Nazi-Regimes gestellt hatte. "Nein" sagen zur Rüstungsforschung – das prägt seitdem das Selbstverständnis vieler deutscher Wissenschaftler. Heute drängen Drohnen und andere computergesteuerte Systeme in die Kriegsführung: Schon wieder ein neuer Tod gegen das alte Leben. Diesmal kommt der Protest aus den Reihen der Studierenden: Welchem Zweck dienen die Forschungsprojekte, an denen sie sich beteiligen sollen, fragen sie argwöhnisch. "Zivilklausel" heißt das Zauberwort, das einer schleichende Militarisierung der öffentlichen Forschung und Lehre Einhalt gebieten soll: die Selbstverpflichtung der Hochschulen, nur für zivile Zwecke zu forschen. Doch das wirft neue Fragen auf: Ist militärisch relevante Forschung tatsächlich so unmoralisch, dass sie an Universitäten nichts zu suchen hat? Rein rechtlich spricht nichts dagegen: Das Grundgesetz garantiert die Freiheit von Forschung und Lehre. Niemand – und schon gar nicht der Staat – darf einem Wissenschaftler befehlen, woran er forschen darf und woran nicht.
Mathevorlesung in Augsburg. Die Universität ist eine von 21 deutschlandweit, an denen Initiativgruppen für die Einführung einer Zivilklausel kämpfen. Im vergangenen Jahr wurde während einer studentischen Vollversammlung abgestimmt: Die große Mehrheit war dafür. Doch die Veranstaltung war schlecht besucht, und das Votum nicht bindend. Die Debatte geht also weiter. In der Fachschaft für Mathematik, berichtet Michael Neumann, prallen die Interessen besonders hart aufeinander. Hier, wo mit einiger Wahrscheinlichkeit tatsächlich militärisch relevante Forschungsprojekte locken könnten, stehen die Zivilklausel-Befürworter mit dem Rücken zur Wand.
"Da haben sich dann einige aus der Fachschaft dafür ausgesprochen: 'Zivilklausel? Nein, aus dem und dem Grund.' Wir haben damals auch ein paar Pro- und Contra-Punkte aufgestellt gehabt. Daraufhin hat eine Person aus der Fachschaft gemeint: 'Ja, wenn ihr das so seht, dann will ich mit euch nichts mehr zu tun haben. Ich will nicht mehr in der Fachschaft sein, ich gehe jetzt.'"
Es ist eine sehr deutsche Debatte, die da gerade an den Lehrstühlen ausgefochten wird, mit langer Tradition. Im Jahr 1957 stemmten sich berühmte Kernforscher mit dem so genannten "Göttinger Appell" erfolgreich gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen. 1984 erklärten Wissenschaftler und Techniker in der "Darmstädter Verweigerungsformel", dass sie sich nicht an einer Entwicklung militärischer Güter beteiligen würden. Zwei Jahre später setzte die Universität Bremen ein Zeichen: Sie führte die erste Zivilklausel Deutschlands ein. Und vor zwei Jahren, als Verstöße bekannt wurden, hat Bremen die Debatte um Krieg und Frieden am Campus unfreiwillig wiederbelebt. Bis heute haben sich immerhin 12 Universitäten offiziell dazu bekannt, nur friedliche Forschung an ihren Lehrstühlen zu dulden. Tendenz: steigend. Die Augsburger Studentin Stefanie Glock unterstützt die Zivilklauselbewegung, weil sie dem neuen Innovationspark vor den Toren ihrer Universität nicht über den Weg traut. Aber auch sonst, sagt sie, gehen bei ihr immer öfter die Alarmglocken los.
"Bei Meldungen wie: Deutschland liefert wieder wer weiß wieviel hundert Panzer nach Saudi-Arabien. Oder es wird nachgedacht über einen Drohnenkrieg. Das sind solche Sachen, wo viele Leute doch wieder anfangen, sich Gedanken zu machen über die Rolle, die Deutschland spielt. Das ist nicht auf die Universitäten begrenzt. Ich glaube, es gibt allgemein ein bisschen Unbehagen in der Gesellschaft, wenn man solche Sachen hört im Radio."
Tübingen am Neckar. Die Universität gehört zu den ältesten Deutschlands, ihre Institute prägen das Stadtbild. "Forschung und Studium sollen friedlichen Zwecken dienen", konstatiert seit Anfang 2010 die Präambel der Grundordnung. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist die Eberhard-Karls-Universität in die Kritik der Zivilklausel-Bewegung geraten. Lautstarke Proteste gab es vor zwei Jahren gegen die Honorarprofessur von Wolfgang Ischinger, der in Tübingen Vorlesungen über internationale Krisendiplomatie hält. Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz gilt vielen als Wegbereiter einer militaristischen Außenpolitik. Das Ringen um Krieg und Frieden am Campus, das an anderen Hochschulen – wenn überhaupt - verschämt hinter vorgehaltener Haus ausgetragen wird, hat in Tübingen schon zu Trillerpfeifen-Boykotts geführt.
"Auf der Morgenstelle" ist der Name einer kleinen Anhöhe am nördlichen Stadtrand. Im nüchternen Institutsgebäude der biologischen Fakultät hat der Lehrstuhl für Kognitive Neurowissenschaft seine Räume. Hier, schwebend auf vier rotierenden Drehflügeln, sucht sich ein wagenradgroßer Quadrocopter seinen Weg zwischen Büromöbeln und Laborgerät. Er gehört zu einem EU-Forschungsprojekt zum Thema Mikro-Drohnen.
"Eigenbewegungsschätzung und Hindernisvermeidung aus dem optischen Fluss. Aus den Kamerabildern, wenn jetzt irgendein Hindernis ins Bild kommt, dass man das automatisch erkennt, und dann ausweichen kann. Ein Problem ist zum Beispiel die Größe von Hindernissen. Wenn der jetzt an einer Hochspannungsleitung vorbeifliegt, ist ein Kabel sehr dünn, dann hat man man Probleme, das zu detektieren."
Professor Hanspeter Mallot leitet in Tübingen das Projekt. Er erforscht, wie die Gehirne von Menschen und Tieren Bildinformationen verarbeiten, um eine kollisionsfreie Bewegung im Raum zu ermöglichen – Grundlagenforschung, die unter anderem wertvoll ist für die Programmierung von Robotern und Drohnen. Drohnen, unbemannte Flugobjekte, können Industrieanlagen überwachen, in eingestürzten Gebäuden selbstständig nach Verletzten suchen, oder Lageberichte aus verseuchten Gebieten schicken. Sie könnten aber auch in Höhlen mutmaßliche Terroristen jagen, oder gar in selbstständig interagierenden Schwärmen eine neue Ära der Kriegsführung einläuten – und das ist ein Horrorszenario, welches das Wort "Drohne" zum Reizwort gemacht hat. Allein deswegen, glaubt Mallot, sei sein Projekt in die Kritik der Zivilklausel-Bewegung geraten – zu Unrecht.
"Es ist erstens keine Militärforschung. Und zweitens ist das ein Projekt - da gibt es ja einen Vertrag der Universität Tübingen mit der EU. Dieser Vertrag ist von der Universität geschlossen, vom Kanzler unterschrieben, und da steht drin, was gemacht werden soll. Das Geld kommt von der EU, und wir publizieren so viel wir können."
Projektförderung mit EU-Mitteln und das konsequente Publizieren der Forschungsergebnisse – das sind mehr als genug Nachweis für die zivile Ausrichtung eines Forschungsprojektes, glaubt Mallot. Und für Moraldebatten über die Legitimität von Landesverteidigung hat er ohnehin kein Verständnis.
"Wenn Sie direkte Kriegswaffenentwicklung haben, das ist eine Sache, wo ich selber persönlich mich vielleicht auch nicht dafür begeistern würde. Aber auch da muss ich sagen: Wenn der Staat sich eine Armee leistet, und es steht im Grundgesetz, dass er das darf, und das finde ich auch richtig, dann können die Forschungseinrichtungen eigentlich nicht sagen: Wir entwickeln Euch aber keine Ausrüstung. Das finde ich unehrlich. Ich finde diese ganze Debatte unehrlich. Weil die Universitäten keine höherstehende Moral haben als beispielsweise der Bundestag. Wenn der Bundestag sagt: Ich schicke jetzt eine Armee nach Afghanistan, dann kann ich nicht doch sagen, das ist unmoralisch. Kann ich schon sagen, aber ich finde es nicht unmoralisch. Ich stehe da tatsächlich hinter dieser Entscheidung."
Kritik aus der Zivilklausel-Bewegung erntete das Mikrodrohnen-Projekt vor allem wegen eines seiner Industriepartner: Der Konzern Thales entwickelt Systeme für die zivile Sicherheit, aber auch Rüstungsgüter. Betriebswirtschaftlich gesehen ist das nachvollziehbar: In ihrer Informations- und Kommunikationsstruktur unterscheidet sich moderne Sicherheitstechnik kaum mehr von Waffentechnik. "Dual Use" – doppelte Verwendbarkeit – werden Basis-Technologien genannt, die im zivilen wie auch im militärischen Bereich relevant sind. Genau diese Grauzone jedoch, kritisieren Vertreter der Friedensbewegung, bietet Schlupflöcher für militärische Interessen bei öffentlichen Forschungsvorhaben mit unverdächtig klingenden Titeln.
Der Tag ist regnerisch. Darum findet der "Kritische Stadtrundgang" durch Tübingen, zu dem Christoph Marischka und Andreas Seifert eingeladen haben, per Auto statt. Sie vertreten die Nichtregierungsorganisation "Informationsstelle Militarisierung", die in den 90er-Jahren von Absolventen der Tübinger Universität gegründet wurde. Die Fahrt startet "An der Morgenstelle". Hier hat nicht nur der Lehrstuhl von Professor Mallot seinen Sitz. Auch das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung betreibe hier militärisch verwertbare Projekte, sagt Marischka. Für ihn beginnt die Militarisierung der Hochschulen keineswegs erst dann, wenn Seminare den Bau von Panzern und Killer-Drohnen zum Thema haben. Mehr als das fürchtet der junge Tübinger einen schleichenden Prozess, der nicht selten mit einem Forschungsprojekt zur "zivilen Sicherheit " beginnt – sei es ein EU-Projekt, das unter das "Forschungsrahmenprogramm Sicherheitstechnik" fällt, sei es die Mikrodrohnen-Forschung am Lehrstuhl von Professor Mallot.
"Zu dem Sicherheitsforschungsprogramm gibt es mittlerweile von der Generaldirektion des Rates einerseits, vom Europäischen Parlament andererseits, verschiedene Studien, aus den Institutionen selber, die mittlerweile eingeräumt haben, dass die eindeutig zu militärisches Gepräge haben. Und wenn ich dann höre, dass ein Wissenschaftler, dass der das nicht erkennt und nicht versteht, wie er in so eine Debatte reingezogen werden kann, obwohl der mit Rüstungsunternehmen zusammenarbeitet, die militärische Drohnen herstellen, weil er ja scheinbar nur an zivilen Drohnen forscht, dann finde ich das viel sagend. Und dann sind wir eigentlich auch ein bisschen beim Kern des Problems angekommen."
Die Fahrt führt vorbei an Instituten der Universitätsklinik. Für die Bundeswehr seien nicht nur wehrmedizinische Projekte interessant. Auch Fragen der Logistik, Überwachung und Aufklärung durch autonome Systeme spielten inzwischen eine zentrale Rolle. Und die basierten auf Informationstechnologien, sagt Marischka, die auch auf dem boomenden Markt der zivilen Sicherheit gefragt sind.
"Meiner Meinung nach gibt es keinen klaren Unterschied zwischen der zivilen Sicherheit und der militärischen Sicherheit. Wenn wir uns militärische Einsätze anschauen, die zielen mittlerweile ausschließlich auf die Zivilbevölkerung, darauf, einzelne Störer – Terroristen, Piraten, - aus der Zivilbevölkerung zu erkennen und gezielt zu bekämpfen. Und insofern ist die Sensorik und Informationsverarbeitung zum Knackpunkt der Rüstungsindustrie geworden."
Rüstungsforschung, die sich hinter einer Fassade von Sicherheitsforschung versteckt – könnten Zivilklauseln ein geeignetes Gegenmittel gegen diese Art von Mimikry sein? Nein, fürchtet Andreas Seifert. Jedenfalls nicht, solange sie nur eine Zeile in der Grundordnung einer Universität sind.
"Auch Hochschulen mit Zivilklausel haben bisher nicht den Eindruck erweckt, als würden sie irgendwelche Forschungsprojekte deswegen stoppen. Die werden einfach weitermachen. Die werden so friedlich gestaltet, dass sie dann auch wieder durchgehen, aber der kritische Aspekt dadrin wird eben auch ausgeblendet."
Können Zivilklauseln etwas ausrichten, gegen die großen Entwicklungen, die heute Politik und Wissenschaft bestimmen? Kriege, die nicht gegen feindliche Staaten geführt werden, sondern gegen verdächtige Einzelpersonen in einer Menschenmenge; Waffensysteme, die nicht von Soldaten bedient werden, sondern von Programmierern; Wehrtechnik, die nicht der Landesverteidigung dient, sondern dem Exportgeschäft; Professoren, die ihre Projekte nicht aus Forschungsinteresse akquirieren, sondern aus Finanzierungsgründen? Ja, Zivilklauseln können etwas ausrichten, sagt Regina Ammicht-Quinn, Professorin am Lehrstuhl für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen - sofern sie nicht kategorisch eine rote Linie ziehen zwischen Gut und Böse. Dann, sagt sie, könnten sie eine Steilvorlage sein für notwendige Streitgespräche und klärenden Gedankenaustausch.
"Es ist die Verantwortung jedes Wissenschaftlers und jeder Wissenschaftlerin, dass sie wissen, was sie tun. Und um zu wissen was man tut, glaub ich, bedarf es, glaube ich, ein bisschen noch der Reflektion über das Alltagsgeschäft hinaus. Und es gibt viele, viele, die das tun, auch viele Menschen, die wir in den technischen Bereichen kennen, Technikentwickler, Ingenieure, Informatiker, die durchaus offen sind für diese Frage, und die dankbar sind, wenn man diese Frage auch mal im beruflichen und öffentlichen Umfeld anspricht, und das nicht etwas ist, was die dann zuhause mit ihrem Nachttischchen verhandeln müssen."
Wissen, was man tut – die Voraussetzung jeder verantwortungsbewussten Forschung. Doch gerade in diesem sensiblen Bereich fehlt es an Informationen, wer welche Forschungsprojekte mit welchen Interessen finanziert. Auf bundespolitischer Ebene hat bislang allein die Linke Partei das Thema aufgegriffen, und wiederholt Anfragen an Bund und Landesregierungen gestellt. Ergebnis: An mindestens 47 deutschen Hochschulen hat das Bundesverteidigungsministerium in den vergangenen zehn Jahren Drittmittel vergeben. Die Summe hat sich in diesem Zeitraum von 2,5 Millionen auf insgesamt rund 4,5 Millionen erhöht. Welche Art Forschung das Ministerium damit finanziert, das unterliegt in vielen Fällen dem Geheimschutz: Veröffentlicht werden die Projekt-Titel meist nur dann, wenn sie aus den Bereichen Wehrmedizin oder Sicherheit stammen. Weitere 49 Millionen Euro jährlich investiert das Bundesforschungsministerium in Projekte der zivilen Sicherheitsforschung. Diese Forschung tätigen die Hochschulen nicht selten in Kooperation mit Privatunternehmen, die auch im Rüstungssektor zuhause sind.
"Das ist der Tiger!"
Der "Tiger": ein Kampfhubschrauber aus dem Hause Eurocopter. Er ist ausrüstbar mit Maschinenkanonen und unterschiedlichen Raketensystemen. Er ist einsatzerprobt in Afghanistan, und begehrt in Australien und Spanien. Gerade zieht er über Ottobrunn seine Kreise. Hier, südöstlich von München, hat die Deutschlandzentrale von EADS ihren Sitz. Europas größter Luft- und Raumfahrtkonzern ist gleichzeitig die Nummer zwei auf dem Markt für Rüstungsgüter. Ein Mann, geschäftsmäßig gekleidet in Sakko und Schlips, lässt seine Blicke über das weitläufige Betriebsgelände schweifen. Hier wird sich in den kommenden Monaten vieles verändern.
"Das ist der Hubschrauberlandeplatz von Eurocopter, hier am Standort Ottobrunn, schon seit vielen vielen Jahrzehnten. Die Kollegen von Eurocopter ziehen im Laufe dieses Jahres nach Donauwörth, und die frei werdenden Flächen, die werden wir dann zukünftig als Campus nutzen."
Das "Campus": So nennt Alexander Mager das neue Großprojekt, dessen Leiter er ist. 60 Millionen Euro plant sein Konzern auszugeben für einen Lehr- und Innovationspark mit dem Arbeitstitel "Bavarian International Campus Aerospace and Security", kurz: Bicas. Insgesamt sollen 150 Millionen Euro zusammenkommen, gestiftet von mehreren Industriepartnern und dem Freistaat Bayern. Wo jetzt noch Eurocopter-Modelle entwickelt werden, sollen künftig komfortable Hörsäle und gut ausgestattete Laboratorien die Studierenden anlocken. Wer technikbegeistert und überdurchschnittlich begabt ist, soll hier - inmitten von weitläufigen Grünanlagen und bei persönlicher Betreuung durch erfahrene Ingenieure, seinen Master of Science erwerben können:
Eine Glastür, deren speziell designter Sound der Science Fiction-Serie "Raumschiff Enterprise" nachempfunden ist, leitet den Besucher in den "Show-Room". Hier kann man einen Blick in die Zukunft der Luftfahrt tun: Kerosin aus Algen, geräuscharme Antriebe, Leichtbautechnik mit Kohlefaser-Verbundstoffen – Zukunftstechnologien der Luftfahrt, die auch die Studierenden einmal beschäftigen sollen. Der EADS wird der Campus spezifisch ausgebildeten Ingenieursnachwuchs und frische Ideen für marktfähige Innovationen bringen, hofft Detlef Müller-Wiesner, der den Bereich Geschäftsentwicklung und Forschung leitet. Und den beteiligten Münchener Hochschulen - der Technischen Universität, der Hochschule und auch der Bundeswehruniversität - mehr Praxisbezug bei moderner Hightech-Ausstattung. Vorteile für alle Beteiligten: Das, sagt Müller-Wiesner, ist die Grundidee des Campus.
"Wird sind ja nicht allein in Deutschland, sondern befinden uns im internationalen Wettbewerb. Und haben Überlegungen angestellt, die ganz einfach angefangen haben. OK, wie wäre es denn, wenn ein Institut der Technischen Universität München, das ein Platzproblem für seine Labore hat, wenn man da eigentlich zusammengehen würde, an einer Stelle? Und praktischerweise mal umgekehrt: Nicht die Industrie geht zur Universität, sondern umgekehrt: Die Hochschule kommt zur Industrie."
Ein universitärer Campus auf dem Betriebsgelände eines Konzerns – das ist tatsächlich neu. Die Industrie kofinanziert die neuen Studiengänge, der Freistaat Bayern setzt die wissenschaftlichen Schwerpunkte und segnet die neuen Studiengänge ab. Innovationen sollen von der Idee bis zur Marktreife finanziert und begleitet werden, betont Müller-Wiesner.
"Das ist nicht so: Die Industrie entscheidet hier etwas. Das machen wir da, wo wir unser eigenes Geld einsetzen. Aber damit nehmen wir ja anderen kein Geld weg. Und deswegen kommt die Finanzierung für die Bicas zu vorderst auch aus dem Wirtschaftsministerium. Und nicht von DFG oder Wissenschaftsministerium."
Und wie steht man im EADS-Management zur Zivilklausel-Debatte? Wird das neue Campus auch solchen Studierenden etwas zu bieten haben, die es aus Gewissensgründen ablehnen, an Kampfhubschraubern und militärisch einsetzbaren Drohnen mitzuarbeiten?
"Die Forschungsbereiche, die wir ja abdecken, sind Querschnittthemen, und die Ergebnisse, die erzielt werden, sind – wir haben alle jetzt keine Kristallkugel -, aber diese Ergebnisse werden wahrscheinlich zu einem nicht ganz vernachlässigbaren Prozentsatz Dual Use-fähig sein."
Tatsächlich sind solche Überlegungen für das geplante Campus bislang nicht relevant, denn eine nennenswerte Zivilklausel-Bewegung gibt es in der gesamten Münchner Hochschullandschaft nicht. Und Detlef Müller-Wiesner glaubt auch nicht, dass sie eine Bereicherung wäre.
"Unabhängig, ob das die Zivilklauselbewegung ist, wo eine Gruppe von Menschen, die ja offensichtlich parlamentarisch keine Mehrheit darstellt, sagt: 'Wir möchten, dass die Freiheit von Lehre und Forschung eingeschränkt wird.' Es steht jetzt mir nicht an, hier die Position von Universitäten oder von Parlamenten zu vertreten. Aber als Bürger hätte ich da Zweifel, wie ich mit dem Grundrecht der Lehre und Forschung umgehen würde. Wir sind in einem freien Land, wir drängen die Zusammenarbeit mit uns ja niemandem auf. Die Welt steht im Wettbewerb."
Khakifarben und windschnittig – so steht der Jagdbomber Alpha-Jet zwischen Kaffeetheken und Sitzgruppen, inmitten der lichtdurchfluteten Halle der Fakultät für Maschinenwesen an der Technischen Universität München. Unter den jungen Leuten, die mit konzentrierten Gesichtern vor aufgeklappten Laptops sitzen, trifft man auch Johanna Grigorinko und Johannes Windmiller, Studierende der Luft- und Raumfahrttechnik im 9. Semester. Beide begeistern sich für Hubschrauber – und für eine berufliche Karriere in diesem hochkomplexen Spezialgebiet bietet die TU München beste Voraussetzungen: Hier unterhält EADS einen Stiftungslehrstuhl für Hubschraubertechnologie. Privilegierte Studienbedingungen, die Johannes Windmiller zu schätzen weiß – insbesondere dann, wenn er sie mit denen der Sozialwissenschaft vergleicht.
"Wenn man deren Lehrstühle betrachtet, dann sind die einfach tausend Mal kleiner wie unsere, weil da einfach viel weniger Mittel sind. Ich bin mir nicht ganz sicher, ich glaub, so ein Lehrstuhl kriegt zwei bis drei Mitarbeiter vom Staat gezahlt, und das war’s. Und wenn man hier schaut, was wir hier für Lehrstühle haben – wir haben Lehrstühle mit 100 Mitarbeitern. Und der Lehrstuhl ist auch schon sehr groß – dafür, dass es ihn seit drei Jahren erst gibt. Das sind auch schon zehn Mitarbeiter. Das ist gigantisch. Das sind sieben oder acht Stellen aus den Mitteln von Eurocopter."
Johann hat sämtliche Betriebspraktika bei Eurocopter absolviert. Und wenn er dort auch noch seine Masterarbeit schreibt, dann steht einer Anstellung nichts mehr im Weg – das hat man ihm bereits zugesichert. Dass er dort möglicherweise auch Militärhubschrauber entwickeln wird, das stört ihn nicht: Johannes hält Landesverteidigung für eine legitime Staatsaufgabe, und für die Zivilklauseldebatte, die an anderen Unis geführt wird, hat er kein Verständnis.
"Ich bin in der Fachschaft aktiv, dadurch kriege ich das von außen mit. Es gibt verschiedene Unis, die so welche Ideen haben, das sind meistens Unis, die keinen Maschinenbau haben, oder keine Sachen, die quasi Anwendungen in dem Bereich haben. Und die kommen dann zu uns, und sagen: 'Ja, wir würden gerne, dass ihr euch mit uns solidarisiert, und die Zivilklausel unterschreibt.' Und wir schreiben dann: 'Das ist totaler Schwachsinn. Wir können die Fakultät zusperren, wenn wir das machen.' Da sind wir pragmatischer und näher an der Realität. Rüstung abschaffen, das geht nicht. Das ist einfach nicht drin. Das ist einfach nicht drin. Da müsste man kurz die anderen Länder auf der Welt überzeugen, dann können wir drüber nachdenken."
Seine Kommilitonin nickt mit Überzeugung. Denn auch für Johanna heißt der zukünftige Wunsch-Arbeitgeber: EADS.
"Da kann ich nur lachen. Ich stimme ihm 100-prozentig zu, vor allem im Bereich Hubschraubertechnik. Wenn man sich schon für Hubschrauberbau entscheidet, dann muss einem bewusst sein, dass sieben Achtel der Mittel im Hubschrauberbau weltweit nur im Militärbereich angesiedelt sind. Man entscheidet sich hundertprozentig dafür."
Technikbegeistert, talentiert, und bereit, Chancen zu ergreifen, wenn sie sich bieten: Studierende, die Stiftungs-Professor Manfred Hajek gerne an EADS weiterempfiehlt.Um die Rekrutierung von Ingenieursnachwuchs wird es auch am Bicas-Campus in Ottobrunn gehen. Dafür konzipiert er gerade die neuen Studiengänge.
"Bicas orientiert sich erstmal an vier großen Forschungsachsen, die ja auch zusammen mit der Staatsregierung so formuliert wurden, weil man dahinter Forschungsthemen und Forschungsschwerpunkte gesetzt hat, die für die beteiligten Unternehmen auch von strategischer Bedeutung sind. Das ist Green Aerospace: Luftfahrt mit einem starken Fokus auf der Umweltverträglichkeit. Sicherheit auch von Anlagen und Unternehmen, also nicht nur Luftfahrtsicherheit. Autonome Systeme – da sind wir auch gleich beim militärischen Thema: eine Kampfdrohne ist ein autonomes System. Und dann etwas schwer Vermittelbares: Integrierte Systeme. Das ist sehr sehr softwarelastig, aber von einem ausgeklügelten Entwicklungsprozess abhängig."
Idealerweise schon ab 2015 soll in Ottobrunn der Lehrbetrieb starten. Die Zeit drängt, und Hajek hat vielfältige Interessen zu koordinieren. Weisungen nehme er nicht entgegen, betont er – auch dann nicht, wenn sie von seinem Mutterkonzern EADS kommen. Und bei Sperrvermerken auf Studienarbeiten, die die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen verhindern oder einschränken, reagiere er allergisch.
"Diese Einflussnahme wehren wir ab, mit dem Hinweis auf die Freiheit von Lehre und Forschung. Mit dem gleichen Argument wehre ich aber auch dann den Versuch ab, ausschließlich zivil zu forschen. Weil genauso wenig wie mir die Rüstungsindustrie zu sagen hat, was ich zu forschen habe, lasse ich mir von deren Gegnern sagen, woran ich nicht zu forschen habe. Auch hier würde ich mich auf Artikel 5, Absatz 3 berufen."
Hajek beruft sich auf die Freiheit von Forschung und Lehre, wenn er sich selbst als strikten Gegner der Zivilklausel bezeichnet. Doch mutet nicht das Grundgesetz dem Wissenschaftler durch dieses hohe Maß an Freiheit gleichzeitig ein hohes Maß an Verantwortung zu? Immerhin wird es in Ottobrunn um Technologien gehen, die Leben retten oder Leben vernichten können. Wäre es da nicht sinnvoll, die Impulse der Zivilklauselbewegung aufzugreifen, und in Form einer ethisch oder politisch reflektierenden Lehrveranstaltung in die neuen Studiengänge am Campus einzubauen?
"Ich habe, ehrlich gesagt, nicht drüber nachgedacht, weil ich ein bisschen arg zweckorientiert überlegt habe bisher und den Campus-Geschäftszweck und die Entwicklungsziele des Campus verfolgt habe dabei. Das würde einem Campus gut zu Gesicht stehen, wenn er sich – ich will gar nicht sagen: kritischen Stimmen öffnet, wenn er überhaupt von der fachlichen Schmalbandigkeit ein bisschen weggeht, und signalisiert: Wir sind nicht nur die Kästchendenker. Sondern weil wir dort Forschung betreiben, und weil wir dort für die Zukunft arbeiten, müssen wir uns auch Gedanken machen über gesellschaftliche, über ethische, auch über kulturelle Aspekte. Das würde einer Einrichtung wie dem Campus dann ein bisschen was von der reinen Zweckorientierung nehmen, und ihm etwas mehr Weltoffenheit verpassen. Ich fände das gut."
Es wäre nicht das erste Mal, dass ethische Abwägungen der Militärforschung Grenzen setzen. Chemiewaffen und Streubomben sind fast überall auf der Welt als menschenverachtend geächtet. Auf dem Gebiet der Kernforschung konnte die Bundesrepublik nur deshalb internationale Anerkennung erringen, weil sie der Weltöffentlichkeit glaubhaft gemacht hat, nicht am Bau von Atombomben interessiert zu sein – und das nicht zuletzt dank der eindeutigen Haltung von führenden Kernwissenschaftern. Heute werden Drohnen ohne Rechtsgrundlage zur Tötung von Verdächtigen eingesetzt. Und Industrie, Forschung und Lehre werden sehr verantwortlich mit den neuen Technologien umgehen müssen, wenn sie die Wertschätzung der Gesellschaft nicht verlieren wollen. Die Freiheit des Wissenschaftlers endet dort, da stimmt auch Professor Hajek zu, wo seine Verantwortung beginnt.
"Das Grundgesetz ist ja nun auch auslegungsintensiv. Ich kann nicht alles aus diesem Artikel ableiten. Ich kann jetzt nicht verlangen, dass ich jetzt forschen darf an einer Hubschrauberdrohne, die selbstständig sich ihre Opfer herauspickt, und wahllos - nicht wahllos, sondern sehr gezielt, gut erforscht - in die feindliche Menge ballert. Das wäre eine Vergewaltigung dieser Freiheit der Lehre und Forschung. Das hat seine Grenzen da, wo die Gesellschaft auch ethische Grenzen beispielsweise setzt."
"Die Befürchtung ist, dass extrem viele Firmen, die mit militärischer Forschung zu tun haben, dort tätig sein werden, und die Universität dann in die militärische Forschung eingebunden wird."
Kevin Ansorg, der im Allgemeinen Studentenausschuss Asta die Interessen der Studierenden vertritt, lässt seinen Blick über die Landschaft aus Rohbauten und Kränen schweifen. Wird die Entwicklung von Kampfflugzeugen und Rüstungsgütern bald zum regulären Studienangebot der Universität Augsburg gehören? Oder ist die viel beklagte "Militarisierung der Hochschulen" am Ende nur eine alarmistische Verschwörungstheorie? Es fehlt an Informationen. Stattdessen gibt es Gerüchte, die von geheimen Forschungsprojekten handeln.
"Du, Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!" Der Kriegsheimkehrer Wolfgang Borchert schrieb die berühmten Verszeilen im Jahr 1947: eine bittere Anklage an eine Wissenschaftlergeneration, die ihre Arbeit allzu bereitwillig in den Dienst des Menschen verachtenden Nazi-Regimes gestellt hatte. "Nein" sagen zur Rüstungsforschung – das prägt seitdem das Selbstverständnis vieler deutscher Wissenschaftler. Heute drängen Drohnen und andere computergesteuerte Systeme in die Kriegsführung: Schon wieder ein neuer Tod gegen das alte Leben. Diesmal kommt der Protest aus den Reihen der Studierenden: Welchem Zweck dienen die Forschungsprojekte, an denen sie sich beteiligen sollen, fragen sie argwöhnisch. "Zivilklausel" heißt das Zauberwort, das einer schleichende Militarisierung der öffentlichen Forschung und Lehre Einhalt gebieten soll: die Selbstverpflichtung der Hochschulen, nur für zivile Zwecke zu forschen. Doch das wirft neue Fragen auf: Ist militärisch relevante Forschung tatsächlich so unmoralisch, dass sie an Universitäten nichts zu suchen hat? Rein rechtlich spricht nichts dagegen: Das Grundgesetz garantiert die Freiheit von Forschung und Lehre. Niemand – und schon gar nicht der Staat – darf einem Wissenschaftler befehlen, woran er forschen darf und woran nicht.
Mathevorlesung in Augsburg. Die Universität ist eine von 21 deutschlandweit, an denen Initiativgruppen für die Einführung einer Zivilklausel kämpfen. Im vergangenen Jahr wurde während einer studentischen Vollversammlung abgestimmt: Die große Mehrheit war dafür. Doch die Veranstaltung war schlecht besucht, und das Votum nicht bindend. Die Debatte geht also weiter. In der Fachschaft für Mathematik, berichtet Michael Neumann, prallen die Interessen besonders hart aufeinander. Hier, wo mit einiger Wahrscheinlichkeit tatsächlich militärisch relevante Forschungsprojekte locken könnten, stehen die Zivilklausel-Befürworter mit dem Rücken zur Wand.
"Da haben sich dann einige aus der Fachschaft dafür ausgesprochen: 'Zivilklausel? Nein, aus dem und dem Grund.' Wir haben damals auch ein paar Pro- und Contra-Punkte aufgestellt gehabt. Daraufhin hat eine Person aus der Fachschaft gemeint: 'Ja, wenn ihr das so seht, dann will ich mit euch nichts mehr zu tun haben. Ich will nicht mehr in der Fachschaft sein, ich gehe jetzt.'"
Es ist eine sehr deutsche Debatte, die da gerade an den Lehrstühlen ausgefochten wird, mit langer Tradition. Im Jahr 1957 stemmten sich berühmte Kernforscher mit dem so genannten "Göttinger Appell" erfolgreich gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen. 1984 erklärten Wissenschaftler und Techniker in der "Darmstädter Verweigerungsformel", dass sie sich nicht an einer Entwicklung militärischer Güter beteiligen würden. Zwei Jahre später setzte die Universität Bremen ein Zeichen: Sie führte die erste Zivilklausel Deutschlands ein. Und vor zwei Jahren, als Verstöße bekannt wurden, hat Bremen die Debatte um Krieg und Frieden am Campus unfreiwillig wiederbelebt. Bis heute haben sich immerhin 12 Universitäten offiziell dazu bekannt, nur friedliche Forschung an ihren Lehrstühlen zu dulden. Tendenz: steigend. Die Augsburger Studentin Stefanie Glock unterstützt die Zivilklauselbewegung, weil sie dem neuen Innovationspark vor den Toren ihrer Universität nicht über den Weg traut. Aber auch sonst, sagt sie, gehen bei ihr immer öfter die Alarmglocken los.
"Bei Meldungen wie: Deutschland liefert wieder wer weiß wieviel hundert Panzer nach Saudi-Arabien. Oder es wird nachgedacht über einen Drohnenkrieg. Das sind solche Sachen, wo viele Leute doch wieder anfangen, sich Gedanken zu machen über die Rolle, die Deutschland spielt. Das ist nicht auf die Universitäten begrenzt. Ich glaube, es gibt allgemein ein bisschen Unbehagen in der Gesellschaft, wenn man solche Sachen hört im Radio."
Tübingen am Neckar. Die Universität gehört zu den ältesten Deutschlands, ihre Institute prägen das Stadtbild. "Forschung und Studium sollen friedlichen Zwecken dienen", konstatiert seit Anfang 2010 die Präambel der Grundordnung. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist die Eberhard-Karls-Universität in die Kritik der Zivilklausel-Bewegung geraten. Lautstarke Proteste gab es vor zwei Jahren gegen die Honorarprofessur von Wolfgang Ischinger, der in Tübingen Vorlesungen über internationale Krisendiplomatie hält. Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz gilt vielen als Wegbereiter einer militaristischen Außenpolitik. Das Ringen um Krieg und Frieden am Campus, das an anderen Hochschulen – wenn überhaupt - verschämt hinter vorgehaltener Haus ausgetragen wird, hat in Tübingen schon zu Trillerpfeifen-Boykotts geführt.
"Auf der Morgenstelle" ist der Name einer kleinen Anhöhe am nördlichen Stadtrand. Im nüchternen Institutsgebäude der biologischen Fakultät hat der Lehrstuhl für Kognitive Neurowissenschaft seine Räume. Hier, schwebend auf vier rotierenden Drehflügeln, sucht sich ein wagenradgroßer Quadrocopter seinen Weg zwischen Büromöbeln und Laborgerät. Er gehört zu einem EU-Forschungsprojekt zum Thema Mikro-Drohnen.
"Eigenbewegungsschätzung und Hindernisvermeidung aus dem optischen Fluss. Aus den Kamerabildern, wenn jetzt irgendein Hindernis ins Bild kommt, dass man das automatisch erkennt, und dann ausweichen kann. Ein Problem ist zum Beispiel die Größe von Hindernissen. Wenn der jetzt an einer Hochspannungsleitung vorbeifliegt, ist ein Kabel sehr dünn, dann hat man man Probleme, das zu detektieren."
Professor Hanspeter Mallot leitet in Tübingen das Projekt. Er erforscht, wie die Gehirne von Menschen und Tieren Bildinformationen verarbeiten, um eine kollisionsfreie Bewegung im Raum zu ermöglichen – Grundlagenforschung, die unter anderem wertvoll ist für die Programmierung von Robotern und Drohnen. Drohnen, unbemannte Flugobjekte, können Industrieanlagen überwachen, in eingestürzten Gebäuden selbstständig nach Verletzten suchen, oder Lageberichte aus verseuchten Gebieten schicken. Sie könnten aber auch in Höhlen mutmaßliche Terroristen jagen, oder gar in selbstständig interagierenden Schwärmen eine neue Ära der Kriegsführung einläuten – und das ist ein Horrorszenario, welches das Wort "Drohne" zum Reizwort gemacht hat. Allein deswegen, glaubt Mallot, sei sein Projekt in die Kritik der Zivilklausel-Bewegung geraten – zu Unrecht.
"Es ist erstens keine Militärforschung. Und zweitens ist das ein Projekt - da gibt es ja einen Vertrag der Universität Tübingen mit der EU. Dieser Vertrag ist von der Universität geschlossen, vom Kanzler unterschrieben, und da steht drin, was gemacht werden soll. Das Geld kommt von der EU, und wir publizieren so viel wir können."
Projektförderung mit EU-Mitteln und das konsequente Publizieren der Forschungsergebnisse – das sind mehr als genug Nachweis für die zivile Ausrichtung eines Forschungsprojektes, glaubt Mallot. Und für Moraldebatten über die Legitimität von Landesverteidigung hat er ohnehin kein Verständnis.
"Wenn Sie direkte Kriegswaffenentwicklung haben, das ist eine Sache, wo ich selber persönlich mich vielleicht auch nicht dafür begeistern würde. Aber auch da muss ich sagen: Wenn der Staat sich eine Armee leistet, und es steht im Grundgesetz, dass er das darf, und das finde ich auch richtig, dann können die Forschungseinrichtungen eigentlich nicht sagen: Wir entwickeln Euch aber keine Ausrüstung. Das finde ich unehrlich. Ich finde diese ganze Debatte unehrlich. Weil die Universitäten keine höherstehende Moral haben als beispielsweise der Bundestag. Wenn der Bundestag sagt: Ich schicke jetzt eine Armee nach Afghanistan, dann kann ich nicht doch sagen, das ist unmoralisch. Kann ich schon sagen, aber ich finde es nicht unmoralisch. Ich stehe da tatsächlich hinter dieser Entscheidung."
Kritik aus der Zivilklausel-Bewegung erntete das Mikrodrohnen-Projekt vor allem wegen eines seiner Industriepartner: Der Konzern Thales entwickelt Systeme für die zivile Sicherheit, aber auch Rüstungsgüter. Betriebswirtschaftlich gesehen ist das nachvollziehbar: In ihrer Informations- und Kommunikationsstruktur unterscheidet sich moderne Sicherheitstechnik kaum mehr von Waffentechnik. "Dual Use" – doppelte Verwendbarkeit – werden Basis-Technologien genannt, die im zivilen wie auch im militärischen Bereich relevant sind. Genau diese Grauzone jedoch, kritisieren Vertreter der Friedensbewegung, bietet Schlupflöcher für militärische Interessen bei öffentlichen Forschungsvorhaben mit unverdächtig klingenden Titeln.
Der Tag ist regnerisch. Darum findet der "Kritische Stadtrundgang" durch Tübingen, zu dem Christoph Marischka und Andreas Seifert eingeladen haben, per Auto statt. Sie vertreten die Nichtregierungsorganisation "Informationsstelle Militarisierung", die in den 90er-Jahren von Absolventen der Tübinger Universität gegründet wurde. Die Fahrt startet "An der Morgenstelle". Hier hat nicht nur der Lehrstuhl von Professor Mallot seinen Sitz. Auch das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung betreibe hier militärisch verwertbare Projekte, sagt Marischka. Für ihn beginnt die Militarisierung der Hochschulen keineswegs erst dann, wenn Seminare den Bau von Panzern und Killer-Drohnen zum Thema haben. Mehr als das fürchtet der junge Tübinger einen schleichenden Prozess, der nicht selten mit einem Forschungsprojekt zur "zivilen Sicherheit " beginnt – sei es ein EU-Projekt, das unter das "Forschungsrahmenprogramm Sicherheitstechnik" fällt, sei es die Mikrodrohnen-Forschung am Lehrstuhl von Professor Mallot.
"Zu dem Sicherheitsforschungsprogramm gibt es mittlerweile von der Generaldirektion des Rates einerseits, vom Europäischen Parlament andererseits, verschiedene Studien, aus den Institutionen selber, die mittlerweile eingeräumt haben, dass die eindeutig zu militärisches Gepräge haben. Und wenn ich dann höre, dass ein Wissenschaftler, dass der das nicht erkennt und nicht versteht, wie er in so eine Debatte reingezogen werden kann, obwohl der mit Rüstungsunternehmen zusammenarbeitet, die militärische Drohnen herstellen, weil er ja scheinbar nur an zivilen Drohnen forscht, dann finde ich das viel sagend. Und dann sind wir eigentlich auch ein bisschen beim Kern des Problems angekommen."
Die Fahrt führt vorbei an Instituten der Universitätsklinik. Für die Bundeswehr seien nicht nur wehrmedizinische Projekte interessant. Auch Fragen der Logistik, Überwachung und Aufklärung durch autonome Systeme spielten inzwischen eine zentrale Rolle. Und die basierten auf Informationstechnologien, sagt Marischka, die auch auf dem boomenden Markt der zivilen Sicherheit gefragt sind.
"Meiner Meinung nach gibt es keinen klaren Unterschied zwischen der zivilen Sicherheit und der militärischen Sicherheit. Wenn wir uns militärische Einsätze anschauen, die zielen mittlerweile ausschließlich auf die Zivilbevölkerung, darauf, einzelne Störer – Terroristen, Piraten, - aus der Zivilbevölkerung zu erkennen und gezielt zu bekämpfen. Und insofern ist die Sensorik und Informationsverarbeitung zum Knackpunkt der Rüstungsindustrie geworden."
Rüstungsforschung, die sich hinter einer Fassade von Sicherheitsforschung versteckt – könnten Zivilklauseln ein geeignetes Gegenmittel gegen diese Art von Mimikry sein? Nein, fürchtet Andreas Seifert. Jedenfalls nicht, solange sie nur eine Zeile in der Grundordnung einer Universität sind.
"Auch Hochschulen mit Zivilklausel haben bisher nicht den Eindruck erweckt, als würden sie irgendwelche Forschungsprojekte deswegen stoppen. Die werden einfach weitermachen. Die werden so friedlich gestaltet, dass sie dann auch wieder durchgehen, aber der kritische Aspekt dadrin wird eben auch ausgeblendet."
Können Zivilklauseln etwas ausrichten, gegen die großen Entwicklungen, die heute Politik und Wissenschaft bestimmen? Kriege, die nicht gegen feindliche Staaten geführt werden, sondern gegen verdächtige Einzelpersonen in einer Menschenmenge; Waffensysteme, die nicht von Soldaten bedient werden, sondern von Programmierern; Wehrtechnik, die nicht der Landesverteidigung dient, sondern dem Exportgeschäft; Professoren, die ihre Projekte nicht aus Forschungsinteresse akquirieren, sondern aus Finanzierungsgründen? Ja, Zivilklauseln können etwas ausrichten, sagt Regina Ammicht-Quinn, Professorin am Lehrstuhl für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen - sofern sie nicht kategorisch eine rote Linie ziehen zwischen Gut und Böse. Dann, sagt sie, könnten sie eine Steilvorlage sein für notwendige Streitgespräche und klärenden Gedankenaustausch.
"Es ist die Verantwortung jedes Wissenschaftlers und jeder Wissenschaftlerin, dass sie wissen, was sie tun. Und um zu wissen was man tut, glaub ich, bedarf es, glaube ich, ein bisschen noch der Reflektion über das Alltagsgeschäft hinaus. Und es gibt viele, viele, die das tun, auch viele Menschen, die wir in den technischen Bereichen kennen, Technikentwickler, Ingenieure, Informatiker, die durchaus offen sind für diese Frage, und die dankbar sind, wenn man diese Frage auch mal im beruflichen und öffentlichen Umfeld anspricht, und das nicht etwas ist, was die dann zuhause mit ihrem Nachttischchen verhandeln müssen."
Wissen, was man tut – die Voraussetzung jeder verantwortungsbewussten Forschung. Doch gerade in diesem sensiblen Bereich fehlt es an Informationen, wer welche Forschungsprojekte mit welchen Interessen finanziert. Auf bundespolitischer Ebene hat bislang allein die Linke Partei das Thema aufgegriffen, und wiederholt Anfragen an Bund und Landesregierungen gestellt. Ergebnis: An mindestens 47 deutschen Hochschulen hat das Bundesverteidigungsministerium in den vergangenen zehn Jahren Drittmittel vergeben. Die Summe hat sich in diesem Zeitraum von 2,5 Millionen auf insgesamt rund 4,5 Millionen erhöht. Welche Art Forschung das Ministerium damit finanziert, das unterliegt in vielen Fällen dem Geheimschutz: Veröffentlicht werden die Projekt-Titel meist nur dann, wenn sie aus den Bereichen Wehrmedizin oder Sicherheit stammen. Weitere 49 Millionen Euro jährlich investiert das Bundesforschungsministerium in Projekte der zivilen Sicherheitsforschung. Diese Forschung tätigen die Hochschulen nicht selten in Kooperation mit Privatunternehmen, die auch im Rüstungssektor zuhause sind.
"Das ist der Tiger!"
Der "Tiger": ein Kampfhubschrauber aus dem Hause Eurocopter. Er ist ausrüstbar mit Maschinenkanonen und unterschiedlichen Raketensystemen. Er ist einsatzerprobt in Afghanistan, und begehrt in Australien und Spanien. Gerade zieht er über Ottobrunn seine Kreise. Hier, südöstlich von München, hat die Deutschlandzentrale von EADS ihren Sitz. Europas größter Luft- und Raumfahrtkonzern ist gleichzeitig die Nummer zwei auf dem Markt für Rüstungsgüter. Ein Mann, geschäftsmäßig gekleidet in Sakko und Schlips, lässt seine Blicke über das weitläufige Betriebsgelände schweifen. Hier wird sich in den kommenden Monaten vieles verändern.
"Das ist der Hubschrauberlandeplatz von Eurocopter, hier am Standort Ottobrunn, schon seit vielen vielen Jahrzehnten. Die Kollegen von Eurocopter ziehen im Laufe dieses Jahres nach Donauwörth, und die frei werdenden Flächen, die werden wir dann zukünftig als Campus nutzen."
Das "Campus": So nennt Alexander Mager das neue Großprojekt, dessen Leiter er ist. 60 Millionen Euro plant sein Konzern auszugeben für einen Lehr- und Innovationspark mit dem Arbeitstitel "Bavarian International Campus Aerospace and Security", kurz: Bicas. Insgesamt sollen 150 Millionen Euro zusammenkommen, gestiftet von mehreren Industriepartnern und dem Freistaat Bayern. Wo jetzt noch Eurocopter-Modelle entwickelt werden, sollen künftig komfortable Hörsäle und gut ausgestattete Laboratorien die Studierenden anlocken. Wer technikbegeistert und überdurchschnittlich begabt ist, soll hier - inmitten von weitläufigen Grünanlagen und bei persönlicher Betreuung durch erfahrene Ingenieure, seinen Master of Science erwerben können:
Eine Glastür, deren speziell designter Sound der Science Fiction-Serie "Raumschiff Enterprise" nachempfunden ist, leitet den Besucher in den "Show-Room". Hier kann man einen Blick in die Zukunft der Luftfahrt tun: Kerosin aus Algen, geräuscharme Antriebe, Leichtbautechnik mit Kohlefaser-Verbundstoffen – Zukunftstechnologien der Luftfahrt, die auch die Studierenden einmal beschäftigen sollen. Der EADS wird der Campus spezifisch ausgebildeten Ingenieursnachwuchs und frische Ideen für marktfähige Innovationen bringen, hofft Detlef Müller-Wiesner, der den Bereich Geschäftsentwicklung und Forschung leitet. Und den beteiligten Münchener Hochschulen - der Technischen Universität, der Hochschule und auch der Bundeswehruniversität - mehr Praxisbezug bei moderner Hightech-Ausstattung. Vorteile für alle Beteiligten: Das, sagt Müller-Wiesner, ist die Grundidee des Campus.
"Wird sind ja nicht allein in Deutschland, sondern befinden uns im internationalen Wettbewerb. Und haben Überlegungen angestellt, die ganz einfach angefangen haben. OK, wie wäre es denn, wenn ein Institut der Technischen Universität München, das ein Platzproblem für seine Labore hat, wenn man da eigentlich zusammengehen würde, an einer Stelle? Und praktischerweise mal umgekehrt: Nicht die Industrie geht zur Universität, sondern umgekehrt: Die Hochschule kommt zur Industrie."
Ein universitärer Campus auf dem Betriebsgelände eines Konzerns – das ist tatsächlich neu. Die Industrie kofinanziert die neuen Studiengänge, der Freistaat Bayern setzt die wissenschaftlichen Schwerpunkte und segnet die neuen Studiengänge ab. Innovationen sollen von der Idee bis zur Marktreife finanziert und begleitet werden, betont Müller-Wiesner.
"Das ist nicht so: Die Industrie entscheidet hier etwas. Das machen wir da, wo wir unser eigenes Geld einsetzen. Aber damit nehmen wir ja anderen kein Geld weg. Und deswegen kommt die Finanzierung für die Bicas zu vorderst auch aus dem Wirtschaftsministerium. Und nicht von DFG oder Wissenschaftsministerium."
Und wie steht man im EADS-Management zur Zivilklausel-Debatte? Wird das neue Campus auch solchen Studierenden etwas zu bieten haben, die es aus Gewissensgründen ablehnen, an Kampfhubschraubern und militärisch einsetzbaren Drohnen mitzuarbeiten?
"Die Forschungsbereiche, die wir ja abdecken, sind Querschnittthemen, und die Ergebnisse, die erzielt werden, sind – wir haben alle jetzt keine Kristallkugel -, aber diese Ergebnisse werden wahrscheinlich zu einem nicht ganz vernachlässigbaren Prozentsatz Dual Use-fähig sein."
Tatsächlich sind solche Überlegungen für das geplante Campus bislang nicht relevant, denn eine nennenswerte Zivilklausel-Bewegung gibt es in der gesamten Münchner Hochschullandschaft nicht. Und Detlef Müller-Wiesner glaubt auch nicht, dass sie eine Bereicherung wäre.
"Unabhängig, ob das die Zivilklauselbewegung ist, wo eine Gruppe von Menschen, die ja offensichtlich parlamentarisch keine Mehrheit darstellt, sagt: 'Wir möchten, dass die Freiheit von Lehre und Forschung eingeschränkt wird.' Es steht jetzt mir nicht an, hier die Position von Universitäten oder von Parlamenten zu vertreten. Aber als Bürger hätte ich da Zweifel, wie ich mit dem Grundrecht der Lehre und Forschung umgehen würde. Wir sind in einem freien Land, wir drängen die Zusammenarbeit mit uns ja niemandem auf. Die Welt steht im Wettbewerb."
Khakifarben und windschnittig – so steht der Jagdbomber Alpha-Jet zwischen Kaffeetheken und Sitzgruppen, inmitten der lichtdurchfluteten Halle der Fakultät für Maschinenwesen an der Technischen Universität München. Unter den jungen Leuten, die mit konzentrierten Gesichtern vor aufgeklappten Laptops sitzen, trifft man auch Johanna Grigorinko und Johannes Windmiller, Studierende der Luft- und Raumfahrttechnik im 9. Semester. Beide begeistern sich für Hubschrauber – und für eine berufliche Karriere in diesem hochkomplexen Spezialgebiet bietet die TU München beste Voraussetzungen: Hier unterhält EADS einen Stiftungslehrstuhl für Hubschraubertechnologie. Privilegierte Studienbedingungen, die Johannes Windmiller zu schätzen weiß – insbesondere dann, wenn er sie mit denen der Sozialwissenschaft vergleicht.
"Wenn man deren Lehrstühle betrachtet, dann sind die einfach tausend Mal kleiner wie unsere, weil da einfach viel weniger Mittel sind. Ich bin mir nicht ganz sicher, ich glaub, so ein Lehrstuhl kriegt zwei bis drei Mitarbeiter vom Staat gezahlt, und das war’s. Und wenn man hier schaut, was wir hier für Lehrstühle haben – wir haben Lehrstühle mit 100 Mitarbeitern. Und der Lehrstuhl ist auch schon sehr groß – dafür, dass es ihn seit drei Jahren erst gibt. Das sind auch schon zehn Mitarbeiter. Das ist gigantisch. Das sind sieben oder acht Stellen aus den Mitteln von Eurocopter."
Johann hat sämtliche Betriebspraktika bei Eurocopter absolviert. Und wenn er dort auch noch seine Masterarbeit schreibt, dann steht einer Anstellung nichts mehr im Weg – das hat man ihm bereits zugesichert. Dass er dort möglicherweise auch Militärhubschrauber entwickeln wird, das stört ihn nicht: Johannes hält Landesverteidigung für eine legitime Staatsaufgabe, und für die Zivilklauseldebatte, die an anderen Unis geführt wird, hat er kein Verständnis.
"Ich bin in der Fachschaft aktiv, dadurch kriege ich das von außen mit. Es gibt verschiedene Unis, die so welche Ideen haben, das sind meistens Unis, die keinen Maschinenbau haben, oder keine Sachen, die quasi Anwendungen in dem Bereich haben. Und die kommen dann zu uns, und sagen: 'Ja, wir würden gerne, dass ihr euch mit uns solidarisiert, und die Zivilklausel unterschreibt.' Und wir schreiben dann: 'Das ist totaler Schwachsinn. Wir können die Fakultät zusperren, wenn wir das machen.' Da sind wir pragmatischer und näher an der Realität. Rüstung abschaffen, das geht nicht. Das ist einfach nicht drin. Das ist einfach nicht drin. Da müsste man kurz die anderen Länder auf der Welt überzeugen, dann können wir drüber nachdenken."
Seine Kommilitonin nickt mit Überzeugung. Denn auch für Johanna heißt der zukünftige Wunsch-Arbeitgeber: EADS.
"Da kann ich nur lachen. Ich stimme ihm 100-prozentig zu, vor allem im Bereich Hubschraubertechnik. Wenn man sich schon für Hubschrauberbau entscheidet, dann muss einem bewusst sein, dass sieben Achtel der Mittel im Hubschrauberbau weltweit nur im Militärbereich angesiedelt sind. Man entscheidet sich hundertprozentig dafür."
Technikbegeistert, talentiert, und bereit, Chancen zu ergreifen, wenn sie sich bieten: Studierende, die Stiftungs-Professor Manfred Hajek gerne an EADS weiterempfiehlt.Um die Rekrutierung von Ingenieursnachwuchs wird es auch am Bicas-Campus in Ottobrunn gehen. Dafür konzipiert er gerade die neuen Studiengänge.
"Bicas orientiert sich erstmal an vier großen Forschungsachsen, die ja auch zusammen mit der Staatsregierung so formuliert wurden, weil man dahinter Forschungsthemen und Forschungsschwerpunkte gesetzt hat, die für die beteiligten Unternehmen auch von strategischer Bedeutung sind. Das ist Green Aerospace: Luftfahrt mit einem starken Fokus auf der Umweltverträglichkeit. Sicherheit auch von Anlagen und Unternehmen, also nicht nur Luftfahrtsicherheit. Autonome Systeme – da sind wir auch gleich beim militärischen Thema: eine Kampfdrohne ist ein autonomes System. Und dann etwas schwer Vermittelbares: Integrierte Systeme. Das ist sehr sehr softwarelastig, aber von einem ausgeklügelten Entwicklungsprozess abhängig."
Idealerweise schon ab 2015 soll in Ottobrunn der Lehrbetrieb starten. Die Zeit drängt, und Hajek hat vielfältige Interessen zu koordinieren. Weisungen nehme er nicht entgegen, betont er – auch dann nicht, wenn sie von seinem Mutterkonzern EADS kommen. Und bei Sperrvermerken auf Studienarbeiten, die die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen verhindern oder einschränken, reagiere er allergisch.
"Diese Einflussnahme wehren wir ab, mit dem Hinweis auf die Freiheit von Lehre und Forschung. Mit dem gleichen Argument wehre ich aber auch dann den Versuch ab, ausschließlich zivil zu forschen. Weil genauso wenig wie mir die Rüstungsindustrie zu sagen hat, was ich zu forschen habe, lasse ich mir von deren Gegnern sagen, woran ich nicht zu forschen habe. Auch hier würde ich mich auf Artikel 5, Absatz 3 berufen."
Hajek beruft sich auf die Freiheit von Forschung und Lehre, wenn er sich selbst als strikten Gegner der Zivilklausel bezeichnet. Doch mutet nicht das Grundgesetz dem Wissenschaftler durch dieses hohe Maß an Freiheit gleichzeitig ein hohes Maß an Verantwortung zu? Immerhin wird es in Ottobrunn um Technologien gehen, die Leben retten oder Leben vernichten können. Wäre es da nicht sinnvoll, die Impulse der Zivilklauselbewegung aufzugreifen, und in Form einer ethisch oder politisch reflektierenden Lehrveranstaltung in die neuen Studiengänge am Campus einzubauen?
"Ich habe, ehrlich gesagt, nicht drüber nachgedacht, weil ich ein bisschen arg zweckorientiert überlegt habe bisher und den Campus-Geschäftszweck und die Entwicklungsziele des Campus verfolgt habe dabei. Das würde einem Campus gut zu Gesicht stehen, wenn er sich – ich will gar nicht sagen: kritischen Stimmen öffnet, wenn er überhaupt von der fachlichen Schmalbandigkeit ein bisschen weggeht, und signalisiert: Wir sind nicht nur die Kästchendenker. Sondern weil wir dort Forschung betreiben, und weil wir dort für die Zukunft arbeiten, müssen wir uns auch Gedanken machen über gesellschaftliche, über ethische, auch über kulturelle Aspekte. Das würde einer Einrichtung wie dem Campus dann ein bisschen was von der reinen Zweckorientierung nehmen, und ihm etwas mehr Weltoffenheit verpassen. Ich fände das gut."
Es wäre nicht das erste Mal, dass ethische Abwägungen der Militärforschung Grenzen setzen. Chemiewaffen und Streubomben sind fast überall auf der Welt als menschenverachtend geächtet. Auf dem Gebiet der Kernforschung konnte die Bundesrepublik nur deshalb internationale Anerkennung erringen, weil sie der Weltöffentlichkeit glaubhaft gemacht hat, nicht am Bau von Atombomben interessiert zu sein – und das nicht zuletzt dank der eindeutigen Haltung von führenden Kernwissenschaftern. Heute werden Drohnen ohne Rechtsgrundlage zur Tötung von Verdächtigen eingesetzt. Und Industrie, Forschung und Lehre werden sehr verantwortlich mit den neuen Technologien umgehen müssen, wenn sie die Wertschätzung der Gesellschaft nicht verlieren wollen. Die Freiheit des Wissenschaftlers endet dort, da stimmt auch Professor Hajek zu, wo seine Verantwortung beginnt.
"Das Grundgesetz ist ja nun auch auslegungsintensiv. Ich kann nicht alles aus diesem Artikel ableiten. Ich kann jetzt nicht verlangen, dass ich jetzt forschen darf an einer Hubschrauberdrohne, die selbstständig sich ihre Opfer herauspickt, und wahllos - nicht wahllos, sondern sehr gezielt, gut erforscht - in die feindliche Menge ballert. Das wäre eine Vergewaltigung dieser Freiheit der Lehre und Forschung. Das hat seine Grenzen da, wo die Gesellschaft auch ethische Grenzen beispielsweise setzt."