"Die Regeln der Verhandlungen sind ja so, daß sich alle Länder einigen müssen."
"Der Klimawandel, die Klimaveränderungen selber sind komplex."
"Deswegen dauert das auch sehr lange, bis Entscheidungen gefällt werden. Das ist bei 192 Staaten sehr, sehr, sehr schwierig."
"Die Geschichte der Klimapolitik ist eine Geschichte der Krisen."
"Es ist manchmal nicht wirklich auszuhalten, wenn man denkt: Oh, es geht hier wirklich um ein wichtiges Thema. Wir müssen schnell vorankommen und Entscheidungen treffen. Und hier wird sich um Kommas gestritten!"
"Es geht leider nur im Schneckentempo voran."
"Seit dem Zeitpunkt, wo klar ist: Es müssen echte einschneidende Maßnahmen getroffen werden, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu vermindern - seitdem stagniert es."
"The committee essentially completed its work shortly before this meeting was convened ..."
Der 11. Dezember 1997. Ein historischer Tag. Fünf Jahre sind vergangen seit dem legendären Umweltgipfel von Rio de Janeiro. Fünf Jahre auch, seitdem über 150 Staaten die Klima-Rahmenkonvention der Vereinten Nationen unterzeichnet haben. Mit dem Bekenntnis, etwas gegen eine gefährliche Klimaerwärmung zu unternehmen.
"Muchas gracias, Señor Presidente"
In der japanischen Millionenstadt Kyoto endet an diesem 11. Dezember vor 15 Jahren die mittlerweile dritte Konferenz der Vertragsstaaten - einen Tag später als geplant und nach einem irrwitzigen Verhandlungsmarathon. Viele Teilnehmer sind schon abgereist. Hermann Ott noch nicht. Der Jurist und Politikwissenschaftler forscht seinerzeit am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie ...
"Ich war '97 in Kyoto dabei. Bis zum Schluss. Und ich kann mich noch an die letzte durchwachte Nacht erinnern. Und ich hatte sogar das Vergnügen, die damalige Umweltministerin Angela Merkel zu beraten."
"It is my great pleasure to introduce to you the Vice President of the United States"
Große Aufmerksamkeit genießt damals der Auftritt von Al Gore, dem Stellvertreter von US-Präsident Bill Clinton. Ott:
"Herr Gore kam 1997 auch nach Kyoto und hat seinen Chefverhandler aufgefordert, mehr Flexibilität zu zeigen. Das war damals ein Fingerzeig des Präsidenten, der sehr ernst genommen worden ist. Und dann gab es eben auch diese Einigung."
"el proyecto de protocolo de Kyoto."
"Ich lade also die Konferenz dazu ein, das Dokument FCCC / CP / 1997 / 7 / Addendum 1 einstimmig anzunehmen, und damit auch das Kyoto-Protokoll. Ich sehe keine Gegenstimmen. Dann ist es so beschlossen!"
"Es waren schwierige Verhandlungen, wie Sie wissen. Aber am Ende haben wir die Unterstützung aller hier anwesenden Regierungen. Die Industrieländer müssen nun ihre Treibhausgas-Emissionen reduzieren, und zwar um 5,2 Prozent bis spätestens 2012."
Das Kyoto-Protokoll gilt als Meilenstein der internationalen Klimaschutzpolitik. Und das vollkommen zurecht, wie Hans-Joachim Schellnhuber gerne betont. Der Physiker ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und war zeitweilig Chef-Klimaberater der Bundesregierung:
"Damit hat die Völkergemeinschaft anerkannt, daß das Klimaproblem etwas ist, was man ernst nehmen muss. Es ist insofern ein historischer Wendepunkt. Diese Worte sind wirklich nicht zu stark gewählt."
Andererseits sei schon immer klar gewesen, daß das Kyoto-Protokoll nur ein erster Schritt sein könne, eher von symbolischer Bedeutung:
"Dem müssen andere, viel größere Schritte folgen. Und das ist eben jetzt die zweite Bewertung des Kyoto-Protokolls: Physikalisch ist der Effekt fast null. Das wird also den Erwärmungstrend fast überhaupt nicht abschwächen, um ein Zehntel oder Zwanzigstel Grad vielleicht. Das heißt, nur wenn man das als ersten Schritt auf einem langen Weg begreift, macht das überhaupt Sinn."
Doch zu diesen weiteren Schritten ist es nie gekommen. Das Kyoto-Protokoll läuft Ende 2012 aus und die Welt wartet noch immer auf den verschärften Nachfolgevertrag, von dem klar ist, daß er dringend gebraucht wird.
"Es ist schon bemerkenswert. In den Jahren, in denen so intensiv über Klimaschutz verhandelt wurde, sind die weltweiten CO2-Emissionen stärker gestiegen als je zuvor – im vergangenen Jahrzehnt allein um 29 Prozent. Zwischen 1990, dem Bezugsjahr des Kyoto-Protokolls, und 2008 waren es sogar 41 Prozent."
Faktisch bewirken die internationalen Klimaschutzverhandlungen bisher rein gar nichts, weiß der spanische Ökologe Pep Canadell, Direktor des Globalen Kohlenstoff Projekts bei der australischen Forschungsorganisation CSIRO. Der Versuch, die globale Erwärmung einzudämmen – staatlicherseits kann man ihn nur als gescheitert betrachten.
"Der Klimawandel schreitet schneller voran, als wir es uns vorgestellt haben. Auch wenn die Temperaturen im letzten Jahrzehnt nicht mehr so rapide gestiegen sind wie in den Jahren davor. Der Anstieg des Meeresspiegels, das Schmelzen von Gletschern, der Ausstoß von CO2 – all das läuft schneller ab, als wir gedacht haben. Die Wissenschaft sagt uns eindeutig, daß die Situation ernst ist. Das Problem wird immer größer, und wir müssen uns ihm stellen."
Der australische Geowissenschaftler Michael Raupach, auch er in leitender Funktion beim Global Carbon Project. Die Zahlen kennen die Klimadiplomaten der Regierungen sehr wohl. Nichtsdestotrotz haben sie sich auch zuletzt wieder vertagt. Niklas Höhne, Physiker und Direktor für Energie- und Umweltpolitik beim Beratungsbüro Ecofys in Köln.
"Was jetzt vorgestellt worden ist, daß bis 2015 ein neues Klimaschutzabkommen ausgehandelt werden sollte, das dann ab 2020 gilt. Und das bedeutet, daß eben in den nächsten Jahren dieses Klimaschutzabkommen vorbereitet wird."
Doch warum sollte man darauf vertrauen, daß es diesmal plötzlich klappt? Hermann Ott, der 2009 in die Politik wechselte und heute Klimapolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag ist:
"Meine und unsere Befürchtung ist: Das wird genauso kläglich scheitern wie Kopenhagen 2009. Die Amerikaner werden sich wieder weigern. Wir warten seit 20 Jahren darauf, daß die USA sich bewegen, unter unterschiedlichen Präsidenten. Und es hat nichts genützt."
Niklas Höhne: "Ein großes Problem für die internationalen Verhandlungen ist sicherlich die Position der USA. Sie hatte sich in der Bush-Ära nicht geändert. Da wurde einfach Klimawandel und auch Klimaschutz komplett abgelehnt. Und das hat sich eindeutig auf die internationalen Verhandlungen ausgewirkt."
Hermann Ott: "Das wäre natürlich die Ideallösung gewesen, wenn die USA gleich angefangen hätten, ihre Emissionen zu reduzieren. Die haben den doppelten Pro-Kopf-Ausstoß wie wir Deutschen! Hätte uns wirklich voranbringen können."
Höhne: "USA war damals der größte Emittent. Ist inzwischen von China als größtem Emittenten überholt worden. Aber trotzdem: Ohne eine Bewegung der USA kann es international nicht vorangehen."
Bis heute verweigert sich die größte westliche Wirtschaftsmacht. Das ist zugleich der Geburtsfehler des Kyoto-Protokolls, wie er oft genannt wird: Die größten Klimasünder auf dem Globus sind bis heute gar nicht mit dabei! Weil Washington nichts tut, sind auch Schwellenländer wie China und Indien nicht dazu bereit – Länder, deren Wirtschaft boomt und die längst in die Spitzengruppe der Klimaverschmutzer vorgerückt sind.
Auf der 15. Weltklimakonferenz in Kopenhagen 2009 sollten sie alle mit ins Boot geholt werden. Damals keimte kurz große Hoffnung auf. Eine Fortschreibung des Kyoto-Protokolls schien auch für Ivo de Boer greifbar, den Leiter des Klimasekretariates der Vereinten Nationen. Stattdessen erreichten die Klimaverhandlungen ihren Tiefpunkt. Heraus kam bloß ein unverbindliches Kopenhagen-Übereinkommen, wie es getauft wurde. De Boer:
"Keine Vereinbarung, die rechtlich bindend ist. Keine Vereinbarung, die Industrieländern neue Reduktionsziele auferlegt. Und keine Vereinbarung, die darlegt, was große Entwicklungsländer künftig zu tun haben."
Hermann Ott: ""2009 in Kopenhagen ist das Ganze explodiert beziehungsweise mit einem Wimmern implodiert, kann man ja eigentlich sagen. Seitdem steckt der Wurm also wirklich drin."
Über 2012 hinaus gibt es nun keine bindenden Klimaschutzverpflichtungen für die Industrieländer mehr. An ihre Stelle sind nationale Angebote zur Treibhausgas-Minderung getreten. Die Staaten können sie nach eigenem Ermessen festlegen. Immerhin: Auch Schwellenländer wie China und Indien haben erstmals Reduktionsziele benannt. Niklas Höhne:
"Leider reichen diese Ziele noch nicht aus, um den Klimawandel auf zwei Grad zu begrenzen, so wie es die internationale Gemeinschaft beschlossen hat. Es muss also noch nachgelegt werden. Das ist leider in den letzten Jahren seit 2009 nicht passiert."
Al Gore: "As a citizen of the United States and no more I will ask President Obama and the leadership of the United States Senate…"
In Al Gore sind die Höhen und Tiefen der internationalen Klimapolitik förmlich personifiziert. Der frühere US-Vizepräsident unter Bill Clinton hatte zunächst großen Anteil daran, daß die Vereinigten Staaten das Kyoto-Protokoll unterzeichneten. Dann aber schaffte es Gore nicht, den Klimaschutzvertrag im eigenen Land durchzusetzen: Bis heute hat ihn der Senat [gegenüber der gesendeten Version geändert] nicht ratifiziert. Al Gore:
""But what is the alternative…"
Ja, was aber wäre die Alternative zu einem globalen Klimavertrag? Tatsächlich könnte es eine geben. Während der ganzen Zeit, in der die staatlichen Verhandlungen auf der Stelle traten, hat sich etwas anderes entwickelt. Zunächst nur als zartes Pflänzchen. Doch längst ist eine breite Bewegung daraus geworden. Gore:
"Können Sie sich vorstellen, daß eine globale Graswurzelbewegung in der Lage wäre, die Krise zu überwinden? Ich hoffe, daß sie sich weiter entwickelt. Denn sie könnte den Prozess entscheidend voranbringen."
Eine globale Graswurzelbewegung. Damit meint Al Gore nicht Maßnahmen von oben, also staatlicherseits, sondern von unten, auf kommunaler Ebene. Tausende von Städten weltweit sind inzwischen Klima-Bündnisse eingegangen. Auch Metropolen in den USA wie New York City, das jüngst vom Wirbelsturm Sandy erschüttert wurde. So wie Gore hält auch Niklas Höhne die städtischen Initiativen für wichtig:
""Die Klimaverhandlungen zwischen den Staaten sind essentiell, weil es ein globales Problem ist, aber zur Zeit nicht ausreichend, um das Problem in den Griff zu bekommen. Deswegen brauchen wir zusätzliche Aktivitäten. Und Städte haben sich schon zusammengeschlossen. Sie haben schon Emissionsreduktionsziele. Das ist sehr wichtig."
Können also Städte das Weltklima retten?
"Wir sind hier in Hannover-Wettbergen. Zero-e-Park nennt sich das Ganze. Also: Nullemissionssiedlung. Hier werden gerade Fertigteil-Elemente - also Tafelbauweise ist das hier, dieses Gebäude – werden gerade vom Kran entladen. Die Bodenplatte ist unten gegossen. Und jetzt sind die Tafeln für das Erdgeschoß … werden jetzt gerade aufgestellt. Also, es kommen jetzt gerade die Innenwände rein."
"Ich würd' mal sagen: 50 Prozent des ersten Bauabschnittes sind tatsächlich jetzt schon bewohnt."
"Also, es werden über 300 Gebäude."
"Ja."
Ortstermin im Südwesten von Hannover. Friedhelm Birth und Peter Schmidt trifft man häufig hier an. Der eine ist Architekt, der andere Ingenieur mit einem Planungsbüro für Haus- und Anlagentechnik. Im Auftrag der Stadt stehen die beiden als Ansprechpartner für die Bauherren im Zero-e-Park zur Verfügung.
"Es ist also die größte Nullemissionssiedlung in Europa, die im Moment gebaut wird. Also, insofern ist das was ganz Besonderes."
"Das ist eigentlich, glaube ich, schon eine Herausforderung, der Hannover sich stellt. Da werden wir mal sehen, wer sich daran ein Beispiel nimmt, um dann vielleicht auch energieeffizienter zu denken."
Hannover. Großstadt mit 520.000 Einwohnern, 340.000 Arbeitsplätzen und hunderttausend Berufspendlern aus dem Umland. VW baut hier Nutzfahrzeuge, Continental produziert Reifen.
Die niedersächsische Landeshauptstadt ist ein Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Schon als die Staaten der Erde 1992 die Klima-Rahmenkonvention aus der Taufe hoben, begann Hannover, sich zu engagieren.
"Willkommen beim Klimaschutzpfad der Landeshauptstadt Hannover. Thema dieses Titels: 'Regenerative Stromerzeugung und Stromverbrauch allgemein.'"
"Hannover dürfte unter den besten fünf Städten sein. Also, ich will mich da nicht an die Spitze setzen. München macht eine gute Arbeit, Heidelberg eine gute Arbeit, Münster. Also, wir sind bei den besten Fünf."
Hans Mönninghoff leitet seit über zwei Jahrzehnten das Umweltressort der Stadt Hannover. Seit sieben Jahren ist er in Personalunion auch noch Wirtschaftsdezernent.
"Wir haben sehr gute Rahmenbedingungen, weil wir seit 24 Jahren die gleiche politische Mehrheit haben, Rot-Grün im Rat, die an dem Energie-Thema von Anfang an dran war. Wir haben schon seit fast 20 Jahren wirklich eine Arbeitsgruppe in der Verwaltung, die daran arbeitet. Also, Hannover ist ein Beispiel für eine Stadt, was man unter optimalen Bedingungen kommunal machen kann."
"Anhand des Fließschemas sehe ich, wo der Dampf abgenommen wird vom Kessel."
"Wieviel ist denn das?"
"Zur Zeit 16,2 Kilo pro Sekunde."
"Und das ganze Kraftwerk macht?"
"Das macht 2200 Tonnen pro Stunde."
Großstädte wie München, Heidelberg oder Hannover haben nie ihre Stadtwerke verkauft. Sie erzeugen auch heute noch ihren Strom selbst, in eigenen Kraftwerken. Dies sei besonders wichtig, sagt der gelernte Bauingenieur Mönninghoff:
"Allein von unseren Einsparanstrengungen bis 2020, die wir für maximal realistisch halten, kommen mindestens 40 Prozent allein durch Maßnahmen, die die Stadtwerke beeinflussen. Wir stellen jetzt das zentrale Kraftwerk, das unser Fernwärmenetz hier in Hannover versorgt, um von Kohle auf Gas. Und alleine das bringt 200.000 Tonnen CO2-Reduktion pro Jahr. Dann Ausbau Fernwärme und Engagement der Stadtwerke auch bei regenerativer Energie – das sind die drei Bausteine."
Die Nullemissionssiedlung im Stadtteil Wettbergen – auch sie ein Mosaikstein im Hannoverschen Klimaschutzkonzept. Das Neubauquartier besteht aus lauter Passivhäusern. Jedes von ihnen gut wärmegedämmt, mit intelligenter Innenraum-Belüftung und optimaler Ausrichtung der Fenster nach Süden, zur Sonne. Haustechnik-Planer Peter Schmidt überschlägt die eingesparten Energiemengen:
"Diese Gebäude, auch wenn sie jetzt so 150 Quadratmeter haben, die haben ungefähr nur noch eine Heizlast von zwei KW, zwei Kilowatt. Wenn man das mal für so ein normales Gebäude betrachten würde, dann hätten wir 20. Also, wir haben nur noch zehn Prozent der Energie, die wir wirklich noch zuführen müssen gegenüber dem, was man so kennt."
Entsprechend viel CO2 wird vermieden, im Vergleich zu Gebäuden mit Öl-Heizung. Und auch für die zehn Prozent Restenergie, die die Einfamilien- und Reihenhäuser im Winter noch ergänzend benötigen, werden keine fossilen Brennstoffe eingesetzt. Schmidt:
"Was nicht halt erfolgen darf, ist, daß man es elektrisch macht. Es gibt einige, die haben einen Stückholzofen. Andere, die haben einen Holzpellet-Ofen. Und einer ist mittlerweile auch dabei, der nutzt Gasflaschen. Also Restenergie über einen Brennwertkessel mit Gasflaschen."
Hannover hat mittlerweile auch etliche Bürogebäude, Sportstätten und sogar einen Supermarkt im Passivhaus-Standard. Das kommt daher, daß der Rat der Stadt einen erstaunlichen Beschluss gefasst hat: Wird ein städtisches Grundstück verkauft, geht es nicht mehr automatisch an den Meistbietenden, so Umwelt-und Wirtschaftsdezernent Mönninghoff:
"Wir verkaufen nicht zum Maximalpreis, sondern wir fixieren den Preis gutachterlich. Und dann kriegt der den Zuschlag für das Grundstück, der den höheren ökologischen Standard beim Bauen verwirklicht. Seit fünf Jahren Beschlusslage bei uns. Machen wir ständig. Wohngebäude, Gewerbegebäude."
Auch bei der energetischen Sanierung von eigenen Gebäuden tut die Stadt mehr, als sie müsste. Mönninghoff:
"Da haben wir auch einen Ratsbeschluss. Also auch die neueste Wärmeschutzverordnung unterschreiten wir bei allen Sanierungsmaßnahmen um 30 Prozent."
Hannover – ein wahrer Musterknabe im Klimaschutz, wie es scheint. Mönninghoff:
"Wenn Sie mir eine halbe Stunde Sendezeit geben, referiere ich gerne länger!"
Doch wie erfolgreich ist die Stadt eigentlich bei dem Versuch, den Ausstoß von Treibhausgasen zu vermindern? Wie sieht Hannovers CO2-Bilanz aus? Und damit zurück zur Ausgangsfrage: Wie stark können Städte tatsächlich zur Lösung des Klimaproblems beitragen? Die Antwort des engagierten Umwelt- und Wirtschaftsdezernenten, sie ist ernüchternd:
"Die Reduktionen – wir sind bis jetzt ja miserabel! Also, wir haben eine Bilanz gerade gemacht: Was ist Hannover in den letzten 20 Jahren passiert? Der CO2-Ausstoß ist in den letzten 20 Jahren absolut nur um vier Prozent gesunken. Das heißt, wir sind meilenweit von unseren Zielen entfernt, trotz optimaler Rahmenbedingungen."
Es sind allgemeine gesellschaftliche Trends, denen sich Hannover nicht entziehen kann und die auch allen anderen Städten zu schaffen machen. Hans Mönninghoff:
"Wo wir nicht so gut sind als Stadt-Gesellschaft, ist beim Strom der privaten Haushalte. Ein Anstieg von neun Prozent in den letzten 20 Jahren. Mehr Computer, mehr Standby-Verluste, mehr Elektrifizierung. Dann haben wir einen Anstieg von elf Prozent bei der Industrie. Die frühere These, dass sich Produktion von Energieverbrauch entkoppelt, ist falsch. Sogar umgekehrt! Dadurch, daß sie mit immer weniger Leuten arbeiten, ist der Maschineneinsatz, der energieintensive Maschineneinsatz, höher. Wir haben in Hannover Milliarden in eine Optimierung des öffentlichen Nahverkehrs gesteckt. Wir haben 24 Prozent mehr Fahrgastbewegungen in den Bussen und Bahnen. Trotzdem ist der Energieverbrauch im Gesamtverkehr nur um zwei Prozent gesunken. Weil wir immer größere Autos haben, immer mehr LKW-Verkehr, und die Leute immer mehr fliegen."
"Immer noch keinen Urlaub gebucht? Finden Sie Ihren Traumurlaub direkt am Hannover Airport..."
All das bezieht Hannover in seine Klimabilanz mit ein. Hans Mönninghoff:
""Also ich behaupte einmal, es gibt keine so ehrliche Bilanz, wie wir sie haben."
Hans Mönninghoff ist auch nach zwei Jahrzehnten kommunaler Klimaschutzpolitik noch immer engagiert bei der Sache. Doch der Dezernent macht sich nichts vor:
"Wichtig ist, daß solche Städte wie wir auch Vorbildcharakter haben. Ich hatte gerade eine Delegation aus Japan da von kommunalen Politikern, die sich infolge von Fukushima erkundigt haben. Wie macht Ihr das? Wie kommt Ihr zu den Reduzierungen? Und dann sind solche Beispiele wertvoll. Aber sie sind nicht die Lösung. Die kommunalen Möglichkeiten werden völlig überschätzt."
Ein internationales Netzwerk von Stadtklimatologen hat vor kurzem einen umfassenden Bericht zum Thema vorgelegt. Darin bezeichnen die Fachautoren Städte als "wichtige Laboratorien für den Klimaschutz". Unter ihnen der indische Stadtplaner Shagun Mehrotra von der Columbia University in New York City:
"Während die Staatsregierungen weiter verhandeln, sind Städte längst aktiv geworden. Daraus ist ein Wissensschatz entstanden, von dem andere profitieren können."
In dem Bericht mangelt es nicht an Beispielen großstädtischer Aktivitäten Shanghai bekämpfe die Klimaerwärmung durch gezielte Baumpflanzungen und die Begrünung von Hausdächern, heißt es da etwa. Tokio verwende für Bürgersteige neuerdings Materialien, die sich nicht aufheizten. In London, Durham und Singapur habe eine City-Maut den Autoverkehr und damit auch die CO2-Emissionen erfolgreich verringert. Doch wenn man den Erfahrungen in Hannover folgt, bleiben das alles nur Tropfen auf den heißen Stein. Und wenn Metropolen sich vornehmen, sogar klimaneutral zu werden, also praktisch CO2-frei, wie etwa Kopenhagen bis zum Jahr 2025, dann kommt erst recht Widerspruch vom kommunalen Umweltplaner:
"Das ist eine Illusion. Es gibt keine energieneutralen Großstädte."
Ganz einfach, weil im städtischen Ballungsraum kein Platz für Windräder und den Anbau von Biomasse sei, sondern lediglich für Solarzellen auf den Dächern. Und Photovoltaik allein, so Hans Mönninghoff, genüge nicht, um fossile Energieträger auch nur annähernd zu ersetzen. In Hannover prüft man deshalb jetzt regionale Konzepte mit Beteiligung von Gemeinden auf dem Land, wo Platz für Windkraftanlagen und Maisäcker ist:
"Wir arbeiten intensiv an einer Studie zurzeit: Wie machen wir die Region Hannover klimaneutral? Also ein Baustein Photovoltaik. Dazu haben wir eingebaut Windräder. Wenn ich 250 sehr große Anlagen baue, ist auch die Obergrenze erreicht. Und Biomasse, aber nicht mehr als 20 Prozent der Ackerfläche."
Doch auch hier sind die vorläufigen Ergebnisse enttäuschend. Nicht einmal die Hälfte ihres heutigen Energiebedarfs könnte die Region Hannover durch Biomasse, Wind und Sonne decken. Es gibt also klare Grenzen für das, was Städte und Gemeinden aus eigener Kraft leisten können. Schon gar nicht seien die kommunalen Programme dazu geeignet, staatliche Klimaschutzmaßnahmen zu ersetzen, sagt Hans Mönninghoff:
"Die Kommunen sollen vorbildlich machen, was sie können. Da sie aber nur einen kleinen Teil beeinflussen, ist es wichtig, daß der größere auch passiert."
Das ist die Situation 15 Jahre nach Verabschiedung des Kyoto-Protokolls: Die Staaten der Erde sind gescheitert. Trotz langwieriger Verhandlungen gibt es noch immer keinen neuen, bindenden Klimaschutz-Vertrag mit Treibhausgas-Minderungen, wie sie eigentlich erforderlich wären. Hermann Ott:
"Das sagt uns ja auch die Klimawissenschaft: Daß wir bis 2020 die Wende schaffen müssen, das heißt die weltweiten Emissionen müssen zurückgehen und dürfen nicht mehr weiter steigen."
Und womöglich, das fürchtet auch Hermann Ott, wird es zu einem solchen Vertrag auch nicht mehr kommen. Derweil sind Städte zur Speerspitze einer Klimaschutz-Bewegung von unten geworden. Doch so viel die Kommunen auch tun mögen: Es wird längst nicht genügen, um das Problem der globalen Erwärmung in den Griff zu kriegen. Hans Mönninghoff:
"Der Ansatz, sich zu drücken vor den notwendigen staatlichen Entscheidungen, weil wir sagen: Die Kommunen machen doch! Das wäre gefährlich und falsch."
Ist das Scheitern also unvermeidlich? Gibt es keinen anderen Ausweg aus dem Dilemma? Zumindest gibt es weitere Vorschläge, um die lähmende Dauerblockade zwischen den USA und Schwellenländern wie China aufzulösen. Darauf komme es an, betont der frühere Klimaberater und heutige Klimapolitiker Hermann Ott noch einmal:
"Wir müssen die Strategie ändern. Es muss Gruppen von Staaten geben, die vorangehen, die wirklich etwas wollen. Die Staaten, die wirklich wollen, das sind ja in ganz Europa sehr viele. Das sind ganz viele Entwicklungsländer. Das sind auch viele Schwellenländer. Also, wenn man diese Staaten zusammennimmt und ein progressives Klima-Regime vereinbart, dann wird sich sehr schnell zeigen, daß diese Staaten sich unabhängig machen von fossilen Brennstoffen. Vielleicht könnte man sogar zu einer privilegierten Rohstoff-Partnerschaft kommen, wo dann auch die Industriestaaten etwas davon hätten."
Irgendwann, so Ott, müssten die weniger progressiven Länder wohl oder übel nachziehen. Ein Konzept, das auch Hans-Joachim Schellnhuber grundsätzlich für vernünftig hält, der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung:
"Die ersten Ländergruppen, die diesen Weg gehen werden, werden auch ökonomische Vorteile haben. Sie werden effizienter sein. Sie werden weniger Energie einsetzen müssen. Sie werden Kosten sparen. Aber sie werden letztendlich auch unheimlich viele technologische Innovationen antreiben. Durch letztendlich Klimapolitik."
Doch klar ist auch, so Hermann Ott:
"Es gibt in unserer vernetzten Wirtschaftswelt eine große Angst davor, Dinge unabhängig voneinander oder alleine, als Vorreiter, zu tun."
Es gab sogar einen solchen Vorreiter. Die Europäische Union. Doch auch sie hat inzwischen der Mut verlassen. Seit Jahren schon kann sich die EU nicht dazu durchringen, ein besseres Angebot auf den Tisch zu legen. Bis Ende des Jahrzehnts will sie ihren Treibhausgas-Ausstoß um 20 Prozent vermindern, verglichen mit 1990. Doch das ist heute schon fast geschafft, und es wäre sicher noch mehr möglich, sagt auch Ecofys-Experte Niklas Höhne. Nur:
"Stärkeren Klimaschutz national durchzusetzen ist generell schwierig, wenn insgesamt das Bild doch im Raum steht, daß alle Länder zu wenig machen. Und da will man ungern das Land sein, das eben mehr macht und alleine vorangeht."
Ein Staat, der mehr machen wollte und deshalb im Blickpunkt steht, ist Deutschland. Unter dem Stichwort "Energiewende" nimmt die Politik in Angriff, was laut Hermann Ott zwingend notwendig ist:
"Wir müssen zeigen, daß es geht. Wir müssen unsere Wirtschaft klimaneutral umbauen und unseren Energie- und unseren Ressourceneinsatz zurückfahren."
Doch inzwischen zeigen sich auch hier Widerstände in der Bevölkerung. Vor allem der notwendige Netzausbau stockt. Ganz zu schweigen von wirtschaftlichen Fehlentwicklungen: So sind viele deutsche Solaranbieter pleite gegangen, weil Firmen aus Fernost inzwischen billiger produzieren als sie. Das Kyoto-Protokoll. Es hätte eine Initialzündung für den globalen Klimaschutz sein können. Tatsächlich aber ist die Staatengemeinschaft in all den Jahren keinen entscheidenden Schritt weitergekommen. Man wird der Klimapolitik eines Tages vorwerfen, sie habe die Zeitspanne verstreichen lassen, in der Maßnahmen gegen eine gefährliche Klimaerwärmung noch erfolgversprechend waren. Eine Zeitspanne, die vermutlich schon jetzt in der Vergangenheit liegt. Niklas Höhne:
"Es ist sehr, sehr spät und wird sehr schwierig. Hätten wir deutlich früher angefangen, wäre es einfacher gewesen."
Ott: "Wenn 2015 wieder alles scheitert, dann weiß ich nicht, ob der gesamte internationale Prozess sich davon noch einmal erholt."
Mönninghoff: "Ich fürchte, auf internationaler Ebene wird sich erst etwas bewegen, wenn wir in Richtung Katastrophensituationen kommen."
Schellnhuber: "Dann sind wir allerdings auf dem Weg, weit über die zwei Grad hinauszuschießen. Und dann können wir nicht mehr garantieren dafür, daß das noch beherrschbar sein wird."