Sieben Milliarden Menschen leben derzeit auf der Erde. Immer mehr Menschen verlangen nach immer mehr Nahrung. Gleichzeitig schwindet die natürliche Bodenfruchtbarkeit. Allein in Afrika sind seit 1960 6,3 Millionen Hektar Ackerland verloren gegangen – In nur 50 Jahren eine Fläche fast so groß wie Bayern.
Der Hengstbacherhof, ein unscheinbarer Weiler abseits der Hauptstraßen in Rheinland-Pfalz. Alte Bruchsteinhäuser grenzen direkt an Maisfelder. Etwas abseits eine neue, funktionelle Halle. Betonboden, Rolltore, ein Dach wie ein Gewächshaus. Ein Arbeiter schaufelt ein dunkles, kompostartiges Material in eine rotierende Siebtrommel. Es riecht und sieht aus wie natürlicher Waldboden. Doch Joachim Böttcher nennt es das "Gold der Erde".
"Das kommt genau daher, weil wir sagen: ein fruchtbarer Boden ist mehr wert als Gold."
Das "Gold der Erde" hat auch einen anderen Namen: Terra Preta, Schwarze Erde. Er bezeichnet ursprünglich einen besonders humusreichen Boden im Amazonasgebiet, die Erfindung einer frühen indianischen Hochkultur. Die Hochkultur ist ausgestorben, doch die Böden, die sie hinterlassen hat, sind geblieben – und bis heute extrem fruchtbar.
"Wir haben in den letzten Jahrzehnten enorme Humusverluste in der Landwirtschaft, das heißt durch Bodenbearbeitung, teilweise durch Düngung und so weiter, und so weiter geht Humus verloren. Also Kohlenstoff wird im Boden abgebaut und gelangt als CO2 in die Atmosphäre. Diese Prozesse müssen wir dringend umkehren, indem wir eben im Boden wieder Humus aufbauen. Das geht einmal durch die gute fachliche Praxis des Landwirts. Und viel effektiver geht es mit der Terra Preta Technologie."
Joachim Böttcher ist der Chef auf dem Hengstbacherhof. Er besitzt eine Firma, die Pflanzenkläranlagen baut. Jetzt hat er ein Verfahren entwickelt, mit dem sich extrem stabiler Humus herstellen lässt: aus Grünschnitt, eigens hergestellter feiner Holzkohle und flüssigen Gärresten. Damit können degradierte Böden wieder aufgebessert werden.
"Jeder Landwirt weiß, dass ein humusreicher Boden eher fruchtbar ist."
Wer Humus in seinem Acker haben will, muss den organischen Anteil stabilisieren. Die Indios am Amazonas hatten das geschafft. Doch ihr Wissen ging verloren. Erst in den letzten Jahren kamen Forscher und Praktiker wie Joachim Böttcher dem Rätsel um die Herstellung der schwarzen Wundererde auf die Spur. Die Indios mischten in ihren Kompost offenbar feine Holzkohle. Im verkohlten Zustand ist die frühere Pflanzenmasse vor einem weiteren Abbau geschützt und kann viele Nährstoffe speichern. Zugleich ließen die Indios ihren Kompost in großen Tonkrügen unter Luftabschluss von Milchsäurebakterien vergären. Ein solcher Prozess macht nicht nur Sauerkraut länger haltbar, sondern auch Humus. Böttcher:
"Nach der Intensivrotte kommt die eigentliche Fermentation, also der Hauptprozess, den wir haben, das sehen wir hier."
In der Halle auf dem Hengstbacherhof werden diese Schritte nachvollzogen. Es ist eine weltweit bisher einmalige Demonstrationsanlage. Sie funktioniert wie ein Kompostwerk, mit zusätzlichen Verfahrensschritten.
"Das Material aus der Intensivrotte wird zunächst sehr stark am Boden gepresst, es wird also verdichtet. Hier kommt unser Mikrobencocktail herein. Und dann wird das mit einer Silagefolie abgedeckt. Das wird also abgedeckt, damit es schön luftdicht ist, und bleibt hier ungefähr zwei Wochen drin."
Danach wird die Terra Preta nur noch getrocknet und kann sofort als Bodenverbesserer eingesetzt werden. Erste Tests laufen. Auf Versuchsflächen wachsen Mais und Kartoffeln in Streifen. Die schwarze Erde soll die Erträge steigern, in den zerstörten Tagebaulandschaften der Lausitz und auf ehemaligen NVA-Flächen in Brandenburg die Renaturierung voranbringen. Die FU Berlin begleitet die Versuche. Doch Joachim Böttcher denkt schon in viel größeren Dimensionen: Überall auf der Welt könnten Terra-Preta-Werke entstehen und dazu beitragen, die geschundenen Böden für die Zukunft fit zu machen.
"Im Jahr 2050 werden hier auf dem Planeten über neun Milliarden Menschen leben. Und wir sehen heute schon, dass wir eine ganz andere Form von Landwirtschaft brauchen. Wir brauchen eine Landwirtschaft, die ressourcenschonend fungiert, die viel weniger Flächen verbraucht. Und da könnte das Terra Preta Konzept sehr, sehr gut rein passen."
Rund zehn Prozent der Landfläche der Erde werden heute von der Landwirtschaft genutzt. Umgerechnet auf die Weltbevölkerung stehen pro Kopf 0,22 Hektar für die Nahrungsproduktion zur Verfügung. Bis zum Jahr 2050 wird die anteilig verfügbare Fläche auf unter 0,17 Hektar pro Kopf sinken. Zugleich wird der Nahrungsmittelbedarf weltweit um 60 bis 70 Prozent steigen, in den Entwicklungsländern sogar um 100 Prozent.
"Fruchtbare Böden sind eine der wichtigsten Grundlagen unseres Lebens. Und ohne fruchtbare Böden werden wir keine Lebensmittel erzeugen können. So trivial das klingt, man muss feststellen, dass diese alte Weisheit in den letzten Jahren stark in Vergessenheit geraten ist."
Alexander Müller, stellvertretender Generaldirektor der Welternährungsorganisation FAO in Rom. Der frühere Staatssekretär im Bundesverbraucherschutzministerium leitet dort heute die Abteilung "Management natürlicher Ressourcen". Gerade erst hat die FAO einen Statusbericht zu den Land- und Wasserressourcen der Welt veröffentlicht. Darin finden sich einige alarmierende Zahlen.
"Es gibt Schätzungen, dass die Erde jedes Jahr fast 20 Milliarden Tonnen fruchtbare Böden verliert. Und diese Böden sind ein für alle Mal verloren. Sie werden nicht mehr so schnell wieder hergestellt. Es ist also einfach fruchtbaren Boden zu verlieren. Aber es dauert sehr sehr lange, und es ist sehr komplex, um Bodenfruchtbarkeit wieder aufzubauen."
Die FAO will den Schutz der Böden stärker in den Fokus ihrer Arbeit rücken. Im vergangenen Jahr startete sie dafür eine neue Initiative: die Global Soil Partnership, die globale Partnerschaft zur besseren Bewirtschaftung der Böden. Müller:
"Ich mache mir da keine Illusionen. Das wird ein langwieriger Prozess sein, denn fruchtbarer Boden wird heutzutage leider immer noch angesehen als etwas, was man zum Nulltarif haben kann und das im Überfluss vorhanden ist."
Vorbild für die Global Soil Partnership ist die Global Water Partnership. Diese wurde schon vor 15 Jahren im Nachklang des Umweltgipfels von Rio 1992 vom UN Entwicklungshilfeprogramm UNDP und der Weltbank ins Leben gerufen. Ziel war es, den nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser auf die politische Agenda zu setzen. Ende Juni findet im brasilianischen Rio de Janeiro wieder eine große Umweltkonferenz statt. "Rio plus 20" soll neuen Schwung für die Idee der Nachhaltigkeit bringen – und damit auch für den Bodenschutz, wie Alexander Müller meint:
"Ich hoffe, dass es uns gelingt deutlich zu machen, dass die Böden die notwendige Voraussetzung für unser Leben sind. Wir werden die globale Bodenpartnerschaft auf jeden Fall in Rio de Janeiro vorstellen und wir hoffen, dass wir sie auch in das Abschlusskommuniqué hinein bekommen."
Für den Verlust und die Degradation des Bodens gibt es drei maßgebliche Ursachen. Zum einen die Versiegelung: Weltweit wachsen die Städte. Wertvolle landwirtschaftliche Flächen werden unter Beton und Asphalt begraben. Ein zweites Problem: die Versalzung. Das betrifft vor allem künstlich bewässerte Flächen. Bei einem schlechten Bewässerungsmanagement verdunstet viel Wasser – ungenutzt. Die darin gelösten Salze bleiben dann an der Oberfläche zurück. Wird der Salzgehalt zu groß, wachsen die Pflanzen schlechter und liefern weniger Ertrag. Das im weltweiten Maßstab größte, aber am wenigsten beachtete Dilemma ist der schleichende Verlust der natürlichen Bodenfruchtbarkeit. Die intensive maschinelle Bearbeitung zerstört die gewachsene Struktur der Böden. Es kommt zum Abbau von Humus und verstärkter Erosion. Landschaften entstehen, in denen tiefe Risse staubige Böden durchziehen und die Vegetation nach und nach verschwindet.
"Wir stehen jetzt also hier auf der Pflugvariante. Das ist jetzt das 32. Versuchsjahr hier in Offenheim auf einer Parabraunerde."
Friedrich Tebrügge trägt Gummistiefel, Parka und einen Spaten in der Hand. Vor drei Jahrzehnten startete der Ingenieur für Landtechnik von der Universität Gießen einen damals weltweit einmaligen Versuch. Bis heute testet er die Techniken für eine bodenschonende Landwirtschaft.
"Vor 30 Jahren kamen bei Landmaschinenausstellungen die ersten Maschinen auf den Markt, angetrieben durch eine Entwicklung, die in Amerika stattgefunden hat. Und das hat uns als Landtechniker natürlich interessiert. Können wir derartige Verfahren auch in Westeuropa einsetzen und nutzen?"
Offenheim bei Friedberg ist einer von fünf Standorten in Hessen. Friedrich Tebrügge ist mittlerweile pensioniert, doch seine Äcker begutachtet er noch immer regelmäßig.
"Die Versuche sind so angelegt, dass wir hier einen Vergleich haben zwischen einer wendenden Bodenbearbeitung, also einer Pflug-Bodenbearbeitung. Dann das andere Extrem ist die reine Direktsaat, wo gar keine Bodenbearbeitung im eigentlichen Sinne stattfindet, sondern nur ein Saatschlitz angelegt wird. Und die dritte Variante ist dann eine Grubber-Variante, eine nicht wendende Bodenbearbeitung, die aber auf gleicher Boden- oder gleicher Arbeitstiefe arbeitet wie der Pflug, also auch 25 cm tief, wird der Boden gelockert."
Die Äcker werden all die Jahre stets mit der gleichen Fruchtfolge bestellt. Es geht darum zu ermitteln, wie sich im Vergleich der Bearbeitungstechniken die Qualität des Bodens und die Erträge entwickeln. Traditionell kommt in Deutschland - wie in vielen anderen Ländern - der Pflug zum Einsatz. Dabei wird die oberste Bodenschicht gewendet und stark aufgelockert, während Pflanzenreste und Unkräuter etwa 25 Zentimeter tief vergraben werden. Die Äcker sehen dann besonders ordentlich aus, Landwirte sprechen vom "reinen Tisch". Doch der bringt Probleme mit sich. Tebrügge:
"Je intensiver wir die Bodenbearbeitung betreiben, wie zum Beispiel bei der Pflugvariante, führt auch dies zwangsläufig zu einem Humusabbau."
Der stark aufgelockerte Boden ohne Pflanzenreste als Auflage ist Regen und Wind schutzlos ausgeliefert. Die feine Krume wird schnell verblasen. Regentropfen verschlämmen die Oberfläche, das Wasser kann nicht mehr eindringen. In Hanglagen wird der Oberboden bei stärkeren Regenfällen einfach weggeschwemmt. Außerdem sorgt die extreme Auflockerung auch für eine starke Durchlüftung. Dadurch vermehren sich vor allem die zehrenden Mikroorganismen, welche die organische Substanz im Boden abbauen.
"Es gibt also Länder, zum Beispiel in England, wo man festgestellt hat, dass in den letzten 50 Jahren der Humusabbau etwa 50 Prozent betragen hat. Hier versucht man eben durch neue Techniken, durch andere Bodenbewirtschaftungsverfahren, den Humus wieder anzureichern."
Solche Techniken werden konservierende Bodenbearbeitung genannt. Auf das Pflügen wird dabei grundsätzlich verzichtet. Zum Lockern des Bodens kommt der Grubber zum Einsatz. Ein Grubber reißt den Boden zwar noch auf, aber wendet ihn nicht mehr. Bei der Direktsaat schließlich werden Erntereste gar nicht mehr mechanisch eingearbeitet, sondern bleiben oberflächlich liegen. Sie dienen als Erosionsschutz. Spezielle Sämaschinen schneiden nur noch schmale Schlitze in den Boden und legen dort das Saatgut wenige Zentimeter tief ab. Friedrich Tebrügge sticht mit dem Spaten in den Boden der Direktsaat-Versuchsfläche.
"Wenn wir jetzt mal den Boden in die Hand nehmen. Obwohl er also dichter gelagert ist, sehen wir, dass dieser Boden etwas plattiger aufgebaut ist, wir sprechen hier von einer kleinen Plättchenstruktur. Das heißt, wir haben hier letztendlich ein fast natürlich aufgebautes Bodengefüge, das hinsichtlich der Durchwurzelbarkeit absolut keine Probleme darstellt."
Auf allen Versuchsstandorten mit konservierender Bodenbearbeitung hat Friedrich Tebrügge über die Jahre keinen Humusabbau in Form von Kohlenstoffverlusten mehr gemessen. Vielmehr zeigte sich eine Anreicherung der organischen Substanz im Boden. Auf den gegrubberten Flächen waren es etwa 0,5 Tonnen, bei Direktsaat sogar bis zu einer Tonne Kohlenstoff pro Hektar und Jahr. Ein weiteres untrügliches Zeichen für eine Verbesserung des ökologischen Zustandes des Bodens: Die Dichte der Regenwürmer. Auf den gepflügten Abschnitten kommen nur 30 bis 40 vor, unter der Direktsaat hingegen bis zu 200 Regenwürmer pro Quadratmeter. Die Regenwürmer mischen Pflanzenreste in den Unterboden ein und bauen dabei bis zu zwei Meter tiefe Röhrensysteme, die von Mikroorganismen besiedelt werden. Durch diese stabilen Poren dringt nicht nur der Regen leichter und tiefer in den Boden ein, sondern auch die Pflanzenwurzeln. Im Endeffekt sichert das auf vielen Standorten mit reduzierter Bodenbearbeitung sogar die Ernte.
"Der höhere Ertrag ist meiner Meinung nach darauf zurückzuführen, dass wir eine deutlich höhere Biodiversität haben, eine höhere biologische Aktivität, damit eine bessere Mineralisierung im Boden stattfindet. Aber insbesondere unter Stresssituationen, das heißt, dort, wo relativ geringe Niederschläge fallen, die Pflanzenwurzeln in der Lage sind, diesem kontinuierlichen Porensystem nach unten zu folgen und damit an Wasservorräte, die tiefer im Boden liegen, herankommen."
In Deutschland kommt ein Umdenken erst langsam in Gang. Vor allem in kleineren Betrieben scheuen Bauern die hohen Investitionen in neue Sämaschinen für die reduzierte Bodenbearbeitung. Weltweit dagegen erkennen immer mehr Bauern die Vorteile. Vor allem Brasilien gilt laut Angaben der FAO als vorbildlich. Dort wird inzwischen auf knapp der Hälfte der Ackerflächen direkt gesät, der Rest weitgehend nur mit Grubbern und anderen konservierenden Methoden bearbeitet. Der Pflug hat ausgedient. Hinter dieser Entwicklung stehen nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Gründe: Direktsaat spart Zeit und Energie.
Boden bildet sich durch die Verwitterung von Gestein. Die natürliche Bodenbildungsrate liegt bei rund einer Tonne pro Hektar und Jahr. Weit übertroffen wird das von der Erosion schlecht bewirtschafteter Flächen: Pro Hektar gehen jedes Jahr 30 bis 40 Tonnen fruchtbare Bodenkrume verloren, in manchen Gegenden der Erde sogar bis zu 100 Tonnen. Je weniger der Boden aufgerissen und gelockert wird, desto weniger kann starker Regen die fruchtbare Krume davonschwämmen. Eine flächendeckende Einführung der Direktsaat könnte die Erosion um 90 Prozent reduzieren. Ein Grundproblem der Landwirtschaft bleibt dennoch bestehen: Nach jeder Ernte liegen die Felder erst einmal brach. In dieser Zeit dominieren im Boden die Abbauprozesse.
"Der Boden ist natürlich mehr als nur das mineralische Material. Es ist auch dieses extrem komplexe Bodenleben. Wenn die Organismen nicht ausreichend gefüttert werden, sterben sie ab und wir verlieren diese Komplexität. Bodendegradation bedeutet nicht nur den Verlust von Bodensubstanz oder Nährstoffen, sondern auch Verlust der Vielfalt der biologischen Aktivität im Untergrund."
Jerry Glover ist Agrarökologe aus den USA. Mit Strohhut, Latzhose und dichtem Bart wirkt er auf den ersten Blick wie ein traditionstreuer Farmer aus dem Mittleren Westen. Doch seine Ideen sind revolutionär. Für ihn ist der Boden nicht allein landwirtschaftlicher Produktionsfaktor, sondern ein lebendes System. Und ob dieses System floriert oder degradiert, hängt maßgeblich von den Pflanzen ab, die darauf wachsen.
"Die zentrale Ursache für die Bodendegradation liegt darin, dass wir die Pflanzen, die unsere Landschaften prägen, grundlegend verändert haben. Fast alle natürlichen Ökosysteme abseits der Landwirtschaft werden von mehrjährigen Pflanzengemeinschaften dominiert. Das heißt: Das ganze Jahr über gibt es dieses dichte Wurzelnetz im Boden, das den Boden schützt und den extrem reichen und vielfältigen biologischen Systemen im Boden dient."
Viele Mikroorganismen im Wurzelraum helfen den Pflanzen bei der Nährstoffaufnahme. Als Gegenleistung scheiden die Pflanzen Zuckerverbindungen aus, die sie oberirdisch durch Photosynthese erzeugen und dann in die Wurzeln leiten. Doch nahezu alle Nahrungspflanzen, die von den Bauern seit Jahrtausenden angebaut werden, sind unzuverlässige Versorger: Es sind einjährige Pflanzen. Wenn sie absterben, gehen zwangsläufig auch die von ihnen mitversorgten Bodenlebewesen zugrunde. Unter den großen landwirtschaftlichen Monokulturen kann dieser Effekt dramatische Ausmaße erreichen. Er ist zentraler Bestandteil der Bodendegradation.
"Einige der Regionen, in denen die Nahrungsversorgung der Menschen am stärksten gefährdet ist, sind bereits stark degradiert. Der Boden enthält kaum noch organisches Material, die essentiellen Nährstoffe sind erschöpft. Das gilt es wieder herzustellen. Mehrjährige Pflanzen reichern den Boden mit Stickstoff und Kohlenstoff an, sie schützen ihn vor Erosion. Sie könnten den Prozess der Degradation stoppen und sogar umkehren."
Jerry Glover arbeitet als wissenschaftlicher Berater der nationalen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID in Washington. Ginge es nach ihm, würden die Bauern in Zukunft ihre Felder vielerorts besser mit mehrjährigen Pflanzen bestellen. Die Vision hat nur einen Haken: Von keiner einzigen Getreideart gibt es bisher nutzbare mehrjährige Sorten. Doch das soll nicht so bleiben. Bis vor kurzem forschte Jerry Glover noch am "Land Institute" im US-Bundesstaat Kansas. Dort arbeiten Züchter an mehrjährigem Weizen und mehrjährigen Sonnenblumen. Auch in anderen Ländern laufen Projekte. Beispielsweise züchten chinesische Forscher mehrjährigen Reis.
"Man kann eine vielversprechende mehrjährige Wildpflanze nehmen und sie direkt domestizieren. Das versucht man zum Beispiel mit Weizengras, einem mehrjährigen wilden Verwandten des Weizens. Pflanzenzüchter arbeiten daran, die Samen größer zu machen und auch die Samenmenge zu erhöhen, um den Flächenertrag im Vergleich zur Wildform deutlich zu erhöhen."
Wildgräser haben in der Regel kleine, festsitzende Körner, die schwer zu ernten sind. Zudem entsprechen sie selten den traditionellen Geschmacksvorstellungen des Menschen. Um diese Probleme zu überwinden, gibt es noch andere Züchtungstechniken. Wilde mehrjährige Pflanzen können mit verwandten einjährigen Pflanzen gekreuzt werden. Glover:
"Zum Beispiel kann man eine geeignete mehrjährige wilde Sonnenblume mit der einjährigen Kulturform kreuzen. Daraus entstehen unterschiedliche Hybride. Von denen wählt man jene mit den gewünschten Eigenschaften aus. Es folgen viele weitere Züchtungszyklen, bis man schließlich eine grundsätzlich neue Kulturpflanze erhält, mit Eigenschaften der einjährigen Elternpflanzen und der wilden mehrjährigen Pflanze."
Mindestens zehn Jahre intensiver Züchtungsarbeit dürfte es noch dauern, schätzt Jerry Glover, bis die ersten mehrjährigen Reis- und Weizensorten marktfähig sind. Doch dann könnten sie einen Beitrag zur Sicherung der Welternährung leisten.
"Ich glaube, dass mehrjähriges Getreide in Kombination mit anderen Anbauformen, einjährige Pflanzen inklusive, eine wichtige Rolle spielen wird. Nicht nur für die Ernährungssicherheit, sondern auch, um unsere Umwelt zu bewahren."
Jeder zweite Erdenbürger lebt heute in Städten. 2050 werden es bereits 67 Prozent sein. Was sie verzehren, wird anderswo produziert. Die Transportentfernungen zwischen Erzeugern und Verbrauchern steigen rasant. In der modernen, urbanen Gesellschaft sind viele natürliche Stoffkreisläufe nicht mehr geschlossen. Nahrungspflanzen werden an einem Ort produziert, aber weit davon entfernt in den Städten konsumiert. Die Abfälle und die Exkremente der Menschen mitsamt der darin enthaltenen Nährstoffe kommen nicht zurück auf den Acker.
"Das ist eine Sache die ja auch zur Bodenverarmung beiträgt, dass wir die Exkremente der Menschen in den Wasserkreislauf einleiten, im Wasserkreislauf dort große Schäden anrichten. Und auf der anderen Seite die Chance verpassen, den Humus damit zu nähren – was eigentlich der natürliche Kreislauf wäre. Die Herausforderung ist jetzt, die Exkremente, aber auch die Bioabfälle aus Städten, auch aus Metropolen, in einer Form einzusammeln, dass wir da wieder den Boden, wo unsere Nahrung herkommt, fruchtbar halten können."
Ralf Otterpohl ist Professor für Siedlungswasserwirtschaft an der Technischen Universität Hamburg Harburg. Er entwickelt neue Konzepte für die Verwertung organischer Abfälle aus den Städten – als Dauerhumus.
"Das interessante ist ja, dass wir mit einer großen Bevölkerung auch viele Stoffe haben, die zur Humusproduktion dienen können."
Die Frage ist allerdings, wie man diese Stoffe am besten zu Kompost verarbeitet. Ralf Otterpohl will dafür – ähnlich wie Joachim Böttcher vom Hengstbacherhof – auf die wieder entdeckten Bodenkulturtechniken der früheren Amazonas-Indios zurückgreifen.
"Also die haben es geschafft, aus ihren Bioabfällen, Gartenabfällen, Exkrementen, Knochen und anderen Stoffen den fruchtbarsten Boden der Welt aufzubauen. Und das sehe ich für meine Arbeit auch als Vorbild. Also wir arbeiten auch an etwas, was wir Terra Preta Sanitation nennen."
Es geht um die Entwicklung neuer Sanitärsysteme. Die Forschung hierzu steht erst noch am Anfang. Mitarbeiter von Ralf Otterpohl entwickeln zum Beispiel geruchsfreie Komposttoiletten. Der Kot wird getrennt vom Urin in einem luftdichten Behälter aufgefangen. Gezielt zugesetzte Bakterien sorgen für eine milchsaure Vergärung der Exkremente. Das verhindert unangenehme Gerüche. Die Sammelbehälter werden in regelmäßigen Abständen ausgetauscht und ihr Inhalt kompostiert. Damit daraus Terra Preta wird, der fruchtbare Dauerhumus nach Indio-Art, wird auch noch Holzkohle untergemischt. Otterpohl:
"Dabei ist natürlich auch die Hygiene zu beachten. Wenn wir eine Kompostierung machen aus Exkrementen, dann ist es aus meiner Sicht nötig, dass man gar vielleicht die ersten zehn Jahre nicht direkt Lebensmittel darauf anbaut."
In der biologisch aktiven Terra Preta werden unerwünschte Stoffe wie beispielsweise Medikamentenrückstände schnell abgebaut. Während der Hygienisierungsphase können auf den Flächen, die mit Sanitärhumus angereichert wurden, schon schnellwachsende Gehölze angebaut werden. Damit wäre gleich die Rohstoffquelle für die benötigte Holzkohle gesichert. Nach einigen Jahren könnten so in der Nähe der Städte extrem fruchtbare Anbauflächen mit purer Terra Preta entstehen. Otterpohl:
"Mit sehr hohen Humusanteilen, das geht hoch bis zu 65 Prozent Humus – also heute ist der Bauer froh wenn er drei bis vier Prozent Humus hat – kann man unglaublich hohe Erträge haben. Und das ist eigentlich eine Hoffnung auch für die gesamte Menschheit, dass es nicht daran hakt, wie viele Menschen auf der Erde sind, sondern eher, dass wir intelligentere Landnutzung machen, und auch den Menschen diese Methoden zugänglich machen."
Ganz ähnlich sieht auch die Vision von Joachim Böttcher aus, der auf dem Hengstbacherhof schon mit der Produktion von Terra Preta im größeren Maßstab begonnen hat.
"Wir können in Zukunft sogar eine ganz andere Landwirtschaft denken. Wir können hingehen zu kleinen Flächen. Wir können theoretisch sogar in den Städten, urbanen Räumen Landwirtschaft betreiben, auf den Dächern, in den Vorgärten, weil wir nicht mehr diese riesengroßen Flächen brauchen, wenn die Böden gesund sind, wenn die Böden funktionieren, wenn wir viel Humus in den Böden haben."
Viel Humus in Form von Terra Preta allein wird die Ernährung der Menschheit nicht sichern können. Ebenso wenig stellen die konservierende Bodenbearbeitung und die Züchtung mehrjähriger Pflanzen Allheilmittel dar. Das Problem der Bodendegradation verlangt vielschichtige Lösungen. Statt kurzsichtiger Ertragsmaximierung gilt es, den Erhalt und den Aufbau der natürlichen Bodenfruchtbarkeit endlich als zentrales Anliegen jeder so genannten "Landwirtschaft" zu begreifen. Die Zeit dafür drängt, weiß FAO-Sprecher Alexander Müller:
"'"Wenn wir heute nicht beginnen, werden Milliarden Tonnen von Böden in den nächsten Jahren weiterhin verschwinden. Die werden uns fehlen, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.""
Hinweis: Dies ist der zweite Teil einer fünfteiligen Serie über die zukünftige Ernährung der Menschheit. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Übersichtsseite.
Der Hengstbacherhof, ein unscheinbarer Weiler abseits der Hauptstraßen in Rheinland-Pfalz. Alte Bruchsteinhäuser grenzen direkt an Maisfelder. Etwas abseits eine neue, funktionelle Halle. Betonboden, Rolltore, ein Dach wie ein Gewächshaus. Ein Arbeiter schaufelt ein dunkles, kompostartiges Material in eine rotierende Siebtrommel. Es riecht und sieht aus wie natürlicher Waldboden. Doch Joachim Böttcher nennt es das "Gold der Erde".
"Das kommt genau daher, weil wir sagen: ein fruchtbarer Boden ist mehr wert als Gold."
Das "Gold der Erde" hat auch einen anderen Namen: Terra Preta, Schwarze Erde. Er bezeichnet ursprünglich einen besonders humusreichen Boden im Amazonasgebiet, die Erfindung einer frühen indianischen Hochkultur. Die Hochkultur ist ausgestorben, doch die Böden, die sie hinterlassen hat, sind geblieben – und bis heute extrem fruchtbar.
"Wir haben in den letzten Jahrzehnten enorme Humusverluste in der Landwirtschaft, das heißt durch Bodenbearbeitung, teilweise durch Düngung und so weiter, und so weiter geht Humus verloren. Also Kohlenstoff wird im Boden abgebaut und gelangt als CO2 in die Atmosphäre. Diese Prozesse müssen wir dringend umkehren, indem wir eben im Boden wieder Humus aufbauen. Das geht einmal durch die gute fachliche Praxis des Landwirts. Und viel effektiver geht es mit der Terra Preta Technologie."
Joachim Böttcher ist der Chef auf dem Hengstbacherhof. Er besitzt eine Firma, die Pflanzenkläranlagen baut. Jetzt hat er ein Verfahren entwickelt, mit dem sich extrem stabiler Humus herstellen lässt: aus Grünschnitt, eigens hergestellter feiner Holzkohle und flüssigen Gärresten. Damit können degradierte Böden wieder aufgebessert werden.
"Jeder Landwirt weiß, dass ein humusreicher Boden eher fruchtbar ist."
Wer Humus in seinem Acker haben will, muss den organischen Anteil stabilisieren. Die Indios am Amazonas hatten das geschafft. Doch ihr Wissen ging verloren. Erst in den letzten Jahren kamen Forscher und Praktiker wie Joachim Böttcher dem Rätsel um die Herstellung der schwarzen Wundererde auf die Spur. Die Indios mischten in ihren Kompost offenbar feine Holzkohle. Im verkohlten Zustand ist die frühere Pflanzenmasse vor einem weiteren Abbau geschützt und kann viele Nährstoffe speichern. Zugleich ließen die Indios ihren Kompost in großen Tonkrügen unter Luftabschluss von Milchsäurebakterien vergären. Ein solcher Prozess macht nicht nur Sauerkraut länger haltbar, sondern auch Humus. Böttcher:
"Nach der Intensivrotte kommt die eigentliche Fermentation, also der Hauptprozess, den wir haben, das sehen wir hier."
In der Halle auf dem Hengstbacherhof werden diese Schritte nachvollzogen. Es ist eine weltweit bisher einmalige Demonstrationsanlage. Sie funktioniert wie ein Kompostwerk, mit zusätzlichen Verfahrensschritten.
"Das Material aus der Intensivrotte wird zunächst sehr stark am Boden gepresst, es wird also verdichtet. Hier kommt unser Mikrobencocktail herein. Und dann wird das mit einer Silagefolie abgedeckt. Das wird also abgedeckt, damit es schön luftdicht ist, und bleibt hier ungefähr zwei Wochen drin."
Danach wird die Terra Preta nur noch getrocknet und kann sofort als Bodenverbesserer eingesetzt werden. Erste Tests laufen. Auf Versuchsflächen wachsen Mais und Kartoffeln in Streifen. Die schwarze Erde soll die Erträge steigern, in den zerstörten Tagebaulandschaften der Lausitz und auf ehemaligen NVA-Flächen in Brandenburg die Renaturierung voranbringen. Die FU Berlin begleitet die Versuche. Doch Joachim Böttcher denkt schon in viel größeren Dimensionen: Überall auf der Welt könnten Terra-Preta-Werke entstehen und dazu beitragen, die geschundenen Böden für die Zukunft fit zu machen.
"Im Jahr 2050 werden hier auf dem Planeten über neun Milliarden Menschen leben. Und wir sehen heute schon, dass wir eine ganz andere Form von Landwirtschaft brauchen. Wir brauchen eine Landwirtschaft, die ressourcenschonend fungiert, die viel weniger Flächen verbraucht. Und da könnte das Terra Preta Konzept sehr, sehr gut rein passen."
Rund zehn Prozent der Landfläche der Erde werden heute von der Landwirtschaft genutzt. Umgerechnet auf die Weltbevölkerung stehen pro Kopf 0,22 Hektar für die Nahrungsproduktion zur Verfügung. Bis zum Jahr 2050 wird die anteilig verfügbare Fläche auf unter 0,17 Hektar pro Kopf sinken. Zugleich wird der Nahrungsmittelbedarf weltweit um 60 bis 70 Prozent steigen, in den Entwicklungsländern sogar um 100 Prozent.
"Fruchtbare Böden sind eine der wichtigsten Grundlagen unseres Lebens. Und ohne fruchtbare Böden werden wir keine Lebensmittel erzeugen können. So trivial das klingt, man muss feststellen, dass diese alte Weisheit in den letzten Jahren stark in Vergessenheit geraten ist."
Alexander Müller, stellvertretender Generaldirektor der Welternährungsorganisation FAO in Rom. Der frühere Staatssekretär im Bundesverbraucherschutzministerium leitet dort heute die Abteilung "Management natürlicher Ressourcen". Gerade erst hat die FAO einen Statusbericht zu den Land- und Wasserressourcen der Welt veröffentlicht. Darin finden sich einige alarmierende Zahlen.
"Es gibt Schätzungen, dass die Erde jedes Jahr fast 20 Milliarden Tonnen fruchtbare Böden verliert. Und diese Böden sind ein für alle Mal verloren. Sie werden nicht mehr so schnell wieder hergestellt. Es ist also einfach fruchtbaren Boden zu verlieren. Aber es dauert sehr sehr lange, und es ist sehr komplex, um Bodenfruchtbarkeit wieder aufzubauen."
Die FAO will den Schutz der Böden stärker in den Fokus ihrer Arbeit rücken. Im vergangenen Jahr startete sie dafür eine neue Initiative: die Global Soil Partnership, die globale Partnerschaft zur besseren Bewirtschaftung der Böden. Müller:
"Ich mache mir da keine Illusionen. Das wird ein langwieriger Prozess sein, denn fruchtbarer Boden wird heutzutage leider immer noch angesehen als etwas, was man zum Nulltarif haben kann und das im Überfluss vorhanden ist."
Vorbild für die Global Soil Partnership ist die Global Water Partnership. Diese wurde schon vor 15 Jahren im Nachklang des Umweltgipfels von Rio 1992 vom UN Entwicklungshilfeprogramm UNDP und der Weltbank ins Leben gerufen. Ziel war es, den nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser auf die politische Agenda zu setzen. Ende Juni findet im brasilianischen Rio de Janeiro wieder eine große Umweltkonferenz statt. "Rio plus 20" soll neuen Schwung für die Idee der Nachhaltigkeit bringen – und damit auch für den Bodenschutz, wie Alexander Müller meint:
"Ich hoffe, dass es uns gelingt deutlich zu machen, dass die Böden die notwendige Voraussetzung für unser Leben sind. Wir werden die globale Bodenpartnerschaft auf jeden Fall in Rio de Janeiro vorstellen und wir hoffen, dass wir sie auch in das Abschlusskommuniqué hinein bekommen."
Für den Verlust und die Degradation des Bodens gibt es drei maßgebliche Ursachen. Zum einen die Versiegelung: Weltweit wachsen die Städte. Wertvolle landwirtschaftliche Flächen werden unter Beton und Asphalt begraben. Ein zweites Problem: die Versalzung. Das betrifft vor allem künstlich bewässerte Flächen. Bei einem schlechten Bewässerungsmanagement verdunstet viel Wasser – ungenutzt. Die darin gelösten Salze bleiben dann an der Oberfläche zurück. Wird der Salzgehalt zu groß, wachsen die Pflanzen schlechter und liefern weniger Ertrag. Das im weltweiten Maßstab größte, aber am wenigsten beachtete Dilemma ist der schleichende Verlust der natürlichen Bodenfruchtbarkeit. Die intensive maschinelle Bearbeitung zerstört die gewachsene Struktur der Böden. Es kommt zum Abbau von Humus und verstärkter Erosion. Landschaften entstehen, in denen tiefe Risse staubige Böden durchziehen und die Vegetation nach und nach verschwindet.
"Wir stehen jetzt also hier auf der Pflugvariante. Das ist jetzt das 32. Versuchsjahr hier in Offenheim auf einer Parabraunerde."
Friedrich Tebrügge trägt Gummistiefel, Parka und einen Spaten in der Hand. Vor drei Jahrzehnten startete der Ingenieur für Landtechnik von der Universität Gießen einen damals weltweit einmaligen Versuch. Bis heute testet er die Techniken für eine bodenschonende Landwirtschaft.
"Vor 30 Jahren kamen bei Landmaschinenausstellungen die ersten Maschinen auf den Markt, angetrieben durch eine Entwicklung, die in Amerika stattgefunden hat. Und das hat uns als Landtechniker natürlich interessiert. Können wir derartige Verfahren auch in Westeuropa einsetzen und nutzen?"
Offenheim bei Friedberg ist einer von fünf Standorten in Hessen. Friedrich Tebrügge ist mittlerweile pensioniert, doch seine Äcker begutachtet er noch immer regelmäßig.
"Die Versuche sind so angelegt, dass wir hier einen Vergleich haben zwischen einer wendenden Bodenbearbeitung, also einer Pflug-Bodenbearbeitung. Dann das andere Extrem ist die reine Direktsaat, wo gar keine Bodenbearbeitung im eigentlichen Sinne stattfindet, sondern nur ein Saatschlitz angelegt wird. Und die dritte Variante ist dann eine Grubber-Variante, eine nicht wendende Bodenbearbeitung, die aber auf gleicher Boden- oder gleicher Arbeitstiefe arbeitet wie der Pflug, also auch 25 cm tief, wird der Boden gelockert."
Die Äcker werden all die Jahre stets mit der gleichen Fruchtfolge bestellt. Es geht darum zu ermitteln, wie sich im Vergleich der Bearbeitungstechniken die Qualität des Bodens und die Erträge entwickeln. Traditionell kommt in Deutschland - wie in vielen anderen Ländern - der Pflug zum Einsatz. Dabei wird die oberste Bodenschicht gewendet und stark aufgelockert, während Pflanzenreste und Unkräuter etwa 25 Zentimeter tief vergraben werden. Die Äcker sehen dann besonders ordentlich aus, Landwirte sprechen vom "reinen Tisch". Doch der bringt Probleme mit sich. Tebrügge:
"Je intensiver wir die Bodenbearbeitung betreiben, wie zum Beispiel bei der Pflugvariante, führt auch dies zwangsläufig zu einem Humusabbau."
Der stark aufgelockerte Boden ohne Pflanzenreste als Auflage ist Regen und Wind schutzlos ausgeliefert. Die feine Krume wird schnell verblasen. Regentropfen verschlämmen die Oberfläche, das Wasser kann nicht mehr eindringen. In Hanglagen wird der Oberboden bei stärkeren Regenfällen einfach weggeschwemmt. Außerdem sorgt die extreme Auflockerung auch für eine starke Durchlüftung. Dadurch vermehren sich vor allem die zehrenden Mikroorganismen, welche die organische Substanz im Boden abbauen.
"Es gibt also Länder, zum Beispiel in England, wo man festgestellt hat, dass in den letzten 50 Jahren der Humusabbau etwa 50 Prozent betragen hat. Hier versucht man eben durch neue Techniken, durch andere Bodenbewirtschaftungsverfahren, den Humus wieder anzureichern."
Solche Techniken werden konservierende Bodenbearbeitung genannt. Auf das Pflügen wird dabei grundsätzlich verzichtet. Zum Lockern des Bodens kommt der Grubber zum Einsatz. Ein Grubber reißt den Boden zwar noch auf, aber wendet ihn nicht mehr. Bei der Direktsaat schließlich werden Erntereste gar nicht mehr mechanisch eingearbeitet, sondern bleiben oberflächlich liegen. Sie dienen als Erosionsschutz. Spezielle Sämaschinen schneiden nur noch schmale Schlitze in den Boden und legen dort das Saatgut wenige Zentimeter tief ab. Friedrich Tebrügge sticht mit dem Spaten in den Boden der Direktsaat-Versuchsfläche.
"Wenn wir jetzt mal den Boden in die Hand nehmen. Obwohl er also dichter gelagert ist, sehen wir, dass dieser Boden etwas plattiger aufgebaut ist, wir sprechen hier von einer kleinen Plättchenstruktur. Das heißt, wir haben hier letztendlich ein fast natürlich aufgebautes Bodengefüge, das hinsichtlich der Durchwurzelbarkeit absolut keine Probleme darstellt."
Auf allen Versuchsstandorten mit konservierender Bodenbearbeitung hat Friedrich Tebrügge über die Jahre keinen Humusabbau in Form von Kohlenstoffverlusten mehr gemessen. Vielmehr zeigte sich eine Anreicherung der organischen Substanz im Boden. Auf den gegrubberten Flächen waren es etwa 0,5 Tonnen, bei Direktsaat sogar bis zu einer Tonne Kohlenstoff pro Hektar und Jahr. Ein weiteres untrügliches Zeichen für eine Verbesserung des ökologischen Zustandes des Bodens: Die Dichte der Regenwürmer. Auf den gepflügten Abschnitten kommen nur 30 bis 40 vor, unter der Direktsaat hingegen bis zu 200 Regenwürmer pro Quadratmeter. Die Regenwürmer mischen Pflanzenreste in den Unterboden ein und bauen dabei bis zu zwei Meter tiefe Röhrensysteme, die von Mikroorganismen besiedelt werden. Durch diese stabilen Poren dringt nicht nur der Regen leichter und tiefer in den Boden ein, sondern auch die Pflanzenwurzeln. Im Endeffekt sichert das auf vielen Standorten mit reduzierter Bodenbearbeitung sogar die Ernte.
"Der höhere Ertrag ist meiner Meinung nach darauf zurückzuführen, dass wir eine deutlich höhere Biodiversität haben, eine höhere biologische Aktivität, damit eine bessere Mineralisierung im Boden stattfindet. Aber insbesondere unter Stresssituationen, das heißt, dort, wo relativ geringe Niederschläge fallen, die Pflanzenwurzeln in der Lage sind, diesem kontinuierlichen Porensystem nach unten zu folgen und damit an Wasservorräte, die tiefer im Boden liegen, herankommen."
In Deutschland kommt ein Umdenken erst langsam in Gang. Vor allem in kleineren Betrieben scheuen Bauern die hohen Investitionen in neue Sämaschinen für die reduzierte Bodenbearbeitung. Weltweit dagegen erkennen immer mehr Bauern die Vorteile. Vor allem Brasilien gilt laut Angaben der FAO als vorbildlich. Dort wird inzwischen auf knapp der Hälfte der Ackerflächen direkt gesät, der Rest weitgehend nur mit Grubbern und anderen konservierenden Methoden bearbeitet. Der Pflug hat ausgedient. Hinter dieser Entwicklung stehen nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Gründe: Direktsaat spart Zeit und Energie.
Boden bildet sich durch die Verwitterung von Gestein. Die natürliche Bodenbildungsrate liegt bei rund einer Tonne pro Hektar und Jahr. Weit übertroffen wird das von der Erosion schlecht bewirtschafteter Flächen: Pro Hektar gehen jedes Jahr 30 bis 40 Tonnen fruchtbare Bodenkrume verloren, in manchen Gegenden der Erde sogar bis zu 100 Tonnen. Je weniger der Boden aufgerissen und gelockert wird, desto weniger kann starker Regen die fruchtbare Krume davonschwämmen. Eine flächendeckende Einführung der Direktsaat könnte die Erosion um 90 Prozent reduzieren. Ein Grundproblem der Landwirtschaft bleibt dennoch bestehen: Nach jeder Ernte liegen die Felder erst einmal brach. In dieser Zeit dominieren im Boden die Abbauprozesse.
"Der Boden ist natürlich mehr als nur das mineralische Material. Es ist auch dieses extrem komplexe Bodenleben. Wenn die Organismen nicht ausreichend gefüttert werden, sterben sie ab und wir verlieren diese Komplexität. Bodendegradation bedeutet nicht nur den Verlust von Bodensubstanz oder Nährstoffen, sondern auch Verlust der Vielfalt der biologischen Aktivität im Untergrund."
Jerry Glover ist Agrarökologe aus den USA. Mit Strohhut, Latzhose und dichtem Bart wirkt er auf den ersten Blick wie ein traditionstreuer Farmer aus dem Mittleren Westen. Doch seine Ideen sind revolutionär. Für ihn ist der Boden nicht allein landwirtschaftlicher Produktionsfaktor, sondern ein lebendes System. Und ob dieses System floriert oder degradiert, hängt maßgeblich von den Pflanzen ab, die darauf wachsen.
"Die zentrale Ursache für die Bodendegradation liegt darin, dass wir die Pflanzen, die unsere Landschaften prägen, grundlegend verändert haben. Fast alle natürlichen Ökosysteme abseits der Landwirtschaft werden von mehrjährigen Pflanzengemeinschaften dominiert. Das heißt: Das ganze Jahr über gibt es dieses dichte Wurzelnetz im Boden, das den Boden schützt und den extrem reichen und vielfältigen biologischen Systemen im Boden dient."
Viele Mikroorganismen im Wurzelraum helfen den Pflanzen bei der Nährstoffaufnahme. Als Gegenleistung scheiden die Pflanzen Zuckerverbindungen aus, die sie oberirdisch durch Photosynthese erzeugen und dann in die Wurzeln leiten. Doch nahezu alle Nahrungspflanzen, die von den Bauern seit Jahrtausenden angebaut werden, sind unzuverlässige Versorger: Es sind einjährige Pflanzen. Wenn sie absterben, gehen zwangsläufig auch die von ihnen mitversorgten Bodenlebewesen zugrunde. Unter den großen landwirtschaftlichen Monokulturen kann dieser Effekt dramatische Ausmaße erreichen. Er ist zentraler Bestandteil der Bodendegradation.
"Einige der Regionen, in denen die Nahrungsversorgung der Menschen am stärksten gefährdet ist, sind bereits stark degradiert. Der Boden enthält kaum noch organisches Material, die essentiellen Nährstoffe sind erschöpft. Das gilt es wieder herzustellen. Mehrjährige Pflanzen reichern den Boden mit Stickstoff und Kohlenstoff an, sie schützen ihn vor Erosion. Sie könnten den Prozess der Degradation stoppen und sogar umkehren."
Jerry Glover arbeitet als wissenschaftlicher Berater der nationalen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID in Washington. Ginge es nach ihm, würden die Bauern in Zukunft ihre Felder vielerorts besser mit mehrjährigen Pflanzen bestellen. Die Vision hat nur einen Haken: Von keiner einzigen Getreideart gibt es bisher nutzbare mehrjährige Sorten. Doch das soll nicht so bleiben. Bis vor kurzem forschte Jerry Glover noch am "Land Institute" im US-Bundesstaat Kansas. Dort arbeiten Züchter an mehrjährigem Weizen und mehrjährigen Sonnenblumen. Auch in anderen Ländern laufen Projekte. Beispielsweise züchten chinesische Forscher mehrjährigen Reis.
"Man kann eine vielversprechende mehrjährige Wildpflanze nehmen und sie direkt domestizieren. Das versucht man zum Beispiel mit Weizengras, einem mehrjährigen wilden Verwandten des Weizens. Pflanzenzüchter arbeiten daran, die Samen größer zu machen und auch die Samenmenge zu erhöhen, um den Flächenertrag im Vergleich zur Wildform deutlich zu erhöhen."
Wildgräser haben in der Regel kleine, festsitzende Körner, die schwer zu ernten sind. Zudem entsprechen sie selten den traditionellen Geschmacksvorstellungen des Menschen. Um diese Probleme zu überwinden, gibt es noch andere Züchtungstechniken. Wilde mehrjährige Pflanzen können mit verwandten einjährigen Pflanzen gekreuzt werden. Glover:
"Zum Beispiel kann man eine geeignete mehrjährige wilde Sonnenblume mit der einjährigen Kulturform kreuzen. Daraus entstehen unterschiedliche Hybride. Von denen wählt man jene mit den gewünschten Eigenschaften aus. Es folgen viele weitere Züchtungszyklen, bis man schließlich eine grundsätzlich neue Kulturpflanze erhält, mit Eigenschaften der einjährigen Elternpflanzen und der wilden mehrjährigen Pflanze."
Mindestens zehn Jahre intensiver Züchtungsarbeit dürfte es noch dauern, schätzt Jerry Glover, bis die ersten mehrjährigen Reis- und Weizensorten marktfähig sind. Doch dann könnten sie einen Beitrag zur Sicherung der Welternährung leisten.
"Ich glaube, dass mehrjähriges Getreide in Kombination mit anderen Anbauformen, einjährige Pflanzen inklusive, eine wichtige Rolle spielen wird. Nicht nur für die Ernährungssicherheit, sondern auch, um unsere Umwelt zu bewahren."
Jeder zweite Erdenbürger lebt heute in Städten. 2050 werden es bereits 67 Prozent sein. Was sie verzehren, wird anderswo produziert. Die Transportentfernungen zwischen Erzeugern und Verbrauchern steigen rasant. In der modernen, urbanen Gesellschaft sind viele natürliche Stoffkreisläufe nicht mehr geschlossen. Nahrungspflanzen werden an einem Ort produziert, aber weit davon entfernt in den Städten konsumiert. Die Abfälle und die Exkremente der Menschen mitsamt der darin enthaltenen Nährstoffe kommen nicht zurück auf den Acker.
"Das ist eine Sache die ja auch zur Bodenverarmung beiträgt, dass wir die Exkremente der Menschen in den Wasserkreislauf einleiten, im Wasserkreislauf dort große Schäden anrichten. Und auf der anderen Seite die Chance verpassen, den Humus damit zu nähren – was eigentlich der natürliche Kreislauf wäre. Die Herausforderung ist jetzt, die Exkremente, aber auch die Bioabfälle aus Städten, auch aus Metropolen, in einer Form einzusammeln, dass wir da wieder den Boden, wo unsere Nahrung herkommt, fruchtbar halten können."
Ralf Otterpohl ist Professor für Siedlungswasserwirtschaft an der Technischen Universität Hamburg Harburg. Er entwickelt neue Konzepte für die Verwertung organischer Abfälle aus den Städten – als Dauerhumus.
"Das interessante ist ja, dass wir mit einer großen Bevölkerung auch viele Stoffe haben, die zur Humusproduktion dienen können."
Die Frage ist allerdings, wie man diese Stoffe am besten zu Kompost verarbeitet. Ralf Otterpohl will dafür – ähnlich wie Joachim Böttcher vom Hengstbacherhof – auf die wieder entdeckten Bodenkulturtechniken der früheren Amazonas-Indios zurückgreifen.
"Also die haben es geschafft, aus ihren Bioabfällen, Gartenabfällen, Exkrementen, Knochen und anderen Stoffen den fruchtbarsten Boden der Welt aufzubauen. Und das sehe ich für meine Arbeit auch als Vorbild. Also wir arbeiten auch an etwas, was wir Terra Preta Sanitation nennen."
Es geht um die Entwicklung neuer Sanitärsysteme. Die Forschung hierzu steht erst noch am Anfang. Mitarbeiter von Ralf Otterpohl entwickeln zum Beispiel geruchsfreie Komposttoiletten. Der Kot wird getrennt vom Urin in einem luftdichten Behälter aufgefangen. Gezielt zugesetzte Bakterien sorgen für eine milchsaure Vergärung der Exkremente. Das verhindert unangenehme Gerüche. Die Sammelbehälter werden in regelmäßigen Abständen ausgetauscht und ihr Inhalt kompostiert. Damit daraus Terra Preta wird, der fruchtbare Dauerhumus nach Indio-Art, wird auch noch Holzkohle untergemischt. Otterpohl:
"Dabei ist natürlich auch die Hygiene zu beachten. Wenn wir eine Kompostierung machen aus Exkrementen, dann ist es aus meiner Sicht nötig, dass man gar vielleicht die ersten zehn Jahre nicht direkt Lebensmittel darauf anbaut."
In der biologisch aktiven Terra Preta werden unerwünschte Stoffe wie beispielsweise Medikamentenrückstände schnell abgebaut. Während der Hygienisierungsphase können auf den Flächen, die mit Sanitärhumus angereichert wurden, schon schnellwachsende Gehölze angebaut werden. Damit wäre gleich die Rohstoffquelle für die benötigte Holzkohle gesichert. Nach einigen Jahren könnten so in der Nähe der Städte extrem fruchtbare Anbauflächen mit purer Terra Preta entstehen. Otterpohl:
"Mit sehr hohen Humusanteilen, das geht hoch bis zu 65 Prozent Humus – also heute ist der Bauer froh wenn er drei bis vier Prozent Humus hat – kann man unglaublich hohe Erträge haben. Und das ist eigentlich eine Hoffnung auch für die gesamte Menschheit, dass es nicht daran hakt, wie viele Menschen auf der Erde sind, sondern eher, dass wir intelligentere Landnutzung machen, und auch den Menschen diese Methoden zugänglich machen."
Ganz ähnlich sieht auch die Vision von Joachim Böttcher aus, der auf dem Hengstbacherhof schon mit der Produktion von Terra Preta im größeren Maßstab begonnen hat.
"Wir können in Zukunft sogar eine ganz andere Landwirtschaft denken. Wir können hingehen zu kleinen Flächen. Wir können theoretisch sogar in den Städten, urbanen Räumen Landwirtschaft betreiben, auf den Dächern, in den Vorgärten, weil wir nicht mehr diese riesengroßen Flächen brauchen, wenn die Böden gesund sind, wenn die Böden funktionieren, wenn wir viel Humus in den Böden haben."
Viel Humus in Form von Terra Preta allein wird die Ernährung der Menschheit nicht sichern können. Ebenso wenig stellen die konservierende Bodenbearbeitung und die Züchtung mehrjähriger Pflanzen Allheilmittel dar. Das Problem der Bodendegradation verlangt vielschichtige Lösungen. Statt kurzsichtiger Ertragsmaximierung gilt es, den Erhalt und den Aufbau der natürlichen Bodenfruchtbarkeit endlich als zentrales Anliegen jeder so genannten "Landwirtschaft" zu begreifen. Die Zeit dafür drängt, weiß FAO-Sprecher Alexander Müller:
"'"Wenn wir heute nicht beginnen, werden Milliarden Tonnen von Böden in den nächsten Jahren weiterhin verschwinden. Die werden uns fehlen, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.""
Hinweis: Dies ist der zweite Teil einer fünfteiligen Serie über die zukünftige Ernährung der Menschheit. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Übersichtsseite.