Meine erste Begegnung mit Gleichstrom liegt lange zurück: Wir wohnten in einer kleinen, norddeutschen Stadt. Überall in unserem Haus hingen immer noch die ersten Kabelrohre, wahrscheinlich von 1900. Drehschalter und Steckdosen stammten immerhin aus den 50er-Jahren, aber alles lag "auf Putz". In unserem Kinderzimmer aber, an einem toten Kabelrohr, gab es zwei Steckdosen, die waren anders, viel älter, faszinierend: Aus Keramik, rund und schwarz und um die Löcher rankte sich weiße Schrift. Mein Vater erklärte, das sei eine Steckdose für Gleichstrom gewesen. Als in das Haus Strom gelegt wurde - vielleicht Anfang der 20er-Jahre - sei hier überall Gleichstrom gewesen. Erst nach dem Krieg wurde in dieser Stadt - wie in vielen anderen Städten Europas - das Gleichstromnetz auf Wechselstrom umgestellt. Dann habe ich für einige Jahrzehnte den Gleichstrom aus den Augen verloren. Bis jetzt. Wenn ich mich heute in meinem Büro umschaue, gibt es ihn wieder: Notebook, iPad, MP3-Player, das Telefon, die Lampe, das Radio, der Router - alle brauchen sie Gleichstrom und alle hängen sie an kleinen, schwarzen Netzteilen, die den Gleichstrom erst herstellen. Oft sind sie nervtötend, blockieren klotzig gern gleich zwei Steckplätze, verbrauchen auch dann Strom, wenn gar kein Gerät dran hängt. Man könnte auch ohne Netzteil auskommen - wenn Gleichstrom direkt aus der Steckdose käme.
Rik de Doncker: "Wenn wir heutzutage schauen in ein typisches Haus, oder Gebäudetechnik, dann sieht man, dass letztendlich viele Geräte sowieso über elektronische Gleichrichter laufen, und eigentlich Gleichspannung verwenden."
Jochen Kreusel: "Einer Glühbirne ist es egal, ob Sie die mit Wechselstrom oder mit Gleichstrom betreiben, einer LED ist es nicht egal."
De Doncker: "Die Kosten, heute Wechselspannung von 230 Volt umzuformen auf die Gleichspannung, die jedes Gerät heutzutage benötigt, sind erheblich. Das könnte man vermeiden, indem das Haus natürlich sofort ein Gleichspannungsnetz zur Verfügung stellt, aber die Frage ist, wie kann man das systematisch umsetzen."
Die Suche nach einer Zukunft ohne Netzteile führt mich ins Londoner East End. Hier wurde 2000 das Arcola Theatre gegründet; in London gilt es als innovativ - für sein Programm, seine Interpretation alter Klassiker, aber auch für seine Haltung in Energiefragen. Das Theater erzeugt seinen Strom selbst - mit Photovoltaik und einer Brennstoffzelle. Und wenn die Besucher Holz mitbringen für die Heizung, erhalten sie ihr Ticket zum Vorzugspreis. Simon Daniel führt mich durch eine unübersichtliche Folge kleiner Gassen, bis wir schließlich vor einem alten, gelben Backsteinbau stehen, einem restaurierten viktorianischen Fabrikgebäude mit großen Fenstern. Der Eingang wirkt unscheinbar klein; man spürt, dass hier einmal produziert wurde, und die Theaterleute haben sich bemüht, diesen Charakter auch innen zu erhalten - die Wände sind kahl, Bühne und Ränge von Aluminium-Rohren gestützt. Noch ist es früh am Abend, wenig Betrieb, und Simon Daniel pflanzt sich im Eingangsflur auf:
"Hier ist der Eingang des Theaters, und die ganze Beleuchtung hier sind LED-Lampen, und zwar Gleichstrom-LED-Lampen, gespeist von einem 30 Volt Gleichstromnetz im Haus. Wir haben das Netz mit orangefarbenen Kabeln gezogen, damit es auffällt. Der Flur hier wird von der Batterie da hinten versorgt, das ist eines unserer Maslow-Systeme, das versorgt die LEDs und einige Gleichstrom-Steckdosen, zum Beispiel für Monitore."
Simon Daniel hat dieses System nicht nur entwickelt, sein Unternehmen Moixa baut es auch.
"Es ist ein Batterie-System, dass sich intelligent lädt und über ein Niederspannungs-Gleichstromnetz LED-Licht und all die kleinen, elektronischen Geräte im Haus versorgt."
Im Rahmen von staatlich finanzierten Projekten wurden inzwischen 40 Häuser mit den Maslow-Systemen ausgerüstet. Doch wirklich stolz ist Simon Daniel auf das, was im Arcola-Theater gelungen ist.
"Can we just look at the space, for one second - ehm, one minute?"
"Let me just check!"
"Just glance for ten seconds?"
Wie es in den Studios des Theaters aussieht, würde er mir gern zeigen. Die Dame am Schalter ruft jemanden an, wir warten.
Nur ein kontinuierlicher Fluss des Stroms in eine Richtung garantiert, dass Elektrizität tatsächlich für all das zu nutzen ist, was heute oder in der Zukunft denkbar ist. Darauf muss achten, wer Geld für ein Stromsystem ausgeben will: Es wäre doch Unsinn, ein Stromnetz nur für elektrisches Licht zu bauen, eines nur für elektrische Kraft, eines nur für elektrische Heizungen oder nur für elektrisch übertragene Signale. Man wird nach einem wirtschaftlichen und zuverlässigen System suchen, das alles auf einmal kann. Und das geht nur mit Gleichstrom!
Thomas Alva Edison
Die Idee vom Gleichstrom ist nicht neu. Sie geht auf Thomas Alva Edison zurück, der nicht nur die Glühbirne erfand, sondern auch ein ganzes System für deren Versorgung mit Strom. Um dieses Stromnetzkonzept entbrannte um 1886 ein erbitterter Streit. Es ging um die Frage: Gleichstrom oder Wechselstrom. Sollte eine gleichbleibende Spannung die neuen Stromkabel bestimmen, oder eine regelmäßig zwischen plus und minus pulsierende, wie Edisons Kontrahent George Westinghouse es forderte:
Das Wechselstrom-System ist dem Gleichstromsystem so weit überlegen, dass man sie eigentlich gar nicht vergleichen kann. Und dieses ganze gewaltige Getöse gegen Wechselstrom hilft uns sehr: Es ist eine unschätzbare, kostenlose Werbekampagne.
Edison führte den Stromkampf mit großer Härte. Mit morbiden Experimenten mit Tieren, die durch Wechsel- und Gleichstromstöße getötet wurden, wollten Edisons Gefolgsleute beweisen, wie gefährlich Wechselstrom doch sei. Edison selbst entwickelte aus demselben Motiv den Elektrischen Stuhl, kaufte extra zu diesem Zweck Generatoren von Westinghouse - und legte großen Wert darauf, dass dies bekannt würde. Westinghouse dagegen hielt sich zurück - und gewann. Das 20. Jahrhundert wurde zum Jahrhundert des Wechselstroms.
Eine Grundregel der Elektrizitätslehre lautet: Je höher die Spannung, desto kleiner die Stromstärke und desto kleiner die Reibungsverluste. Diesen Zusammenhang hatte George Westinghouse als erster begriffen. Edison verstand das nicht.
Rik de Doncker: "Er konnte mit seinen Maschinen damals Maximalspannungen von 115/150 Volt erzeugen, und deswegen brauchte er sehr dicke Stromkabel, die dann natürlich teuer waren, und er musste dann jede Meile, 1,6 Kilometer, ein kleines Unterwerk bauen, um diese Energie dann doch noch effizient verteilen zu können."
Wechselstrom dagegen ließ sich transformieren. Wie auf einer Wippe ließ sich die Spannung nach oben katapultieren - bei gleichzeitigem Absinken der Stromstärke. De Doncker:
"Was damit erreicht wird, ist, dass für diese übertragene Leistung der Strom reduziert wird. Und Strom verursacht Verluste in Kupferleitungen oder in Leitungen allgemein."
Weite Strecken überwand Westinghouse mit Hilfe hochtransformierter Spannungen. Der Gewinn an Effizienz war enorm. Als er dann auch noch einen Elektromotor für Wechselstrom anbieten konnte und der auch noch besser war als der von Edison, war der Streit entschieden. Eine Zeitlang noch wurden Gleichstromsysteme installiert, dann war erst einmal Schluss.
"Jetzt muss man natürlich auch noch, um die Geschichte zu vervollständigen, sagen, dass dieses Darübernachdenken, zurück zu Edison, in den 30er-Jahren begonnen hat."
Jochen Kreusel. Er ist Vorsitzender der Elektrotechnischen Gesellschaft des VDE. Gleichzeitig leitet er bei ABB in Zürich die Smart Grid Entwicklung.
"Denn in den 30er-Jahren hat man angefangen zu diskutieren, dass Gleichstrom für die Stromübertragung über lange Distanzen eigentlich effizienter ist."
In den 30er Jahren zeichneten sich technische Lösungen ab, um auch Gleichstrom über Umwege auf hohe Spannungen zu bringen. Am Ende konnten die Ingenieure 380.000 Volt und mehr auf die Reise schicken. Mit der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung, kurz HGÜ, ging noch weniger Energie verloren als bei entsprechender Wechselstromtechnik. Und so setzte sie sich auf langen Distanzen schließlich durch: Die erste Leitung legten Ingenieure in Schweden, die jüngsten verbinden Staudämme in China mit Großstädten an der Küste. Kreusel:
"Die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung ist seit 1954 im kommerziellen Betrieb."
Wenn Gleichstrom hier einen späten Sieg feiern konnte, sollte man dann nicht auch weitere Teile des Stromnetzes auf Gleichstrom umstellen? Kreusel:
"Also die Verbrauchslandschaft ändert sich, in Richtung weniger Abhängigkeit von Wechselstrom, mehr Bevorzugung von Gleichstrom, und die bereitstellende Technologie hat Fortschritte gemacht."
Jochen Kreusel sieht gleich mehrere Trends, die eine Umstellung auf Gleichstrom sinnvoll erscheinen lassen.
"Motoren, die eigentlich einer der ganz herausragenden Drehstromkandidaten waren, werden heute zunehmend aus Effizienzgründen mit Stromrichtern gespeist, und denen ist es egal, zumindest mal egal, ob Gleichstrom oder Wechselstrom reingeht."
Aus Wechselstrom erzeugen diese Stromrichter erst einmal Gleichstrom, aus dem sie dann einen Wechselstrom herstellen - einen, bei dem die Frequenz gewählt werden kann. Damit lässt sich der E-Motor feiner steuern. Strombrücken nennen Techniker das bisweilen, weil sie eine Brücke zwischen zwei Stromsystemen bilden. Dabei ist es ziemlich egal, ob auf der einen Seite Gleichstrom oder Wechselstrom fließt. Gleichzeitig wird die Technologie immer mehr von Halbleitern dominiert, die brauchen sogar Gleichstrom. Als dritten, großen Trend nennt Rik De Doncker, dass sich auch die Stromerzeuger verändern.
"Und zwar, wir haben die letzten Jahrzehnte gemerkt, dass wir immer mehr und mehr dezentrale Erzeugungssysteme haben. Viele sind regenerative Quellen wie Windenergie und Photovoltaik, diese Systeme erzeugen intern erstens ein Gleichspannungssystem, Photovoltaikanlage selbstverständlich ist Gleichspannung."
Rik De Doncker stammt aus Flandern, hat lange in den USA geforscht und entwickelt. Heute ist er Energieforscher an der RWTH Aachen. Er sieht dank der Halbleitertechnik die Möglichkeit, eine neue Gleichstromwelt zu konstruieren - eine Renaissance des Edison-Systems quasi.
"Und da haben wir ein großes Verbundprojekt mit Unterstützung vom BMBF bekommen, in den nächsten 15 Jahren systematisch Normen zu entwickeln, weil im Niederspannungsnetz oder im Verteilnetz existieren noch keinen Normen, die das vorschreiben, wie man so etwas installiert, schützt und betreibt, und dass wir auch die Business-Modell verstehen, so dass Investoren Interesse haben, diese Gleichspannungstechnik eher zu installieren, statt später dann umzulegen von Drehstrom auf Gleichspannungssysteme."
"I am sorry, they are doing some rehearsals."
"OK. In this space there is one of the theatre's…"
Im Londoner Arcola-Theater dürfen Simon und ich unterdessen doch nicht in einen der Vorführungsräume. Proben. Dabei hätte mir Simon gern die Scheinwerfer gezeigt, deren Strom von einer Brennstoffzelle erzeugt wird.
"So we are now going up to another area."
Er wendet sich stattdessen nach links, vier Treppen hoch.
"Das ist die Bar, und da ist noch eins von unseren Maslow-Systemen. Das ist das Rückgrat, könnte man sagen, das alle Gleichstromkreise im Theater verknüpft, und hier schließen wir die Erneuerbare Energie an. Von hier werden die LED-Lampen in der Bar versorgt - die übrigens so groß wie zwei Klassenräume ist."
Das Arcola-Theater ist für den britischen Physiker eine besondere Chance: Wo sonst treffen sich so viele an kreativen Ideen interessierte Menschen? Und weil sein Gleichstromnetz hier auf ein aufgeschlossenes Publikum trifft, hat Simon gleich noch etwas möglichst sichtbar installiert: Intelligente Gleichstrom-Steckdosen, auch sie sind eine Eigenentwicklung
"Das hier ist ein Beispiel für eine Gleichstromsteckdose mit der man USB-Geräte laden kann - im Winter hing hier die Weihnachtsbeleuchtung dran, andere Steckdosen versorgen Monitore."
Die Steckdose ist weiß, quadratisch, hat Schalter und eine USB-Buchse. Und hängt natürlich an einem orangefarbenen Kabel. Sie kann alle Gleichstrom-Geräte versorgen, egal welche Spannung sie brauchen. Netzteile sind damit überflüssig. Das ist nicht trivial, denn es gibt keine Normspannung - Mobiltelefone, Monitore, Kameras, MP3 Player versorgen sich mit unterschiedlichen Spannungen - von drei bis 19 oder mehr Volt. In der Steckdose steckt dafür ein besonderer Gleichstromsteller.
"Das ist der clevere Part in unserem smarten Gleichstrom-Netz."
Ein einheitlicher Druck ist entscheidend für eine gleichmäßige Beleuchtung, für mechanische Leistungen - wie etwa Elektromotoren - oder elektrische Heizungen. Daher kann dessen Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Hier versagt das System von Mr. George Westinghouse. Er nutzt Wechselstrom nur deshalb, weil es billiger ist: Er spart in den Freileitungen über der Straße an Kupfer, muss aber dafür den Strom mit umso höherem Druck durch das Metall pressen. Glüh-Lampen kann er mit diesem Druck nicht betreiben, und deshalb braucht er Konverter, die den hohen Druck der Freileitungen in einen niedrigen für die Häuser umwandelt. Ein perfektes System? Auf keinen Fall!
Thomas Alva Edison
Wenn ich hier als Antwort von der Jahrestagung 1888 der Edison-Unternehmen selbst zitieren darf: "Die Edison- Unternehmen vor Ort leiden darunter, dass es keine einfache Methode gibt, mit der auch Gleichstrom auf höhere Spannungen gebracht, und damit das Versorgungsgebiet vergrößert und die Kupferkosten verringert werden können. Wir ermahnen die Muttergesellschaft ernstlich, Abhilfe zu schaffen."
George Westinghouse
Wechselstrom setzte sich Ende des 19. Jahrhunderts durch, weil dieser sich viel einfacher transformieren ließ als Gleichstrom. Das ist bis heute noch so, und deshalb wird selbst für die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung der Strom zunächst als Wechselstrom transformiert, und dann erst in Gleichstrom umgewandelt. Diese Umwandlung übernehmen Leistungselektroniken: Halbleiter, die Ströme logisch schalten - ähnlich wie in einem Computer, nur für viel größere Spannungen und Ströme. Und was für Chips in den letzten Jahren gilt, gilt auch für Leistungselektroniken. Jochen Kreusel:
"...die einfach leistungsfähiger und auch kostengünstiger geworden sind, und zwar sehr deutlich in den letzten zehn Jahren."
So deutlich, dass etliche Forscher mit dem Gedanken spielen, Wechselstrom nur noch zum Transformieren zu benutzen: Durch die Leitungen des Stromnetzes flösse Gleichstrom, wo dessen Spannung geändert werden muss, würde er durch Leistungselektroniken in Wechselstrom umgewandelt, transformiert und dann wieder zurückgewandelt. Keine unmögliche Vision, findet Rik de Doncker
"Also, den Umbau von existierenden Leitungen zum Beispiel auf Gleichspannungstechnik ist möglich, und in vielen Anwendungen stellen wir fest, dass wir - wenn das durchgeführt wird - dass wir sogar das Doppelte an Leistung übertragen können mit denselben Leitungen oder Freileitungen."
Das ist denn auch das Ziel des Forschungsprojekts "Elektrische Netze der Zukunft" - einen Weg zu weisen, um Teile oder gleich das ganze Stromnetz auf Gleichstrom umzurüsten. Kern ist dabei ein Umformer für hohe Spannungen und Leistungen. Letztlich bedeutet das, die Technik, die in den Steckdosen von Simon Daniel steckt, so hochzuskalieren, dass sie auch im Stromnetz funktionieren. Ein Problem dabei waren bis jetzt die dabei entstehenden hohen Verluste. Doch die Leistungselektroniken holen auf, meint Rik de Doncker.
"Also, bezüglich Gesamtverluste, sind in den letzten fünf Jahren ist ein Durchbruch erreicht worden, bezüglich Wirkungsgrad."
Die Bauteile sind besser geworden, und: die Ingenieure haben gelernt, sie effizienter zu steuern. Rechnen die Forscher beides zusammen,
"... dann haben wir einen Gesamt-Wirkungsgrad von einem 5MW Transformator, erreicht von 99,2 Prozent."
99,2 Prozent ist ein sehr guter Wert. Schon heute in etwa vergleichbar mit dem, was ein klassischer Transformator erreicht. Rik de Doncker führt jedoch noch einen weiteren Vorteil der Gleichstromtechnik ins Feld: Sie wird billiger.
"Die Leistungselektronik hat Halbleitermaterialien, die Preise hängen einfach vom Produktionsvolumen ab, da das grundlegende Material ist Silizium-Dioxid, das ist Sand."
Die Preise der Rohstoffe, aus denen konventionelle Transformatoren gebaut werden, entwickeln sich dagegen eher nach oben.
"Ein Transformator wird gebaut von Kupfer und Blechstahl. Und diese Materialien werden immer teurer. Das heißt, es kommt ein Punkt, wo ein elektronischer DC-DC Transformator kostengünstiger wird als der 50-Hertz-Transformator. Und an diesem Punkt sind wir gerade angekommen. Heutzutage."
"We could go upstairs, should we?"
In London füllt sich die Bar - wir drehen ihr den Rücken, besteigen die Treppen - und Simon erklärt auf dem Weg, dass er sich ganz von festen Spannungen gelöst hat.
"Was wir hier umgesetzt haben: die Spannung darf schwanken. Etwa wenn das Netz durch Solarzellen gespeist wird, deren Spannung im Tagesrhythmus schwankt, wenn eine Batterie schwach wird oder der Strom lange Kabel durchfließen muss."
Und während so die Spannung in den orangefarbenen Kabeln zwischen fünf und 40 Volt pendeln kann, sorgen Halbleiter dafür, dass die LED-Leuchten und die an die Steckdosen angeschlossenen Geräte genau die Spannung erhalten, die sie brauchen. Ein vergleichbares Konzept gab es bislang nicht, sagt Simon Daniel.
"Das System ist damit sehr kompatibel, man kann es an installierte Photovoltaik-Systeme einfach anschließen, man kann es zur Not sogar mit Autobatterien betreiben."
An Schauspielern vorbei drängen wir uns durch einen Gang, steuern auf eine der vier Türen zu, der letzten Station: Den Büros des Theaters. Wiederum ein wichtiger Ort, denn hier muss sein System zeigen, dass es auch im Arbeitsalltag taugt.
"So, das ist das Büro, hier haben wir einige von unseren Maslow-Systemen hängen, und hier kommt auch der Theater-Direktor…"
Benn Todd, "Doctor Benn Todd", stellt er sich vor. Und auf meine Frage, ob sein Theater vielleicht für Erneuerbare und Gleichstrom eine ähnlich wichtige Rolle spielt wie das Savoy-Theater im London des 19. Jahrhundert für das elektrische Licht, lacht er.
"Das ist ein kühner Vergleich - aber - warum nicht? Das Arcola ist ein Ort, wo wir die Grenzen verschieben wollen. Wir sind hier kein Krankenhaus. Niemand stirbt, wenn mal was nicht funktioniert. Ja, gerade jetzt ist das Licht hier ausgegangen, aber das macht nichts. Die Leute hier sagen dann: Hat jemand mal Licht? - und irgendjemand wird es dann schon richten."
Nur der kontinuierliche Niederspannungs-Strom ist harmlos. Nur er kann durch den Körper eines Menschen fließen, ohne ein unangenehmes Gefühl zu hinterlassen. Läuft Wechselstrom dagegen durch irgendeinen lebenden Körper, ist der sofortige Tod die Folge.Mein persönlicher Wunsch wäre es, Wechselstrom vollständig zu verbieten.
Thomas Alva Edison
Mehr Gleichstromverbraucher, mehr Gleichstromerzeugern, dazu bessere und billigere Leistungselektroniken: dank dieser Entwicklungen könnte im kommenden Jahrhundert das eintreten, was Edison 1888 glaubte, bewiesen zu haben: Gleichstrom ist wirtschaftlicher als Wechselstrom. Natürlich habe ich Simon Daniel auch darauf angesprochen: Könnte Gleichstrom den Wechselstrom wirklich ablösen?
"Wir sparen einmal, weil die LED-Beleuchtung sehr effizient ist, und ein zweites Mal, weil wir Solarstrom für die Beleuchtung nutzen und uns damit vom Stromnetz unabhängig machen."
Vor allem im Vergleich zu herkömmlicher Energieversorgung könne erheblich Energie eingespart werden:
"Von drei Schaufeln Kohle, die im Kraftwerk im Kessel landen, kommt eine Schaufel im Haus an. Zwei gehen für die Verluste im Kraftwerk und im Netz drauf. Und von dieser einen Schaufel geht noch mal die Hälfte in Netzteilen für Computer verloren. Damit die so viel Energie verbrauchen können, wie in einer Schaufel Kohle steckt, müssen also sechs davon im Kraftwerk verfeuert werden. Keine gute Bilanz, wenn eine Solaranlage dasselbe tun könnte."
45 Prozent der Geräte im Haus des Jahres 2020 werden Gleichstrom brauchen, vermutet Simon Daniel und hofft auf florierende Geschäfte: Kein anderer Hersteller hat ein Gleichstrom-Netz für Privathaushalte entwickelt, und niemand sonst setzt auf eine flexible Niederspannung. Noch in diesem Jahr will er mehrere hundert Häuser im Rahmen verschiedener Versuchsprogramme mit seinem System ausrüsten. Die große Industrie setzt dagegen auf große Projekte - und Jochen Kreusel etwa gibt sich deutlich vorsichtiger.
"Also es müssen, das ist unsere Erfahrung, außer bei der Hochspannungs-Gleichstromübertragung, wo wirklich der technische Vorteil alleine den Systemwechsel rechtfertigt, bei den mehr Verteilungsanwendungen, Mittelspannungsanwendungen, muss immer noch irgendein zweiter Nutzen dazukommen um den Sprung zu rechtfertigen."
Einen großen Schwenk in Richtung Gleichstrom - den sieht er nicht kommen. Aber dass Gleichstrom Inseln im Wechselstrommeer erobert, das hält er für wahrscheinlich. Eine solche Insel sind Rechenzentren - etwa das in Lupfig in der Schweiz, das vor einem Jahr von Jochen Kreusels Arbeitgeber ABB mit einer Gleichstrom-Versorgung ausgerüstet wurde.
"Erstens ist es ein Verteilungsnetz, in dem sehr hohe Ströme durchgesetzt werden, so dass der Effizienzgewinn nennenswert ist, und zweitens gewinnen sie auch Platz, weil die Technik auch einfacher ist, weniger Umwandlungskomponenten und weniger Platz in Städten - wenn Sie ein Rechenzentrum da haben, der ist einfach auch was wert."
Rik de Doncker wiederum erzählt, er sehe das größte Potential bei der Offshore-Windenergie. Wird der von den Windturbinen auf hoher See erzeugte Strom mit konventioneller Wechselstromtechnik nach Süden geleitet, gehen 13 Prozent der erzeugten Leistung verloren. Auf Gleichstrom umgestellt dagegen ergäben sich zwei Vorteile. Erstens:
"Wenn wir das mit DC-Technologie bis zum Endkunden, Gebäuden übertragen, dann haben wir nur fünf Prozent Verluste, und das ist dann acht Prozent weniger Gesamtverluste."
Eine Gleichstromübertragung auf hoher See wäre auch weniger komplex, Konverterstationen würden wegfallen, Knotenpunkte wären kleiner, die dafür notwendigen Inseln deutlich billiger - auch hier kämen also mehrere Vorteile zusammen. Eine weitere Nische, die sich international abzeichnet, sind Bürogebäude. De Doncker:
"Und ich sehe zugleich, dass in den USA und Japan das Niederspannungs-DC-Konzept in Gebäuden doch relativ schnell vorwärts geht, genau um in Büro-Gebäuden die Kosten zu sparen von Schaltnetzteilen, Computersystemen und so weiter."
Philips, Osram, ABB, Bosch, Cisco und viele andere Unternehmen haben sich dafür 2008 in den USA zur E-Merge Alliance zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Gemeinsame Normen für Gleichstromsysteme mit 380 Volt, gedacht für die Beleuchtung und den Betrieb von Rechenanlagen. Auch Rik de Doncker will das ausprobieren - und eine Etage seines eigenen Instituts auf Gleichstrom umrüsten. Dabei denkt er aber eher an eigene Lösungen, und eigene Normen für Europa.
"Wenn man ein typisches Forschungszentrum wie das ERMC nimmt, dann haben wir hier etwa 200 Mitarbeiter, etwa 400 Computersysteme, insgesamt verbrauchen diese Systeme 60 Kilowatt an elektrischer Energie den ganzen Tag durch, und die Schaltnetzteile haben wir vermessen in diesen Computersystemen, haben häufig einen Wirkungsgrad von weniger als 70 Prozent. Und wenn wir das nur auf diese DC-Schiene umlegen, dann erhöhen wir den Wirkungsgrad bis auf 90 Prozent und wir sparen Geld, wir sparen Material und der Wirkungsgrad steigt. Warum sollten wir es nicht machen?"
Gut 40, 50 Jahre, nachdem in Europa die letzten Gleichstromnetze abgeschaltet wurden, zieht Gleichstrom langsam wieder in die elektrische Welt ein: In Großbritannien etwa in Privathäuser und in das Arcola-Theatre, in der Schweiz ins Rechenzentrum in Lupfig, in Tokio in Rechenzentren der Telefongesellschaft NTT. Dazu hat eine Werft in Norwegen ein Schiff komplett in Gleichstromtechnik ausgerüstet, und in den USA präsentiert die E-Merge Alliance eine Liste nach ihren Vorgaben genormter Produkte für Gleichstrom-Lampen, Kabel, Schalter und Ventilatoren sind erhältlich. Dazu kommen immer mehr Hochspannungs-Gleichstrom Leitungen, und Rik De Doncker will in fünf Jahren Lösungen für ganze Gleichstrom-Sammelnetze für Erneuerbare Energien präsentieren. Wie weit die Entwicklung gehen wird, ist noch nicht abzusehen. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass Techniken mit Halbleitern eine oft unterschätzte Dynamik innewohnt. Durchaus möglich, dass unsere Enkel einmal eine weiße Steckdose mit zwei Löchern als Kuriosum betrachten werden.
Rik de Doncker: "Wenn wir heutzutage schauen in ein typisches Haus, oder Gebäudetechnik, dann sieht man, dass letztendlich viele Geräte sowieso über elektronische Gleichrichter laufen, und eigentlich Gleichspannung verwenden."
Jochen Kreusel: "Einer Glühbirne ist es egal, ob Sie die mit Wechselstrom oder mit Gleichstrom betreiben, einer LED ist es nicht egal."
De Doncker: "Die Kosten, heute Wechselspannung von 230 Volt umzuformen auf die Gleichspannung, die jedes Gerät heutzutage benötigt, sind erheblich. Das könnte man vermeiden, indem das Haus natürlich sofort ein Gleichspannungsnetz zur Verfügung stellt, aber die Frage ist, wie kann man das systematisch umsetzen."
Die Suche nach einer Zukunft ohne Netzteile führt mich ins Londoner East End. Hier wurde 2000 das Arcola Theatre gegründet; in London gilt es als innovativ - für sein Programm, seine Interpretation alter Klassiker, aber auch für seine Haltung in Energiefragen. Das Theater erzeugt seinen Strom selbst - mit Photovoltaik und einer Brennstoffzelle. Und wenn die Besucher Holz mitbringen für die Heizung, erhalten sie ihr Ticket zum Vorzugspreis. Simon Daniel führt mich durch eine unübersichtliche Folge kleiner Gassen, bis wir schließlich vor einem alten, gelben Backsteinbau stehen, einem restaurierten viktorianischen Fabrikgebäude mit großen Fenstern. Der Eingang wirkt unscheinbar klein; man spürt, dass hier einmal produziert wurde, und die Theaterleute haben sich bemüht, diesen Charakter auch innen zu erhalten - die Wände sind kahl, Bühne und Ränge von Aluminium-Rohren gestützt. Noch ist es früh am Abend, wenig Betrieb, und Simon Daniel pflanzt sich im Eingangsflur auf:
"Hier ist der Eingang des Theaters, und die ganze Beleuchtung hier sind LED-Lampen, und zwar Gleichstrom-LED-Lampen, gespeist von einem 30 Volt Gleichstromnetz im Haus. Wir haben das Netz mit orangefarbenen Kabeln gezogen, damit es auffällt. Der Flur hier wird von der Batterie da hinten versorgt, das ist eines unserer Maslow-Systeme, das versorgt die LEDs und einige Gleichstrom-Steckdosen, zum Beispiel für Monitore."
Simon Daniel hat dieses System nicht nur entwickelt, sein Unternehmen Moixa baut es auch.
"Es ist ein Batterie-System, dass sich intelligent lädt und über ein Niederspannungs-Gleichstromnetz LED-Licht und all die kleinen, elektronischen Geräte im Haus versorgt."
Im Rahmen von staatlich finanzierten Projekten wurden inzwischen 40 Häuser mit den Maslow-Systemen ausgerüstet. Doch wirklich stolz ist Simon Daniel auf das, was im Arcola-Theater gelungen ist.
"Can we just look at the space, for one second - ehm, one minute?"
"Let me just check!"
"Just glance for ten seconds?"
Wie es in den Studios des Theaters aussieht, würde er mir gern zeigen. Die Dame am Schalter ruft jemanden an, wir warten.
Nur ein kontinuierlicher Fluss des Stroms in eine Richtung garantiert, dass Elektrizität tatsächlich für all das zu nutzen ist, was heute oder in der Zukunft denkbar ist. Darauf muss achten, wer Geld für ein Stromsystem ausgeben will: Es wäre doch Unsinn, ein Stromnetz nur für elektrisches Licht zu bauen, eines nur für elektrische Kraft, eines nur für elektrische Heizungen oder nur für elektrisch übertragene Signale. Man wird nach einem wirtschaftlichen und zuverlässigen System suchen, das alles auf einmal kann. Und das geht nur mit Gleichstrom!
Thomas Alva Edison
Die Idee vom Gleichstrom ist nicht neu. Sie geht auf Thomas Alva Edison zurück, der nicht nur die Glühbirne erfand, sondern auch ein ganzes System für deren Versorgung mit Strom. Um dieses Stromnetzkonzept entbrannte um 1886 ein erbitterter Streit. Es ging um die Frage: Gleichstrom oder Wechselstrom. Sollte eine gleichbleibende Spannung die neuen Stromkabel bestimmen, oder eine regelmäßig zwischen plus und minus pulsierende, wie Edisons Kontrahent George Westinghouse es forderte:
Das Wechselstrom-System ist dem Gleichstromsystem so weit überlegen, dass man sie eigentlich gar nicht vergleichen kann. Und dieses ganze gewaltige Getöse gegen Wechselstrom hilft uns sehr: Es ist eine unschätzbare, kostenlose Werbekampagne.
Edison führte den Stromkampf mit großer Härte. Mit morbiden Experimenten mit Tieren, die durch Wechsel- und Gleichstromstöße getötet wurden, wollten Edisons Gefolgsleute beweisen, wie gefährlich Wechselstrom doch sei. Edison selbst entwickelte aus demselben Motiv den Elektrischen Stuhl, kaufte extra zu diesem Zweck Generatoren von Westinghouse - und legte großen Wert darauf, dass dies bekannt würde. Westinghouse dagegen hielt sich zurück - und gewann. Das 20. Jahrhundert wurde zum Jahrhundert des Wechselstroms.
Eine Grundregel der Elektrizitätslehre lautet: Je höher die Spannung, desto kleiner die Stromstärke und desto kleiner die Reibungsverluste. Diesen Zusammenhang hatte George Westinghouse als erster begriffen. Edison verstand das nicht.
Rik de Doncker: "Er konnte mit seinen Maschinen damals Maximalspannungen von 115/150 Volt erzeugen, und deswegen brauchte er sehr dicke Stromkabel, die dann natürlich teuer waren, und er musste dann jede Meile, 1,6 Kilometer, ein kleines Unterwerk bauen, um diese Energie dann doch noch effizient verteilen zu können."
Wechselstrom dagegen ließ sich transformieren. Wie auf einer Wippe ließ sich die Spannung nach oben katapultieren - bei gleichzeitigem Absinken der Stromstärke. De Doncker:
"Was damit erreicht wird, ist, dass für diese übertragene Leistung der Strom reduziert wird. Und Strom verursacht Verluste in Kupferleitungen oder in Leitungen allgemein."
Weite Strecken überwand Westinghouse mit Hilfe hochtransformierter Spannungen. Der Gewinn an Effizienz war enorm. Als er dann auch noch einen Elektromotor für Wechselstrom anbieten konnte und der auch noch besser war als der von Edison, war der Streit entschieden. Eine Zeitlang noch wurden Gleichstromsysteme installiert, dann war erst einmal Schluss.
"Jetzt muss man natürlich auch noch, um die Geschichte zu vervollständigen, sagen, dass dieses Darübernachdenken, zurück zu Edison, in den 30er-Jahren begonnen hat."
Jochen Kreusel. Er ist Vorsitzender der Elektrotechnischen Gesellschaft des VDE. Gleichzeitig leitet er bei ABB in Zürich die Smart Grid Entwicklung.
"Denn in den 30er-Jahren hat man angefangen zu diskutieren, dass Gleichstrom für die Stromübertragung über lange Distanzen eigentlich effizienter ist."
In den 30er Jahren zeichneten sich technische Lösungen ab, um auch Gleichstrom über Umwege auf hohe Spannungen zu bringen. Am Ende konnten die Ingenieure 380.000 Volt und mehr auf die Reise schicken. Mit der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung, kurz HGÜ, ging noch weniger Energie verloren als bei entsprechender Wechselstromtechnik. Und so setzte sie sich auf langen Distanzen schließlich durch: Die erste Leitung legten Ingenieure in Schweden, die jüngsten verbinden Staudämme in China mit Großstädten an der Küste. Kreusel:
"Die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung ist seit 1954 im kommerziellen Betrieb."
Wenn Gleichstrom hier einen späten Sieg feiern konnte, sollte man dann nicht auch weitere Teile des Stromnetzes auf Gleichstrom umstellen? Kreusel:
"Also die Verbrauchslandschaft ändert sich, in Richtung weniger Abhängigkeit von Wechselstrom, mehr Bevorzugung von Gleichstrom, und die bereitstellende Technologie hat Fortschritte gemacht."
Jochen Kreusel sieht gleich mehrere Trends, die eine Umstellung auf Gleichstrom sinnvoll erscheinen lassen.
"Motoren, die eigentlich einer der ganz herausragenden Drehstromkandidaten waren, werden heute zunehmend aus Effizienzgründen mit Stromrichtern gespeist, und denen ist es egal, zumindest mal egal, ob Gleichstrom oder Wechselstrom reingeht."
Aus Wechselstrom erzeugen diese Stromrichter erst einmal Gleichstrom, aus dem sie dann einen Wechselstrom herstellen - einen, bei dem die Frequenz gewählt werden kann. Damit lässt sich der E-Motor feiner steuern. Strombrücken nennen Techniker das bisweilen, weil sie eine Brücke zwischen zwei Stromsystemen bilden. Dabei ist es ziemlich egal, ob auf der einen Seite Gleichstrom oder Wechselstrom fließt. Gleichzeitig wird die Technologie immer mehr von Halbleitern dominiert, die brauchen sogar Gleichstrom. Als dritten, großen Trend nennt Rik De Doncker, dass sich auch die Stromerzeuger verändern.
"Und zwar, wir haben die letzten Jahrzehnte gemerkt, dass wir immer mehr und mehr dezentrale Erzeugungssysteme haben. Viele sind regenerative Quellen wie Windenergie und Photovoltaik, diese Systeme erzeugen intern erstens ein Gleichspannungssystem, Photovoltaikanlage selbstverständlich ist Gleichspannung."
Rik De Doncker stammt aus Flandern, hat lange in den USA geforscht und entwickelt. Heute ist er Energieforscher an der RWTH Aachen. Er sieht dank der Halbleitertechnik die Möglichkeit, eine neue Gleichstromwelt zu konstruieren - eine Renaissance des Edison-Systems quasi.
"Und da haben wir ein großes Verbundprojekt mit Unterstützung vom BMBF bekommen, in den nächsten 15 Jahren systematisch Normen zu entwickeln, weil im Niederspannungsnetz oder im Verteilnetz existieren noch keinen Normen, die das vorschreiben, wie man so etwas installiert, schützt und betreibt, und dass wir auch die Business-Modell verstehen, so dass Investoren Interesse haben, diese Gleichspannungstechnik eher zu installieren, statt später dann umzulegen von Drehstrom auf Gleichspannungssysteme."
"I am sorry, they are doing some rehearsals."
"OK. In this space there is one of the theatre's…"
Im Londoner Arcola-Theater dürfen Simon und ich unterdessen doch nicht in einen der Vorführungsräume. Proben. Dabei hätte mir Simon gern die Scheinwerfer gezeigt, deren Strom von einer Brennstoffzelle erzeugt wird.
"So we are now going up to another area."
Er wendet sich stattdessen nach links, vier Treppen hoch.
"Das ist die Bar, und da ist noch eins von unseren Maslow-Systemen. Das ist das Rückgrat, könnte man sagen, das alle Gleichstromkreise im Theater verknüpft, und hier schließen wir die Erneuerbare Energie an. Von hier werden die LED-Lampen in der Bar versorgt - die übrigens so groß wie zwei Klassenräume ist."
Das Arcola-Theater ist für den britischen Physiker eine besondere Chance: Wo sonst treffen sich so viele an kreativen Ideen interessierte Menschen? Und weil sein Gleichstromnetz hier auf ein aufgeschlossenes Publikum trifft, hat Simon gleich noch etwas möglichst sichtbar installiert: Intelligente Gleichstrom-Steckdosen, auch sie sind eine Eigenentwicklung
"Das hier ist ein Beispiel für eine Gleichstromsteckdose mit der man USB-Geräte laden kann - im Winter hing hier die Weihnachtsbeleuchtung dran, andere Steckdosen versorgen Monitore."
Die Steckdose ist weiß, quadratisch, hat Schalter und eine USB-Buchse. Und hängt natürlich an einem orangefarbenen Kabel. Sie kann alle Gleichstrom-Geräte versorgen, egal welche Spannung sie brauchen. Netzteile sind damit überflüssig. Das ist nicht trivial, denn es gibt keine Normspannung - Mobiltelefone, Monitore, Kameras, MP3 Player versorgen sich mit unterschiedlichen Spannungen - von drei bis 19 oder mehr Volt. In der Steckdose steckt dafür ein besonderer Gleichstromsteller.
"Das ist der clevere Part in unserem smarten Gleichstrom-Netz."
Ein einheitlicher Druck ist entscheidend für eine gleichmäßige Beleuchtung, für mechanische Leistungen - wie etwa Elektromotoren - oder elektrische Heizungen. Daher kann dessen Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Hier versagt das System von Mr. George Westinghouse. Er nutzt Wechselstrom nur deshalb, weil es billiger ist: Er spart in den Freileitungen über der Straße an Kupfer, muss aber dafür den Strom mit umso höherem Druck durch das Metall pressen. Glüh-Lampen kann er mit diesem Druck nicht betreiben, und deshalb braucht er Konverter, die den hohen Druck der Freileitungen in einen niedrigen für die Häuser umwandelt. Ein perfektes System? Auf keinen Fall!
Thomas Alva Edison
Wenn ich hier als Antwort von der Jahrestagung 1888 der Edison-Unternehmen selbst zitieren darf: "Die Edison- Unternehmen vor Ort leiden darunter, dass es keine einfache Methode gibt, mit der auch Gleichstrom auf höhere Spannungen gebracht, und damit das Versorgungsgebiet vergrößert und die Kupferkosten verringert werden können. Wir ermahnen die Muttergesellschaft ernstlich, Abhilfe zu schaffen."
George Westinghouse
Wechselstrom setzte sich Ende des 19. Jahrhunderts durch, weil dieser sich viel einfacher transformieren ließ als Gleichstrom. Das ist bis heute noch so, und deshalb wird selbst für die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung der Strom zunächst als Wechselstrom transformiert, und dann erst in Gleichstrom umgewandelt. Diese Umwandlung übernehmen Leistungselektroniken: Halbleiter, die Ströme logisch schalten - ähnlich wie in einem Computer, nur für viel größere Spannungen und Ströme. Und was für Chips in den letzten Jahren gilt, gilt auch für Leistungselektroniken. Jochen Kreusel:
"...die einfach leistungsfähiger und auch kostengünstiger geworden sind, und zwar sehr deutlich in den letzten zehn Jahren."
So deutlich, dass etliche Forscher mit dem Gedanken spielen, Wechselstrom nur noch zum Transformieren zu benutzen: Durch die Leitungen des Stromnetzes flösse Gleichstrom, wo dessen Spannung geändert werden muss, würde er durch Leistungselektroniken in Wechselstrom umgewandelt, transformiert und dann wieder zurückgewandelt. Keine unmögliche Vision, findet Rik de Doncker
"Also, den Umbau von existierenden Leitungen zum Beispiel auf Gleichspannungstechnik ist möglich, und in vielen Anwendungen stellen wir fest, dass wir - wenn das durchgeführt wird - dass wir sogar das Doppelte an Leistung übertragen können mit denselben Leitungen oder Freileitungen."
Das ist denn auch das Ziel des Forschungsprojekts "Elektrische Netze der Zukunft" - einen Weg zu weisen, um Teile oder gleich das ganze Stromnetz auf Gleichstrom umzurüsten. Kern ist dabei ein Umformer für hohe Spannungen und Leistungen. Letztlich bedeutet das, die Technik, die in den Steckdosen von Simon Daniel steckt, so hochzuskalieren, dass sie auch im Stromnetz funktionieren. Ein Problem dabei waren bis jetzt die dabei entstehenden hohen Verluste. Doch die Leistungselektroniken holen auf, meint Rik de Doncker.
"Also, bezüglich Gesamtverluste, sind in den letzten fünf Jahren ist ein Durchbruch erreicht worden, bezüglich Wirkungsgrad."
Die Bauteile sind besser geworden, und: die Ingenieure haben gelernt, sie effizienter zu steuern. Rechnen die Forscher beides zusammen,
"... dann haben wir einen Gesamt-Wirkungsgrad von einem 5MW Transformator, erreicht von 99,2 Prozent."
99,2 Prozent ist ein sehr guter Wert. Schon heute in etwa vergleichbar mit dem, was ein klassischer Transformator erreicht. Rik de Doncker führt jedoch noch einen weiteren Vorteil der Gleichstromtechnik ins Feld: Sie wird billiger.
"Die Leistungselektronik hat Halbleitermaterialien, die Preise hängen einfach vom Produktionsvolumen ab, da das grundlegende Material ist Silizium-Dioxid, das ist Sand."
Die Preise der Rohstoffe, aus denen konventionelle Transformatoren gebaut werden, entwickeln sich dagegen eher nach oben.
"Ein Transformator wird gebaut von Kupfer und Blechstahl. Und diese Materialien werden immer teurer. Das heißt, es kommt ein Punkt, wo ein elektronischer DC-DC Transformator kostengünstiger wird als der 50-Hertz-Transformator. Und an diesem Punkt sind wir gerade angekommen. Heutzutage."
"We could go upstairs, should we?"
In London füllt sich die Bar - wir drehen ihr den Rücken, besteigen die Treppen - und Simon erklärt auf dem Weg, dass er sich ganz von festen Spannungen gelöst hat.
"Was wir hier umgesetzt haben: die Spannung darf schwanken. Etwa wenn das Netz durch Solarzellen gespeist wird, deren Spannung im Tagesrhythmus schwankt, wenn eine Batterie schwach wird oder der Strom lange Kabel durchfließen muss."
Und während so die Spannung in den orangefarbenen Kabeln zwischen fünf und 40 Volt pendeln kann, sorgen Halbleiter dafür, dass die LED-Leuchten und die an die Steckdosen angeschlossenen Geräte genau die Spannung erhalten, die sie brauchen. Ein vergleichbares Konzept gab es bislang nicht, sagt Simon Daniel.
"Das System ist damit sehr kompatibel, man kann es an installierte Photovoltaik-Systeme einfach anschließen, man kann es zur Not sogar mit Autobatterien betreiben."
An Schauspielern vorbei drängen wir uns durch einen Gang, steuern auf eine der vier Türen zu, der letzten Station: Den Büros des Theaters. Wiederum ein wichtiger Ort, denn hier muss sein System zeigen, dass es auch im Arbeitsalltag taugt.
"So, das ist das Büro, hier haben wir einige von unseren Maslow-Systemen hängen, und hier kommt auch der Theater-Direktor…"
Benn Todd, "Doctor Benn Todd", stellt er sich vor. Und auf meine Frage, ob sein Theater vielleicht für Erneuerbare und Gleichstrom eine ähnlich wichtige Rolle spielt wie das Savoy-Theater im London des 19. Jahrhundert für das elektrische Licht, lacht er.
"Das ist ein kühner Vergleich - aber - warum nicht? Das Arcola ist ein Ort, wo wir die Grenzen verschieben wollen. Wir sind hier kein Krankenhaus. Niemand stirbt, wenn mal was nicht funktioniert. Ja, gerade jetzt ist das Licht hier ausgegangen, aber das macht nichts. Die Leute hier sagen dann: Hat jemand mal Licht? - und irgendjemand wird es dann schon richten."
Nur der kontinuierliche Niederspannungs-Strom ist harmlos. Nur er kann durch den Körper eines Menschen fließen, ohne ein unangenehmes Gefühl zu hinterlassen. Läuft Wechselstrom dagegen durch irgendeinen lebenden Körper, ist der sofortige Tod die Folge.Mein persönlicher Wunsch wäre es, Wechselstrom vollständig zu verbieten.
Thomas Alva Edison
Mehr Gleichstromverbraucher, mehr Gleichstromerzeugern, dazu bessere und billigere Leistungselektroniken: dank dieser Entwicklungen könnte im kommenden Jahrhundert das eintreten, was Edison 1888 glaubte, bewiesen zu haben: Gleichstrom ist wirtschaftlicher als Wechselstrom. Natürlich habe ich Simon Daniel auch darauf angesprochen: Könnte Gleichstrom den Wechselstrom wirklich ablösen?
"Wir sparen einmal, weil die LED-Beleuchtung sehr effizient ist, und ein zweites Mal, weil wir Solarstrom für die Beleuchtung nutzen und uns damit vom Stromnetz unabhängig machen."
Vor allem im Vergleich zu herkömmlicher Energieversorgung könne erheblich Energie eingespart werden:
"Von drei Schaufeln Kohle, die im Kraftwerk im Kessel landen, kommt eine Schaufel im Haus an. Zwei gehen für die Verluste im Kraftwerk und im Netz drauf. Und von dieser einen Schaufel geht noch mal die Hälfte in Netzteilen für Computer verloren. Damit die so viel Energie verbrauchen können, wie in einer Schaufel Kohle steckt, müssen also sechs davon im Kraftwerk verfeuert werden. Keine gute Bilanz, wenn eine Solaranlage dasselbe tun könnte."
45 Prozent der Geräte im Haus des Jahres 2020 werden Gleichstrom brauchen, vermutet Simon Daniel und hofft auf florierende Geschäfte: Kein anderer Hersteller hat ein Gleichstrom-Netz für Privathaushalte entwickelt, und niemand sonst setzt auf eine flexible Niederspannung. Noch in diesem Jahr will er mehrere hundert Häuser im Rahmen verschiedener Versuchsprogramme mit seinem System ausrüsten. Die große Industrie setzt dagegen auf große Projekte - und Jochen Kreusel etwa gibt sich deutlich vorsichtiger.
"Also es müssen, das ist unsere Erfahrung, außer bei der Hochspannungs-Gleichstromübertragung, wo wirklich der technische Vorteil alleine den Systemwechsel rechtfertigt, bei den mehr Verteilungsanwendungen, Mittelspannungsanwendungen, muss immer noch irgendein zweiter Nutzen dazukommen um den Sprung zu rechtfertigen."
Einen großen Schwenk in Richtung Gleichstrom - den sieht er nicht kommen. Aber dass Gleichstrom Inseln im Wechselstrommeer erobert, das hält er für wahrscheinlich. Eine solche Insel sind Rechenzentren - etwa das in Lupfig in der Schweiz, das vor einem Jahr von Jochen Kreusels Arbeitgeber ABB mit einer Gleichstrom-Versorgung ausgerüstet wurde.
"Erstens ist es ein Verteilungsnetz, in dem sehr hohe Ströme durchgesetzt werden, so dass der Effizienzgewinn nennenswert ist, und zweitens gewinnen sie auch Platz, weil die Technik auch einfacher ist, weniger Umwandlungskomponenten und weniger Platz in Städten - wenn Sie ein Rechenzentrum da haben, der ist einfach auch was wert."
Rik de Doncker wiederum erzählt, er sehe das größte Potential bei der Offshore-Windenergie. Wird der von den Windturbinen auf hoher See erzeugte Strom mit konventioneller Wechselstromtechnik nach Süden geleitet, gehen 13 Prozent der erzeugten Leistung verloren. Auf Gleichstrom umgestellt dagegen ergäben sich zwei Vorteile. Erstens:
"Wenn wir das mit DC-Technologie bis zum Endkunden, Gebäuden übertragen, dann haben wir nur fünf Prozent Verluste, und das ist dann acht Prozent weniger Gesamtverluste."
Eine Gleichstromübertragung auf hoher See wäre auch weniger komplex, Konverterstationen würden wegfallen, Knotenpunkte wären kleiner, die dafür notwendigen Inseln deutlich billiger - auch hier kämen also mehrere Vorteile zusammen. Eine weitere Nische, die sich international abzeichnet, sind Bürogebäude. De Doncker:
"Und ich sehe zugleich, dass in den USA und Japan das Niederspannungs-DC-Konzept in Gebäuden doch relativ schnell vorwärts geht, genau um in Büro-Gebäuden die Kosten zu sparen von Schaltnetzteilen, Computersystemen und so weiter."
Philips, Osram, ABB, Bosch, Cisco und viele andere Unternehmen haben sich dafür 2008 in den USA zur E-Merge Alliance zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Gemeinsame Normen für Gleichstromsysteme mit 380 Volt, gedacht für die Beleuchtung und den Betrieb von Rechenanlagen. Auch Rik de Doncker will das ausprobieren - und eine Etage seines eigenen Instituts auf Gleichstrom umrüsten. Dabei denkt er aber eher an eigene Lösungen, und eigene Normen für Europa.
"Wenn man ein typisches Forschungszentrum wie das ERMC nimmt, dann haben wir hier etwa 200 Mitarbeiter, etwa 400 Computersysteme, insgesamt verbrauchen diese Systeme 60 Kilowatt an elektrischer Energie den ganzen Tag durch, und die Schaltnetzteile haben wir vermessen in diesen Computersystemen, haben häufig einen Wirkungsgrad von weniger als 70 Prozent. Und wenn wir das nur auf diese DC-Schiene umlegen, dann erhöhen wir den Wirkungsgrad bis auf 90 Prozent und wir sparen Geld, wir sparen Material und der Wirkungsgrad steigt. Warum sollten wir es nicht machen?"
Gut 40, 50 Jahre, nachdem in Europa die letzten Gleichstromnetze abgeschaltet wurden, zieht Gleichstrom langsam wieder in die elektrische Welt ein: In Großbritannien etwa in Privathäuser und in das Arcola-Theatre, in der Schweiz ins Rechenzentrum in Lupfig, in Tokio in Rechenzentren der Telefongesellschaft NTT. Dazu hat eine Werft in Norwegen ein Schiff komplett in Gleichstromtechnik ausgerüstet, und in den USA präsentiert die E-Merge Alliance eine Liste nach ihren Vorgaben genormter Produkte für Gleichstrom-Lampen, Kabel, Schalter und Ventilatoren sind erhältlich. Dazu kommen immer mehr Hochspannungs-Gleichstrom Leitungen, und Rik De Doncker will in fünf Jahren Lösungen für ganze Gleichstrom-Sammelnetze für Erneuerbare Energien präsentieren. Wie weit die Entwicklung gehen wird, ist noch nicht abzusehen. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass Techniken mit Halbleitern eine oft unterschätzte Dynamik innewohnt. Durchaus möglich, dass unsere Enkel einmal eine weiße Steckdose mit zwei Löchern als Kuriosum betrachten werden.