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Marbacher Literaturmuseum der Moderne
"Die Erfindung von Paris"

Paris - die Stadt der Liebe. Die neue Ausstellung im Marbacher "Literaturmuseum der Moderne" illustriert die Liebe vieler Literaten zu Paris. Manuskripte und Briefe, aber auch viele Fotografien belegen die Begeisterung für die französische Hauptstadt.

Von Christian Gampert |
    Georg Stefan Troller, Hotel an der Place Contrescarpe, frühe 1950er-Jahre.
    Georg Stefan Troller, Hotel an der Place Contrescarpe, frühe 1950er-Jahre. (DLA Marbach / © Verlagshaus Römerweg Wiesbaden)
    Die Ausstellung "Die Erfindung von Paris" erzählt von der Erregung, vom Taumel und den intellektuellen, manchmal auch sexuellen Extasen, in die deutsche Literaten vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Stadt Paris gerieten. Sie erzählt aber auch von der Angst, von der Überwältigung durch diese Metropole, vom Gefühl der Fremdheit, das aber ungeheuer produktiv ist. Man kann geborgen sein in Paris wie Peter Handke, der im Vorort Chaville noch heute seinen Zufluchtsort hat; und man kann dort ewig auf der Flucht sein wie Josef Roth, der im Hotel Foyot eine Kammer bewohnte und 1937 den Abriss seiner Bleibe miterleben musste.
    Haben deutsche Intellektuelle sich ein eigenes Paris "erfunden", jeder das seine - Heinrich Heine seine "Zauberstadt", sein Schiff Lutetia, Benjamin seine "Passagen" als Sinnbild der Moderne, Undine Gruenter ihr Labyrinth aus literarischen Bezügen? Ja, schon. Das hier gezeigte Paris ist aber vor allem eine Erfindung der Kuratorinnen, die den einzelnen Autoren "Gangarten" zuordnen und einen Stadtplan über die Böden der Ausstellung legen, deren graue Wände an die Haussmannisierung erinnern.
    Rilke schickt Ansichtskarten an die Mutter
    Im Zentrum der Schau steht eine Kamera - denn dies ist zur Hälfte eine Fotoausstellung. Es ist jene Kamera, die der GI Georg Stefan Troller 1945 einem deutschen Kriegsgefangenen abnahm; der Flüchtling und spätere Fernsehautor Troller zeigt uns in Fotos das Paris der Armen. Wirkmächtig aber waren zunächst ganz andere Bilder, nämlich jene ikonischen Stadtpanoramen, die der Fotograf Yvon nach dem Ersten Weltkrieg als Postkarten in Umlauf brachte - und die 1926 Walter Benjamin an seinen Freund Siegfried Kracauer schickte.
    Zwei Postkartenmotive aus Yvons Fotoband Paris ... en flânant: Les Chimères de Notre-Dame, Paris, um 1930
    Zwei Postkartenmotive aus Yvons Fotoband Paris ... en flânant: Les Chimères de Notre-Dame, Paris, um 1930 (Foto: DLA Marbach)
    Rainer Maria Rilke sandte Ansichten der großen Boulevards an seine Mutter; und er beschrieb in Briefen seine Überforderung durch die Stadt: er komme sich vor "wie eine fotografische Platte, die permanent belichtet wird". Die Pariser Traumatisierungen durch soziales Elend und Modernisierung schlagen sich dann in den "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" nieder, zum Teil als direkte Übernahmen aus seinen Briefen.
    Sich von der Stadt in Bewegung setzen lassen
    Der Prototyp des literarischen Paris-Forschers ist eine Figur des 19. Jahrhunderts, der Flaneur. Diese bei Baudelaire noch dekadente Erlebnisform wird im 20.Jahrhundert auch eine Schreibweise: Das Passagere, Fragmentarische wird zum Stilmittel, die lichtdurchfluteten und mit Luxusartikeln bestückten Passagen werden für Walter Benjamin zum Synonym für die kapitalistische Moderne. Aber auch er, eigentlich ein Archivarbeiter, ist ergriffen vom Fieber der großen Stadt, sagt der Marbacher Direktor Ulrich Raulff.
    "Dieses sich von der Stadt In-Bewegung-setzen-Lassen und von ihren wechselnden Tempi Rhythmisieren-Lassen in seiner eigenen Fortbewegung, in seinem Wahrnehmen, in seinem Schreiben ist eine ganz eigentümliche und elektrisierende Erfahrung, der sich die deutschen Autoren gerne ausgesetzt haben."
    Walter Benjamin brauchte differenzierte Ordnungssysteme, um sich in seinen eigenen Werkentwürfen zurechtzufinden. Siegfried Kracauer, dessen Jacques-Offenbach-Buch ja eine Geschichte des Paris im 19.Jahrhundert ist, arbeitete mit riesigen Zettelkästen, fotografierte aber gemeinsam mit seiner Frau Lili auch manisch das sich umpflügende Paris seiner Gegenwart - ein ganzer Raum in Marbach ist Kracauer gewidmet.
    Die Ausstellung bietet manche Trouvaillen. Die Literaten-Dreicksbeziehung zwischen Helen Hessel, Franz Hessel und Henri-Pierre Roché wird in der Schau als das Vorbild für Truffauts "Jules et Jim" kenntlich gemacht. Der DDR-Schriftsteller Heinz Czechowski erkundete Paris 1977, noch im Kampf der Systeme, und Paul Celan fand auch in Paris keine Heimat. Aber die Kapitale der Revolution, des alten Kolonialreichs und der Exilanten barg unendlich viele Anregungen. Der Besucher dieser Ausstellung mache es am besten ebenso wie der junge Mann, der auf dem Foto von Roger Melis als Double der grauenvollen Chimären, auf dem Turm von Nôtre Dame, hinunterblickt in das Gewirr der Boulevards: entspannt bleiben und den Überblick behalten.