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Marc Broussard auf Deutschlandtour
Country mit Schiebermütze und Rauschebart

Marc Broussard hat in den USA bisher über eine halbe Million Alben verkauft. Er tritt regelmäßig in den großen Late-Night-Shows auf und seine Musikvideos werden millionenfach geklickt. Konzerte in Europa zu spielen sei für ihn "als ob man noch mal komplett von vorne anfängt", sagte Marc Broussard im Dlf.

Marc Broussard im Corsogespräch mit Sascha Ziehn |
    Marc Broussard live auf der Bühne im Spotlight im Gitarre. Im Hintergrund der Drummer seiner Band.
    Marc Broussard live auf der Bühne im Spotlight (India Media Group)
    Sascha Ziehn: Viele US-amerikanische Künstler sind weltweit erfolgreich, Beyoncé, Kanye West, Katy Perry und viele andere. Und dann gibt es diese Szene von Country-, Blues- oder Folkmusikern, die in ihrem Heimatland sehr erfolgreich sind, die aber außerhalb der USA so gut niemand kennt. Warum, glauben Sie, funktioniert diese Musik nicht international?
    Marc Broussard: Nun, ich denke, das ist ein ähnliches Phänomen wie zum Beispiel Cricket – in vielen Ländern außerhalb der USA ist das ein sehr beliebter Sport, genau so, wie Fußball. Ich denke, das ist einfach so eine bestimmte kulturelle Prägung, die alle Menschen überall auf der Welt haben. Bestimmte Phänomene wachsen eben nur innerhalb bestimmter kultureller Mauern. Es gibt natürlich Countrysänger aus der Vergangenheit, die weltweit sehr bekannt sind, Johnny Cash zum Beispiel, oder Willie Nelson. Aber diese neue, modernere Country ist sozusagen ein anderes "Biest". Sie orientiert sich eher am Pop und ist ganz sicher nicht für jeden. Ich mag auch vieles von dieser Pop-Country-Musik nicht, die gerade veröffentlicht wird – aber Johnny Cash kann ich den ganzen Tag hören. Ich denke, es geht da vor allem um Kultur, um Geschmack, um die Zeitgemäßheit – darum...
    Ziehn: Wie ist das mit Ihrer Musik? Sie haben, soweit ich weiß, eine halbe Million Alben verkauft, in ihrer Karriere. Ihre Alben steigen in die US-Charts ein – und jetzt, auf Ihrer Europatour, spielen Sie in sehr kleinen, intimen Clubs. Fühlt sich das so an, als würde man plötzlich wieder ganz von vorne anfangen?
    Weckruf der Realität erreichte ihn mit Ende 20
    Broussard: Absolut, genau so fühlt es sich an! Und das kommt jetzt genau zum richtigen Zeitpunkt für mich. Als ich vor 10 Jahren zum ersten Mal in Europa gespielt habe, in Holland, fand ich mich selbst viel zu toll – und habe mich deshalb wohl nicht so richtig angestrengt. Aber die Realität neigt eben dazu, uns irgendwann zu wecken, wenn wir so Ende 20 sind... Jetzt bin ich 36 und mental viel besser darauf vorbereitet, hier her zu kommen und eben wirklich von vorne anzufangen – die Arbeit da rein zu stecken, einem großartigen Publikum einen guten Abend zu verschaffen, hier in Europa.
    Ziehn: Wenn man Musik macht, die so tiefe Wurzeln in der US-amerikanischen Kultur und –DNS hat, die eine so lange Geschichte hat – ich meine, so unendlich viele Countrysongs wurden in den letzten 100 Jahren geschrieben... Wie kann man diese Musik trotzdem noch originell und interessant gestalten?
    Broussard: Der wirkliche Trick für mich ist, zu akzeptieren, dass ich nicht so sehr in den Prozess des Songschreibens eingebunden bin, wie ich es mir immer eingebildet habe. Was ich damit meine ist: Ich sehe mich mittlerweile als eine Art Vehikel, eine Art Kanal, wenn man das so sagen kann. Es ist mir schon einige Mal passiert, dass mir ein Song sozusagen plötzlich ins Gehirn geschossen ist. Ich kann nicht erklären, wie genau dieser Prozess funktioniert – wir müssen akzeptieren, dass wir manche, metaphysische Dinge nicht erklären können – und diesen Prozess würde ich dem Metaphysischen zuschreiben. Deshalb denke ich, wenn ich offen bin, authentisch, ehrlich und mich ganz diesem Prozess hingebe, dann wird der- oder dasjenige, was auch immer für diesen metaphysischen Prozess verantwortlich ist, schon dafür sorgen, dass ich irgendwas schräges, unübliches mache... (lacht...)
    Marc Broussard sitzt mit Gitarre vor einer Scheuenwand 
    Marc Broussard mit Gitarre 2018 (India Media Group)
    Es existiert eine "Country Formel"
    Ziehn: Gibt es denn so eine Formel, die man zwingend für Country anwenden muss? Muss man in den Texten zum Beispiel zwingend über die Liebe singen oder über bestimmte Orte – bzw. darüber, dass man gerade verlassen worden ist und deshalb an einen bestimmten Ort reisen muss, den man dann auch wieder verlassen muss?
    Broussard: Es gibt natürlich eine ganz grundlegende Formel, wenn man moderne Popmusik im weitesten Sinne schreibt. Man braucht eine Strophe, eine Refrain, eine Strophe, einen Refrain, eine Bridge oder ein Solo und dann wieder den Refrain. Zumindest für amerikanische Musik hat sich diese Formel etabliert. An diese Formel halte ich mich ganz sicher in den meisten Fällen. Aber ich sehe immer mehr Musiker in den USA oder auch in Europa, die diese Formel komplett aufbrechen und aus dem Fenster werfen. Und ich habe einige Platten gehört, die wirklich sehr kühn geschrieben und produziert sind. Und genau das finde ich wirklich grandios und sehr aufregend – denn: Genau darum geht es in der Kunst! Künstler soll das System unterwandern und nicht irgendwelchen Formeln folgen! Meine liebsten bildenden Künstler zum Beispiel kommen aus dem Neo-Dada – und da gibt es einfach keine Eindeutigkeiten: Ein mit Reis gefüllter Schulranzen, der am unteren Ende einer Leinwand hängt – und ein Adler auf einem Stock fliegt aus dieser Leinwand heraus. In der Kunst, die ich mag, gibt es einfach keine Regeln. Und im Moment ist eine sehr aufregende Zeit, um Musik zu machen.
    Zum Nachhören im englischen Originalton - das Corsogespräch mit Amelia Murray
    Ziehn: Sie haben diese "Tradition", den letzten Song auf ihren Alben immer einem Familienmitglied zu widmen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
    Broussard: Ich habe mal ein Lied geschrieben für mein ältestes Kind – als es noch ein Baby war. Das war, bevor ich mein erstes Album aufgenommen habe. Ich liebte diesen Song und alle, mit denen ich damals zusammen gearbeitet habe, liebten ihn auch. Aber die Leute aus meinem Management meinten: "Es wäre nicht gut für meine Karriere, wenn bekannt würde, dass ich mit gerade mal 20 Jahren schon einen Sohn habe".
    Also haben wir den Song sozusagen "versteckt", als sogenannten "Hidden Track" auf die CD gepackt. Es war Track Nummer 23 auf dem Album – mein Sohn war damals 23 Monate alt. Und nach Track Nummer zwölf auf dem Album war die CD sozusagen zu Ende – und man musste dann bis zu Track Nummer 23 vorskippen, um diesen Song zu "entdecken". Ich hatte eigentlich nicht vor, das immer so weiter zu machen, mit den "versteckten Songs" – bis ich dann irgendwann viel später gedacht habe: Hey, ist es mir etwa peinlich, Kinder zu haben, und eine Frau? Irgendwie wollte ich das anscheinend verbergen und habe deshalb immer mit diesen versteckten Songs für meine Familienmitglieder weiter gemacht. Und dann habe ich irgendwann einen Vertrag mit einer neuen Plattenfirma unterschrieben, die mein Album "Life Worth Living" veröffentlicht hat. Und für das Cover wollte ich ein altes Foto, das meine Großeltern und ihre Familie zeigt, irgendwie nachstellen. Sie stehen da vor ihrem Haus, vor dem Eingang, in der Sonne – und ich wollte das mit meiner Familie nachstellen und das dann als Plattencover verwenden. Und ich habe überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie sehr ich mich in diesem Punkt mittlerweile verändert hatte. Ich habe nicht mal richtig gemerkt, dass ich meine Familie plötzlich nicht mehr verschleiern wollte, sondern sie direkt auf dem Albumcover zeige. Das fühlte sich gar nicht wie so ein großer Schritt an. Aber in der Retrospektive war dieser Schritt für mich sehr sehr wichtig....
    Ziehn: Wie eine "Befreiung"?
    Broussard: Ja, genau! Einfach der Welt sagen: "Ich habe sehr lange versucht, jemand zu sein, der ich gar nicht bin! Damit höre ich jetzt auf!". Es fühlte sich ein bisschen so an, als würde ich endlich erlöst werden, wenn ich meine Familie einfach auf dem Cover meines Albums zeige – und sehr ehrliche Lieder über meine Familie singe.
    Marc Broussard mit Vollbart und Mütze sitzend mit nachdenklichem Blick in die Kamera
    Marc Broussard (India Media Group)
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.