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Marcel Beyer: „Dämonenräumdienst"
Abgründige Gedichte ohne besserwisserische Vernünftigkeit

Halbdunkle Räumen, in denen Dämonen und Untote hausen: In seinem neuen Gedichtband geht es dem Büchner-Preisträger Marcel Beyer vor allem um die Sprache - sie ist für ihn ein von Dämonen besetzter Ort. Doch wiederum nur durch Sprache kann er ihnen die Stirn bieten.

Von Michael Opitz |
Der Schriftsteller Marcel Beyer posiert am 09.04.2016 vor Beginn der Veranstaltung "Sprache und Wissen" auf der Terasse des Hauses der Kulturen (HKW) in Berlin.
Marcel Beyer ist in vielen literarischen Genres zu Hause. Diesmal legt er einen neuen Gedichtband vor. (dpa/Roland Popp)
Würde er noch am Berliner Gendarmenmarkt ein- und ausgehen und bei Lutter & Wegner in fröhlicher Runde zechen, E. T. A. Hoffmann hätte sich gewiss nach dem Buch erkundigt, dass vom Suhrkamp Verlag unter dem Titel "Dämonenräumdienst" angekündigt wird. Vermutlich würde der Spezialist für Untote und Wiedergänger mit Interesse auf die jüngste Veröffentlichung seines in Sachsen ansässigen Kollegen Marcel Beyer schauen, denn der Autor ist in seinem neuen Gedichtband vom Dämonischen ähnlich fasziniert, wie es der Altmeister war. Doch dessen Namen, obwohl in diesem gespenstigen Umfeld durchaus zu erwarten, nennt Beyer nicht, erwähnt aber neben Goethe auch Hölderlin und macht so deutlich, dass Erwartungshaltungen zu erfüllen seine Sache nicht ist.
Überraschend ist auch, dass es in den Gedichten des Büchner-Preisträgers gar nicht so schaurig zugeht. Das Dämonische hält sich in Grenzen, was beruhigend ist. Fragen wirft jedoch der Titel auf. Es kann schon passieren, dass man sich umzingelt von Dämonen glaubt, aber wo, bitte, bestellt man einen Räumdienst für die Schattenexistenzen, wenn sie nicht mehr zu ertragen sind? Wer verwaltet die entsprechende Rufnummer, und zu welchen Zeiten ist der Apparat besetzt? Nur um Mitternacht?
Gestalten, die sich nicht festmachen lassen
Die fünf Abteilungen in die sich der Band gliedert, sind mit "Farn", "In der Lauschgrube", Dämonenräumdienst", "Aus meiner Schamküche" und "Die Bunkerkönigin" überschrieben. Mit Ausnahme von "Die Bunkerkönigin" sind alle Gedichte im Aufbau identisch: Sie bestehen aus zehn Strophen zu jeweils vier Zeilen. Angesichts von Gestalten, die sich nicht festmachen lassen, besitzt die von Beyer gewählte Form etwas Verlässliches. Für seine Textinszenierungen hat er sich einen stets wiederkehrenden Strophen- und Zeilenraum vorgegeben. Sehr wohl wissend, dass in diesen begrenzten Rahmen nicht hineinpassen kann, was Beyer in den grenzüberschreitenden Gedichten zur Sprache bringt. Auffällig an seinen neuen Gedichten ist, dass er das Unheimliche häufig im Bereich der Sprache ansiedelt.
"Warte ab. Warte ab bis morgen. Laß dich
von den Bäumen da draußen
beglotzen. Sie werden schon sehen.
Schreibe nicht. Sag mir nur,
was Buchstaben sind."
Verschattete Räume
Als Motto könnte dem Band die letzte Zeile des Gedichts "Die Bunkerkönigin" vorangestellt werden: "Ich räume auf vor meinem inneren Auge". Bereits in Beyers Gedicht "Sanskrit" aus seinem 2014 veröffentlichten Gedichtband "Graphit" hieß es: "[I]m Kopf wird ausgerottet." Dass durch Entsorgungsarbeiten kunstvolle lyrische Gebilde hervorgebracht werden können, beweisen Beyers ungewöhnliche Verse, in denen er sich in verschattete Räume vorwagt. Mit Aufräumarbeiten scheint der Autor in Gedanken häufig beschäftigt zu sein, doch in "Dämonenräumdienst" erweist sich das Vorhaben als schwierig, denn so einfach werden die dort agierenden lyrischen Sprecher die Geister nicht los, von denen sie sich bedrängt fühlen. Dass sie in Scharen stets dann auftauchen, wenn die Vernunft schläft, weiß man seit Goyas "Capriccios".
"Manches muß man zerschreiben,
muß man zermüllern, damit
es – als Schrot oder Mehl oder
schmutziger Schnee – einen
opaken, einen in alle Richtungen
fließenden Bildgrund ergeben
kann. Dunkelheitsattacken
legen Dunkelheitsreserven an.
Betrachtet man die abgesoffenen
Konturen am frühen
Stummfilmhimmel, folgt man
Ihnen durch die Nacht und
Weiter noch ins All – undenkbar
Wären sie ohne das große
Dunkelheitsreservoir, ohne
Schriftschrot, Schriftgranulat
Das auf dem Zelluloid zerfließt."
Buchcover: Marcel Beyer: „Dämonenräumdienst. Gedichte“
Den Sprachdämonen die Stirn bieten – das ist das Programm von Marcel Beyers neuem Gedichtband (Buchcover: Suhrkamp Verlag, Hintergrund: imago-images / NomadSoul/Panthermedia)
Begegnungen mit Untoten und Wiedergängern sind in einem Band mit dem Titel "Dämonenräumdienst" nichts Ungewöhnliches. In dem Gedicht "Papier" glaubt das lyrische Ich die Dämonen irritieren zu können, indem es auf die bekannte Methode vom Pfeifen im Walde zurückgreift. Es ahnt die Anwesenheit der Abgesandten aus der Unterwelt und versucht sie zu beeindrucken, indem es sich nicht versteckt:
"Ich bin hier"...
...heißt es dort. Und zur eigenen Selbstberuhigung erklärt es im folgenden Satz:
"Ich bin unverletzt."
Mit beiden Feststellungen versichert sich das Ich sowohl seines Da-Seins als auch der eigenen Unversehrtheit. Entscheidende, zur Beruhigung beitragende Vergewisserungen in einer Welt, die alles andere als sicher ist. Längst haben Dämons Abgesandte wie selbstverständlich Kurs auf die vernünftig eingerichtete Welt genommen, weshalb es von Zeit zu Zeit ratsam erscheint, sich der eigenen Lebenskoordinaten zu vergewissern:
"Ich mache einen
Schritt und komm voran. Ich mache
einen zweiten Schritt und bin schon
da."
Ordnung in halbdunklen Räumen herstellen
Marcel Beyer versucht Ordnung in jenen halbdunklen Räumen herzustellen, in denen die Dämonen mit Vorliebe hausen. Dabei gilt es Ängste zu überwinden. Von denen spricht das lyrische Ich im Gedicht "DDT": Es schreibt Gedichte wie ein Kind und ist froh, wenn "niemand mit ihm schimpft". Beyer versucht mit Ängsten umzugehen: "Schreib es auf, sonst musst du es / am Ende noch erleben", heißt es im Gedicht "In Gesellschaft". Tote sind dennoch in seiner Dichterwerkstatt willkommen, sodass die Anwesenheit von Sylvia Plath, Hildegard Knef, Inger Christensen oder Elvis Presley für keine nennenswerte Irritation sorgt. "Geister sind das hier", bemerkt das Ich im Gedicht "Blutbuche". Und in "Rote Schnur" wird das Buch als ein vom "Buchstabenfuror" beherrschter "Rauschraum" erlebt.
Schreiben erweist sich für Marcel Beyer durchaus als Synonym für Dämonenräumdienst. Denn nur schreibend kann es offensichtlich gelingen, die Dämonen im Zaum zu halten. Dennoch scheint man sie – so lange man schreibt – nie gänzlich loszuwerden. Denn die Sprachlandschaft wartet mit einer ganz eigenen Dämonie aus Wortungetümen und Satzungeheuern auf. Abgründiges kommt in der Sprache in vielen Schattierungen vor. Doppelgänger sorgen für Irritation, und selbst die Buchstaben tanzen gelegentlich aus der Reihe, wenn sie ein Eigenleben entwickeln. Das dämonische Terrain der Sprache interessiert Beyer, der in vielen Gedichten seines neuen Bandes auf den Bedeutungsfeldern der Sprache unterwegs ist und reiche Erträge einfährt.
"Der Dichter arbeitet als Reh im
Innendienst. Und Innendienst
bedeutet: man stellt den
Tisch, den Gang, man stellt
das Stiegenhaus, man stellt das
Mezzanin, den Mistraum, man
stellt die Welt mit Blumen
aus den österreichischen Alpen
voll. Von Zeit zu Zeit arbeitet
der Dichter auch mit Moos.
Er blutet nicht. Waldränder
steuert er nicht an."
Den Dämonen die Stirn bieten
Beyer gelingt es, den fratzenreißenden Sprachdämonen die Stirn zu bieten. Aus den Begegnungen mit ihnen sind schräge Gedichte entstanden, die oft surreal anmuten. Zugelassen wird Abgründiges und gepfiffen wird auf eine besserwisserisch daherkommende Vernünftigkeit. Diese Gedichte zu lesen, bereitet große Freude, denn Beyer ist ein ausgewiesener Spötter, der dem Schrecken im Verlachen begegnet. Dass Bedrohung in seinen Texten dennoch stets mitschwingt und er weiß, dass sich die Furcht vor dem Einfall der Unvernunft nicht mit einem Hoppla aus der Welt schaffen lässt, macht Beyers verwegene, in einer ganz eigenen lyrischen Sprache geschriebene Wortgebilde zu Ereignissen.
Marcel Beyer: "Dämonenräumdienst. Gedichte"
Suhrkamp Verlag, Berlin. 169 Seiten, 23 Euro.