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Marcel Duchamp
Erfinder der modernen Malerei

Radikaler als der Objektkünstler, Bildhauer und Dadaist Marcel Duchamp war kaum einer. Als er der Mona Lisa einen schwarzen Schnäuzer ins Gesicht malte, versetzte er der großen Malerei eine Art Dolchstoß. Nun stellt das Centre Pompidou in Paris Duchamps malerisches Gesamtwerk aus.

Von Kathrin Hondl | 03.10.2014
    Ein Rembrandt diene ihm "als Bügelbrett", behauptete der Ready-made-Erfinder Marcel Duchamp. Ölmalerei sei doch "ein alter Hut". Und die Kunst? "Die Kunst ist nicht nur Hochstapelei", wusste er, "sie ist noch dazu eine Fata Morgana."
    Es liegt nicht nur an den berühmten malerei-mörderischen Sentenzen, dass man - gerade in Europa - den Maler Marcel Duchamp oft vergisst. Schließlich hängen fast alle seine Gemälde im Museum von Philadelphia in den USA. Und so ist schon allein die Tatsache eine kleine Sensation, dass in Paris jetzt mit gut 50 Bildern quasi das malerische Gesamtwerk von Duchamp zu sehen ist. Der rote Faden dabei ist Erotik, sagt die Kuratorin Cécile Debray:
    "Er beginnt mit Aktmalerei und auch 'Das große Glas', sein finales Werk trägt den Titel 'Die Braut wird von ihren Junggesellen entkleidet'. Es geht um den Zusammenhang von Erotik und Malerei, der schon bei Manet eine wichtige Rolle spielte. Es geht um Blicke, Voyeurismus, Begehren als Bestandteil der Malerei."
    Erotik als roter Faden im malerischen Gesamtwerk
    Immer wieder verweist die Ausstellung auf die Vorbilder, die Duchamp ganz offensichtlich beeinflussten. Sitzende nackte Frauenfiguren erinnern an Edouard Manets "Frühstück im Grünen", ein knallroter Frauenkörper an die fauvistische Malerei von Matisse und Derain, die Duchamp als 18-Jähriger auf dem Pariser Herbstsalon von 1905 sah. Auch die Bilder von Arnold Böcklin oder die Renaissance-Malerei eines Lucas Cranach spielten eine wichtige Rolle.
    Doch schnell wird deutlich, dass Duchamp sich an der Geschichte wie den modernen "–ismen" der Malerei abarbeitet, um eigene Wege zu gehen. Duchamps kubistischer "Akt, eine Treppe hinabsteigend" wird 1912 von den Vertretern der reinen kubistischen Lehre für den Pariser Salon abgelehnt:
    Ambivalentes Verhältnis zur Malerei
    "Die kubistischen Freunde fanden das ein bisschen übertrieben", erinnerte sich Duchamp später. "Es ist mein persönlicher Kubismus: futuristisch, mit Bewegung, gleichzeitig aber in der typisch kubistischen Farbpalette. Es ist ein hybrides Bild, weder Fisch noch Fleisch."
    Ambivalent wie der die Treppe hinabsteigende Akt ist auch ganz generell Marcel Duchamps Verhältnis zur Malerei. Die – wie er es nennt – "rétinale", also auf den Sehsinn bezogene Malerei lehnt er ab, ebenso jede Form von Naturalismus oder Realismus.
    "Er wollte eine Malerei des Denkens entwickeln und versucht also, die Malerei neu zu formulieren. Damit sie in die Welt der Gegenwart passt mit technischen und wissenschaftlichen Neuheiten wie der nichteuklidischen Geometrie, Motoren oder Röntgenbildern. Ölmalerei ist für ihn ein veraltetes Mittel. Deshalb erfindet er eine moderne Malerei."
    Kunstwerk zelebriert Ende und Neuerfindung der Malerei
    Und diese moderne Malerei ist "Die Braut wird von ihren Junggesellen entkleidet" alias "Le grand verre" – "Das große Glas", an dem Duchamp acht Jahre, von 1915 bis 23 arbeitete und das unvollendet blieb: Eine senkrecht im Raum stehende zweiteilige Glasplatte. Auf der oberen Hälfte erscheint die Braut als eine gleichzeitig maschinenähnlich und sphärisch wolkenhafte Figur, unten die "Junggesellen" nebst einer Schokoladenreibe.
    Es ist ein Bild, das darzustellen versucht, was die Netzhaut nicht wahrnehmen kann: die moderne Ökonomie des Begehrens. Ein Kunstwerk, das zugleich das Ende der Malerei und ihre Neuerfindung zelebriert. Um es mit den Worten von Duchamp zu sagen: eine "Fata Morgana" – und das Finale einer fulminanten Ausstellung, die anders als viele andere museale Künstlerretrospektiven kein "Ready-Made" ist, sondern das Werk des "Ready-Made"-Erfinders Marcel Duchamp in seiner ganzen Komplexität zeigt.