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Tradition im Fußball
Marco Bode: "Wir alle entscheiden, wie der Fußball aussehen soll"

"Tradition schießt keine Tore" heißt das Buch von Autor Dietrich Schulze-Marmeling und Ex-Fußballer Marco Bode. Tradition sei im Fußball Fluch und Segen, sagte Bode im Dlf-Sportgespräch. Damit Traditionsklubs im Wettbewerb nicht abgehängt werden, brauche es veränderte Rahmenbedingungen.

Marco Bode im Gespräch mit Matthias Friebe | 19.06.2022
Ex-Fußballer Marco Bode lächelt auf der Tribüne.
Ex-Fußballer Marco Bode (Eibner/gumzmedia/nordphoto)
Mit Werder Bremen und dem FC Schalke 04 kehren zwei Traditionsklubs nach einem Jahr in der 2. Bundesliga in die erste Liga zurück. Doch auch in der Bundesliga selbst taten sich einige Traditionsklubs in der Vergangenheit schwer, etwa Borussia Mönchengladbach, der VfB Stuttgart oder Hertha BSC.
"Tradition schießt keine Tore", so heißt ein Buch, das Ex-Fußballer Marco Bode zusammen mit dem Autor Dietrich Schulze-Marmeling herausgebracht hat. "Unser Titel möchte den neugierigen Betrachter etwas provozieren", sagte Bode im Deutschlandfunk-Sportgespräch.
Ist Tradition im Fußball also etwas schlechtes, etwas hemmendes? "Es ist ein Stück weit ambivalent", so Bode. "Tradition bei Fußballklubs heißt auch, sie haben eine große Fangemeinde, schaffen viel Identifikation, auch Zusammenhalt in der Region. Aber manchmal führt Tradition, insbesondere die großen Erfolge der Vergangenheit, zu Problemen, zu einer unrealistischen Erwartungshaltung bei Fans und auch anderen Stakeholdern um den Klub herum."
Marco Bode, 52, spielte von 1989 bis 2002 bei Werder Bremen. 1996 wurde er mit der DFB-Elf Europameister, 2002 Vize-Weltmeister. Von 2014 bis 2021 war er Aufsichtsratsvorsitzender von Werder Bremen.

Traditionsklubs bieten "viel Identifikation"

Traditionsvereine definiert Bode so: "Sie sind schon lange da, Erfolge in der Vergangenheit, eine große Fanszene und dadurch viel Identifikation." Vereine wie Bayer Leverkusen und der VfL Wolfsburg seien zwar auch schon lange in der Bundesliga, "aber das sind für uns tatsächlich keine Traditionklubs", so Bode.
Ein Grund dafür sei, dass sie nicht unter die 50+1-Regel fallen. Bayern München und Borussia Dortmund seien an sich auch Traditionsklubs, so Bode. Sie hätten sich durch ihre Erfolge "aus diesem Status, den wir mit dieser Definition meinen, herausgearbeitet."
Die Faszination für Traditionsklubs habe viel damit zu tun, "dass man sich an Dinge erinnert, die Spaß gemacht haben, an die man sich gerne erinnert. Wenn wir jetzt gesehen haben, mit wie vielen Fans Eintracht Frankfurt in Barcelona aufgelaufen ist, auch in Kombination mit der Pandemie, hat sich bei diesen Clubs fast eine Überkompensation ergeben. Es gab ja auch einige, die die These formuliert haben, der Fußball könne durch die Pandemie großen Schaden genommen haben, was die Begeisterung der Fans angeht. Das ist bei diesen Klubs nicht zu beobachten. Die Stadien waren, sobald es erlaubt war, wieder voll und die Begeisterung ist sehr groß."

Bode: Ausnahmeregelungen von 50+1 beseitigen

Dass die Traditionsvereine die Dominanz der Bayern, Dortmund, Leverkusen oder Leipzig in der Bundesliga noch einmal durchbrechen, sei nicht unmöglich, so Bode. Dazu müssten sich jedoch die Rahmenbedingungen in der Liga ändern. "Meine präferierte Lösung bei 50+1 wäre, dass man die Ausnahmeregelungen beseitigt. Nicht die Klubs beseitigt, sondern die Regeln so ändert, dass auch bei Bayer Leverkusen, dem VfL Wolfsburg und der TSG Hoffenheim 50+1 wieder gilt. Und so ein wenig müsste man auch auch Leipzig anschauen. Da wird 50+1 zwar eingehalten, aber es ist auch eine sehr kreative Konstruktion."
50+1 sei aber nicht das einzige Problem, auch international müsse man über das Financial Fairplay reden. "Vielleicht müssen wir auch irgendwann über Ausgabenkontrollen reden. Das sind aber alles auch unromantische Maßnahmen, die auch ein wenig gegen unsere Vorstellung von Marktwirtschaft laufen. Ich habe immer gesagt, die soziale Marktwirtschaft muss das Vorbild sein, auch für den Fußball. Es kann nicht ein freier, kapitalistischer Ansatz sein. Weil dann werden die Unterschiede so groß, dass es am Ende keinen Spaß mehr macht und keine Spannung mehr bietet. Eigentlich haben wir das jetzt schon zum Teil."

Erfolgsfaktoren für Traditionsclubs

In seinem Buch versuche Bode auch die Erfolgsfaktoren für Traditionsklubs darzustellen. "Und übrigens ist es auch meine Überzeugung, dass viele dieser Aspekte auch in Unternehmen und anderen gesellschaftlichen Bereichen funktionieren", so der 52-Jährige. "Die wichtigsten Dinge sind einerseits, sich über seine Werte, seine Philosophie klar wird. Warum existieren wir überhaupt als Klub? Was sind unsere Ziele auf der Welt? Auf der Basis welcher Werte wollen wir unterwegs sein? Wie wollen wir Kommunikation innerhalb des Clubs organisieren? Wie stellen wir sicher, dass gute Entscheidungen getroffen werden?"
Dann sei es wichtig, die richtigen Menschen auf den richtigen Positionen zu haben. "Also sowohl in der Geschäftsführung und ganz besonders im sportlichen Bereich, natürlich der Sportdirektor und der Trainer. Aber es gibt dann auch noch Dinge wie Ausbildung, Kaderplanung, Scouting. Es gibt viele Komplexe Ansätze, die darüber entscheiden, ob man erfolgreich ist, oder nicht. Wenn ich mich jetzt aber auf ein, zwei Dinge festlegen sollte, glaube ich, dass nach wie vor die Trainerentscheidung eine absolut zentrale ist, aber auch die Art und Weise, wie man einen Kader zusammenbaut."

Geld entscheidender Faktor

Global betrachtet sei der entscheidende Erfolgsfaktor aber das Geld. "Man kann mit viel Geld sehr gute Spieler kaufen, den besten Kader zusammenstellen und wird mit normalerweise auch mit großer Wahrscheinlichkeit Erfolg haben. Aber ein Kapitel handelt auch vom Zufall, von Glück und Pech, von Überraschung. Und das ist auch das Schöne, dass auf ein einzelnes Spiel bezogen fast immer noch alles möglich ist."
Ob sich der Fußball in Zeiten von Investoren aus Saudi-Arabien und Super-League-Plänen noch einmal auf das Traditionelle zurückbesinnen wird, wisse Bode nicht. "Ich werde mich, solange ich mich dafür interessiere, dafür einsetzen, bestimmte Entwicklungen zu verhindern, oder mich dafür engagieren, dass andere Aspekte auch wichtig bleiben. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, kann es sein, dass es immer weitergeht und dass wir uns auch ein bisschen damit abfinden müssen. Auf der anderen Seite glaube ich, dass die Fans schon die Kraft haben, Dinge von unten nach wie vor zu beeinflussen."
Vieles werde aber auch davon abhängen, wie junge Menschen zukünftig den Fußball sehen wollen. "Reicht es ihnen, 30-Sekunden-Clips auf Tiktok zu sehen, oder wollen sie nach wie vor 90 Minuten Stadionerlebnis? All solche Fragen sind wichtig und ich glaube, insofern entscheiden wir alle, wie der Fußball aussehen soll. Ich kann das aber nicht prognostizieren, in welche Richtung das gehen wird."