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Marek Janowski dirigiert das WDR Sinfonieorchester
Hindemith? Her damit!

Konstruiert, akademisch, freudlos – Vorurteile über Paul Hindemiths Musik sind schnell bei der Hand. Marek Janowski und das WDR Sinfonieorchester zeigen in ihrer neuen CD, dass Hindemith auch richtig Spaß machen kann.

Am Mikrofon: Uwe Friedrich |
    Der Dirigent Marek Janowski
    Der Dirigent Marek Janowski (Felix Broede)
    "Sit back and enjoy", also zurücklehnen und genießen, mit dieser Aufforderung würden wohl auch die größten Fans nicht so schnell die Musik von Paul Hindemith bewerben. Auch der Dirigent Marek Janowski steht, obwohl im Rheinland aufgewachsen, nicht unbedingt für bedenkenlosen Frohsinn. Und doch wirbt das Plattenlabel Pentatone mit diesem Spruch für die neueste Einspielung des WDR Sinfonieorchesters, die in der kommenden Woche erscheint. Unterhaltsam, geradezu heiter ist diese CD.
    Musik: Paul Hindemith, "Symphonische Metamorphose von Themen Carl Maria von Webers"
    So viel unbeschwert tänzerischen Schwung hätte man Paul Hindemith kaum zugetraut. Orientalisch wirkende Harmonien, romantische Melodien, reine Lust am Musizieren zu Themen, die gar nicht nach dem 20. Jahrhundert klingen. Kein Wunder, denn die "Symphonische Metamorphose" entstand 1943 als Bearbeitung von Klavierstücken für vier Hände von Carl Maria von Weber. Ursprünglich als Ballett geplant, war Hindemith aber zunächst nicht von der Qualität der Weber‘schen Kompositionen überzeugt, legte die Arbeit beiseite und verwendete die Stücke erst wieder, als er einen Kompositionsauftrag der New Yorker Philharmoniker erhielt. Nun übersetzte er die Klavierstücke in einen sinfonischen Zusammenhang, daher der Titel Metamorphose, also Umformung in ein anderes Genre. Eine ideale Form für den Dirigenten Marek Janowski, den ungemein traditions- und formbewussten Kapellmeister im allerbesten Sinne. Auch im Scherzo lässt Hindemith die musikalischen Motive Webers weitgehend intakt, schärft sie aber durch neue Rhythmen und Harmonisierungen, nähert dadurch das zugrundeliegende, recht harmlose deutsche Klavierstück aus dem Jahr 1809 seiner Gegenwart im amerikanischen Exil an.
    Musik: Paul Hindemith, "Symphonische Metamorphose von Themen Carl Maria von Webers"
    Mit der "Symphonischen Metamorphose von Themen Carl Maria von Webers" heiter eingestimmt geht es auf der neuen CD des WDR Sinfonieorchesters mit Marek Janowski chronologisch zurück in Paul Hindemiths Oeuvre. Die Suite "Nobilissima Visione" entstand im Jahr 1938 aus einer Ballettmusik über den heiligen Franziskus. Hindemith hatte sich mit dem Choreographen Léonide Massine in Florenz getroffen und die beiden waren von den Franziskusfresken in der Kirche Santa Croce so beeindruckt, dass sie ein Ballett über den Heiligen planten. Während die gesamte Tanzlegende etwa 50 Minuten dauert, stellte er kurz nach der von ihm dirigierten Premiere in London eine dreisätzige Suite von etwa zwanzig Minuten zusammen, die sich nicht an den Handlungsablauf des Balletts hält, sondern von der Idee geleitet ist, möglichst überzeugend im Konzert zu wirken. Dazu hat Hindemith die Teile neu orchestriert. Nun nutzt er statt des klein besetzten Theaterensembles den gesamten Apparat des großen Orchesters, dessen Möglichkeiten Marek Janowski mit dem WDR Sinfonieorchester lustvoll auskostet.
    Musik: Paul Hindemith, "Nobilissima Visione" (Suite)
    "Gebrauchsmusik" mit Spaßfaktor
    Als "Kulturbolschewist" und "atonaler Geräuschemacher" wurde Paul Hindemith von den Nationalsozialisten verunglimpft, als er im Exil die Musik zur Tanzlegende "Nobilissima Visione" schrieb. Marek Janowski und das WDR Sinfonieorchester beweisen einmal mehr, dass dieser Vorwurf haltlos ist. Hindemiths Freude am Musizieren, am Ausprobieren neuer und ungewohnter Harmonien ohne Dogmatismus, an originellen Klangmischungen übertragen sich auch auf die Musiker und sind in dieser Aufnahme immer spürbar. Janowski nimmt ebenso wie die Metamorphose auch "Nobilissima Visione" nicht als Demonstrationsobjekt einer Moderne, die mit allen Traditionen brechen wollte, was sie ja auch nicht ist, sondern als Gebrauchsmusik, wie Hindemith selbst über seine Kompositionen sagte, als Musik, die zumindest auch unterhalten will. So klingt Hindemith auf einmal viel saftiger, viel lebensfroher als gewohnt.
    Musik: Paul Hindemith, "Nobilissima Visione" (Suite)
    Die Passacaglia aus der Ballettsuite "Nobilissima Visione" schildert den Sonnengesang des heiligen Franziskus nachdem er die titelgebende edelste Vision der drei Allegorien von Armut, Keuschheit und Gehorsam hatte. Eine sechstaktige Motivzelle wird zwanzigmal variiert und wiederholt, und immer wieder findet Marek Janowski mit dem WDR Sinfonieorchester neue Farbschattierungen, andere Blickwinkel bis die Suite mit einem triumphalen Finale endet.
    Bereits im Jahr 1931 entstand die "Boston Symphony", quasi ein modernes Concerto grosso, denn Hindemith lässt die Orchestergruppen aufeinandertreffen, miteinander musikalisch streiten, in einen Wettkampf treten, bei dem es nicht um einen Sieg geht, sondern um das lustvolle gemeinsame Musizieren. In der Boston Symphony stehen vier Hörner, vier Trompeten, drei Posaunen und eine Basstuba dem großen Streicherapparat gegenüber. Das Werk entstand als Auftragskomposition des Boston Symphony Orchestra und wurde 1931 zum 50-jährigen Orchesterjubiläum uraufgeführt. Hindemith nannte das Orchester das beste Orchester der Welt, die Bostoner Presse lobte ihn als Brahms des 20. Jahrhunderts. Tatsächlich leitete die "Boston Symphony" eine neue Phase in seinem Schaffen ein. Nach der Kühle und Schroffheit der Neuen Sachlichkeit direkt nach dem Ersten Weltkrieg suchte er nun einen wärmeren Tonfall. Dennoch beginnt die "Boston Symphony" mit auftrumpfenden Bläserattacken, die den Blechbläsern einiges abverlangen. Rhythmische Attacke, genaue Intonation, dabei dennoch federnde Lust am musikalischen Wettkampf. Genau das Richtige für den Perfektionisten Marek Janowski.
    Musik: Paul Hindemith, "Boston Symphony"
    Janowskis Gespür für Spannungsbögen
    Obwohl das Werk die Gattungsbezeichnung im Titel trägt, vermeidet Hindemith in seiner "Boston Symphony" fast alles, was eine Sinfonie ausmacht. Keine offensichtliche Sonatenhauptsatzform, in der Themen konfrontiert und schließlich miteinander versöhnt werden, kein traditioneller Aufbau in vier Sätzen, sondern nur zwei. Schließlich ist sie mit einer knappen Viertelstunde deutlich kürzer als die Sinfonien des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Alles Anzeichen dafür, dass Hindemith eben keine Sinfonie schreiben wollte, sondern mit dieser Konzertmusik eher an ältere Formen des gemeinsamen Musizierens anknüpfen wollte. Beispielsweise an das barocke Concerto grosso, in dem jedes Instrument solistisch aus der Gruppe hervortreten konnte, um dann wieder im Gesamtklang zu verschwinden. Während ein Concerto grosso auch ohne Dirigenten funktioniert, indem die Musiker aufeinander hören und reagieren, braucht Hindemiths "Boston Symphony" selbstverständlich einen musikalischen Leiter, der den Überblick behält, der koordiniert, welches Instrument gerade wichtig ist und welches sich unterordnen muss. Marek Janowski hat ein untrügliches Gespür für die Spannungsbögen in allen drei Werken, die auf dieser CD versammelt sind. Auch in der "Boston Symphony" führt er die Gruppen wohlgeordnet ins Getümmel und schafft dann wieder Raum für die besinnlicheren Momente, in denen die Streicher des WDR Sinfonieorchesters glänzen und schimmern können.
    Musik: Paul Hindemith, "Boston Symphony"
    Spaß am gemeinsamen Musizieren, der sich als Spaß am Zuhören auf das Publikum überträgt, das vereint die drei Werke Paul Hindemiths auf der neuen Platte des WDR Sinfonieorchesters mit dem Dirigenten Marek Janowski. Den Abschluss bildet die "Boston Symphony" aus dem Jahr 1931, außerdem spielen die Musiker auf dieser CD, die in der kommenden Woche beim Label Pentatone erscheinen wird, die "Symphonische Metamorphose von Themen Carl Maria von Webers" und die "Nobilissima Visione"-Suite. Eine Empfehlung, für die das Labelmotto "Sit back and enjoy", zurücklehnen und genießen, vollauf zutrifft.
    Paul Hindemith
    Symphonic Metamorphosis, Nobilissima Visione und Boston Symphony
    WDR Sinfonieorchester Köln
    Leitung: Marek Janowski
    Pentatone (LC 12686) PTC 5186 672