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Margarethe von Trotta über Ingmar Bergman
"Ich liebe ihn jetzt noch mehr"

Anfangs hatte Margarete von Trotta noch gezögert, ob sie überhaupt einen Dokumentarfilm über Ingmar Bergman drehen wolle: "Weil ich einfach Angst hatte, dem Mann nicht gerecht zu werden", sagte sie im Dlf. Entstanden ist schließlich ein sehr persönlicher Zugang zu dem großen schwedischen Regisseur.

Margarethe von Trotta im Corsogespräch mit Achim Hahn |
    Regisseurin Margarethe von Trotta kommt am 28.11.2017 in Essen zur Premiere ihres Filmes "Forget about Nick" (Viel Lärm um Nick). Der Film ist ab dem 07.12. in den deutschen Kinos zu sehen.
    In ihrer langen Karriere als Filmregisseurin hat Margarethe von Trotta nun ihren ersten Dokumentarfilm gedreht (picture alliance / dpa / Caroline Seidel)
    Achim Hahn: Unser Kritiker fand den ersten Dokumentarfilm von Margarethe von Trotta empfehlenswert und auch bei der Weltpremiere wurde er schon mit Standing Ovations gefeiert. Denn "Auf der Suche nach Ingmar Bergman" ist ein sehr persönlicher Film geworden, der Ihre Bewunderung für diesen großartigen Regisseur zum Ausdruck bringt. Hallo, Frau von Trotta!
    Margarethe von Trotta: Hallo!
    Hahn: Was hat Sie denn an den Filmen von Ingmar Bergman so sehr fasziniert, dass Sie sich entschieden selber Filme zu machen?
    von Trotta: Na ja, entschieden ist ein großes Wort. Ich habe den Film gesehen, da war ich noch sehr jung, in Paris. "Das siebte Siegel" war eben der erste Film von ihm. Und vorher bin ich sehr selten ins Kino gegangen, das heißt, in Deutschland gab es ja auch nur diese Heimatfilme und Melodramen, also das war nicht unbedingt ein Anziehungspunkt für mich. Und plötzlich habe ich eben in Paris diesen Film gesehen. Und das war so etwas anderes und so eine Wucht und so eine Überraschung für mich, dass da der Wunsch in mir entstanden ist, aber den habe ich erst mal gar nicht laut ausgesprochen, weil Anfang der 60er-Jahre war das ja noch gar nicht bekannt, dass Frauen Filme machen können. Also insofern habe ich das erst lange in meinem Herzen bewahrt, bevor ich überhaupt einmal den Wunsch laut geäußert habe.
    "Was soll ich machen? Es ist alles schon gesagt"
    Hahn: Und jetzt nach langen Jahren Ihr erster Dokumentarfilm über genau diesen Regisseur. Stimmt es, dass Sie zuerst abgelehnt hatten, diese Dokumentation zu drehen?
    von Trotta: Na ja, weil ich einfach Angst hatte, dem Mann nicht gerecht zu werden. Das ist doch so, wenn man über seinen Meister etwas machen soll und dann auch noch auf seiner Höhe sich befinden sollte, um ihm gerecht zu werden, das habe ich irgendwie mir nicht zugetraut.
    Hahn: Welchen Zugang haben Sie für sich gefunden?
    von Trotta: Ich bin nach Schweden, also zur - da gibt es ja eine Bergman-Foundation -, und habe die um Hilfe gebeten, habe gesagt, was soll ich machen, es ist alles schon gesagt, alles schon gedreht, alles schon geschrieben über ihn, was kann ich da noch neues hinzufügen? Und da haben sie mir gesagt, mach das so persönlich wie möglich, du hast ihn gekannt, er hat deinen Film auf die Liste seiner Lieblingsfilme gesetzt, also du hast so viel Anlass, das ganz persönlich zu machen. Und dem bin ich gefolgt.
    Hahn: Wonach haben Sie ihre Gesprächspartner denn ausgesucht?
    von Trotta: Na ja, nach dem, was ich auch über sie wusste. Ich habe mir natürlich nur Gesprächspartner ausgesucht, von denen ich annahm und auch fast wusste, dass sie eben Bergman auch mögen oder zu Bergman etwas zu sagen haben oder von ihm beeinflusst worden sind. Beim Saura ist mir das nicht ganz geglückt, Carlos Saura, wir sind extra nach Madrid gefahren, der hat irgendwann mal in seiner Jugend wohl gesagt, dass Bergman ihn beeinflusst hat, Bergman und Buñuel, aber als ich dann ankam, wollte er eigentlich über Bergman gar nicht reden, sondern nur über sich selber.
    "Seine Filme sind in mein Unbewusstes abgerutscht"
    Hahn: Sie selbst haben ja gerade gesagt, Ingmar Bergman haben Sie kennengelernt. Wie haben Sie in persönlich erlebt?
    von Trotta: Einmal war Jury Präsident für die Efa, für die European Film Academy, und da hat er seine Mitglieder selber zusammengestellt, und da war ich dabei. Und da hat er mir an einem Abend eben diese Sache gesagt, mit meinem Film, dass "Bleierne Zeit" ihm so gut gefallen hat und er ihn gesehen hat, als er in einer Krise war und eigentlich gar keine Filme mehr machen wollte. Und ich habe ihm mit diesem Film Mut gemacht, weiterzumachen. Und danach hat er "Fanny und Alexander" gemacht, also ich weiß nicht, ob das wirklich so direkt auf meinen Film hin geschah, aber zumindest hat er es so gesagt. Und dann hat er irgendwann eben diesen Film auch auf die Liste - und da wusste ich, er hat es wirklich ernst gemeint.
    Hahn: Was haben Sie selbst von Ingmar Bergman gelernt oder wo sehen Sie Parallelen mit Ihrer Arbeitsweise? Bei Ihrem ersten Film hieß es ja häufig, das sei ja wie Bergman.
    von Trotta: Ja, bei vielen meiner Filme hat man mir das immer wieder gesagt, aber das habe ich unbewusst gemacht. Also ich habe jetzt nicht gesagt, ich muss Bergman abkupfern oder ich muss das wie Bergman machen, sondern seine Filme haben mich sicherlich so beeindruckt, dass sie irgendwie in mein Unbewusstes abgerutscht sind. Aber gleichzeitig kann es ja auch eine wirkliche Verwandtschaft sein, und ich fühle mich in vielem ihm verwandt, auch in seinen Ängsten und in seinen existenziellen Ängsten. Das ist sicher etwas, was uns am meisten verbindet.
    Hahn: War es auch der Umgang mit Schauspielerinnen und Schauspielern?
    von Trotta: Ja, er war ja sehr auf die Schauspieler bezogen und besonders natürlich auch auf die Frauen. Und da ich vorher Schauspielerin war, konnte ich das auch nachvollziehen und vielleicht sogar mich noch mehr auf die Schauspieler konzentrieren.
    "In Frankreich ist er immer noch sehr präsent"
    Hahn: jetzt haben Sie für Ihren Dokumentarfilm auch Regisseure aus verschiedenen Regiegenerationen interviewt. Welchen Einfluss übt denn der legendäre schwedische Filmemacher heute noch aus?
    von Trotta: Das ist ganz unterschiedlich von Land zu Land. Also in Frankreich ist er immer noch sehr präsent und wird sehr verehrt und es gibt auch - also gerade dieses Champs Poleon, das Kino, wo ich ihn zum ersten Mal entdeckt habe, da gibt es heute immer noch, das besteht schon seit 60 Jahren, und das spielt immer noch einmal im Jahr mindestens eine Bergman-Retrospektive. Und auch die Regisseure beziehen sich noch sehr stark, sie sehen ja dabei auch Mia Hansen-Løve ist mit in dem Film, die macht grade auf Fårö einen Film, weil sie sich so in diese Insel von Bergman eben verliebt hat und in seine Filme, dass sie da dreht. Hier in Deutschland, würde ich sagen, vielleicht doch etwas weniger, die jungen Leute beziehen sich eher auf Tarantino als auf Bergman.
    Hahn: Besonders anrührend in Ihrem Dokumentarfilm fand ich aber das Treffen mit Ingmar Bergmans Sohn Daniel, der in seiner Geschichte ja klar machte, dass sein Vater zwar seine Schauspieler liebte und auch später vermisste, zu seinen Kindern aber allenfalls einen Draht mit Blick durch die Kamera hatte.
    von Trotta: Ja, das ist natürlich sehr extrem ausgedrückt. Sicherlich hat er - von den neun Kindern, die Bergman ja hatte - die meisten Vorbehalte. Auch, weil er, weil seine Mutter eben diese berühmte Pianistin war, die auch selten zu Hause war, also die hat wenn, dann geübt, und sonst war sie auf Konzertreisen. Und sein Vater hat von morgens bis abends im Theater gestanden, der ist ja schon sehr früh immer ins Theater und erst um elf nach Hause. Also, das ist klar, diese Abwesenheit hat ihn sicherlich sehr, sehr gekränkt. Gleichzeitig merkt man dem Interview ja trotzdem an, dass er ihn geliebt hat, wenn er auch so tut, als ob nicht.
    "Ich wollte kein Schlüsselloch-Verhalten"
    Hahn: Im Film lacht er ja darüber, ich konnte mir aber schwer vorstellen, dass das ein unbeschwertes Lachen war.
    von Trotta: Nee, der hat auch nach dem Interview, wir haben ja vier Stunden mit ihm geredet, man kann ja nicht immer alles reinnehmen, hat er einen Herzanfall bekommen. Ich wusste gar nicht, dass er so eine Herzmaschine drin hat, die ihm Impulse gibt. Daran habe ich dann gemerkt, dass er doch sehr, sehr, sehr emotionalisiert war durch das ganze Gespräch.
    Hahn: In diesem Bergman-Jahr gibt es ja gleich zwei große Dokumentarfilme. Der andere ist "Bergman - A Year In A Life" von der Schwedin Jane Magnusson. Darüber war zu lesen, dieser Film sei entlarvender, da er zum Beispiel Ingmar Bergmans übergroße Macht im schwedischen Kulturbetrieb oder auch seine jugendliche Begeisterung für Adolf Hitler thematisiere, aber auch eben sein schwieriges Verhältnis zu Frauen. Warum war das - auch im Kontext der #MeToo-Debatte - für Sie kein Thema?
    von Trotta: Weil ich nicht als Journalistin oder Kritikerin an den Film rangegangen bin, sondern von einer Filmmacherin zu einem Filmmacher gesprochen habe, und ich wollte auch kein Schlüsselloch-Verhalten da an den Tag legen. Also das hat mich einfach nicht interessiert.
    Hahn: Ihr Film heißt ja "Auf der Suche nach Ingmar Bergman". Hat sich Ihr Bild von ihm verändert durch Ihre Arbeit, haben Sie neue Facetten an ihm entdeckt?
    von Trotta: Es hat sich vertieft, ich habe seine Komplexität auch als Mensch noch mehr natürlich verstanden. Da habe ich natürlich dadurch, dass ich auch mit den Kindern oder mit dem Daniel Ingmar, mit seinem Enkel, gesprochen habe, hat sich das alles für mich erweitert, aber im Grunde liebe ich ihn jetzt noch mehr, muss ich sagen. Weil ich eben sehe, was für ein zerrissener Mensch es war und wie er das dann doch immer alles in seine Filme hineingepackt hat.
    Hahn: Morgen kommt Margarethe von Trottas Dokumentarfilm "Auf der Suche nach Ingmar Bergman", der übrigens am Samstag 100 Jahre alt geworden wäre, in die deutschen Kinos. Vielen Dank, Frau von Trotta, für dieses kurze Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.