Susanne Luerweg: Hildegard von Bingen, Rosa Luxemburg und Hanna Arendt - drei Frauen deren Leben die Regisseurin Margarethe von Trotta verfilmt hat. In "Die bleierne Zeit" hat sie sich mit der RAF an Hand der Geschichte von Gudrun Ensslin beschäftigt. Ihr besonderes Interesse gelte starken, couragierten und unbeugsamen Frauen, "die mit wachem Geist und revolutionären Ideen ihre Zeit in Aufruhr versetzten". Das erklärte Kulturstaatsministerin Monika Grütters in einem Glückwunschschreiben an die Filmemacherin, die heute 75 Jahre alt wird.
Wir gratulieren ebenfalls und blicken mit ihrem Biografen Thilo Wydra auf Margarethe von Trottas Leben und Werke. Herr Wydra, starke Frauen, die deutsche Geschichte beeinflussen. Würden Sie das unterschreiben? Ist das die Thematik von Margarethe von Trotta.
Thilo Wydra: Auf alle Fälle. Das sind Frauen, deren Leben und Werk Margarethe von Trotta in ihren Filmen beleuchtet, analysiert, hinterfragt auch. Das sind ebenso schwache wie starke Frauenfiguren, für die sie sich interessiert. Und die sie letzten Endes durch ihr eigenes Leben begleiten und die von außen an sie herangetragen werden. Als Idee, als Filmprojekt oder aber eben schon über Jahre - ich sag mal - in ihr schlummerten und die sie einfach begleitet und bewegt haben, so wie sie selbst auch letzten Endes eine sehr komplexe, vielschichtige Persönlichkeit ist, sehr stark, aber natürlich auch mit Schwächen.
Und ihr Leben lang um diesen Beruf, den sie ausübt - sie war ja Schauspielerin, sie ist Drehbuchautorin, sie ist Regisseurin - immer auch wieder kämpfen musste. Und das ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Wort in ihrem Leben: Kämpfen für Projekte, so wie diese Frauen auch um eine Idee, um ein Ziel, um ein Anliegen gekämpft haben.
"Es war nie leicht"
Luerweg: Sie sagen es gerade, sie musste kämpfen um Projekte. Ich glaube, als sie das erste Mal gesagt hat, sie möchte selber Regie führen, hat der Produzent, dem sie das vorgelegt hat, gesagt 'ach Frau Schlöndorff - damals noch, da war sie nämlich mit Volker Schlöndorff verheiratet - lassen Sie das doch, hat doch immer so schön funktioniert. Ihr Mann führt Regie, Sie schreiben das Drehbuch, treten vor die Kamera. Was soll denn der Unsinn?'.
Wydra: Richtig. Das war in Köln, beim WDR, und niemand wollte es ernst nehmen oder glauben, dass, nicht nur Volker Schlöndorff im Büro sitzt, sondern seine Ehefrau. Wir sind in dem Jahr 74, Margarethe von Trotta hat bis dahin gespielt bei Rainer Werner Fassbinder, Herbert Achternbusch, nicht zuletzt auch bei ihrem damaligen Ehemann, Volker Schlöndorff, in mehreren Filmen. Und sitzt da vor dem Redakteur, vor dem Produzenten und sagt, 'ich will mit am Drehbuch arbeiten, zusammen mit Heinrich Böll und Volker Schlöndorff und ich will Co-Regie führen'. Das war eine sehr schwierige Situation, letzten Endes ist es gelungen.
Doch bis heute haftet diesem Film "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von 1975 so ein bisschen an, das ist doch ein Volker Schlöndorff Film. Aber das ist es eben nur, wenn man denn so will, paritätisch, zur Hälfte. Und das war ein Kampf, das war einer dieser Kämpfe, die sie führen musste. Ab 1977 hat sie ja dann nur noch alleine Regie geführt mit "Das Zweite Erwachen der Christa Klages" oder dem sehr privaten, intimen, an Ingmar Bergmann angelehnten Film "Schwestern oder die Balance des Glücks". Aber es war nie leicht. Also wie kann sich eine Frau anmaßen, einbilden in diesen 70er-Jahren, so wie Volker Schlöndorff und all die anderen des neuen, jungen deutschen Films, auch noch Regie führen zu wollen.
Luerweg: Es war nie leicht, sagen Sie. Ist es vermutlich immer noch nicht, die Frauenquote ist immer noch nicht da, wo sie sein sollte. Aber ist Margarethe von Trotta jemand, die den Weg bereitet hat für viele, die nach ihr gekommen sind - wie Maren Ade beispielsweise, deren Film gerade Oskar nominiert ist?
Wydra: Ja, ich glaube dass die ganzen Generationen - von Doris Dörrie über Caroline Link oder, Sie haben sie gerade erwähnt, Maren Ade - sicherlich direkt oder indirekt auf einem Weg entlang gehen, den die Generation von Margarethe von Trotta - man könnte jetzt auch Helma Sanders-Brahms, Christel Buschmann, Jutta Brückner und andere nennen - bereitet haben. Und die einzige, die eben weiterhin noch dreht, das ist Margarethe von Trotta.
"Die Menschen aufrütteln und wachhalten"
Luerweg: "Filmen, um zu überlegen" heißt ihre Biografie, die Sie über sie geschrieben haben. Ist es so? Muss sie filmen, um zu überleben?
Wydra: Also sie hat erst kürzlich wieder gesagt, 'ich möchte so lange arbeiten, Drehbücher schreiben, Filme drehen, am Set stehen, wie ich denken kann, wie ich laufen kann'. Und ich glaube, das erzählt sehr viel. Und ich habe sie in den vergangenen Jahren immer wieder sehr oft und lange erlebt. Der Eindruck ist schon da, dass der Film ihr Antrieb ist, durch das Leben zu gehen und eben auch etwas zu erzählen und den Menschen mitzugeben und auch aufzurütteln, wach zu halten die Menschen.
Luerweg: Die Biografie ist 2000 erschienen, da war Margarethe von Trotta Ende 50. Warum bitteschön schreibt man da eine Biografie und was fehlt da? Müssen Sie fortschreiben?
Wydra: Na ja. Es fehlen natürlich die letzten 17 Jahre und ich weiß nicht, wie viele Filme, sie ist gerade dabei, ihren 25. Kinofilm zu drehen in New York und in Köln "The Odd Couple" heißt der. Und damals war das ein Buch, vielleicht zur rechten Zeit. Sie hat "Jahrestage" gedreht von Uwe Johnson, ein ARD Vierteiler im Jahr 2000, ein Großprojekt. Und die Biografie war im deutschsprachigen Raum die allererste. Und das ist ja auch wieder erstaunlich, dass es bis ins Jahr 2000 überhaupt nichts über sie gab, zumindest im deutschsprachigen Raum. Sie wird ja im Ausland sehr gefeiert, es gab ja im Ausland auch schon Bücher, Doktorabhandlungen et cetera pp. Aber es gab in ihrem eigenen Land, in ihrer Heimat, in der sie geboren ist, in der sie lebt - zum Teil zumindest - gab es keine Biografie.
Privates im Film verarbeitet
Luerweg: Ihr letzter Film, "Die abhandene Welt", also der letzte, der ins Kino gekommen ist, das ist ein sehr persönlicher Film, da erzählt sie von ihrer älteren Schwester, von deren Existenz sie ganz lange gar nichts wusste. Steht diese Geschichte schon in der Biografie aus dem Jahr 2000?
Wydra: Die steht in der Biografie, weil die Biografie eben ja auch ihr Leben erzählt, ihre Kindheit, ihre Jugend, ihr Erwachsenwerden. Ihre Geschichte mit ihrer Mutter, der Verlust ihrer Mutter - also ihre Mutter ist während des Films "Schwestern oder die Balance des Glücks" gestorben und sie konnte, weil sie drehte, nicht hin. Das belastet sie seit vielen Jahren. Das ist auch etwas, was sie antreibt.
Aber eben auch das überraschende Kennenlernen der in Wiesbaden heute lebenden Schwester, von der sie vorher nichts wusste. Und das hat sie mehrfach filmisch, eben auch in "Schwestern oder die Balance des Glücks" oder eben auch in dem von Ihnen genannten, bisher letzten Film mit Barbara Sukowa und Katja Riemann, filmisch verarbeitet und auch selbst die Drehbücher dazu geschrieben.
Gegenseitige Wertschätzung
Luerweg: Herr Wydra, Sie nennen gerade zwei Schauspielerinnen, zwei Darstellerinnen, mit denen Margarethe von Trotta immer wieder arbeitet, Barbara Sukowa und Katja Riemann. Ist sie eine Frauenregisseurin? Jemand, die nicht nur den Weg bereitet hat für weibliche Filmemacherinnen, sondern auch so eine Art von weiblichen Netzwerk um sich spannt, das sie braucht, um zu arbeiten vielleicht?
Wydra: Der Begriff Frauenregisseurin, Frauenfilmerin würde ihr glaube ich nicht so gefallen. Ich selbst betrachte sie als Autorenfilmerin. Aber es ist natürlich richtig, dass ihre Filme über starke Frauenpersönlichkeiten gehen und dass sie auch immer wieder dieselben Schauspielerinnen, versucht zumindest, zu besetzen. Barbara Sukowa hat in bisher sechs Filmen von Margarethe von Trotta mitgespielt. Katja Riemann inzwischen in vieren.
Und das ist natürlich auch eine Form der gegenseitigen Wertschätzung, ähnlich wie es früher Rainer Werner Fassbinder mit seiner Familie gemacht hat. Und Barbara Sukowa ist, wenn man das etwas überhöhen will, filmisch natürlich fast so etwas wie ihr Alter Ego. Also sie ist sehr dicht an ihr dran und sie kennen sich einfach sehr, sehr gut, seit über 30 Jahren.
Luerweg: Wird es ein neues Buch geben?
Wydra: Vielleicht. Es kann gut sein, ja.
Luerweg: Thilo Wydra, Biograph der Regisseurin Margarethe von Trotta, die heute 75 Jahre alt wird. Herr Wydra, vielen Dank für das Gespräch.
Wydra: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.