"Gli dei delle musica" – "Die Götter der Musik" – das war der Reihentitel der Schallplatten, mit denen vor Jahrzehnten auch das Lebenswerk von Maria Callas zusammengefasst und in preiswerter Form unters Volk gebracht wurde. Die Collection trug immerhin dem Umstand Rechnung, dass "die Callas" eine Stimme, eine Frau im Götterhimmel der Musik des 20. Jahrhunderts war, nicht schlichtweg die Primadonna der Primadonnen. Freilich wurde ein besonderer Kult mit ihr und mit ihren Hinterlassenschaften veranstaltet.
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und im Reflex auf die Dekade der monströsen Verwüstungen schwoll der Sänger- und Stimmfetischismus in der nördlichen Hemisphäre zu einer Art Massenhysterie an. Dieser Form der Heiligenverehrung kam die 1923 in New York als Maria Anna Sofia Cecilia Kalogeropoulou geborene Sopranistin wie gerufen.
Das Panzernashorn auf dem Ozeandampfer
"Die Callas" verkörperte Jugend, unbändigen Willen und phänomenale Energie. Sie brach mit archaisch anmutender Präsenz in eine von vielen als "verstaubt" wahrgenommene Opernwelt hinein. Sie, die bald alle kannten – auch die, die nie ein Opernhaus von innen sahen – wurde wie ein Orkan oder Erdbeben wahrgenommen: als Naturereignis. Oder wie ein Panzernashorn auf einem Ozeandampfer. Denn vor einem halben Jahrhundert gehörte der Belcanto-Gesang nicht mehr zur "ästhetischen Gegenwart".
Maria Callas erwies sich als "eine wie keine". Sie lebte, nach einer "schweren Jugend" und sich selbst immer wieder kasteiend, kurz und heftig, reich und glamourös, zeitweise als Geliebte des Tankerkönigs Onassis. Sie bestritt nur eine vergleichsweise kurze, aber eben exzessive und nachhaltige Karriere.
Die endete bereits zwölf Jahre vor dem frühen Tod. Als sie am 5. Juli 1965 in London am Königlichen Opernhaus Covent Garden die Titelpartie in "Tosca" bestritt, war ihre Stimme zwar bereits erheblich ramponiert. Aber weder Freund noch Feind gingen davon aus, dass dieser Puccini-Abend der Abschied von der Bühne sein könnte. Erwartet wurde, dass sie ihre "Beziehungs"- und Stimm-Probleme "in den Griff bekommt". Doch unüberhörbar blieb, dass "ihre stimmlichen Mittel auf schmerzliche Weise reduziert sind", sodass sie sich, wie Jürgen Kesting als Experte diagnostizierte, "jener histrionischen Gesten und rhetorischen Übertreibungen bedienen [musste], von denen Callas die Musik des Verismo in früheren Aufführungen und Aufnahmen befreit hatte."
Sturz ins Bodenlose
Versuche eines Comebacks scheiterten kläglich und ließen sie ins Bodenlose stürzen. Doch gerade auch das Scheitern verstärkte den Mythos. Sie war eine Künstlerin und Frau, die - wie Ingeborg Bachmann beobachtete - "auf der Rasierklinge gelebt hat".
Maria Callas starb vereinsamt im September 1977 in Paris. Herztod. Ihre Asche wurde vor der Küste Griechenlands ins Meer gestreut. Die Anteilnahme entwickelte königliche Ausmaße. Ein Dutzend Jahre nach ihrem letzten Abgang lagen eineinhalb Dutzend Biografien vor. Eine der ergiebigen Hagiografien verweist auf die "Überforderung ihrer Willenskraft" und ihren "shakespearehaften" Ehrgeiz:"Dieser Ehrgeiz hat nicht ihre musikalische Technik überfordert, wohl aber hat sie in den frühen Jahren ihrer Laufbahn ihre Stimme jenem Dämon überlassen, der sie verzehrt hat: dem Rausch."
Callas ist bis heute Synonym für die große Sängerin. Macht Frischfleisch auf dem Sängerinnenmarkt von sich reden, ruft die Boulevardpresse fast regelmäßig eine "neue Callas" aus. Dergleichen hat seit den Sirenen keine andere geschafft.