Dokumente über Maria Callas gibt es bekanntlich in Hülle und Fülle. Dokumente von ihr sind dagegen eher rar, denn ein Großteil ihrer Korrespondenz befindet sich bis heute in Privatbesitz und ist weit verstreut.
Umso herausfordernder ist es, heute ein weiteres Buch über sie zu schreiben. Doch die Voraussetzungen scheinen günstiger denn je. Callas’ Aktualität ist ungebrochen, und viele neue Quellen sind inzwischen aufgetaucht – sie müssen nur sorgfältig geprüft und richtig bewertet werden.
Legenden bleiben draußen
Arnold Jacobshagen macht bereits auf der ersten Seite klar, dass ihn die vielen Legenden, die sich um die Callas ranken, nicht wirklich interessieren. Das dokumentiert er direkt im ersten Kapitel über Geburt und Herkunft. Maria Callas ist Ende 1923 in New York geboren, kurz nachdem ihre Eltern ihre griechische Heimat verlassen hatten. Aber warum dieser Schritt? Es gibt eine Reihe von Klatschberichten, wonach der Vater fremdgegangen und ein Verbleib dadurch unmöglich geworden sei. Jacobshagen markiert diese Berichte berechtigterweise als Spekulationen. Dann widmet er sich einem ungleich gewichtigeren Grund: der dramatischen politischen Situation in Griechenland.
Jacobshagen folgt den Spuren im Leben der Sopranistin mit großer Akribie, sorgfältig wertet er zeitgenössische Dokumente aus und zitiert daraus in Maßen: Erinnerungen von Kollegen, Rezensionen in der Presse und anderes mehr.
Jacobshagen folgt den Spuren im Leben der Sopranistin mit großer Akribie, sorgfältig wertet er zeitgenössische Dokumente aus und zitiert daraus in Maßen: Erinnerungen von Kollegen, Rezensionen in der Presse und anderes mehr.
Bühnen- und Studiosituation
Ab 1949 entstehen die ersten erhaltenen Tondokumente mit Maria Callas. Im Dezember singt sie die Abigaille in Verdis „Nabucco“, unter Vittorio Gui in Neapel. Anders als Jürgen Kesting in seiner bereits älteren Callas-Biographie geht Jacobshagen nicht so sehr in musikalische Details, auch wenn beide Bücher in ihrer betont sachlichen Ausrichtung vergleichbar sind – und sich damit deutlich von Eva Gesine Baurs jüngster Callas-Biographie unterscheiden, die wiederum das Leben der Ausnahmesängerin leuchtender, schillernder erzählt. Arnold Jacobshagen geht es jedoch nicht nur ums rein Biographische:
Er nimmt die künstlerischen Dimensionen ihrer Karriere in den Blick: ihre Stimme, ihre Darstellungskunst, ihre Bühnenrollen und ihre Schallplattenaufnahmen.
Er nimmt die künstlerischen Dimensionen ihrer Karriere in den Blick: ihre Stimme, ihre Darstellungskunst, ihre Bühnenrollen und ihre Schallplattenaufnahmen.
Chronologie zur Seite gewischt
Dieser Aspekt ist ungleich schwieriger darzustellen als die einzelnen Lebensstationen. Als kluger Schachzug erweist sich, dass das Buch nicht von A bis Z der Chronologie von Callas’ Leben folgt, sondern mehrere thematische Schwerpunkte setzt. Daher ist das neue Buch in drei größere Abschnitte gegliedert.
Auf die Kapitel zum Leben der Callas folgt ein eigener, mehrgliedriger Block zu ihrer Kunst, bevor abschließend der Mythos Callas und die Rezeption in den Fokus rücken. Gerade im Kapitel „Stimme“ schreibt Jacobshagen sehr differenziert, zugleich so allgemeinverständlich, dass zum Verständnis kein Vorwissen erforderlich ist.
Arbeitsstil der Callas
Aufschlussreich sind auch die Ausführungen darüber, wie sich die Callas in ihren jeweiligen Teams verhalten hat – ein wichtiger Aspekt, der jedoch durch die Fokussierung auf die Sängerin „Assoluta“ oft vernachlässigt wird.
Durch die Presse bekannt geworden sind nämlich in erster Linie Kräche und Konflikte. Allerdings: Auch Maria Callas war eine Teamplayerin, wenn es darum ging, dieses Kraftwerk <Oper> mit Leben zu erfüllen. […] Ihre Vorbereitung war akribisch, und oftmals kannte sie nicht nur ihre eigene Rolle, sondern auch die der übrigen besser als diejenigen, die sie darzustellen und zu singen hatten.
Was wird bleiben
Auch in den abschließenden Kapiteln über den „Mythos“ Callas bleibt sich Arnold Jacobshagen treu: Er beweihräuchert nicht, er berichtet und analysiert. Wohltuend sachlich geht er mit dem ganzen Hype um ihre Person um, kundig beschreibt er ihre sängerischen Meriten, aber auch (wenngleich knapper) ihre Schwächen.
So ist ein sehr lesenswertes Buch entstanden, das am Ende noch einen vorsichtigen Blick in die Glaskugel wagt: Was wird künftig bleiben von der Kunst und vom Mythos der Maria Callas? Diese Frage kann natürlich auch Arnold Jacobshagen nicht verlässlich beantworten.