Archiv

"Maria Carolina, Königin von Neapel"
Die filmreife Herrscherin

Eine junge, aufsässige Königin mit politischer Haltung, die sich Napoleon in den Weg stellt - eigentlich ein filmreifer Stoff. Trotzdem ist Erzherzogin Maria Carolina von Österreich lange nicht so bekannt wie ihre Schwester Marie Antoinette oder ihre Nachfahrin Sissy. Eine neue Biografie könnte das ändern.

Von Karl Hoffmann |
    Das zeitgenössische Porträt zeigt die Herzogin von Berry, Maria Carolina.
    Maria Carolina, Erzherzogin von Österreich, Königin von Neapel (picture-alliance / dpa / Bifab)
    Ferdinando, Sohn von König Carlos, musste als 9-Jähriger die Thronfolge antreten, als sein Vater zur Rückkehr nach Spanien gezwungen war und er sollte fortan lediglich als dessen Befehlsempfänger dienen. Das heute in Vergessenheit geratene Königreich Neapel und Sizilien, das das gesamte Italien östlich und südlich von Rom umfasste, hatte im 18. Jahrhundert eine wichtige Funktion im Kräfteverhältnis zwischen Österreich, Spanien und dem Kirchenstaat, wie die Autorin anschaulich erklärt. Mit der Vermählung zwischen Ferdinando und Maria Carolina wollten sich die Regenten in Wien wie in Madrid eine gemeinsame Kontrolle über Italien sichern. Ferdinando war eine ideale Herrschermarionette. Ein ungebildeter, verzogener Lümmel, der nur ein einziges Hobby hatte, wie der englische Botschafter William Hamilton bemerkte.
    "Wir sind hier seit acht Tagen, die ausschließlich der Jagd gewidmet sind. Mehr als tausend Hirsche, ungefähr hundert Wildschweine und es werden noch doppelt so viele werden. Trotz der großen Ehre teilnehmen zu dürfen kann ich diese Verschwendung und dieses Massaker, das nichts mit Sport zu tun hat, nicht mehr mit ansehen."
    Eine fortschrittliche Reformerin
    Weil ihr Mann keinerlei Lust zum Regieren hatte, nahm zwangsläufig Maria Carolina, fast noch ein Kind, die Regierungsgeschäfte in die Hand, erläutert die Autorin Friederike Hausmann:
    "Sie war ja wirklich eine sehr gut ausgebildete junge Frau - vor allem aber weil ihr Gatte nicht die geringste Lust hatte zu regieren, war sie sehr reformerisch tätig und hat wichtige Leute um sich geschart und selbst wichtige Reformen angestoßen."
    Diese Rollenteilung des Herrscherpaares verfestigte sich. Während Maria Carolina das marode Regierungssystem zu reformieren begann, hielt der eher unfähige König seine Untertanen bei Laune. Ferdinando saß ständig im Theater San Carlo, wo im Beisein der Regenten regelrechte Orgien gefeiert wurden, oder er vergnügte sich auf dem Platz vor dem Königspalast bei barbarischen Fressgelagen, wo das Volk lebende Tiere zerfleischte. Maria Carolina zeigte sich angewidert, was sie dem Volk unsympathisch machte. Auf der andern Seite fand sie den Zuspruch fortschrittlicher Denker und Philosophen. Neapel wurde zur Wiege des europäischen Freimaurertums. Die Königin träumte von einem starken, unabhängigen und gleichberechtigten Reich in Europa. Längst hatte sie die Hosen an. Fassungslos berichtete Ferdinando nach Madrid von den Vorwürfen seiner Frau, er hänge an Vaters Rockzipfel. Friederike Hausmann liefert schmunzelnswerte Zitate:
    "Dein Vater ist ein alter Dickkopf, sagte sie. Er ist für vernünftige Ratschläge unzugänglich. Reiß dich zusammen und tu, was ich dir sage. Im Bett wurde sie zur Furie, begann zu schreien und zu toben und schrie, ich sei ein Spitzbube der übelsten Sorte und schließlich ging sie so weit, dass sie mich wie ein Hund ansprang und so in die Hand biss, dass man es immer noch sieht."
    Marie Antoinettes Tod als Wendepunkt
    Trotzdem muss es wohl so etwas wie Liebe gewesen sein, befindet die Autorin. Ferdinando sei ein echter Kindernarr gewesen, Maria Carolina trotz aller Gerüchte eine überaus treue Ehefrau gewesen. Sie habe stets zu ihrem Mann gehalten und immerhin 16 Kinder zur Welt gebracht. Gemeinsam hätten sie sich rührend um ihren Nachwuchs gekümmert. Trotzdem starben viele ihrer Kinder, als sie noch klein waren. Dieses oft dramatische Elternschicksal verband das ansonsten ungleiche Paar über mehr als vier Jahrzehnte, wobei Ferdinando auch weiterhin meist auf die Jagd ging und das Regieren seiner Frau überließ. Ohne die Französische Revolution, so glaubt die Biografin, hätte Maria Carolina vielleicht ihr Ziel erreicht, das Königreich Neapel und Sizilien zum schönsten in ganz Europa zu machen. Aber dann endete ihre Lieblingsschwester Marie Antoinette in Paris auf dem Schafott. Und als Napoleon schließlich in Frankreich die Macht übernahm, erklärte sie ihn zum Todfeind und kämpfte wie besessen gegen den Usurpator und Thronräuber, wie sie ihn öffentlich nannte, statt sich mit ihm zu arrangieren. Damit überforderte sie ihr kleines Reich, ihre Untertanen und nicht zuletzt sich selbst. Intrigen, üble Beschuldigungen und eine geheimnisvolle Krankheit führten schließlich zu einem unrühmlichen Ende und prägten über fast zwei Jahrhunderte hinweg ihren wenig schmeichelhaften Ruf:
    "Sie hatte Konvulsionen. Und diese Krankheitssymptome haben sich sehr verstärkt und sie hat dann Opium genommen. Und das hat sich wohl auf ihren Charakter sehr ausgewirkt. Sie wurde immer sturer und immer jähzorniger. "
    Bis zum letzten Atemzug wehrte sich Maria Carolina dagegen, dass ihr geliebtes Herrschaftsgebiet dem Machtkampf in Mitteleuropa zum Opfer fiel. Sie war die einzige, die sich Napoleon nicht zu Füßen warf, weshalb sie für die Autorin eine zwar umstrittene Persönlichkeit ist, gleichzeitig aber mehr Achtung und Beachtung verdient hätte. Was sich wie ein Roman liest, erweist sich als nützliches Geschichtsbuch nicht nur für den italophilen Leser. Die mit vielen Nebensträngen angereicherte Handlung rund um Maria Carolina wirft ein erhellendes Licht auf den italienischen Süden, seine besondere Lage und die sozialen und kulturellen Unterschiede zum Rest des Landes. Rückständigkeit, Misswirtschaft und Traditionalismus haben bereits Maria Carolina zu schaffen gemacht. Und auch die Mafia hat letztlich ihre Wurzeln in jenen geheimnisvollen Machtverhältnissen Süditaliens, an denen die Königin am Ende so tragisch gescheitert ist.
    Friederike Hausmann: Herrscherin im Paradies der Teufel. Maria Carolina, Königin von Neapel. Eine Biografie. C.H. Beck, 319 Seiten, 16,95 Euro, ISBN: 978-3-406-66695-7.