Susanne Fritz: Um die heilige Maria Magdalena ranken sich viele Legenden. Sie taucht auch in religiösen, antiken Texten auf, die nicht Eingang in die Bibel fanden. Über eine heikle, heilige Maria von Magdala spreche ich jetzt mit Maria Häusl, Professorin für biblische Theologie an der TU Dresden. Guten Morgen!
Maria Häusl: Guten Morgen auch, Frau Fritz.
Fritz: Frau Häusl, was weiß man eigentlich an historisch gesicherten Fakten über Maria von Magdala?
Häusl: Die ältesten Daten, die wir haben, stammen aus dem Neuen Testament. Und da ist als Erstes ihr Name zu nennen: Sie heißt Maria, das ist ein jüdischer Allerweltsname und bedeutet, dass sie Jüdin ist. Dann ist überraschenderweise ihr Herkunftsort genannt, also Maria von Magdala. Magdala ist ein kleines Dorf am See Genezareth. Das bedeutet aber auch: Sie wird nicht über ihren Ehemann, nicht über ihren Vater vorgestellt, sondern über ein Dorf. Das lässt darauf schließen, dass sie nicht verheiratet war. Wir erfahren in den neutestamentlichen Texten, dass sie mit Jesus unterwegs war. Sie stammt aus Magdala am See Genezareth im Norden, ist aber wieder bezeugt in Jerusalem unter dem Kreuz bei der Grablegung, bei der Auferstehung. Das heißt, wir müssen annehmen, dass sie mit den Jüngern und Jüngerinnen mit Jesus in Galiläa und Juda unterwegs war. Das bedeutet auch, dass sie wohl nicht den Geschlechterstereotypen, den Rollenerwartungen einer Frau der damaligen Zeit wirklich entsprochen hat, sondern eigene Wege gegangen ist.
Neuer Festtag als Zeichen der Wertschätzung von Frauen
Fritz: Papst Franziskus hat im Sommer den Gedenktag der heiligen Maria Maria von Magdala in den Rang eines Festtages erhoben. Das war lange Zeit ein heißes Eisen. Warum hat sich die katholische Kirche damit so schwer getan?
Häusl: Ich denke, dass die Begründung, weswegen es nun ein Festtag wurde, durchaus etwas Aufschluss gibt. Es wird ausdrücklich darauf Bezug genommen, dass es ein Zeichen der Wertschätzung für Frauen ist, der Wertschätzung für Frauen in der katholischen Kirche insgesamt. Die Heraushebung ihrer Bedeutung für die Verkündigung des Glaubens wird verknüpft mit der Wertschätzung von Maria von Magdala und das, das ist ja vorher schon deutlich geworden, gegen eine fast 1500-jährige Geschichte der Rezeption von Maria von Magdala als Sünderin und reuige Büßerin. Jetzt wird sie herausgehoben als Apostelin der Apostel und immer verknüpft mit den Rollen von Frauen oder Erwartungen, die an Frauen herangetragen werden.
Apostelin der Apostel
Fritz: Was heißt denn eigentlich genau "Apostelin der Apostel"? Was ist damit gemeint?
Häusl: Das ist ein Titel, den wir noch nicht im Neuen Testament finden, sondern der erst im dritten nachchristlichen Jahrhundert von Hippolyt geprägt worden ist, und in diesem antiken Zusammenhang vor allem darauf abzielt, dass sie die erste Botin ist und Jesus ihr aufgetragen hatte, seine Auferstehung den Aposteln zu verkünden. Diese erstverkündigende Aufgabe wird mit diesem, ja durchaus Ehrentitel mit Maria von Magdala verknüpft.
Fritz: Aber sie hat nicht den Stand eines Apostels.
Häusl: Nun, das ist natürlich ein weites Feld. An einem Begriff alleine können Sie das nicht festmachen. Einerseits wird ihr dieser Begriff zugewiesen. Andererseits müssen wir in den neutestamentlichen Texten davon ausgehen, dass wir überhaupt noch nicht so ein festes Amtsverständnis haben. Das gilt für alle Bibelstellen, wo von "Apostel" die Rede ist. Ich verweise nur ganz kurz auf eine andere, jetzt wieder Apostel gewordene Frau, nämlich Junia aus dem Römerbrief Kapitel 16, die lange Jahre als Mann, als Junias, in unseren Übersetzungen gelebt hat und nun - etwa in der neuen Einheitsübersetzung - tatsächlich wieder "zur Frau wird" und damit auch diesen Titel "Apostel" bekommt. Aber noch einmal: Für die neutestamentlichen Texte kann ich nicht davon ausgehen, dass das schon ein festes Amtsverständnis ist, sondern eben dieses Amtsverständnis erst sukzessive wächst. So ähnlich ist es dann auch bei Maria von Magdala. Das heißt, von diesem einen Begriff, wenn sie jetzt auch - oder wieder - betont als Apostelin bezeichnet wird, kann ich nicht schon alleine ableiten, dass das einen Unterschied macht oder dass es das Apostelamt ist, so wie es eben jetzt in der katholischen Kirche verstanden wird.
Herausragende Offenbarungsträgerin in den Apokryphen
Fritz: Maria von Magdala wird nicht nur in den biblischen Texten beschrieben, auch in den sogenannten Apokryphen, also in antiken religiösen Texten, die nicht zum Kanon der biblischen Schriften gehören.
Häusl: Ja.
Fritz: Wie wird sie denn dort beschrieben?
Häusl: Das ist ganz interessant. Denn dort haben wir Traditionen, die sehr viel stärker ihre Lehrtätigkeit, ihre Verkündigungstätigkeit und sie aber auch als herausragende Offenbarungsträgerin hervorheben. Anders als die Entwicklung ab dem sechsten Jahrhundert, die in der Großkirche in Richtung reuige Sünderin gegangen ist, haben wir in diesen Texten, die noch vorher entstanden sind - im dritten, zweiten nachchristlichen Jahrhundert -, ganz eindeutig die herausragende Bedeutung Maria von Magdalas als Offenbarungsträgerin hervorgehoben. Und sie tritt dort auch - etwas, das auch schon im Johannesevangelium angelegt ist - ein bisschen in Konkurrenz zu Petrus und auch vielleicht in Spannung zu ihrer Geschlechterrolle, die sie eigentlich einzunehmen hätte in dieser Zeit.
Ein Kuss und doch kein Kuss
Fritz: Sie wird in diesen Texten auch als Geliebte von Jesus, teilweise sogar als Ehefrau bezeichnet. Zumindest wird diese Liebesbeziehung nahegelegt. Inwiefern wird dieser Aspekt der Maria von Magdala nachher von der modernen Populärwissenschaft aufgegriffen?
Häusl: Ich würde noch einmal gerne darauf eingehen, dass in den apokryphen Texten dort, wo von "Liebe" oder eben auch von dem "Kuss" die Rede ist, das eindeutig im spirituellen Sinne zu verstehen ist. Es ist eine nahe Beziehung, aber nicht im umfassenden Sinn, sondern mit Blick auf die Verkündigungstätigkeit, die sie zu tun hatte.
Und aus der engen Nähe, die durchaus eben vergleichbar ist mit der Nähe bei Petrus oder auch bei anderen Personen, die in den Apokryphen-Texten vorkommen, wird in der populärwissenschaftlichen Rezeption, die wir etwa jetzt in den letzten 30 Jahren beobachten können, ganz deutlich ein Ehe-Verhältnis oder auch ein nur sexuelles Verhältnis - das heißt, sie wären etwa nicht verheiratet gewesen - beschrieben oder herausgenommen. Wir sehen das etwa in dem bekannten Roman von Dan Brown "Sakrileg" haben oder auch in dem Film "The last Temptation" - also "Die letzte Versuchung" Christi. Dort liegt der Fokus aber viel stärker darauf, mit diesem Ehe-Verhältnis oder mit dem sexuellen Verhältnis, das Maria mit Jesus eingeht, die Menschlichkeit Jesu zu betonen. Ich müsste also fragen, was ist wichtig für die Menschlichkeit Jesu, das Menschsein Jesu? Und da braucht die Populärkultur im 21. Jahrhundert dann eben eine Partnerin, eine Ehefrau für Jesus.
Verkünderin, Lehrerin, Sünderin, Büßerin
Fritz: Ist das Ihrer Meinung nach der Grund für dieses moderne, immer noch starke Interesse an dieser Frauenfigur Maria Magdalena?
Häusl: Ich denke, alles zusammen genommen. Also jetzt haben wir in der Kürze der Zeit ganz verschiedene Rollen aufgezählt: Sie ist Offenbarungsträgerin, Verkünderin, Lehrerin, Apostelin. Sie ist Sünderin, reuige Sünderin, Büßerin. Sie ist enge Vertraue Jesu. Sie ist Ehefrau Jesu. Ich denke, sie ist, insgesamt gesehen, eine Figur des kulturellen Gedächtnisses, der kulturellen Erinnerung. Und daran, denke ich, lässt sich immer wieder, in jeder Epoche, ablesen, wie Frauenrollen konstruiert werden, wie Geschlechterrollen konstruiert wurden. Und in diesen Konstruktions-Diskussionen wird immer wieder auch auf Maria von Magdala zurückgegriffen.
Fritz: Das Bild von der Maria von Magdala wurde ja letztlich ein wenig verfälscht, als man sie mit der Sünderin, der reuigen Sünderin vermischte.
Häusl: Ja.
Fritz: Welchen Einfluss hatte dieses verfälschte Bild der Maria Magdalena auf die bildende Kunst, Musik und Literatur?
Häusl: Das ist im vorhergehenden Beitrag schon sehr deutlich geworden, dass damit einerseits das neutestamentliche Bild stark zurückgedrängt worden ist, andererseits aber auch mit dieser Verknüpfung mit der Sünderin - oder auch in der Beziehungssetzung mit Eva etwa - ein Rollenmuster für Frauen konstruiert worden ist, das sehr viel stärker in die Rollenerwartungen der jeweiligen Zeit gepasst hat. Das ist also eine Form der Zurückdrängung von Einfluss von Frauen oder vielleicht auch von unbequemen Frauenrollen - nicht nur unbequemen Einzelfrauen, sondern unbequemen Frauenrollen. Und in diesem Zuge müsste man die Darstellung als Sünderin oder auch als reuige Büßerin sehen.
Fritz: Vielen Dank für das Gespräch.
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