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Marie Naaß vs. Gerald Knaus
Flüchtlinge in Not: Sind wir schon zu abgestumpft?

Wenn es um Flüchtlinge geht, ist der Ton in Deutschland in den vergangenen Wochen und Monaten - gelinde gesagt - rauer geworden. Die Grenze des öffentlich Sagbaren ist sehr weit nach rechts gerückt. Gehen einige Äußerungen mittlerweile über jedes moralisch akzeptable Maß hinaus?

Moderation: Manfred Götzke | 04.08.2018
    Auf dem Bild sind Migranten auf einem Schiff im tunesischen Zarzis zu sehen. Sie waren zuvor von der Küstenwache gerettet worden.
    Migranten auf einem Schiff im tunesischen Zarzis. (AFP / Fethi Nasri)
    Pegida-Demonstranten die "absaufen, absaufen" skandieren und damit Flüchtlinge auf dem Mittelmeer meinen. Ein deutscher Innenminister, der sich bübisch an Abschiebungen zu seinem Geburtstag erfreut. Ein italienischer Innenminister, der Seenotrettern vorwirft, Menschenfleisch zu transportieren. Das alles in einer Situation, in der Tag für Tag Menschen im Mittelmeer ertrinken, während Seenotretter in europäischen Häfen an der Kette liegen. Das führt uns in der Streitkultur zu der Frage: Sind wir schon zu abgestumpft, wenn es um Flüchtlinge geht? Fehlt der europäischen Flüchtlingspolitik inzwischen jedes Mitgefühl?
    PRO: Marie Naaß, Sprecherin der Seenotretter "Mission Lifeline"
    "Ich möchte an die Flüchtlingskonferenz von 1938 in Evian erinnern: Wenn wir uns anschauen, welche Prioritäten jetzt in der europäischen Flüchtlingspolitik gesetzt werden, muss man feststellen, dass wir aus der Geschichte nichts gelernt haben. Die Rhetorik ist heute schockierend ähnlich wie 1938. Es wird wieder davon geredet, dass der soziale Frieden bedroht sei, dass eine innenpolitische Balance in Gefahr gerate, dass Missbrauch von Asyl eine große Gefahr darstelle. Wenn sich der europäische Kontinent weiterhin abschotten möchte, haben wir aus der Geschichte nichts gelernt."
    KONTRA: Gerald Knaus, Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative und Erfinder des Flüchtlingsdeals mit der Türkei
    "Deutschland hat im letzten Jahr mehr Flüchtlingen Schutz geboten hat, als die gesamte restliche EU plus USA, Kanada, Mexiko, Australien, Japan zusammen. Deutschland ist also bei weitem das großzügigste Land und ich sehe auch bei Umfragen immer noch eine Bereitschaft der Bevölkerung, Flüchtlingen helfen zu wollen. Die Frage ist, wie schaffen wir es, dass weniger Leute im Mittelmeer ertrinken, dass die, die keinen Schutz in der EU brauchen, sich gar nicht erst auf den Weg machen, dass wir schelle und faire Asylverfahren haben, wo Leute ankommen und dass wir Einigungen haben mit den Herkunftsländern vor allem in Afrika: Sie sollen uns helfen, die Leute zurücknehmen, die keinen Schutz brauchen – und dafür bieten wir legale Migration. Aber von so einer Politik sind wir leider noch sehr weit entfernt."